Tue Gutes… und berechne dessen Geldwert!?

Vor einer Woche präsentierte die Zürcher Direktion der Justiz und des Inneren (JI) die Studie «Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich». Gemäss Regierungsrätin Jacqueline Fehr wurde die Studie erarbeitet, um präzise Daten zum Umfang und zur Bedeutung der kirchlichen Tätigkeiten zu eruieren – Daten, die wiederum der Politik als Entscheidungsgrundlage für zukünftige Beitragszahlungen an die Kirchen dienen sollen. Konkret: Es ging darum zu prüfen, welchen gesellschaftlichen «Gegenwert» die reformierten und katholischen Kirchen aus den Staatsbeiträgen von 50 Mio. CHF pro Jahr leisteten.

Die Ergebnisse der Studie verschafften den Kirchenleitungen Erleichterung: Die Studie weist für die reformierten Kirchen „Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung (TmggB)“ im Umfang von 35 Mio. CHF nach – eine Summe, die einem staatlichen Kostenbeitrag von 27 Mio. CHF gegenübersteht. Die Kirchen hätten sich also die staatlichen Beiträge «verdient». Ähnlich klang es bereits anlässlich der Studienergebnisse des Projekts «Finanzanalyse Kirchen (FAKIR)» im Jahr 2010, als aufgrund ähnlicher Ergebnisse hervorgehoben wurde, die Kirchen böten der Gesellschaft einen «Mehrwert» bzw. sie seien «ihren Preis wert».

Kann man sich also ob solcher Studienergebnisse nur freuen?

In der Tat ist es hilfreich, wenn die Kirchen – angesichts umstrittener Staatsbeiträge – ihre Leistungen zugunsten der Allgemeinheit auch in ökonomischer Hinsicht ausweisen können; umso besser, wenn hierfür wie im vorliegenden Fall wissenschaftlich fundierte Daten vorliegen. Gerade für anstehende parlamentarische Debatten ist die Bedeutung des positiven kirchlichen «Leistungssaldos» nicht zu unterschätzen.

Die monetarisierte Summe der Leistungen gewinnt zudem an Qualität, wenn sie nicht nur mit dem Staatsbeitrag an die Kirchen, sondern auch mit den Leistungen von weiteren sozialen Akteuren verglichen wird. So wird klar, dass die reformierten Kirchen im Kanton Zürich ungleich mehr an gesamtgesellschaftlichen Tätigkeiten leisten als etwa die Caritas oder das Rote Kreuz im selben Gebiet. D.h. wenn auch die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Reformierten sehr dezentral, im Kleinräumigen und manchmal kaum sichtbar geleistet werden, so überragen sie doch in ihrer Summe manch etabliertes Sozialwerk!

Dennoch hinterlassen die Studienergebnisse bzw. hinterlässt die ökonomische Bemessung der sozialen und kulturellen Leistungen der Kirchen auch Anfragen wie etwa die folgenden:

  • Zahlen haben etwas verlockend Attraktives an sich: Sie sind eingängig und auf den ersten Blick verständlicher als Texte – und sie verleiten zuweilen zu simplifizierenden Vergleichen: In welche Richtung geht der Trend der Leistungen der reformierten Kirchen? Werden es in der nächsten Überprüfungsperiode nur noch Leistungen für 34 Mio. CHF oder aber sogar für 36 Mio. CHF sein? Die Attraktivität der in Zahlen ausgedrückten Leistungen mag dazu anstiften, bei der Beurteilung der gesamtgesellschaftlichen Leistungen den Blick zu sehr auf die blanken Summen zu richten. Dabei gäbe es durchaus weitere Aspekte, die bei einer Bemessung der Bedeutung der kirchlichen Leistungen viel eher im Zentrum stehen sollten: Die inhaltlich-programmatische Ausrichtung der Leistungen, die Qualität der Leistungen, ihre kritische Distanz zu staatlichem Handeln – all diese Aspekte drohen angesichts einer primären Orientierung an ökonomischen Zahlen an Bedeutung zu verlieren.

Wie können die Kirchen sicherstellen, dass ihre gesamtgesellschaftlichen Leistungen nicht bloss in einer blanken Zahl dargestellt, sondern in ihrer Vielfalt und in ihrer qualitativen Bedeutung für die Gesellschaft gewürdigt werden?

  • Schliesslich kann die ökonomische Betrachtungsweise der kirchlichen Tätigkeiten dem Verständnis eines „Leistungsvertrags“ Vorschub leisten: Demnach hätten die Kirchen – im Sinne eines Sozial- und Kulturdienstleisters – genau in der Höhe der Staatsbeiträge und in festgelegten Bereichen Leistungen zugunsten der Allgemeinheit zu erbringen. Gerade das soziale Handeln der Kirchen unterliegt jedoch Bedingungen, die keinesfalls nach der Logik eines Leistungsvertrags funktionieren. Die Kirchen sollen frei und flexibel genug sein, um sich nach eigener Beurteilung in sozialen Brennpunkten und Notlagen zu engagieren – und nicht bloss in denjenigen, die ihnen per Leistungsvertrag vorgegeben sind.

Wie kann es also den Kirchen gelingen, die Verwendung der staatlichen Beiträge transparent auszuweisen und zugleich ihre kritische Funktion gegenüber dem sozialstaatlichen Handeln zu bewahren?

Die Bemessung der kirchlichen Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung in ökonomischen Kategorien ist neu. Auf den ersten Blick überwiegen aus kirchlicher Sicht die positiven Eindrücke, da damit die vielfältigen kirchlichen Leistungen in eindrücklichen Zahlen ausgewiesen werden. Noch aber ist unklar, welche längerfristigen Folgen solche ökonomisch orientierten Erhebungen mit sich bringen. Die Kirchen tun gut daran neue Formen zu finden, die die Bedeutung ihrer gesamtgesellschaftlichen Leistungen auch ausserhalb monetärer Kategorien zum Ausdruck zu bringen vermögen.

Links zum Beitrag:

Studie „Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich“ der Universität Zürich, Institut für Politikwissenschaft (pdf)

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7 Kommentare
  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 06:59 Uhr, 06. Juli

    Und wie soll das gehen, die Qualität wissenschaftlich zu erfassen? Oder Bewegt sich die Kirche außerhalb allen Messungen?

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    • Carsten Ramsel
      Gepostet um 21:11 Uhr, 06. Juli

      Herr Weibel,
      die Qualität der Angebote wird üblicherweise durch eine Evaluation wissenschaftlich erfasst. Dafür stehen sowohl qualitative als auch quantitative Erhebungsmethoden zur Verfügung. Die Erfassung der Qualität ist dabei seltener ein Problem als vielmehr sich darauf zu einigen welche Kriterien die Qualität der Angebote bestimmen. So wie ich Simon Hofstetter kennengelernt habe, wird er um die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bestens Bescheid wissen.

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      Antworten
  • Rita Famos
    Gepostet um 07:15 Uhr, 06. Juli

    Danke Simon für diesen Beitrag! Ich stimme Dir zu. Es ist eine Gratwnderung: Der Staat und die Steuerzahlenden haben das Recht zu wissen, wohin das Geld fließt, deshalb sind diese Studien wichtig. Und wir müssen frei bleiben, dort zu handeln, wo die Not am Größten ist, oder wo andere Akteure längst aufgegeben haben, weil es finanziell und imagemässig nicht attraktiv ist. Ich glaube es braucht Narrative, die zeigen, was hinter den Zahlen steckt. Wer weiß zum Beispiel, dass in der Studie die gesamte seelsorgliche Tätigkeit (neben der Seelsorge in den Gemeinden) auch die Spital-, Psychiatrie-Gefängnis- und Pflehgeimseelsorge unter „Soziales“ erfasst wurde?

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  • Rita Famos
    Gepostet um 07:30 Uhr, 06. Juli

    Übrigens hier ein tolles Narrativ zur Unvermessbarkeit der Seelsorge von der Stadträtin für Gesundeit und Umwelt, Claudia Nielsen: https://www.stadt-zuerich.ch/gud/de/index/departement/stadtraetin-claudia-nielsen/tagblatt-kolumnen/170421_un-v-ermessbar.html

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    • Anita Ochsner
      Gepostet um 08:59 Uhr, 06. Juli

      Vielen Dank für diese Worte und den Hinweis! Als Pflegefachfrau erlebe und erfahre ich das gleichsam, und es braucht Zeit! Die unerlässlich lebensnotwendig ist.

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  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 09:46 Uhr, 06. Juli

    Es geht beim messen um Qualitätssicherung. Es gibt zu viel schamlose Verschwendung in den Kirchen. Lächerliche teure Projekte von naiven selbstgetechten ‚wohl’tätern. Qualität bedeutet Rechenschaft ablegen. Das gute daran ist, Lob und Anerkennung für den der das richtige tut. Nutzen wir also besser die Option und zu zeigen was alles gutes getan wird.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 12:12 Uhr, 07. Juli

    Also ich kann mich über die Ergebnisse der Studie im Moment sehr gut „nur“ freuen ?! Und das sollten wir uns alle auch gönnen: uns erstmals nur zu freuen. Viel an Arbeit, Commitment, Herzblut steckt hinter diesen Zahlen. Dass wir daneben noch eine andere Rolle und Bedeutung haben, scheint mir dadurch nicht gefährdet, sondern aufgewertet. Wer für die Gesellschaft gute Leistungen erbringt, darf sich auch hören lassen.

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