Ein Stapel Bücher für die Ferien

Haben Sie auch einen Stapel Bücher für die Ferien gehortet? Nein? Achso, alles auf dem Kindle, verbraucht nicht so viel Platz. Ja, das schöne alte Buch! Meine Schwiegermutter fragte mich letztens, als ich von einer 90 minütigen Therapiesitzung in meiner Buchhandlung mit einer Leinentasche voller Neuerscheinungen zurückkam, wann wir anfangen wollten anzubauen. Noch nicht, ich stelle diese erst mal in die erste Reihe – Sie wissen, dahinter stehen die alten Schätze. Leben mit Büchern. Für die Nicht-Bücher-LeserInnen unter Ihnen: Es geht. Man kann mit Büchern leben. Und es ist kein schlechtes Leben.

Wenn ich an meinen Bücherreihen entlang gehe, fangen sie immer an zu flüstern: Weißt Du noch? Der letzte Sommer auf Spiekeroog (für alle Nicht-Norddeutschen: Es ist der Traum einer ostfriesischen Nordseeinsel, ein absoluter Geheimtipp)! Da waren wir beide in den Dünen. Über uns der blaue Himmel, vor uns das schaumgekrönte Meer, ein Horizont so weit, dass ein Schweizer es sich fast nicht vorstellen kann (Es gibt inzwischen eine eingeschworene kleine Schweizer Exklave auf Spiekeroog!) Und der wunderbare Strandkorb, den man in den Windschatten drehen kann. Und Zeit, jede Menge Zeit. Ja, die Serenade für Nadja! Ein so trauriges Buch. Und dann flüstert ein anderes: Wir haben auch tolle Stunden gehabt. Achja! Eine Begegnung mit dem 18. Jhrd! Mit einem freien Frauenzimmer! Spiekeroog im 18. Jhrd war eine wind-, ja sturmumtoste Insel, ohne Fähre, nur mit wenigen BewohnerInnen, die noch sehr in ihrem Fischer- und Strandpiratenleben gefangen waren. Caroline Schlegel, das freie Frauenzimmer – ganz woanders, hat schon da kosmopolitischer gelebt.

Und dann drängt sich ein anderes entschieden dazwischen: Wir waren zusammen in Thessalien. Wow, eine Villa an einer Bucht, mit Privatstrand. Freunde und ein gemeinsames Lesevorhaben, nicht nur, aber auch. Über eine Künstlerin und ihr zweites, mal freies, mal scheiterndes und kämpferisches Leben nach dem Tod des viel älteren Ehemanns. Stoff zum Streiten für die Freunde und Freundinnen, mehrere Lesezeichen zwischen den Seiten, geteiltes Buch ist doppeltes Buch. Auf Englisch war es auch vorhanden. Moment mal, ist im Koffer von jemand anderem gelandet. Der Himmel über Griechenland so gleissend.

Ganz schnippisch fährt das nächste Buch dazwischen. Man kann mit einem Buch auch eine Reise machen, wenn man in Zürich im heimatlichen Garten sitzt. Ja, beruhige ich jetzt die Geschichte. Du warst wunderbar. Ich habe ganz vergessen, dass ich nicht am Meer, meinem Sehnsuchtsort schlechthin, war. Auch hier war der Himmel so himmelblau, wie es sonst oft nur im Süden vorkommt. Zum Abkühlen habe ich den Gartenschlauch genommen und mich an dem herrlichen Gefühl von nackten Füssen auf nassem Gras gefreut. Mal zur Abwechslung nicht auf nassem Sand. Lesend war ich dann in der Türkei und in Grossbritannien in London, quer zu den Nationalitäten und quer zu den Religionen. Eingetaucht in die Geschichte von zwei Frauen. Eine stirbt für die andere, weil den Männern das Denken abhanden gekommen ist und sie sich von vermeintlich verletztem Ehrgefühl zur Auslöschung von Menschenleben verführen lassen. Und einer kommt zurück in das richtige Leben, in das von Menschlichkeit und Liebe, weil ein anderer ihm eine Art von Religiosität nahebringt, die sich nicht mit einer bestimmten Religion deckt. Und das alles im Gefängnis… Das ist Therapie auf andere Art.

Manchmal kann ich mich an Büchern berauschen. Das kommt nicht immer vor. Aber wenn es vorkommt… wow. Das kann man sich nicht vorstellen. Das muss man erleben. Und es ersetzt eine ganze Reihe von Therapiestunden (sorry an meine TherapeutInnen – ihr seid wunderbar!)!

In diesem Jahr habe ich Ferien in Zürich gemacht, aber ich bin quer über den Planeten gejettet. Unbezahlbar! Man braucht nur in Bücher zu tauchen. Sie meinen, das seien keine richtigen Ferien?

(Und wer hat entdeckt, welche Bücher dieses Mal mit mir geflüstert haben?)

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9 Kommentare
  • Thomas von Salis
    Gepostet um 11:12 Uhr, 17. August

    Hast Du auch das Buch von Diderot: Die Nonne, la religieuse, gelesen?

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    • Anke Ramöller
      Gepostet um 09:21 Uhr, 24. August

      Nein, habe ich nicht. Ich habe ein bisschen recherchiert und kann mir etwas dazu vorstellen. Vielleicht hast Du Lust, Deinen Blick auf das Buch zu skizzieren? Sicher steht die Repression, die vom Christentum ausgegangen ist, für Dich sehr im Fokus, nehme ich an?!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 19:30 Uhr, 17. August

    Ein Buch ist von E. Sh., nicht? Will nicht spoilern! Aber es ist einfach grossartig!

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    • Anke Ramöller
      Gepostet um 09:18 Uhr, 24. August

      Ja, genau! Mich hat die Gefängnisgeschichte – der andere sass sogar unschuldig im Gefängnis – besonders beeindruckt. Wie bleibt jemand unter solchen Bedingungen Mensch – und dazu noch in der Lage, einen anderen, der ein Mörder ist, so zu begleiten, dass er zu der Unfassbarkeit seines Handelns stehen kann und seine Mutter, auch nach ihrem vermeintlichen Tod, um Vergebung zu bitten?!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 19:48 Uhr, 17. August

    „Three daughters of Eve“/dt. „Der Geruch des Paradieses“ ist ebenfalls Hammer, gefiel mir fast noch besser.

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  • Anita Ochsner
    Gepostet um 22:26 Uhr, 23. August

    Bücher lesen finde ich wunderbar. Ja, wenn wir in die Ferien ziehen sind immer ein(ige) mit dabei. Dieses Jahr war der Koffer meines Mannes besonders schwer.
    Auch wir sind im Garten gelegen, allerdings rund 1000km weit von zu Hause entfernt. Im lichten Schatten des Kastanienbaumes, oder unter dem Sonnenschirm… es gab genügend Platz. So fand man uns an manchen Tagen im Garten „verstreut“ liegend, Jede_r in sein Buch vertieft. Bis es hie und da jemand aus dem Stuhl drängte und ein Dessert kreierte und wir uns beim Essen wieder zusammenfanenden. Doch auf eine Weise fühle ich dennoch ein Zusammensein, wenn auch jede_r in seiner eigenen Geschichte „lebt“, ist es gemeinsame Zeit.
    Ein Buch, gebunden muss es für mich sein, wenn mir Geschichte und Autor gefällt. Ein Buch in Händen zu halten, das mir etwas wichtiges erzählt und wenn dazu das Gebinde schön bildnerisch gestaltet oder ganz einfach mit Leinen gemacht ist, finde ich etwas sehr schönes!

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    • Anke Ramöller
      Gepostet um 09:14 Uhr, 24. August

      Liebe Frau Ochsner,ich kann das für mich bestätigen. Ein Buch ist dann etwas besonders Schönes, wenn an seine Gestaltung auch Kreativität verwendet wurde, wenn die Geschichte in irgendeiner Weise in ein Gespräch mit dem Einband, der Seitengestaltung oder wie auch immer kommt. Vielen Dank für Ihre Ferienbeschreibung: ein Garten, mehrere lesende Menschen, gemeinsame Mahlzeiten …. . Darin stecken auch Urbilder erfüllten „Da-Seins“.

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      • Anita Ochsner
        Gepostet um 22:30 Uhr, 24. August

        Ja. ziemlich friedliche Ferienzeiten! 🙂 Vielen Dank Ramöller, und was Sie sagen, über ein schönes Buch, so sind das für mich Rafik Schamis Bücher. In diesem Sommer: „SOPHIA oder Der Anfang aller Geschichten“. Die Ferienzeit ist vorbei, doch das Buch – die Geschichte-n sind lebendig. Da. 😉

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        • Anke Ramöller
          Gepostet um 16:37 Uhr, 25. August

          Ja, das ist toll! Die Geschichten bleiben lebendig und verankern das, was sie begleitet hat – Entspannung, Lebensfreude, Achtsamkeit-, tief in der eigenen Erinnerung.

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