Ein Wort zum Reformationssonntag

«Gestatten: Sonntag, Reformationssonntag. Ich erscheine jeweils am ersten Kalendersonntag im November, in diskretem Abstand zum 31. Oktober. Halloween? Bei allen guten Geistern, nein: ReformationsTAG. An diesem Datum schlug Martin Luther nach ungesicherter Überlieferung 1517 seine Thesen an die Schlosstür zu Wittenberg, die Geburtsstunde der Reformation. Darauf beziehe ich mich – und übrigens auch nicht auf den Weltspartag; den Gedankengang zu Calvin ersparen wir uns hier. Auf alle Fälle verweise ich auf Eigenständigkeit: Die Schweiz feiert mit der Welt die Reformation, versammelt aber auch die eigenen Reformatoren und Traditionen, die auf die Welt wirkten. Es gibt mittlerweile eine Fülle von Tag des XY-Terminen, amüsante, ernsthafte, alberne. Fragen Sie mich nicht, wer solches festlegt und wie es sich dann auch durchsetzt. Doch seien wir ehrlich: Kaum jemand scheint mich ausserhalb der engeren und engsten Kirchenkreise noch zu kennen. Soll man mich noch ernst nehmen, abschaffen oder verschieben?»

Gedenken im Windschatten des Reformationsjubiläums

Die Reformation in der Eidgenossenschaft nahm mit Ulrich Zwingli in Zürich ihren Ausgang; mit dem Aufkommen von Jubiläumsfeiern beginnt auch hier die Geschichte dieses Gedenktages. Nach der grossen Zürcher Feier von 1819 (400 Jahre) wurde der Ruf laut, gesamtschweizerisch einen Reformationssonntag zu begehen. 1843 wurde er in Zürich eingeführt, landesweit gelang es erst 1896 durch Beschluss der Vorläuferorganisation des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes.

Der Reformationstag war ein Kind seiner Zeit. Das 19. Jahrhundert war zum einen das Zeitalter des Historismus, das Gedenken wird Mode: Man wird sich der Geschichtlichkeit der Institutionen und Traditionen und damit auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede bewusst. So war bestimmt die reformierte Eigenständigkeit gegenüber dem Ausland und gleichzeitig identitätsstiftende Abgrenzung gegenüber den Katholiken gefragt. Die Schweiz hat bekanntlich mehr als einen Reformator im Gedenkportfolio. Für evangelisch-reformiertes Zusammengehörigkeitsgefühl mussten also Kantönligeist überwunden und die reformierten Diasporagemeinden in den katholischen Orten einbezogen werden. So kreierte man in diesem Gedenktag wohl ganz bewusst einen gemeinsamen Nenner. Und das in einer 1848 frisch gegründeten Schweiz, die eben erst mühsam zur Einigkeit gefunden hat und gleichzeitig konfessionelle Spannungen zu überwinden suchte. Säkularisierung ist in einem liberalen Staat in der Luft. Kein Wunder also, dass ein solcher Gedenktag am Sonntag seinen Platz gefunden hat. Heute sieht die Sache anders aus – das «Gedenkmileu» ist geschrumpft und Konfessionen sind angesichts einer diffusen Wertdebatte im Rückzug begriffen.

Denkmal und Mal der Zeit

Gedenktage sind wie Denkmäler: Erinnerungsorte eines Kollektiven Gedächtnisses und damit Ausdruck ihrer Zeit, in der sie geschaffen worden sind. Erinnerungsorte sind sinn- und identitätsstiftend und vermitteln Orientierung. Wenn ihr Dasein nicht mehr selbst-verständlich wird, dann hat sich etwas im Gedächtnis verschoben. Man könnte sie sang- und klanglos abschaffen. Oder vorher ein Experiment machen, um sie wieder ins Gespräch zu bringen: Verschiebt man Denkmäler, ohne dass dies Diskussionen auslöst, dann hat der Erinnerungsort seine Bedeutung wirklich verloren. Erinnern Sie sich an die Kunstaktion im Jahr 1999 («Transit 1999»), bei welcher Zürichs Denkmäler in der Stadt verschoben worden sind? Waldmann, Escher, sie alle gingen auf Reisen. Auch unser Reformator: Zwingli in der Langstrasse, die grimmige Statue aus dem 19. Jahrhundert vor der Börse. Eine fruchtbare Debatte war das Resultat. Was würde geschehen, würde man den Tag des Schweizer Reformationsgedenkens verschieben?

Ein Gedenktag auf Reisen

Zurückhaltung gegenüber Festtagen und einzelnen Köpfen ist reformiert, es geht nicht darum, einen Tag des Brimboriums mit Feuerwerk auszurufen. In der Schweiz wird an den internationen Reformationstag bestenfalls erinnert, während der Tag in Deutschland auch mit staatlicher Ernsthaftigkeit begangen wird. Ganz besonders 2017 zum 500. Reformationsjubiläum: Nach und nach hat sich ein Bundesland nach dem anderen dafür entschieden, dass für einmal der Reformationstag landesweit zum arbeitsfreien Feiertag erhoben wird.

Auch in der Schweiz geschieht 2017 Historisches: Wieder überwinden die helvetischen Protestanten Kantönligeist und separates Gedenken, diesmal mit Blick auf die europäische Dimension und Bedeutung des Reformationsgeschehens, und raufen sich zu einem nationalen Gedenken zusammen. Und: In hoffnungsvollen Ansätzen sind auch oekumenische Aktionen ersichtlich. Vielleicht würde es sich gerade während des Jubiläumsgedenkens anbieten, einen Gedenktag – bewusst verschoben – und in jeder Hinsicht gemeinsam zu begehen. Verschieben wir doch 2017 bis 2019 den Reformationssonntag und sehen was passiert, gestalten aber einen oekumenisch gestalteten Gedenktag. Was bietet sich da an?

Tag der Kirche

Pfingsten ist ein Fest, das für alle christlichen Denominationen wichtig ist, aber breit kaum mehr verstanden wird. Pfingsten gilt mit der Aussendung des Geistes als die Geburtstunde der Kirche. Auch die Reformierten gehören zu dieser einen Kirche. Pfingsten ist aber auch der Tag des Wortes Gottes: Am 50. Tag nach Pessah feierten die Juden das (zunächst abgelehnte) Wort Gottes in Form der 10 Gebote. Wort und Geist kommen zusammen. Das ist doch der Gehalt der Reformation!

Und da ist noch der Pfingstmontag: Sollte sich gar am zweiten Pfingsttag noch eine Gemeinde im Gottesdienst einfinden, gilt es auch für diesen Tag eine Predigt zurechtzuschustern. Wenn also Reformationsgedenken, warum nicht hier: Wollen wir nicht gemeinsam und oekumenisch an Pfingstmontag einer gemeinsamen ecclesia semper reformanda gedenken und eine gemeinsame Botschaft aussenden, zum Beispiel diejenige, die ich so stark finde: Gemeinnutz vor Eigennutz. Wohltätige und wohltuende Botschaften braucht das Land – und sinnvolle Gedenktage.

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PS: Selbstverständlich finden am Reformationssonntag auch Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum statt. Konsultieren Sie dafür unsere Veranstaltungsagenda.

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12 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 06:11 Uhr, 03. November

    Super!!!!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 06:16 Uhr, 03. November

    Und übrigens: Der neuste Blog auf
    „diesseits“ hat sich wie selbstverständlich zu meinem meist inspirierenden „Wort zum neuen Tag“ entwickelt. Herzlichen Dank dafür allen Verantwortlichen ?!

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 11:17 Uhr, 03. November

      Das freut uns aber! Herzlichen Dank!

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    • zhrefch
      Gepostet um 14:19 Uhr, 03. November

      Danke sehr, das freut uns wirklich sehr!

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  • THOMAS GROSSENBACHER
    Gepostet um 10:26 Uhr, 03. November

    … gedenken und erinnern in Ehren … das hebräische Wort, das zu diesem Tun mahnt heisst „vergegenwärtigen“ (sakar). Und das kann und soll alle Tage geschehen.

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    • Felix Geering
      Gepostet um 10:35 Uhr, 03. November

      Genau. Danke; Sie haben es kürzer geschafft als ich 😉

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 11:24 Uhr, 03. November

      …und selbiges liesse sich nun ja auch vom Abendmahl, Weihnachten, Pfingsten, dem Ewigkeitssonntag – ja wohl überhaupt allem sagen, woran wir uns an hervorragenden Tagen oder mittels Ritualen erinnern und dessen wir gedenken. Aber die Praxis kommt doch nicht ohne Rhytmisierung aus, denn nicht alles Wichtige ist uns immer präsent. Ich finde, dass sich für die glaubende Praxis solche Erinnerungs- und Gedenktage wichtig sind, gerade für den Alltag. Und ich möchte dies gerne neben (!) dem stehen lassen, dass solche Tage für andere reine Frei-tage sind und von mir aus auch gerne bleiben dürfen.

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  • Felix Geering
    Gepostet um 10:33 Uhr, 03. November

    Reformationstag als transkantonales Integrationsvehikel? Da ist mir der Bettag lieber, Denn da werden auch die Katholiken und überhaupt alle Religionen integriert. Das war die Absicht, als die eidgenössische Regierung um 1800 den „eidgenössischen Dank- Buss- und Bettag“ installierte (Quelle: Wikipedia) – nota bene 20 Jahre bevor die Reformierten den Reformationstag erfanden.

    Am Bettag schätzte ich auch seine intuitive Verständlichkeit: Jeder weiss, was an einem Dank- Buss- und Bettag zu tun ist. Aber Reformationstag???

    Und dann überrascht uns der Bettag auch mit einem zusätzlichen „Trick“: Es ist ein _staatlicher_ hoher Feiertag. Als „hoher Feiertag“ ist er Weihnacht, Ostern und Pfingsten gleichgestellt! Der Bettag ist aber nicht kirchlich motiviert, sondern staatlich. Das ist eine äusserst spannende Ausgangslage.

    Nun nützen all diese besonderen Tage nichts, wenn wir heutigen postmodernen Menschen den Inhalt nicht mehr verstehen:
    • Der Reformationstag kollabiert, wenn wir das Neue, das durch die Reformation geschah, nicht mehr wissen.
    • Bettag kollabiert, wenn wir nicht mehr zu beten wissen (oder nicht mehr beten wollen).
    • Pfingsten (vom Autor erwähnt) kollabiert, wenn ich keine Ahnung vom Geist habe, der da ausgegossen wurde.

    Man müsste also das Thema dieser Gedenktage wieder in das Bewusstsein einer genügend grossen Zahl Leute bringen. Aber dazu ist ein Gedenktag zu kurz. Pfingsten ereignet sich nicht in meinem Leben, wenn danach nur ein arbeitsfreier Montag folgt. Das ist das Problem, das die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung mit den Gedenktagen hat.

    Es wäre ein guter Anfang, zu überlegen, was sich ändern müsste, damit sich Pfingsten im leben der Reformierten ereignet.
    Oder konkreter:
    Es wäre ein guter Anfang, zu überlegen, was sich ändern müsste, damit sich Pfingsten in meinem leben ereignet.

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  • MIchael Mente
    Gepostet um 10:47 Uhr, 03. November

    Selbstverständlich ist mit Erinnern Vergegenwärtigen gemeint. Nur wenn das noch lebt, lebt auch das Kollektive Gedächtnis bzw. seine Erinnerungsorte, sonst wird die Erinnerung zur Geschichte. Es geht ums Übersetzen in und Sinnschaffen für die Gegenwart. So gesehen ist ein Erinnerungsort auch ein „Symptom-Ort“, nämlich dafür, ob diese Sinn-Brücke in die Gegenwart noch funktioniert.
    Bettag: Auch den haben wir im Reformationsjubiläum im Blick. Wenngleich hier das Wort „Buss-“ auch nicht mehr auf die breitestmögliche Akzeptanz stösst… Danke für die konstruktiven Kommentare!

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  • Joe Good
    Gepostet um 14:50 Uhr, 03. November

    Es ist höchste Zeit für eine NEUE Reformation !
    „Weil Gott sich in Jesus Christus offenbart und die Welt mit sich versöhnt hat, ist es die WICHTIGSTE Aufgabe der Kirchen, Jesus als den alleinigen Retter allen Menschen zu verkündigen“
    Allein Christus, allein die Schrift, allein die Gnade, allein der Glaube …

    Das Netzwerk „Bibel und Bekenntnis” beruft sich auf die Grundlagen der Reformation !

    https://www.erf.de/fernsehen/mediathek/bibellesen-mit-u-parzany/9786

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    • Felix Geering
      Gepostet um 16:12 Uhr, 03. November

      Ja sehen Sie, das mit dem Absolutheitsanspruch funktioniert in unserer Multioptionsgesellschaft einfach nicht mehr. Sie müssen besser argumentieren, begründen, „verkaufen“. Sonst bleiben Sie auf Ihrem Produkt sitzen – was ja durchaus schade ist.

      Ausserdem: Ihr Ansatz ist „schuldorientiert“. Erlösung ist etwas für Menschen, die sich „schuldig“ fühlen. Aber man kann auch zu Gott finden, ohne sich schuldig zu fühlen. Wenn wir uns überlegen, wie Kinder sich ihren Eltern nähern, nämlich unvoreingenommen-neugierig-offen, dann können wir etwas davon erahnen. Gott klopfte an meine Tür, ich liess ihn herein, das war alles. Und es ist biblisch (Off. 3,20). Wenn ihm etwas nicht gefällt bei mir, sagt er mir das dann jeweils schon. Aber Schuld stand nie im Mittelpunkt meiner Gottesbeziehung. Sondern eben – Beziehung.

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  • Anonymous
    Gepostet um 03:09 Uhr, 04. November

    Wohl die Grundsatzfrage zur Nacht – Reformation im Jubiläum 2017? – und dessen Sonntag? – 4 Nov 2016.

    Was feiern wir eigentlich noch im mehrfach teuren Millionen verschluckenden „Reformation-als-mediales-Theater“ Inszenieren 2017 – das ich übrigens nicht feiern werde – wenn das Zentrum dessen, wofür wir da sind., längst abhanden gekommen ist. Tragisch abhanden.

    Vergessen ist, wofür wir da sind. Seit Jahren sind wir es am vergessen. All zu sehr bewundern wir uns selber im Spiegel als Narziss – am schlimmsten wohl für Reformation im Jubiläum 2017..

    Wir inszenieren uns selber – „Branding als Reformation 2017″.. Martin Heller soll es richten. Wir schaffen Namenslisten, Vedetten, Stars und Speakers, bis hin zum Schwachsinn von über 5 Millionen für einen Zwingli Remake im Kinobild.

    Wen kümmert Zwingli? Luther? Mich ganz sicher nicht. Die Kirchengeschichte besteht nicht nur aus zwei Namen. Ersäufen tun wir in der Limmat auch heute noch die unzähligen Alternativen der möglichen Erinnerung.. Da braucht es keine Remake Kultur. Am wenigsten 2017 – eher in Pseudo-Erinnerung. Wenn man sich entlang der Limmat im Grunde nur einer Sache auch heute noch vergewissern muss, dass die Gewalt, die 1517 gebärt hat, auch weiter macht. Bis heute noch.

    Dafür ein Gedenken als Gedanken an eine Reformation“? Nein Danke. Ob am Sonntag, oder in 2017.

    Wer die Vorbereitungen 2017 in Zürich, Aargau, Basel, Bern bis hin nach Lausanne und Genf beobachtet – heute in Lausanne mit Politik in Selbstinszenierung gleich mehrfach synodal, gouvernemental und medial upgedated – muss sich langsam die nachdenkliche Frage stellen, ob wir nur noch unseren eigenen Narziss in Gottes Welt erkennen.

    Den Reformierten 2017 Narziss – durchzuspielen in nächsten über 12 Monaten bis zum Umfallen.

    „Uns selber“. inszenieren wir 2017. Mehr nicht. Bundesrat und Narziss im Rat gleich mehrfach täglich mehrere Tage im Zürcher Hauptbahnhof und seinen Hallen. Was kostet eigentlich ein Tag im HB? Features im Web und TV, Blog und Bus, Europäisch kompatibel auf Tournee mit Groupies und den Stars, die wir „alle“ ON STAGE hören wollen. Ich eigentlich nicht.

    Ich langweile mich schon lange ob immer wieder der gleichen Namen – auch 2017. Unsere Stars werden auch nicht jünger. Das Alter haftet, genauso wie die Gewalt in ihren Gesichtern. Die tägliche Gewalt bei Ersäufen in der Limmat.

    Darum. Eher als einen transnationalen Tag im Vergessen. Vergessen wir doch die Reformation – auch für 2017. Dringender sich zu erinnern wäre es, für wessen eigentlichen Namen wir täglich, so meinte ich, als Zeugen gerufen wären. Als öffentliche Zeugen – ohne Narziss. Da verblassen die meisten Stars in ihren Namen. Auch 2017.

    Nur haben wir zumeist vor lauter Narziss das Zeugnis vergessen. Auch sonntags wie für 2017.

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