Freiheit (von) der Religion

Beschneidungsverbot, Burkaverbot, Kopftuchverbot, Kruzifixentfernungen, Erlaubnis nicht die Hand zu schütteln, Freiheit am Schwimmunterricht teilzunehmen – immer wieder steht die Religionsfreiheit im doppelten Sinn zur Debatte: Die Freiheit der Religionspraktiken und die Freiheit, von Religion verschont zu bleiben.

Risse

Längst verlaufen die Frontstellungen dieser Diskussionen nicht mehr entlang politischer links-rechts Schemas, sondern als Risse innerhalb Parteien und Interessengruppen. Man kann für das Burkaverbot sein, weil man ein Zeichen gegen einen politischen Islam setzen, Frauenunterdrückung bekämpfen, abendländische Kultur verteidigen oder generell religiöse Symbole zurückdrängen möchte. Man kann gegen das Burkaverbot sein, weil man religiöse Selbstbestimmung wahren, staatliche Regulierungen minimieren, kulturpluralistische Ausprägungen integrieren oder Frauen auch von negativem Kleiderzwang freihalten will. Man kann für ein Beschneidungsverbot sein, weil man das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher erachtet als die Religionsfreiheit. Man kann dagegen sein, weil man hinter diesem Verbot eine Beschneidung religiös-kultureller Identitätsbildungsfreiheit erkennt. Oder ein aufkeimendes Ressentiment gegen Juden. Oder Islamophobie.

Die Axt im Haus … kann auch vieles kaputt machen.

In solcher Unübersichtlichkeit greift man gerne zur Axt. Prinzipien müssen her! Religiöse Selbstbestimmung nur im Rahmen von X. X ist dann wahlweise: körperlich-seelischer Unversehrtheit, Gleichberechtigung, christlich-abendländischer Kultur, säkularer Gesellschaftsordnung, Kindeswohlbestimmungen oder demokratischer Legitimation. Solche Prinzipienordnungen sind auf den ersten Blick einleuchtend, weil sie alles, worauf sie angewendet werden, mit dem selben „Mechanismus“ abwickeln können. Zur Diskussion stehen dann nur noch die Kriterien, die den Prinzipienordnungen zugrunde liegen. Und leicht wird man Parteigänger solcher Prinzipien, die dann zu -ismen werden: Liberalismus, Universalismus, Partikularismus, Säkularismus, Fanatismus, Radikalismus, Feminismus,

Prinzipienordnungen sind nicht per se gerecht oder unproblematisch. Sie produzieren nämlich durch den Ausschluss ganzer Gruppen, Glaubens- und Kulturgemeinschaften breite gesellschaftliche Ränder, die unintegrierbar koexistieren. Die Banlieues (dt. Bannmeilen) europäischer Städte, die No-go-Areas, die Scharia-Schiedsgerichte aber auch die offene Feindschaft gegenüber Religion und religiösen Gruppen, der Stimmenzuwachs rechtspopulistischer Parteien in Österreich, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Polen, Italien oder den Niederlanden zeugen davon, dass nicht nur Prinzipien und deren VertreterInnen im Streit liegen, sondern die gesellschaftliche Integration auf diesem Weg überhaupt schwierig ist. Diejenigen, welche die europäisch-westliche Entwicklung noch immer als Fortschritts- und Humanisierungsgeschichte deuten, geraten zunehmend in Rücklage. Der Westen ist nicht (mehr) die Vorhut auf dem Weg der Durschsetzung einer aufklärerisch-vernünftigen und universalistischen Gesellschaftsmoral. Europa und mit ihm das Ideal einer aufgeklärten, egalitären Bürgergesellschaft vermag die politisch wichtigen Intuitionen nicht mehr zu beflügeln. Längst ist es selbst zum Gegenstand eines Orientierungsstreits geworden. Eins ist dabei sicher: Anders als im Ideologiestreit zwischen Kapitalismus und Marxismus wird „der Markt“ dieses Problem nicht lösen.

Demokratie und Legitimität

Die vielbeschworene Direkte Demokratie ist angesichts dieser Orientierungsvielfalt keine Lösung, sondern eine weitere Bedrohung. Über Recht und Unrecht darf nicht mit Mehrheitsentscheiden befunden werden. Das Volk ist nicht einfach eine Jury, die per Mehrheitsentscheid ein Geschmacksurteil abgibt. Recht ist nicht, was gefällt. Und Unrecht ist nicht alles, was uns missfällt. Natürlich ist dennoch an einem demokratischen Verfahren festzuhalten. Bloss setzt dieses weit mehr voraus, als dass Menschen ihre Stimme abgeben. Demokratische Verfahren erzeugen ihre Legitimität nämlich nicht dadurch, dass sie den Mehrheitswillen umsetzen, sondern dadurch, dass die ihm zugrunde liegende Willensbildung als Verfahren selbst die legitimatorische Kraft einlösen kann. Diese Kraft verdankt es aber weder der Unterwerfung unter ein Prinzip noch durch den Gewinn stimmbürgerlicher Mehrheiten, sondern einzig durch ein öffentliches Verfahren, in dem die verschiedenen Perspektiven Gehör finden und eine politische Kultur, in der die InteressenvertreterInnen Gründe angeben können und müssen. Freilich ist beides auch in einer direkten Demokratie möglich. Die direkte Demokratie ist dafür aber keine Garantin.

Freiheit verpflichtet

Was bedeutet dies nun für die doppelte Religionsfreiheit? Zunächst die Zumutung für all jene, die eine religiöse Vorschrift für nicht verbindlich, falsch oder schädlich ansehen, die Perspektive der Religionsobservanten probehalber einzunehmen: Was könnte das Kopftuch für diese Muslima bedeuten? Was die Beschneidung für diese jüdischen Eltern? Was wird dem Schüler zugemutet, wenn er seiner Lehrerin die Hand schütteln soll? Was bedeutet das Kruzifix an den Schulzimmerwänden innerhalb dieser Dorfkultur? Soviel ist sicher: Diejenigen, die aus religiösen Gründen Kopftücher tragen, ihre Söhne beschneiden lassen, den Händedruck verweigern oder christliche Symbole in der Öffentlichkeit wünschen, sind eine Minderheit. Aber gerade deswegen darf man sie um des liberalen Rechtsstaates Willen nicht einfach überstimmen. Und es kann schmerzhaft sein festzustellen, dass man sie auch mit guten Gründen nicht überzeugen kann. Man muss aber nicht seine guten Gründe relativieren, um an dieser Stelle auf die staatsbürgerliche Tugend der liberalen Toleranz zu setzen. Erwachsene gestalten ihr Leben frei – und mitunter in den Augen der Mehrheit auf seltsame Weise. Die Freiheit, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, ist für den liberalen Rechtsstaat kein Gut neben anderen Gütern. Es ist sein Wesen.

Grenze religiöser Freiheit

Wo aber diese Freiheit gefährdet wird, beginnt die Freiheit von der Religion. Das müssen auch jene einsehen, die glauben oder zu wissen meinen, dass die Freiheit missbraucht wird. Denn eine Gesellschaft, die verschiedene Freiheiten zulassen kann, ist eine bessere Gesellschaft als eine, in der eine Mehrheitsgesellschaft regiert. Die Grenze religiöser Freiheit liegt dort, wo wir nicht annehmen können, dass die von einer religiösen Praxis oder Vorschrift Betroffenen auch wirklich davon betroffen sein wollen. Das ist kein Prinzip, weil das Urteil über deren Zustimmung nicht schon zu Beginn des Verfahrens feststehen kann. Wenn wir mit guten Gründen unterstellen können – z.B. weil wir mit Betroffenen geredet haben -, dass jemand aus religiöser Überzeugung ein Koptuch oder eine Burka tragen will – es also aus eigenen Gründen will und nicht deswegen, weil sie Repressionen zu fürchten hat – dann muss dies erlaubt sein, auch wenn wir es nicht verstehen können.

Nun kann es aber durchaus sein, dass dies nur für einzelne gilt, während viele andere dazu gezwungen werden. Dann kann die Öffentlichkeit Schutzräume jenseits des Privaten einrichten, indem sie das Tragen solcher Kleidung verbietet. Solche Schutzräume brauchen wir ebenfalls, wenn es um die Freiheit geht, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Gründe, in seiner Stube ein Kruzifix aufzuhängen, mag es viele geben – auch religiöse. Wer meint, zwecks freier Religionsausübung öffentliche Räume mit Kruzifixen schmücken zu müssen, bürdet sich eine kaum zu tragenden Begründungslast auf. Bei der Beschneidung mag das ungleich schwieriger sein: Können wir den Konsens Neugeborener oder Kinder unterstellen, diesen Eingriff über sich ergehen zu lassen? Ich weiss es nicht. Aber diejenigen Eltern, die sich dafür entscheiden, tun es in der Hoffnung, dass ihr Kind sich dereinst damit identifizieren wird. Sie geben, indem sie der Beschneidung zustimmen, zugleich das Versprechen ab, ihren Jungen so zu erziehen, dass er sich dereinst als einer verstehen wird, der beschnitten sein will. Ob Beschneidung eine Körperverletzung oder den Beginn kulturell-religiöser Individuation darstellt, erweist sich im je einzelnen Leben Beschnittener. Weil aber – Gott sei Dank – die religiöse Erziehung der Teil sozialer Menschwerdung ist, der nicht Sache des Staates ist, muss dieses Risiko von den Eltern getragen werden. Es steht eben nicht religiöse Freiheit gegen körperliche Unversehrtheit, sondern körperliche Unversehrtheit gegen eine noch zu bildende Identität, welche um ihrer selbst willen jene Unversehrtheit auch mindern kann. Dass dies für die Mädchenbeschneidung nicht gilt, ist weder ein Fehler, noch einem Massstab, der den vermeindlich absoluten Versehrtheitsgrad wiedergeben könnte, geschuldet. Wir tolerieren sie nicht, weil wir darin übereingekommen sind, dass diese Praxis das Mädchen auf etwas festlegt, von dem wir behaupten, dass es dies nicht wollen können wird.

Verbote als Aufgaben

Jede staatliche Einschränkung religiöser Praxis muss im öffentlichen Bewusstsein ein Skandal bleiben: Es ist nicht gelungen, die andere Seite zu integrieren oder wenigstens deren Begehren statt zu geben. Das rechtliche Verbot ist jedes Mal ein Symptom nicht gelungener Verständigung in einer Frage, die für so wichtig befunden worden ist, dass Duldung nicht möglich ist, ohne dabei ungerecht zu werden. Das Verbot ist deshalb nie das Ende der Auseinandersetzung mit den Andersdenkenden. Es ist kein Sieg über jene, die man halt in die Schranken weisen musste. Es zeigt an, dass es da Menschen gibt, um die wir uns als Gesellschaft kümmern müssen, um die wir werben sollten, die wir – gerade weil wir ihrem Begehren nicht entsprechen können – um unser Selbst Willen nicht verlieren wollen. Ob das Verhältnis zwischen Religionsgemeinschaften und liberalem Rechtsstaat gelingen wird, liegt nicht zuletzt daran, ob Burka-, Kopftuch-, Beschneidungs-, Minarett- und KruzifixgegnerInnen dazu bereit sein werden.

 

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22 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 08:19 Uhr, 25. Oktober

    während einer vergeichbaren diskussion 2012 gehe ich auf ein feld hinaus, um nach sternschnuppen ausschau zu halten. da! im moment, wo ich nicht ausschau halte, eine erste. ich wünsche mir, dass wir auf der ebene der erleuchtung übereinkommen und nicht auf der der verblendung auseinanderdriften. bald eine zweite. „samspel“ hiess das aufklärungsbuch, das meine mutter mir feierlich empfahl, und ich sagte zu ihr: ich habe es schon lange gelesen, auf dem bücherregal entdeckt. mein wunsch: dass es trotz verschiedener meinungen zu einem „zusammenspiel“ kommt. als ich am entferntesten punkt meiner wanderung umkehre: der mond! in warmem, entfanatisierendem und doch neues ankündigendem orange leuchtet er am horizont durch den dunst. seine sprache wird dann etwas deutlicher, bleibt aber ruhig.

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    • stephan
      Gepostet um 08:21 Uhr, 25. Oktober

      Gell, ich muss den Zusammenhang zum Beitrag nicht verstehen, oder? 😉

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  • Stephanie Siegrist
    Gepostet um 08:32 Uhr, 25. Oktober

    Religionen sind in sich geschlossene autonome Systeme, die sich zum Erhalt nach Aussen abschotten, um intakt zu bleiben. Die RefK hat sich integriert, indem sie den säkularen Humanismus durchgemacht, sich demokratisiert und auf der Basis staatlicher Gesetze funktioniert – etwas das ihr immer wieder von „echten“ Gläubigen vorgeworfen wird, die ihr einen Abfall vom Glauben, eine Verwässerung der Lehre und Nichtbefolgung des Gesetz Gottes vorwerfen. Schon die Kath.K hat diese Integration nicht geschafft. Und jetzt sehen wir uns im Rahmen der Zuwanderung mit weiteren autonomen Glaubens- und Gesetzessystemen konfrontiert, die uns sehr deutlich bewusst machen, dass es mit dieser Integration nicht funktioniert. Religiöse Gesellschaften, je hermetischer sie sich abriegeln, können beim besten Willen nicht in einen demokratischen Rechtsstaat integriert werden, da sie dessen Voraussetzungen partiell, weitestgehend und im Extremfall ganz ablehnen – sie stellen göttliches Gebot und religiöse Traditionen über säkulares Recht und ein verträgliches Miteinander. Am einen Ende ist die integrierte RefK, am anderen Ende der absolute Gottesstaat. Wo demokratische Rechtsordnungen bestehen, geht es Religiösen immer um das „Recht“ sich seggregieren und im beherrschten Raum – sei das nur die Familie – nach anderen, teils den Menschenrechten zuwiderlaufenden, Gesetzen und Praxen leben zu können. Je hermetischer geschlossen, je autonomer ein religiöses System ist, desto mehr ist es darauf angewiesen, dass seine Gläubigen in Parallelgesellschaften leben. Das Ziel ihrerseits ist nicht Integration, sondern Seperation. Gerade religiöse Identifikation geschieht über Abgrenzung und nicht über Integration. Wenn ein demokratischer Staat religiöse Menschen und v.a. ganze Gemeinschaften integrieren will, müssen sie sich ihm „unterwerfen“ und seine Gesetzmässigkeiten anerkennen – eine Rechtsordnung für alle. Ist eine simple Hierarchie- und Machtfrage – das Recht wessen Systems hat Gültigkeit? Gegenwärtig erkennen wir überall den Versuch dieses eine säkulare Recht zu Gunsten religiöser Parallgesetzen zurückzudrängen und religiöse Obrigkeiten zu stärken. Die Frage ist, ob wir das wollen oder nicht. Der Skandal besteht also nicht darin, dass der demokratische Staat religiöse Menschen/Gemeinschaften schwer integrieren kann, sondern darin, dass viele Menschen auf ein friedliches Miteinander für das der Staat zum Wohle aller – auch für Frauen, Kinder, Minderheiten – Rechte und Pflichten vorsieht verzichten (gleichzeitig aber von seinen sozialen Annehmlichkeiten weiter profitieren, wenn sie Sozialhilfe beziehen um sich radikal dem religiösen Leben zu widmen) und stattdessen eine Parallelgesellschaft mit eigenem göttlichen Recht bevorzugen, indem eben diese Minderheitenrechte nicht existieren. Das ist nun wirklich ein Skandal!

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 14:46 Uhr, 25. Oktober

      Auch die Reformierten waren ja nicht immer schon offen für den liberalen Rechtsstaat – vielmehr dauerte es Jahrhunderte -, während umgekehrt viele Muslime, Juden und Angehörige anderer Regionen durchaus liberale Haltungen vertreten, oder noch keine eigene Meinung gebildet haben.
      Die stabile Etablierung und Anerkennung freiheitlicher rechtsstaatlicher Grundsätze als solchen ist zuerst einmal eine Frage des Verständnisses. Dieses zu entwickeln braucht Zeit – Zeit für positive Lernerfahrungen, Aneignung von Bildung und Einübung von selbstverantwortlichen Verhaltensweisen, die nur dann als hinreichend zweckführend abgespeichert werden können, wenn sie in der Umgebung auf respektvolle Beantwortung treffen.
      Das bedeutet nicht dass keine klaren Schranken bestehen und wir unsere Geduld unendlich strapazieren lassen sollen – doch wenn wir schon forscher gegen Missbräuche und Umgehungen unserer im freiheitlichen Rechtsstaat fundierten Normen vorgehen wollen, sollten wir doch zuerst bei uns selbst beginnen. Wie steht es mit den westlichen Firmen, die in Entwicklungsländern Natur, Menschen und Tier ausbeuten, grosse Gewinne machen und dabei vor allem despotische Regime begünstigen, nicht selten auch durch direkte Bestechung? Waffenlieferungen direkt an Regime, deren Menschenrechtsverletzungen wir auf der anderen Seite nicht länger beschönigen oder verschweigen sollten? Und der Umgang mit unseren versklavten Tieren, die unter jämmerlichsten Bedingungen tagein tagaus die absurde Überproduktion anzukurbeln helfen sollen?

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    • Barbara Oberholzer
      Gepostet um 18:31 Uhr, 25. Oktober

      Um Himmelswillen, Frau Siegrist, ist das Ihr Ernst?! ? Die gute refK auf der einen Seite und alle bösen andern Religionen auf der andern? Auch andere Religionen kennen eine grosse Vielfalt in ihrer Observanz. Orthodoxe oder fundamentalistische Kräfte sind kaum Irgendwo Mainstream. Die einzige Eigenheit, auf die wir Reformierten echt stolz sein dürfen, ist die Frauenordination – wobei auch das liberale Judentum Rabbinerinnen kennt. Und evangelikale Reformierte stellen genau diese auch wieder in Frage.

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      • Barbara Oberholzer
        Gepostet um 19:34 Uhr, 25. Oktober

        Sorry, hab grad gesehen, dass Sie sich weiter unten nochmals differenzierter gemeldet haben.

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  • Stephan Jütte
    Gepostet um 15:29 Uhr, 25. Oktober

    Liebe Stephanie! Ich denke auch, dass die liberale Gesellschaft sich nicht naiv als Integrationsautomatismus verstehen soll. Aber ich habe eine andere Sicht auf die Binnenlogik religiöser Gemeinschaften. Ich denke, dass sie den Anschluss an säkulare Gesellschaftsformen nicht dadurch erreichen, dass sie zu dieser Anpassung gezwungen werden, sondern indem sie diese Anpassungen aus eigenen Gründen nachvollziehen können.
    Dazu braucht es aber ein Verständnis von Religion, das diese als kulturelles, menschliches Phänomen in den Blick gewinnt. Und dazu braucht es eben auch religiöse Bildung.
    Dieser Weg, den Religionsgemeinschaften zu gehen haben, und den übrigens auch die Katholische Kirche eindrücklich eingeschlagen hat (2. Vatikanum), ist keine Alternative zur rechtsstaatlichen Garantie der Rechte für Minderheiten. Vielmehr ist dieser Schutz der Rahmen, indem sich auch Religionsgemeinschaften zu entwickeln haben. Dies dann aber auch tun sollen dürfen.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 15:31 Uhr, 25. Oktober

      …habe Corinne Ducs Beitrag erst jetzt gesehen. Sie beschreibt es klarer, als ich es sagen konnte. Merci!

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      • michael vogt
        Gepostet um 15:53 Uhr, 25. Oktober

        wobei das ergänzungsverhältnis zu begrüssen ist, zu dem, die beiden antworten vorausgesetzt, dann auch der beantwortete beitrag gerechnet werden kann

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    • Stephanie Siegrist
      Gepostet um 16:10 Uhr, 25. Oktober

      Lieber Stephan
      Ich verstehe Religion selbstredend als kulturelle, menschliche Phänomene, was sonst. Von meiner Warte ausgesehen verstehe ich Religionen eben auch als von Menschen geschaffene Rechts- und Kommunikationssysteme. Selbstredend gibt es alle Schattierungen der Interaktion mit der Umwelt – von sehr durchlässig bis fast hermetisch (Fundamentalismen). Wir haben diese Sicht aber aufgrund UNSERES Religions- und Gesellschaftsverständnisses, das Produkt unserer persönlichen Sozialisation und darüber hinaus einer sehr langen und grössten Teils von Aussen angeregten bis erzwungenen Veränderung. Würden fundamentale Änderungen im Innern (v.a. in den machterhaltenden Kernthemen) des Systems so gut funktionieren, würden wir heuer micht 500 Jahre Reformation feiern; wirds Grundsätzlich entstehen neue Bewegungen wie wir das eindrücklich im Reformislam und Reformjudentum mitverfolgen können. Veränderungen im kleinen und vergleichsweise harmlosen Stil sind fast immer möglich, kein Zwrifel, schliesslich muss gerade eine Weltkirche wie z.B. die Kath.K. sich etwas anpassen, wenn sie Bestand haben will. Mein Punkt ist: Viele Menschen haben ein anderes Verständnis davon, was Religion ist. Wenn wir ihnen unser Verständnis – wir sind da wohl nicht weit auseinander – „überstülpen“ und nicht aus ihrer Perspektive sehen und denken wollen, hat das auch eine „kolonialisierende“ Tendenz und führt möglicherweise zu unguten/falschen Ergebnissen – für sie und für uns. Das ist einer meiner Ansätze. Herzlich, Stephanie

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    • Stephanie Siegrist
      Gepostet um 16:16 Uhr, 25. Oktober

      Lieber Stephan
      Ich verstehe Religion selbstredend als kulturelle, menschliche Phänomene, was sonst. Von meiner Warte ausgesehen verstehe ich Religionen eben auch als von Menschen geschaffene Rechts- und Kommunikationssysteme. Selbstredend gibt es alle Schattierungen der Interaktion mit der Umwelt – von sehr durchlässig bis fast hermetisch (Fundamentalismen). Wir haben diese Sicht aber aufgrund UNSERES Religions- und Gesellschaftsverständnisses, das Produkt unserer persönlichen Sozialisation und darüber hinaus einer sehr langen und grössten Teils von Aussen angeregten bis erzwungenen Veränderung. Würden fundamentale Änderungen im Innern (v.a. in den machterhaltenden Kernthemen) des Systems so gut funktionieren, würden wir heuer nicht 500 Jahre Reformation feiern; wirds Grundsätzlich entstehen neue Bewegungen wie wir das eindrücklich im Reformislam und Reformjudentum mitverfolgen können. Veränderungen im kleinen und vergleichsweise harmlosen Stil sind fast immer möglich, kein Zwrifel, schliesslich muss gerade eine Weltkirche wie z.B. die Kath.K. sich etwas anpassen, wenn sie Bestand haben will. Mein Punkt ist: Viele Menschen haben ein anderes Verständnis davon, was Religion ist und was sie leisten soll/muss. Wenn wir ihnen unser Verständnis – wir sind da wohl nicht weit auseinander – „überstülpen“ und nicht aus ihrer Perspektive sehen und denken wollen, hat das auch eine „kolonialisierende“ Tendenz und führt möglicherweise zu unguten/falschen Ergebnissen – für sie und für uns. Das ist einer meiner Ansätze.
      Herzlich, Stephanie

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      • michael vogt
        Gepostet um 18:31 Uhr, 25. Oktober

        das geheimnis liegt im „auch“

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        • michael vogt
          Gepostet um 18:43 Uhr, 25. Oktober

          das ich offenbar missverstanden habe, denn es heisst vorher gerade: „was sonst?“ – wenn ich das ? recht setze. ich vertrete dieses „auch“ auch anders: religionen sind nicht nur „von menschen geschaffene“ phänomene, kommunikationssysteme und wie man sie immer bezeichnen will – die frage nach ihrer ursprünglichsten wahrheit

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          • michael vogt
            Gepostet um 03:59 Uhr, 26. Oktober

            in diesem andern begegnen wir den andern anders. einerseits: die zeit drängt. andererseits sagt mir ein traum von einer barke, dass die religionsgeschichte sich langsam entwickelt. integration heisst immer auch transformation. aller beteiligter. das ist eine grundsätzliche aussage. wie das im einzelnen aussieht, steht auf einem anderen blatt. da kann es gut sein zu spazieren, mit den sternschnuppen zu kommunizieren und zu spionieren, wie der mond es macht.

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  • THOMAS GROSSENBACHER
    Gepostet um 17:33 Uhr, 25. Oktober

    So stelle ich mir die Themen und den Diskurs über diese im Diesseits vor. Danke Stephan und allen Antwortenden und Weiterdenkenden die dazu geschrieben haben.

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  • Brigitte Hauser
    Gepostet um 11:18 Uhr, 27. Oktober

    Dein Beitrag, lieber Stephan ist sympathisch. Keine Verbote, sondern Empathie, die Perspektive der anderen einnehmen, werben um die besseren Gründe. Er löst bei mir aber auch Unbehagen aus, weil er zum Kulturrelativismus tendiert. Der verträgt sich schlecht mit dem liberalen Rechtsstaat. Ich bin tatsächlich so eine Anhängerin der aufgeklärten egalitären Bürger*innengesellschaft. Darin gibt es keine Geschlechtertrennung, und sie besteht aus Individuen und nicht aus Kollektiven, Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist eine hart erkämpfte Errungenschaft, gerade in der Schweiz. Freie Entscheide des Subjekts sind in auf das Kollektiv ausgerichtete und die Geschlechtertrennung propagierende Gesellschaften eher schwierig. Freiwilligkeit und Empathie vermag nicht alles. Du nennst ja selber die Mädchenbeschneidung. Auch die sogenannten Ehrenmorde sind einfach Morde. Indien hat die Witwenverbrennung und die Dowry, die Mitgift verboten, die USA die Rassentrennung. Natürlich sind solche Verbote kein Garant. Aber sie sind Zeichen. Was aber setzen wir für Zeichen, wenn wir beispielsweise akzeptieren, dass in der öffentlichen Schule Schüler ihrer Lehrerin aus religiös-kulturellen Gründen den Handschlag verweigern?

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    • Stephanie Siegrist
      Gepostet um 19:59 Uhr, 30. Oktober

      Liebe Frau Hauser, ich bin bzgl. Kulturrelativismus ganz bei Ihnen. Ich argumentiere dagegen. Liebe Grüsse, Stephanie Siegrist

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  • michael vogt
    Gepostet um 17:56 Uhr, 27. Oktober

    gleichberechtigung von frau und mann unter berücksichtigung der tatsache, dass sie nicht gleich sind. da hat die tradition des islam, die sagt, sie seien komplementär, etwas zu sagen. das wäre dann die gleichberechtigung angesichts ihrer komplementarität – die allerdings tatsächlich gleichberechtigung sein soll und auch beachtet, dass, was eine frau oder ein mann ist, nicht in jeder hinsicht festgelegt ist.

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