Gesucht: „Landeskirchliche Grundhaltung“

Ich kenne zwei Katholikinnen, die an der Uni Zürich evangelische Theologie studieren. „Ich könnte genauso gut konfessionslos sein“, sagt die eine. Sie sei getauft worden, aber ohne jeden Bezug zur Kirche aufgewachsen. Ein anderer Bekannter ist in einer charismatischen Freikirche aufgewachsen. Einige Jahre nachdem er sich daraus gelöst hat, hat er über die Faszination an der katholischen Liturgie neues Interesse am Christentum gefunden und studiert nun Theologie in Basel.

Ich könnte die Liste fortsetzen. Junge Menschen mit sehr unterschiedlichen Profilen und sehr unterschiedlichen Motiven studieren heute evangelische Theologie. Was ihnen gemeinsam ist: Konfessionelle Grenzen haben für sie wenig Bedeutung. Sie fühlen sich an der Uni nicht als Exoten, wenn sie nicht reformiert sind. Sie definieren sich auch nicht über Begriffe wie „liberal“ oder „evangelikal“. Manche kommen aus Freikirchen, die theologisch offener sind als manche landeskirchliche Gemeinde, manche kommen aus sehr evangelikal geprägten reformierten Kirchen. Manche haben keinen Bezug zur Kirche oder entdecken ihn erst während dem Studium. Einige sind, unabhängig von ihrer Frömmigkeit, borniert. Aber fast alle, die ich kenne, bewegen sich offen und neugierig in der theologischen Landschaft. Sie sind fasziniert von dem, was sie nicht kennen, und nehmen es nicht als Grenzüberschreitung wahr, wenn sie sich in ihrer Frömmigkeit bei anderen Konfessionen und Traditionen „bedienen“.

Was heisst das für die Zukunft der Landeskirchen? In einem aktuellen Stelleninserat der Zürcher Kirche lese ich von einer „landeskirchlichen Grundhaltung“, die der oder die Kandidat/in mitbringen soll. Bringen die Studierenden, die ich kenne, diese Grundhaltung mit? Um was für eine Haltung handelt es sich denn da genau? Oder anders gefragt: Was ist das Gegenteil einer landeskirchlichen Grundhaltung? Eine freikirchliche? Eine unkirchliche?

Viele der Studierenden an der Uni Basel, Bern und Zürich, die in den nächsten Jahren die kirchliche Ausbildung beginnen werden, bringen einen theologischen Horizont mit, der über die reformierte Tradition hinausgeht. Das sollte uns nicht besorgen, sondern freuen. Denn mit diesem erweiterten Horizont werden die Pfarrerinnen und Pfarrer von Morgen die Vielfalt der theologischen Landschaft abbilden. Sie werden mehr Menschen ansprechen und Brücken bauen können. Und damit für ihre Generation neu definieren, was eine landeskirchliche Grundhaltung bedeutet: Offenheit, Ökumene, Gemeinschaft, Vielfalt, Profil. Wir können gespannt sein, wohin das führt.

 

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13 Kommentare
  • Rita Famos
    Gepostet um 07:34 Uhr, 07. Januar

    Nur damit keine falschen Annahmen getroffen werden: konvertieren (das heißt Mitglieder der Reformierten Kirche werden) müssen die Katholiken dann schon noch vor der Ordination. Spätestens dann werden sie sich mit der „landeskirchlicher Grundhaltung“ ganz persönlich auseinandersetzen. Und ein Theologiestudium macht noch keinen Pfarrer/keine Pfarrerin. 1 1/2 Jahre Praxisausbildung kommen noch dazu, in den Praxisgemeinden lernen sie viel über die Reformierte Tradition und Spiritualität, nicht nur im Kopf sondern ganz existentiell.

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  • Hans-Peter Geiser ZH Pfarrer, Dr. theol. M. Div.
    Gepostet um 13:50 Uhr, 07. Januar

    Als ob die Reformierte Identität – die man im Vikariat zu lernen habe – heute noch klar wäre. Im Zürcher Hauptbahnhof erlebt man seit gestern bis heute, wie grundlos bodenlos wir im Grunde als Reformierte CH längst geworden sind. Und ich bin kein „Fundi“, wenn ich solches schreibe. Das genaue Gegenteil. Doch wer wie oben immer noch meint, eine Reformierte Bodenhaftung in CH zeige sich – wie eine ZH Kirchenordnung meint – im schwarzen Gelehrtentalar, in einer Kappeler Milchsuppe im Exzess „Reformationsjahr 2017 in Eröffnung“, der/die ist global längst abgehängt. Die Zukunft ist nachkonfessionell. Oder wie Brian McLaren meint, „generously orthodox“ – im Mischmasch aller Konfessionen.

    Allerdings, und da ist die Schweiz global auch ein „Sonderfall“, der international – auch nicht im Oekumenischen Rat der Kirchen in Genf – nirgends durchkommen würde, ist ein heutiges Modell des bald nur noch „Akonfessionalen“ ebenso fraglich. In den USA, wo ich meine Ausbildung erhielt, würde kein/e einzige/r, der/die nicht irgendwo doch eine kirchliche Verwurzelung mitbringt, auch nur zum ersten Semester im Theologiestudium fürs Pfarramt zugelassen. Ob in einer Assemblies of God oder einer UCC or Episcopal Church – die liberalsten in den USA. Da werden jahrelange „discernment Prozesse“ innerkirchlich verlangt, ob liberal oder evangelikal. Die Schweizerische Bodenlosigkeit der Vermarktung von „CH Theologie“ – etwa im Campus Kappel oder in Quest, wo man Theologie jedem und jeder nachwirft, in der Hoffnung, einen Fisch für die theologischen Fakultäten der Schweiz zu fangen – ist eher verzweifelte Hilflosigkeit von Jahrzehnten verpasster Möglichkeiten, für eine nächste Generation auch attraktiv als eine kirchliche Koinonia in gelebter Theologie zu sein.

    Theologie, die nirgends real und sozial einer nächsten Generation attraktiv und überzeugend vorgelebt und vormodelliert wird, wird auch später nur ein irreales – wenn auch hoch intellektuelles und sprachlich virtuos befähigtes – totes millionenfaches Papier. Da bin ich postmoderner Kommunitarist à la Stanley Hauerwas oder Mark Lewis Taylor.

    Wo nirgends mehr junge Generationen im Gelebten kommunitär Theologie erleben und vorgelebt sehen, Theologie, die sie packt und im Tiefsten auch sozialisierend durchschüttelt und fürs Leben auf andere Wege führt – liberal und evangelikal und nachkonfessionell – da stirbt Theologie im blossen millionenfachen Papier.

    Selbst Dietrich Bonhoeffer musste entdecken, dass es nach der Theologie auch noch das Christsein – nachkonfessionell – gibt. Er wurde Christ nach der Theologie. Mit oder ohne „landeskirchliches Profil“.

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 14:35 Uhr, 07. Januar

      Wie kommt es, dass ein zürcher Pfarrer eine so bodenlos negative Sicht hat? …..über die schweizer Landeskirche, die theologische Ausbildung usw. und über die Menschen, die diese Ausbildung mit Ueberzeugung absolvieren? Ich kann es nicht nachvollziehen… und finde es einfach schade, dass Sie Herr Geiser, solchen Menschen offenbar noch nicht begegnet sind, die eine positivere Seite in all diesen Dingen leben und merken lassen. lieben Gruss Verena Thalmann

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  • Hans-Peter Geiser ZH Pfarrer, Dr. theol. M. Div.
    Gepostet um 15:06 Uhr, 07. Januar

    Wir können gerne mal bei einem Kafi oder Tee darüber reden, warum ich eine derartig harte Einschätzung zur kirchlich aktuellen Situation ausspreche. Nach 30 Jahren im Pfarramt in – und ausserhalb der kirchlichen CH Strukturen von Genf über Aargau / Solothurn bis Zürich / Bern und Lausanne. Ich glaube an Kirche Jedoch nicht das, auf die sie jüngst nur noch hin zielt. Herzlich. Pfr. Hans-Peter Geiser 079 439 34 36 oder hpgeiser@hispeed.ch – AG ZH VD CH USA.

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 13:56 Uhr, 08. Januar

      Danke für die Antwort Herr Geiser — Nach meinem Empfinden ist diese Seite nicht dazu gedacht um persönliche Daten auszutauschen (Mail und Natelnr.) …. aber danke für das Angebot….. Ich habe nicht das Bedürfnis zu einem solchen Treffen.
      Mit dem Wunsch, dass Sie trotz allem auch noch gutes erleben in der Kirche — dies in einem weiteren Sinn gemeint — grüsse ich herzlich. Verena Thalmann

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  • Corinne Duc
    Gepostet um 15:36 Uhr, 07. Januar

    Dass das Theologiestudium an den öffentlichen Hochschulen unabhängig von kirchlicher „Verwurzelung“ oder Mitgliedschaft, ja überhaupt unabhängig von Religion, gewählt werden kann, scheint mir nicht nur aus bildungspolitischen Gründen eine Notwendigkeit, sondern zugleich für das landeskirchliche Profil eine besonders geeignete Voraussetzung darzustellen.
    Die reformierte Kirche steht für eine gewisse Produktequalität, und die steht durchaus damit im Zusammenhang, dass möglichst aufgeklärte, so weit als sinnvoll möglich mit wissenschaftlichen Forschungsmethoden abgestützte und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse mit einbeziehende Grundlagen insbesondere im Theologiestudium vermittelt werden sollten. Denn nebst den Praktiken, die für das Pfarramt spezifisch zu erlernen und einzuüben sind, ist für die Amtsausübung doch vor allem wichtig, dass aufgeklärte Menschen-, Welt und Geschichtsbilder vorausgesetzt werden und die Kirchgemeinden bzw. deren Mitglieder (normalerweise) darauf zählen können, dass nicht irgendwelche abstrusen Theorien vertreten werden – wobei natürlich auch aus christlicher Perspektive immer wieder neu zu fragen ist, was überhaupt als „(allzu) abstrus“ zu bezeichnen wäre. Der öffentliche Austausch und die Auseinandersetzung mit Vertretern anderer Fachrichtungen an den Hochschulen sollte nicht nur zur Transparenz und Qualitätssicherung der Mittel beitragen, sondern zugleich die Studierenden auf die Teilnahme an öffentlichen, hinreichend vernünftige Begründungen fordernden Diskursen vorbereiten.

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  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 16:35 Uhr, 07. Januar

    Der Begriff Postkonfessionell bringt es auf den Punkt. Wir leben schon lange in Zeiten in der nicht die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft die Spiritualität prägt sondern autonome selbstverantwortliche Menschen sich diesen Fragen widmen. Da gibts immer noch zu viel alter Mief in den Landeskirchen, der eben diese modernen Menschen abschreckt. Ich will keine Predigt, sondern Dialog. Keine Besserwisserei sondern Begleitung, Kein komm, bete, sing schlecht und geh Gottesdienst sondern persönliches verbinden mit gelebter wahrer Spiritualität. Klein aber fein. Die suche/bedarf nach moralischer Orientierung ist riesige – Minarettverbot – aber die Kirchen predigen mit verstaubten Texten, die kein Mensch versteht. Selber schuld. Aber wehe wenn jemand mal die Bibel über Bord wirft und moderne Texte verwendet, der ist kein Christ.. Aber ok, verschwinden die Landeskirchen halt. Um die ist es im JETZIGEN Zustand nur wenig schade. Was danach bleibt, die Leere, das spirituelle Vakuum aber, das ist eine Tragik. Allerdings bin ich zuversichtlich, das dies gefüllt wird von neuen Gruppierungen. Den spirituelle aktive, erwachte Menschen wird es immer geben.

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 14:25 Uhr, 08. Januar

      Dies sehe ich auch so: mehr Dialog als Predigt und „keine Besserwisserei sondern Begleitung“ – „persönliches verbinden mit gelebter wahrer Spiritualität – Klein aber fein“ !
      Den Frust, den Sie beschreiben, kenne ich gut; auch von einem Menschen, der mir sehr nahe steht. Ja, ich glaube diese Gruppierungen gibt es, so wie auch spirituelle aktive erwachte Menschen.. Sie sind in kirchlichen so wie auch in nicht kirchlichen Kreisen zu finden. Nur leider trifft man solche nicht einfach so. Ich brauchte Jahre und bin noch immer daran, solche Menschen zu entdecken und auch meine eigene Spiritualität zu entwickeln.

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      • Seraphim Weibel
        Gepostet um 17:15 Uhr, 10. Januar

        Vielleicht treffen wir uns mal zum Austusch zum Kaffee ? Sie erreichen mich unter seraphim@724services.ch

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        • Verena Thalmann
          Gepostet um 09:53 Uhr, 15. Januar

          ……schön, dass meine Antwort auf Ihr Kommentar gut angekommen ist!
          lieben Gruss Verena Thalmann

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  • Hans-Peter Geiser ZH Pfarrer Dr. theol. M. Div.
    Gepostet um 16:37 Uhr, 07. Januar

    Die USA zeigen, dass eine theologische Grundierung der Hochschulbildung kein Widerspruch zu ihrer Wissenschaftlicheit sein muss. Im Kanton Waadt wird 2017 ebenso ein neues Modell – wo ich involviert bin – einer Fachhochschule Theologie BA MA PhD Level aufgebaut mit Grundlagen in faith and higher education, die sich wissenschaftsqualifiziert verbinden.

    Das universitäre europäische Modell einer Wissenschaftsgläubigkeit einzig in dieser Trennung von Glaube und Lernen ist global in Christian higher education ein Sonderfall!

    Siehe http://www.theo-global.weebly.com
    und Google … CH Projekt HET pro VD

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 21:14 Uhr, 07. Januar

      Wirklich wissenschaftlich strukturiertes Vorgehen bedeutet, (auch selbst-) kritisch zu prüfen und nach den Grundlagen zu forschen; also ziemlich das Gegenteil von platter Wissenschaftsgläubigkeit. Bedenkt man dies, erübrigt sich doch so manches. Schönen Sonntag!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 18:45 Uhr, 07. Januar

    Ganz herzlichen Dank für diesen ermutigenden und erfreulichen Beitrag! Was mich immer wieder beeindruckt: Menschen, die evangelische Theologie studieren, obwohl sie ursprünglich anders oder gar nicht kirchlich sozialisiert wurden, haben meistens auch einen ganz persönlichen und intensiven spirituellen Weg zurückgelegt. Manchmal einen sehr einsamen Weg ohne viel Verständnis oder Unterstützung durch die Herkunftsgemeinschaft. Sowas ist nicht selbstverständlich, braucht Mut und Ueberzeugung. Heissen wir sie bei uns willkommen und lernen wir auch von ihnen.

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