Greta, Mark und ich

Facebook ist böse und das Klima wird wärmer

Facebook lässt uns in Bubbles leben, überschüttet uns mit Fakenews, macht uns zu schamlosen SelbstdarstellerInnen, verkauft unsere Daten an böse kapitalistische Grosskonzerne, ist mitverantwortlich für die Wahl Donald Trumps, Schuld daran, dass wir unsere Mütter nicht mehr anrufen, sondern Whatsapp-Sprachnachrichten schicken, uns ständig selbst fotografieren und mit Filtern bearbeiten. So weit so gut. Das hat man jetzt so oft gehört, dass es einen gleich kalt lässt, wie die Klimaerwärmung: Wir empören uns im Gestus existenzieller Betroffenheit und fliegen dann in den hart verdienten Urlaub (mit CO2 Kompensation) und posten von dort unsere privaten Familienbilder (nachdem wir die Privatsphäreeinstellungen überarbeitet haben).

Wir empören uns

Wir empören uns. Aber wir sind nicht bereit Verantwortung zu übernehmen. Und wann immer das so ist, kommen zwei Kulturmechanismen zum Zug: 1. Die Forderung nach Gesetzen, welche die Ursache des Übels begrenzen. 2. Die Relativierung eigener Verantwortlichkeit durch Komplexität des Problems. Witzigerweise scheitert der erste Mechanismus stets zuverlässig an genau derjenigen Komplexität, welche den zweiten Mechanismus in Gang bringt.

Komplexität

Man kann den Flugverkehr nicht einschränken (1), weil dann alle einfach von einem anderen Land aus fliegen, was man nicht verhindern kann, weil Gesetze nicht einfach weltweit zur Durchsetzung zu bringen sind (2). Man kann Energie nicht verteuern (1), weil sonst die Konkurrenzfähigkeit des eigenen Wirtschaftsstandorts sinkt, wodurch die eigene Entwicklung, welche vielleicht dereinst klimaschonende Technologien hervorbringt, gestoppt würde (2).

Never underestimate the power of denial

An diesem Punkt greift dann die dritte Kulturtechnik: Leugnung des Problems. Greta hat ein Aspergersyndrom, die demonstrierenden GymnasiastInnen sollen doch mal selbst konkrete Vorschläge machen (Logo, die sollen das Problem lösen, wenn es sie schon stört), in den letzten Wochen war es wirklich kalt, da schadet ein bisschen Wärme kaum… Erst wenn wir merken, dass auf dem sinkenden Schiff auch die First-Class-Passagiere mit allen anderen untergehen und es keine Arche gibt, welche die First World rettet, kann es zu globalen Lösungen für globale Probleme kommen. Ziemlich sicher werden wir aus Erfahrung klug.

Die Droge als Medikament

Bei Facebook ist das ein bisschen anders: Mark Zuckerberg – zunächst als soziopathisches Genie gefeiert – wird zum Inbegriff des nonchalenten Kapitalisten, der zusammen mit den Daten von 50 Millionen NutzerInnen einen Demokratieausverkauf betreibt. Dafür musste er vor dem Senat antanzen (1). Alle wollten raus aus der Bubble. Fast keiner hat Facebook verlassen. Vielmehr wurde die Droge zum Medikament: Wir müssen uns auch mit denen auseinandersetzen, die nicht unserer Meinung sind. Und das geht gut über Facebook. Indem wir ihre Freunde werden. Und in der Zwischenzeit löscht Mark all die bösen Fakenews mit seinen neuen „War Rooms“ (2). Aber es wurde nicht besser. Mark verkauft unsere Daten weiter. Die Zeitungsabos sind rückläufig. Man misstraut der Presse und der Politik und sucht Authentizität in der Selbstdarstellung „echter“ Menschen. Das lässt sich schwer leugnen und ist zugleich nicht so komplex, dass man es nicht regeln könnte. Wenn es Despoten gelingt, Google dazu zu zwingen, Seiten und Nachrichten ihrer Opponenten zu sperren, müsste es westlichen Industrieländern doch möglich sein, die Daten ihrer BürgerInnen zu schützen.

Der User als Junkie

Stattdessen werden nun die NutzerInnen pathologisiert: Facebook ist eine Droge und die User sind abhängig. Sie sind abhängig von den kleinen, wohlgetakteten Dopaminausschüttungen, die ihnen Klicks und Reaktionen verschaffen. Appentwickler liefern digitale Entzugsprogramme, es gibt Anleitungen, um die iPhones unattraktiver zu machen: Keine automatischen Benachrichtigungen, nur noch schwarz-weiss Screen und natürlich ohne Facebook-App.

Einfachheit

Das mag im Einzelfall helfen. Wichtiger wäre aber, dass wir uns selbst nicht als Junkies einer Droge, sondern als lebendige, präsente, interessierte, körperliche und denkende Menschen spüren. Uns wird keine neue App, kein neues Gesetz und keine bessere Privatsphäre-Einstellung retten. Uns retten echte Beziehungen, Kaffeepausen und Gespräche, bei denen man sich in die Augen schaut. Uns retten gute Tages- und Wochenzeitungen, die wir abonnieren und lesen sollten. Uns retten Achtsamkeit (auch wenn wir dazu eine App benutzen) und Bücher, in denen Menschen Zeit haben, eine ganze Welt entstehen zu lassen, die wir probehalber bewohnen dürfen. Oder Stille. Ein Gebet. Gutes Essen. Wir brauchen Beziehungen, Freunde, Erlebnisse, Erinnerungen, Geburtstage. Nicht die öffentlichkeitstaugliche Repräsentation all dessen. Das löst nicht unsere komplexen Probleme. Aber es schafft die Voraussetzung für das Bewusstsein in unseren Köpfen und die Betroffenheit in unseren Herzen, um politisch für das einzustehen, was Not tut. Unsere demokratischen Verfahren sind darauf angewiesen, dass wir Leben mit anderen teilen, echte Informationen lesen, unsere Ideen in Beziehungen erproben und all dies von den Manipulationsversuchen derer bewahren, die uns glauben machen wollen, dass alles irgendwie realtiv, irgendwie kompliziert und irgendwie kaum zu ändern ist.

Wenn das echte Leben diejenige Aufmerksamkeit erhält, die uns gut tut, wird Facebook vielleicht wieder spannender und das Klima ein bisschen besser. Darin sind sich Facebook und Flugreisen ähnlich: Wir geben diesen alltäglichen und jährlichen Fluchten nur so viel Platz, wie wir innerlich leer sind.

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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19 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 07:56 Uhr, 06. Februar

    facebook benütze ich nicht zur selbstdarstellung, sondern zur interaktiven weiterentwicklung des denkens, die dann auch wieder mal gelöscht werden kann. ich fotografiere nicht, fliege nicht und habe keine familie gegründet. die klimaerwärmung lässt mich nicht kalt. ich empöre mich aber auch nicht. die antwort erwarte ich nicht von der politik, sondern arbeite seit anfang 1972 an einer klimaentlastenden lebensweise. und das alles erst noch nicht auf dem standpunkt des besserseins, sondern bei vollem bewusstsein, dass, wenn alle so leben würden wie ich, die wirtschaft zusammenbräche und in dieser konsequenz die atomkraftwerke explodieren würden.

    psychiatrische diagnosen verabsolutiere ich nicht und reduziere keine prophetinnen darauf. genauer gesagt: greta ist eine progretin. sie beschuldigt die ihr vorangehende generation. das mache ich nicht. differenz und gemeinsamkeit kommt zahlenmystisch darin zum ausdruck, dass sie, als ich sie hörte, inzwischen 16 war, und ich noch 61. in ihrem alter ist man besser als die eltern. schwierig könnte es werden, wenn dieselben streikenden das in zehn jahren immer noch sind. auch die verwendung der fossilen energie hat eine geschichte von milliarden von jahren. aber ohne existentiellen widerspruch geschieht kein progrès.

    das kiterium sehe ich nicht in der zwischenmenschlichen beziehung, überhaupt nicht in der beziehung, sondern in der offenbarung, die auch substanz sein kann, in uns die substantien erzeugt, die die beziehung erst ermöglichen. das verhältnis der elektronischen und der nicht-elektronischen welt besteht in der beide verändernden vereinigung von beiden. es kann also sein, dass die virtuelle welt uns erst zu „lebendigen, präsenten, interessierten, körperlichen und denkenden menschen“ macht. das aber als wahrheitsmoment, nicht im sinne einer vollständigen erlösungslehre, die anderseits auch nicht nur-anthropologie sein kann. „darin sind sich facebook und flugreisen ähnlich: wir geben diesen alltäglichen und jährlichen fluchten nur so viel platz, wie wir innerlich leer sind.“ zum teil ja. „etwas tapferes tun“ kann auch heissen, etwas nicht tun, und die nichtige leere durchgehen, bis sie zur substantiellen erfahrung wird.

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    • Marc Bonanomi
      Gepostet um 14:59 Uhr, 07. Februar

      Michael, du schreibst: „die antwort erwarte ich nicht von der politik, sondern arbeite seit anfang 1972 an einer klimaentlastenden lebensweise. und das alles erst noch nicht auf dem standpunkt des besserseins, sondern bei vollem bewusstsein, dass, wenn alle so leben würden wie ich, die wirtschaft zusammenbräche“. : Was wäre dran so schlimm, wenn die jetzige Welt-Wirtschaft zusammenbräche? Eine Wirtschaft, die unsren schönen Planeten zerstört? Es entstünde eine Wirtschaft, die lebenstauglich ist: statt hochindustrialisierte Landwirtschaft eine Landwirtschaft ohne Gift, ohne Landraub (landgrabbing), mit viel Handarbeit, und Vollbeschäftigung.

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      • michael vogt
        Gepostet um 16:34 Uhr, 07. Februar

        meine meinung ist, dass alles im urknall vorgegeben ist, dass alles aus demselben ursprung kommt, auch das, was uns ermöglicht, darin zu leben und zu sterben. dass aus einem wirtschaftszusammenbruch, weltweit, einfach so eine bessere wirtschaft oder eine alternative zur wirtschaft überhaupt hervorgehen würde, dieser funke springt bei mir nicht unmittelbar. das wäre dann die aus der im tod des todes und seiner verwandlung in leben begründeten verheissung hervorgehende hoffnung, wenn es doch geschehen sollte – die mich aber vorerst dazu bewegt, im sinne einer umgestaltung der wirtschaft vorzugehen.

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 10:41 Uhr, 06. Februar

    Lieber Stephan, vielen Dank für deinen Artikel!! Du bringst Facebook mit den verschrieenen Aktivitäten dort, Greta Thunberg und die Hass- und Empörungs-Reaktionen auf sie und dann noch das Stichwort „innere Leere“ zusammen. „Ganz schön komplex“! Ich stimme dir zu und möchte gleichwohl noch eine Ratlosigkeit hier posten:
    Ich verstehe nicht, warum es ein Problem sein sollte, dass eine 16jährige für ihre Überzeugungen eintritt. Ich denke, hätte ich das doch auch mit 16 an der richtigen Stelle gemacht! Greta Thunberg ist jedenfalls innerlich nicht leer. Und sie ist auch für mich eine Inspiration. Ich bin mit meiner Tochter, die ebenfalls 16 ist, am 2. Febr in Zürich auf die Klima-Demo gegangen und wir werden das jetzt immer tun, sooft dazu aufgerufen wird. Noch habe ich nicht viel Hoffnung, dass wir Menschen die „Wende“ in dieser Krise, die eine echte, eine hochgefährliche ist, noch schaffen, aber vielleicht wächst die Hoffnung dank dieser grossartigen 16jährigen!

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    • michael vogt
      Gepostet um 15:42 Uhr, 06. Februar

      die jugen leute sind ziemlich stark auf einer moralischen tour. als sie es mal von einer sau hatten, habe ich bemerkt: ja, es gehe darum, sich in den klimafreundlichen aktivitäten so richtig schön zu suhlen. die moderation hat wohl befürchtet, das könnte so verstanden werden, als wollte ich ihnen vorwerfen, sie würden nach dem bad in der menge lechzen, und das ganze hätte mit klimaschutz nichts zu tun. und hat den kommentar nicht freigeschaltet. ich finde aber, die gewöhnlichen argumente allein, verzicht etc, bringen es nicht. was es bringt ist die erfahrung, dass die klimafreundliche aktivität oder passivität mir mehr bringt.

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      • Anke Ramöller
        Gepostet um 17:30 Uhr, 06. Februar

        Ich kann es verstehen, dass jüngere Menschen zu moralisieren beginnen. Sie haben aus meiner Sicht alles Recht dazu, denn es ihre Zukunft, die ihnen gestohlen wird. Vielleicht sind wir in den letzten Jahren so gepolt worden, dass jedes immer schaut, was „ihm persönlich etwas bringt“. Das ist die Krux: Wo bleibt die Fähigkeit wahrzunehmen, dass wir in Ökosystemen leben, die unauflösbar miteinander zusammenhängen? Wenn eines zusammenbricht, dann gibt es die unumkehrbar Kettenreaktion. Dann erübrigt es sich zu erfahren, was eine klimafreundliche Aktivität mir bringt.

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  • Carsten Ramsel
    Gepostet um 06:52 Uhr, 07. Februar

    Lieber Stephan

    Spät wurde ich ein Jünger Zuckerbergs. Über Facebook ich halte mit meinen Freunden Kontakt, informiere mich über Neuigkeiten meiner Lieblingsorte und -künster*innen oder ich erhebe meine Stimme, wenn ich auf Unmenschlichkeit und Unwissen stoße. 1. Es ist nicht der böse Zuckerberg, der Drogen verkauft; es kommt darauf an, wie ich sie konsummiere. 2. Die Gretas dieser Welt haben anscheinend etwas besser verstanden als manche Erwachsene. Es nicht reicht, die Morallosigkeit dieser Welt zu beklagen. Wenn ich andere Werte in der Gesellschaft etablieren möchte, muss ich nach ihnen handeln und sie im fairen Diskurs verteidigen.

    Liebe Grüsse
    Carsten

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    • michael vogt
      Gepostet um 21:19 Uhr, 07. Februar

      zu 1.: vielleicht doch der dealer?

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    • michael vogt
      Gepostet um 21:22 Uhr, 07. Februar

      „konsummieren“ 😉

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    • michael vogt
      Gepostet um 22:02 Uhr, 07. Februar

      zu 1.: facebook steht dazu: „wir wollen möglichst viele interaktionen generieren“, dh facebook will möglichst viele daten aus uns herausholen. das werben darum ist der tabakwerbung vergleichbar, die nicht umsonst teilweise verboten ist. dass wir davon auch profitieren, will ich nicht bestreiten.

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      • Carsten Ramsel
        Gepostet um 17:04 Uhr, 08. Februar

        Herr Vogt,
        in meiner Familie hat sich der eine oder andere totgesoffen; (Nein, höflicher lässt sich das nicht formulieren; Menschen, die mir nahe standen sind am Alkohol verreckt.)
        ich bin in einer Stadt groß geworden, die zu den größten Drogenumschlagplätzen Europas zählt;
        mir wurde unzählige Male Hasch angeboten;
        Aussenwerbung für Tabak ist in Deutschland nicht verboten.

        Obwohl familiär vorgeprägt, (was statistisch ein bedeutender Faktor ist) kenne ich nur eine Droge Schokolade! Und von Stephan (Merci, Stephan) und meinen anderen Freunden bekomme ich – auch ohne Facebook – soviel Aufmerksamkeit und Anerkennung, dass es für zwei wie mich reicht.

        Entweder esse ich weniger Schokolade, oder ich höre auf mich zu beschweren, dass mich mein Bauch im Winter vorm Frieren schützt.

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        • michael vogt
          Gepostet um 06:09 Uhr, 09. Februar

          darum also nicht weinberg, sondern zuckerberg. das ist bio(grafisch)logisch.

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  • Marc Bonanomi
    Gepostet um 14:39 Uhr, 07. Februar

    Danke Stephan, für diesen Beitrag! Wertvoll, aber auch an einigen Stellen zu Widerspruch oder nach Ergänzung rufend: ich bezweifle, ob „Tages und Wochenzeitungen lesen“ uns wirklich Wahrheit bringen. Man wähnt sich in „Wahrheit“ und ist doch evt blind gegenüber der Ideologie dieser Zeitung. Darum ziehe ich es vor, überall hineinzuschauen, links und rechts, überall kritisch. Aber , wie du völlig richtig, schreibst, all das eben prüfen im lebendigen Gespräch mit Freunden etc. Dazu eine tägliche Prüfung: bin ich hier gemeint, wenn du schreibst: „Wir geben diesen alltäglichen und jährlichen Fluchten nur so viel Platz, wie wir innerlich leer sind.“ Nochmals DANKE!

    Ich kanns nicht lassen, zu erwähnen,: es ist im Grunde ganz einfach, grad schon heute damit anzufangen, die Klimaerwärmung aufzuhalten: Nicht mehr fliegen und keine Tierprodukte mehr konsumieren.

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    • michael vogt
      Gepostet um 16:48 Uhr, 07. Februar

      erstens ist es nicht einfach und zweitens genügt es nicht anzufangen. es ist das andere, das vom einen befreit. gesetz und grerichtspredigt mögen ihre bedeutung haben, zb auch die einer trotzreaktion, die wende geschieht im moment, wo die alternative bei jemandem ankommt.

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      • michael vogt
        Gepostet um 20:57 Uhr, 07. Februar

        ich wollte sagen, dass man, je nachdem, wie man vorgeht, eine trotzreaktion hervorrufen kann. zb berichtet eine frau, sie habe ihren übergrossen wagen absichtlich im wohnquartier lange warmlaufen lassen. oder man kann polarisieren. das bezieht sich aber nicht speziell auf deinen kommentar.

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