In den Himmel unserer Vorbilder promovierten wir den Rechner…

In den Himmel unserer Vorbilder promovierten wir den Rechner …..

 

So formuliert es Roger Willemsen in dem posthum erschienenen Buch, in dem er sich seine Generation (1955) in der Zukunft vorstellt, eine Generation, die über sich erzählt. „Wer wir waren“ lautet der Titel dieses 2016 erschienenen Essays. Beunruhigend verweist Willemsen auf das, was wir wissen und woraus wir dennoch keine Konsequenzen ziehen. „In den Himmel unserer Vorbilder promovierten wir den Rechner“. Informationen, Datenfülle – wir sind fasziniert von den Möglichkeiten der Maschine. Aber was bedeutet es, wenn wir die Maschine über uns „in den Himmel“ heben? Man kann heute zeigen, was das Gehirn tut, wenn wir die Maschine zum „Vorbild“ für unser Menschsein machen.

Bevor wir Dinge sagen, hat unser Gehirn schon 98 % der Arbeit geleistet. Es hat eine Bewegung vollzogen. Wenn wir etwas gut finden, so blicken wir – bildlich gesprochen – nach oben. Wir erwarten das Gute von oben, über uns. Und unser Gehirn vollzieht diesen Blick nach oben mit. Es orientiert sich dabei nicht im freien, unbespielten Raum, sondern in einem Rahmen. Dieser Rahmen ist durch langes Einüben entstanden. Oben und unten sind nicht einfach räumliche Beschreibungen. Die Kognitionswissenschaftler sprechen von der Vertikalität unserer moralischen Entscheidungen. Oben ist das Gute, unten ist das Böse. Uns ist das nicht bewusst. Das Gehirn platziert das Ding mit dem höchsten Wert auf der vertikalen Linie nach oben.

Willemsen beschreibt unser Verhalten heute so: Im Himmel sehen wir den Rechner, die phantastische Maschine. Mit ihren „himmlischen“ Eigenschaften sind eine unerschöpfliche Datenfülle, die Fähigkeit zur totalen Effizienzsteigerung, eine nie verschwindende Leistung verbunden. „Überirdische“ Möglichkeiten haben sich für den Menschen aufgetan – und das, nachdem Thomas Watson, Ceo von IBM, 1943 sagte: Es gibt keinen Grund, warum jeder einen Computer zu Hause haben sollte. (Zit. nach Willemsen.15) Natürlich waren 1943 die Computer noch überdimensional und niemand hätte sie zu Hause stehen haben können. Die Wirklichkeit überholt unsere Phantasien jedoch rasend schnell, und schon hat unser Gehirn einen Rahmen übernommen, mit dem es die Wirklichkeit neu ordnen kann.

Die Maschinenmetapher prägt unser Denken, noch bevor wir das Bewusstsein „eingeschaltet“ haben. Vielmehr, selbst wenn wir unser Bewusstsein „eingeschaltet“ haben, bemerken wir diese Voraussetzungen, die unser Gehirn setzt, nicht mehr. Wollen wir den Computer im „Himmel unserer Vorbilder“ haben? Sollte er nicht lieber bleiben, was ihn „irdisch“ nützlich macht, ein Dienst, eine Verlängerung dessen, was wir nicht so schnell, nicht so effizient wie diese Maschine können! Die Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling zeigt, dass die metaphorischen Rahmen, die unser Gehirn vorbewusst nutzt, unsere Entscheidungen beeinflussen – mehr als wir wollen können. Plötzlich dirigiert die Maschine unser Menschsein. Plötzlich müssen auch wir umfassend effizient, permanent verfügbar, ständig leistungsbereit sein. Plötzlich? Nein, nicht plötzlich, denn unser Gehirn hat die Maschinenmetapher aufgenommen und wir haben sie „in den Himmel gehoben“. Wir verstärken die Maschinenmetapher ständig, indem wir das, was die Maschine leistet, ohne unsere aktive Entscheidung auf den unzulänglichen, den verletzlichen Menschen übertragen. Wir lassen es zu, dass es ständig geschieht. Wir sagen nicht nein dazu.

Im Himmel, da oben, wo das Gute ist, sollte jedoch etwas Wesentliches sein, etwas, das das Menschsein zu etwas Einzigartigem macht, etwas, das auf Lebenshunger antworten kann. Eine Maschine arbeitet mit dem Binärsystem. Sie liefert Informationen, mehr nicht, weniger nicht. Sie antwortet nicht auf die Frage, wohin ein Weg führt und welchen Sinn das hat. Siri fragt zurück: Wohin willst du? Der Mensch kann sich in Fragen des Sinns und der Bedeutung nicht auf die Maschine verlassen. Siri sagt, das übersteige ihre Fähigkeiten.

Das Gute ist: Menschen können lernen, das eigene sprachliche Verhalten zu beobachten. Menschen können beharrlich den „Rahmen“, den Frame verändern. Menschen können sagen, was für sie den höchsten Wert hat.

Was liegt auf Ihrer vertikalen Linie ganz oben?

 

Literatur:

Roger Willemsen (2016) Wer wir waren. Zukunftsrede. S.Fischer

Elisabeth Wehling (2016) Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Edition Medienpraxis

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15 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 06:52 Uhr, 11. Juli

    Einfach superspannend, dieser Beitrag, herzlichen Dank! I ❤️ my brain! Aber selbstverantwortetes eigenständiges Denken ist mehr. „Den Kopf nicht abgeben“ – vllt trifft es das?

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  • michael vogt
    Gepostet um 07:58 Uhr, 11. Juli

    mir fehlt die auseinandersetzung mit dem gedanken, dass das gute aus dem himmel herabgekommen ist. als kriterium taucht in solchen beiträgen regelmässig die zwischenmenschliche beziehung auf. ich finde, das kriterium ist die offenbarung, die geschieht, wann, wo und wie sie will, die auch durch die maschine möglich ist. die maschine kann so verstanaden sehr viel mehr als im binärsystem gefangene informationen liefern. andererseits: was geschieht mit uns, wenn wir weiterhin in dem masse der elektronischen wiedergabe von ton und bild ausgesetzt sind. ich zb habe mich seit 1993 nicht mehr verknallt. das ist, so weit ich sehe, nicht altersbedingt, war ja damals erst 36, sondern designbedingt. jeder motor, jede handbremse, die elektronik ohnehin hat heute ein bewusst strategisch eingesetztes design, das wiederum uns designet, da gibt es sympahtie. aber verlieben. . .?

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    • michael vogt
      Gepostet um 08:02 Uhr, 11. Juli

      blöde maschine: . und , sind manchmal nicht zu unterscheiden > vor „da“ ein .

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 08:28 Uhr, 11. Juli

    Liebe Barbara Oberholzer, „den Kopf nicht abgeben“ – das ist ebenfalls eine spannende Perspektive mit einem wichtigen „frame“. Wir wollen zu Recht Herr/ Herrin im eigenen Kopf sein. Und halten daran fest, dass es so ist. Wenn allerdings 98 % unserer „Kopfarbeit“ sich an unserem „Bewusstsein“ vorbeimogelt, dann gibt es Bedarf zum Nachfragen und miteinander Diskutieren. Frames entwickeln sich, indem immer mehr Menschen ihnen zustimmen – auch unbewusst!! Die Wertung auf der vertikalen Linie, ob etwas „gut“ oder „himmlisch“ ist (hier rein diesseitig gebraucht und gedacht), wird in einer Gruppe transportiert. Sie kann grösser werden und sich ausbreiten.

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    • Barbara Oberholzer
      Gepostet um 08:44 Uhr, 11. Juli

      Liebe Frau Ramöller, wie genau können wir das ändern? Was können wir tun? Bleibt denn noch sowas wie eine freie Entscheidung, ein „freier“ Wille – oder ein ganz klein wenig davon?

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 08:44 Uhr, 11. Juli

    Lieber Michael Vogt! Meinen Sie Siri? Siri gab sich bei meiner Anfrage bescheiden. Sie antwortete: Das übersteigt meine Fähigkeiten. – Gerade habe ich selbst wieder einen seltsamen frame benutzt. Ich habe eine menschliche Eigenschaft (Bescheidenheit) auf die Maschine Siri übertragen. Das kann ironisch-witzig sein und so habe ich es hier auch gemeint. Ich will jedoch Maschinen nicht zu meinen Freund_innen zählen…..und Antworten auf Lebensfragen geben sie nicht, hat Siri selbst gesagt! ;-))

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    • michael vogt
      Gepostet um 08:56 Uhr, 11. Juli

      siri meine ich nur, wenn das die weibliche form von sir ist

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 10:09 Uhr, 11. Juli

    Liebe Barbara Oberholzer, der „freie Wille“ ist ein Jahrhunderte altes Thema. Ich meine meinen Beitrag eher „praktisch angewandt“. Wir können uns der frames, die wir benutzen und akzeptieren, bewusst werden. Wir können unsere Sprache und damit unser Handeln beobachten.. Wir können entscheiden, ob wir die meistens unbewussten frames weiter benutzen. Und ich bin sicher, dass wir damit auch Menschen unserer Umgebung beeinflussen. Sprache ist Handeln, Sprache transportiert Werte, und zwar eben unter anderem in Form von frames.

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    • michael vogt
      Gepostet um 14:16 Uhr, 11. Juli

      auch wenn es keinen apriorisch freien willen gibt (wie ich annehme), kann der wille in einer durchgehend kausalen welt (die ich annehme) durch eine weitere kausa befreit werden. der frame, den die theologie zu transportieren versucht, ist der, dass das gute zuunterst ist (es muss ganz nach unten gehen, damit es gut ist), und von dort respektive da her alles erfüllt. (eph 4.9) „rein diesseitig“, schreiben Sie oben in einer antwort. das zuunterst sein gilt sowohl im diesseits wie auch im verhältnis zu einem jenseits. das erfüllen von allem ist die aufhebung des gegensatzes von diesseits und jenseits. auch von mensch und maschine. die beide verändernde vereinigung von beiden. eine „leerformel“, würde die frankfurter schule vielleicht sagen, weil noch nicht gesagt ist, wie sie aussieht. aber immerhin eine verheissung, schon als proklamation einer möglichkeit die motivation, danach zu fragen, daran zu arbeiten, dran zu bleiben, in einer leere, in der weder der mensch noch die maschine unproduktiv festgelegt sind.

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  • Manuela Raschle-Kundert
    Gepostet um 18:50 Uhr, 11. Juli

    Liebe Anke, auf meiner vertikalen Linie nach oben steht ganz klar der Glaube an das Gute. Egal ob im göttlichen Sinne oder beim Menschen selbst. Ein Computer ist so lange unser Freund, bis er unserer Meinung nach nicht das tut, was er sollte. Doch wer gibt ihm die Überlegung dazu, sich uns zu verweigern? Verweigert er sich uns oder stellen nicht wir uns ihm in den Weg dabei? Wo bleibt da das endliche, das göttliche in uns? Kein Computer auf dieser Welt kann unser Empfinden und unsere Vernetzungen ersetzten oder nachfühlen, geschweige denn empfinden. Haben wir Menschen etwas gespeichter, dann ist es immer in uns. Denken wir nur an Duftkompositionen, die wir als Kinder einmal eingeatmet haben, oder an Speisen von unserer Uroma, die nur sie so machen konnten. Trotzdem erinnern wir uns genau in diesen Momenten des Erkennens in anderen Situationen an diese Kompositionen, an Auslöser der unterschielichsten Art. An die Kompositionen unseres Lebens. Das göttliche in uns, das keine Maschine auch nur Ansatzweise verstehen und leben kann.

    Darum, für mich ganz klar, die Maschine kann mir helfen, ist teils Lebensretter in der medizinischen Not, doch wird sie nie und nimmer die Duftkomposition meines Lebens nachempfinden und vertiefen können. Dieses grosse Geschenk, das Gott uns als seinem Ebendbild ähnlich als tägliches Lebenselexier mit auf den Weg gegeben hat. Ich gehöre zur Duftkomposition Gottes mit ab und zu glücklichem Händchen in der Wahl des Computers, der mich im Leben begleiten, aber niemals sich über mich stellen wird. Jeden Computer kann man abstellen, sogar mit dem Hammer darauf herum schlagen, wenn gar nichts mehr geht. Der Draht zu Gott, zum himmlischen ist immer da, egal ob wir es merken oder nicht. Das himmlisch-göttliche wartet auf uns ohne Update sonder mit Hingabe und Verlässlichkeit. Warum also einen Computer in den Himmel stellen, wenn wir Menschen so viel Potenzial in uns Tragen?

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  • Manuela Raschle-Kundert
    Gepostet um 21:54 Uhr, 11. Juli

    Zusatz:

    🙂 und wie man den Rechtschreibefehlern ansieht, bin weder ich noch noch der Computer perfekt 🙂 Gottes Werk ist wunderbar 🙂 denn ich kann mich verbessern, tagtäglich oder bleiben wie ich bin 🙂

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 12:47 Uhr, 12. Juli

    Lieber Michael Vogt, ich habe mich gefragt, ob eine Redeweise, die zum Feld der theologischen Dogmatik gehört, im Bereich einer angewandten Ethik sinnvoll platziert werden könnte. Ich gehe davon aus, dass jede_r ein Kognitionsschema in sich trägt, auf dem Werte in der Vertikalität eingetragen sind. Das ist unabhängig von einer religiösen Haltung. Und dieses vertikale Schema wird auch nicht dadurch verändert, dass jemand – aus einer religiösen Haltung heraus – sagt, dass Christus durch die Hölle musste, um im Himmel sein zu können.

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 13:01 Uhr, 12. Juli

    Liebe Manu
    Vielen Dank für das begeisterte Statement Deiner Überzeugungen! Ich spüre durch die Buchstaben hindurch fast Dein ganzes Temperament in dem Text! – Beim Nachdenken habe ich gemerkt, dass ich unbedacht ein „wir“ verwendet habe, das klarer benannt werden sollte. Im „wir“ eingeschlossen sind nicht solche Menschen wie Du, die leidenschaftlich für eine andere Werte-Hierarchie einstehen. Ich habe das „wir“ von Roger Willemsen übernommen, der seine Generation anklagt. Ohne klares Bewusstsein über die Auswirkungen hat unsere Gesellschaft den Computer/ die Maschine zum Massstab alles Menschlichen gemacht. Der Mensch soll so effizient, leistungsorientiert, perfekt wie eine Maschine sein. – Und das Gemeine: Menschen merken nicht, wenn sie genau das tun, weil unser Gehirn es schon entschieden hat, bevor wir anfangen, bewusst zu denken. Es geht also auch darum, dass wir uns kritisch fragen: Was sage ich eigentlich? Und will ich das, was unausgesprochen bleibt, aber mitschwingt, wirklich sagen? Oder sollte ich anfangen, mein Sprechen zu verändern?

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  • Sophia F.
    Gepostet um 15:00 Uhr, 12. Juli

    Wie können wir unbewusste Frames, die nicht unseren Werten entsprechen, verändern? Dafür müssen sie erst einmal überhaupt bewusst werden. Und bewusst werden sie, wenn wir anfangen, über sie zu sprechen, über Sprache zu reflektieren und sie nicht nur zu benutzen. Und genau dazu regt dein Beitrag an, liebe Anke 🙂 Eine weitere Möglichkeit zur (langsamen) Veränderung von bestimmten frames ist, sie im Gespräch nicht oder verändert zu benutzen – und unsere Mitmenschen dadurch mitunter zu iriitieren, Wodurch die Selbstverständlichkeit dieser frames, aber auch die eigene Möglichkeit zu ihrer Veränderung, überhaupt erst sichtbar werden kann. Aber noch vor diesem Versuch zur Veränderung können wir uns auf eine spannende metaphorische Spurensuche begeben: Warum existieren bestimmte frames und Bilder? Was steckt kuturgeschichtlich dahinter? Welche sprachlichen Bilder gefallen uns, welche nicht? Ist die vertikale Achse der Moralität wirklich universell menschlich oder doch durch bestimmte kulturelle und religiöse Einflüsse entstanden?

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 15:14 Uhr, 12. Juli

    Liebe Sophia, das wüsste ich jetzt auch gern, ob die Vertikalität unserer Werte in allen Kulturen gegeben ist oder ob es andere frames in anderen Sprachen gibt, die nicht von „oben und unten“ ausgehen. Es wäre phantastisch, wenn sich einige jetzt auf die Spurensuche machten! Ich mache das jedenfalls! Danke für Deine Anfrage, Sophia!

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