«Jesus Christus führt seine Kirche sehr unvollkommen!» Ein Rückblick auf die Tagung «Leit uns in allen Dingen»

Eine Problemdiagnose

Es war wohl ein Seufzer der Verzweiflung. Nach einem Referat über geistliche Leitung entdeckte ich an der Diskussionswand den Post-It eines Tagungsteilnehmers, auf dem stand: «Ja, wenn es so einfach wäre! Jesus Christus führt seine Kirche (leider) sehr unvollkommen, widersprüchlich, disparat.»

Im ersten Moment lachte ich darüber. Da hat jemand nicht ganz geblickt, was der Referent Matthias Zeindler sagen wollte, dachte ich: Konzise hat Zeindler in seinem Referat dargelegt, dass geistliche Leitung nicht eine Management-Technik ist. Vielmehr heisst geistliche Leitung, dass Jesus Christus seine Kirche durch den Heiligen Geist leitet. Die Pointe dabei: In der Kirche kann kein Mensch – weder als Einzelne noch als Kollektiv – den Platz des Souveräns besetzen. Denn der ist Christus als Haupt vorbehalten. Aus genuin theologischen Gründen kommt für die Kirche also nur ein Entscheidungs- und Führungsmodell in Frage, das niemals auf Unterwerfung, sondern immer auf Verständigung basiert.

Das Lachen verging mir dann im weiteren Verlauf der Tagung. Ich begann zu verstehen, was der oder die KommentatorIn zum Schluss gelangen liess, Jesus Christus führe seine Kirche sehr unvollkommen. Denn der angekündigte Dialog zwischen Theologie und sozialwissenschaftlichen Führungstheorien schien mir immer dort ins Stocken zu geraten, wo ein Transfer hätte stattfinden müssen. So entstand der mitunter der Eindruck: Modelle für klare Führungsstrukturen oder geordnete Entscheidungsprozesse und Kirche – das will irgendwie nie so ganz passen.

 

Ein Fragekatalog

Ich wünschte, ich könnte jetzt mit Lösungen auftrumpfen. Stattdessen nehme ich mir die Freiheit, einfach die Fragen aufzulisten, die sich mir (und anderen) stellten. Und ein bisschen Hoffnung auf ihre Beantwortung zu machen. Zwei grundsätzliche Probleme tauchten an der Tagung immer wieder auf:

1. Die meisten Managementtheorien sind naturgemäss für Strukturen konzipiert, in denen (wenn auch auf verschiedenen Stufen) letztlich immer eine Person die Entscheidungen fällt. In der reformierten Kirche fallen vom Pfarrteam über den Kirchgemeinderat hin zu Synode und Synodalrat (und überall dazwischen) fast alle wichtigen Entscheidungen in Gremien und Versammlungen. Auch wenn man über Kommunikation und Teambuilding in der Privatwirtschaft sicher einiges lernen kann, stellt sich hier die Frage: Geben diese Managementtheorien für die Kirche wirklich brauchbare Analogien her? Könnten nicht die offensichtlichen Parallelen zu öffentlich-politischen Strukturen und Konzepten (z.B. checks and balances) zu einem vertieften und geschärften Verständnis reformierter Entscheidungs- und Führungskultur verhelfen?

2. Ist in der Theologie schon eingehender darüber reflektiert worden, wie damit umzugehen ist, dass Christus das Haupt der Kirche ist, die Entscheidungen aber auch in der Kirche stets von Menschen gefällt werden – müssen? (Ich habe den Verdacht, dass die offensichtliche Unvollkommenheit und Widersprüchlichkeit bei Letzteren ihren Anfang genommen hat.) Welche Aufgabe kommt dabei dem Pfarramt zu, das die Gemeinde ja selbst als ihr eigene Funktion ausbildet und mit dazu ausgebildeten Menschen besetzt? Was heisst Verständigung anstatt Unterwerfung für das Zusammenspiel von Synode und Synodalrat, was heisst es für kirchliche Reform- und Restrukturierungsprozesse? Was unterscheidet Verständigung vom lauwarmen «Toleranzsüppchen»?

 

Eine Antwortpflicht und -quelle

Im Jubiläumsjahr der Reformation haben sich VertreterInnen der Kirche immer wieder darauf berufen, dass die Wurzeln heutiger demokratischer Gesellschaftsmodelle mitunter in der Reformation wurzeln. Ich höre hier zweierlei heraus: Erstens, dass wir heute an genau diesen Modellen weiterarbeiten müssen, wenn der aus diesem Erbe jeweils erhobene Relevanzanspruch nicht einfach eine schöne Erinnerung sein soll. Zweitens, dass die Voraussetzungen dafür schon da sind – offenbar warten Kirchenordnungen, Bekenntnisse und reformatorische Schriften und Geschichten nur darauf, als Quellen der Erneuerung zu dienen.

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Der Text bezieht sich auf die Tagung «Leit uns in allen Dingen», die vom 29.-30. Januar im Kirchlichen Zentrum Bürenpark Bern durch pwb und A+W organisiert wurde:
http://bit.ly/2E3qvNN

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20 Kommentare
  • Jacqueline Baumer
    Gepostet um 08:36 Uhr, 07. Februar

    Guten Morgen, an der Tagung war ich nicht dabei – ich antworte also nur auf Ihre Stellungsnahme in diesem Blog. Die statische „Management-Technik“ Vorstellung von klaren Führungsstrukturen mit einer Person, die am Schluss entscheidet, ist in der Management Praxis kaum noch anzutreffen. Management ist heute weniger denn je rein hierarchisch planbar und kontrollierbar. Wo immer Menschen zusammen etwas bewirken wollen, ist Verständigung zentral. Dabei ist eine persönliche Haltung der „Unvollkommenheit“ eine Chance lebendig, neugierig und entwicklungsfähig zu bleiben. Führung (Leadership) ist und bleibt Beziehungsarbeit, mit sich selbst, mit den anderen und im jeweiligen Umfeld, Organisationen sind lebendige Systeme. Klar haben Privatwirtschaft, NGO, politische Organisationenund Kirche unterschiedliche Geschichten, unterschiedliche Weltbilder, unterschiedliche Organisations-Systeme, Und jeder Bereich hat seine Kultur der „Macht“, auch die Kirche. Manchmal ist ein Blick über den eigenen Tellerrand anregend, so wie an einer solchen Tagung. Gegenseitige kritische Abwertungen sind aber kaum förderlich. Ich gehe mit Ihnen einig, dass alles schon da ist und die Kirche eigene, wertvolle Quellen hat, um das kirchliche Selbstverständnis und Tun zu hinterfragen und zu erneuern. Schaffen wir Räume zur Reflexion und transformieren wir uns. Nicht nur Unvollkommenheit ist dabei hilfreich sondern auch Unsicherheit und Experimente.

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    • Dominik von Allmen
      Gepostet um 09:59 Uhr, 07. Februar

      Guten Tag Frau Baumer, danke für Ihre Ausführungen zur heutigen Praxis in Management und Führung! Ich bin in dieser Hinsicht wenig bewandert und dementsprechend froh um Ergänzungen und Präzsierungen. Übrigens – falls Sie das so gelesen haben – wollte ich mit dem Blogbeitrag keineswegs heutige Managementtheorien abwerten oder pauschal als „statisch“ abtun. Mir ging es darum, hervorzuheben, dass die demokratisch-synodalen Strukturen der reformierten Landeskirchen sich nicht so leicht in diese Management-Modelle einfügen (so mein Eindruck an der Tagung). Gleichzeitig scheint mir manchmal, dass man sich in der Kirche vom perfekten Management-Modell eine Art „Erlösung“ verspricht. Dagegen war meine abschliessende Erinnerung an die Ressourcen des reformierten Erbes gerichtet. Ihr Gedanke, dass Unsicherheit und Experimentierfreudigkeit hilfreich sind, finde ich auch gerade in Hinsicht auf dieses Erbe wichtig – schliesslich soll es nicht konserviert, sondern weitergeführt werden.

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  • Bernd Berger
    Gepostet um 08:51 Uhr, 07. Februar

    Lieber Dominik
    Danke für deine spannenden Fragen. Das öffentlich-politische Konzept von checks und balances ist für die kirchliche Leitungs- und Führungsdiskussion mindestens so wichtig wie die Führungstheorien aus der Wirtschaft. Das ist mir klar geworden, als in einer Diskussion einer der Referenten meinte, letzlich müsse klar sein, wer das sagen hat und damit das in einigen Kirchenordnungen festgehaltene Zuordnungsmodell zwischen Behörde und Pfarramt, aber auch die Verbindung und Unterscheidung von organisatorischer und theologischer Leitung in der Berner Kirchenordnung zum letztlich nicht tragfähigen Schönwetterkonzept erklärte. Aber ist es nicht gerade eine Stärke unserer Modelle geteilter Leitung, dass niemand einfach allein das Sagen hat – ausser Christus, den wir oft nur sehr unvollkommen und widersprüchlich hören (was wohl tatsächlich eher an uns als an ihm liegt)? Verbindung und Unterscheidung – darauf kommt es an. Unterscheidung allein reicht nicht, aber sie ist nötig. Und es ist auch zu fragen, ob und wie die anderen Ämter in der Kirche an der Leitungsaufgabe partizipieren.
    Verständigung ist tatsächlich der Schlüsselbegriff und er schliesst kritische, durchaus heftige Auseinandersetzungen nicht aus, sondern ausdrücklich ein. Verständigung ist nur möglich, wenn Positionen erst einmal klar formuliert und mit Argumenten begründet sind. Dann können wir uns mit den Argumenten auseinandersetzen und uns aufeinander zubewegen, wo es nötig ist. Verständigung ohne Auseinandersetzung landet beim „Toleranzsüppchen“ oder beim faulen Kompromiss. Echte Verständigung braucht die offene Auseinandersetzung, aber ebenso den Respekt vor dem und das Interesse am Gegenüber. Aber das sollte uns als Nachfolgerinnen und Nachfolger dessen, der das offene Wort und die Nächstenliebe zum Zentrum seiner Botschaft gemacht hat, ja nichts Neues sein! Oder vielleicht doch?

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    • Dominik von Allmen
      Gepostet um 14:47 Uhr, 07. Februar

      Lieber Bernd, mit deinen Überlegungen zur Stärke des Modells geteilter Leitung und zur Näherbestimmung des Begriffs „Verständigung“ bin ich sehr einverstanden – danke dafür! Kann man sagen: Wo immer wir sozialwissenschaftlich/führungstheoretisch in Richtung „geteilte Leitung“ denken, bewegen wir uns in (der Nähe) einer Analogie zum theologisch-ekklesiologischen Satz, dass Christus das Haupt und die Stelle absoluter Entscheidungsgewalt menschlich freizuhalten ist?

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      • Bernd Berger
        Gepostet um 14:14 Uhr, 08. Februar

        Lieber Dominik
        Ob Analogie hier der passende Begriff ist – da bin ich mir nicht so sicher. Eine Analogie wäre ja eher die Vorstellung eines irdischen Stellvertreters. Ich würde eher von einer zwingenden Folgerung aus dem Satz „Christus ist das Haupt der Gemeinde“ sprechen – und zwar dann, wenn man ihn mit dem reformatorischen Grundgedanken des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen verbindet. Erstens bleibt die Leitung der Gemeinde bei Christus. Sie ist weder auf ein irdisches Haupt noch auf irgendwelche Gremien übergegangen. Und zweitens gilt für die Leitung der Kirche, dass im Sinne des allgemeinen Priestertums die ganze Gemeinde daran partizipiert – und zwar auf differenzierte Weise. Diese Differenzierungen zu klären, sie auszuhandeln und sie im Geiste des Evangeliums zu gestalten, ist eine zentrale Frage bei der Diskussion um kirchliche Leitung.
        Dass Christus das Haupt der Gemeinde ist, bedeutet aber auch, dass JEDE menschliche Herrschaft in der Kirche begrenzt ist – und zwar nicht nur durch das System der checks and balances, sondern auch durch die Botschaft, die Grund unseres Kircheseins ist. Und hier kommt die Rolle des Pfarramts ins Spiel. Das Pfarramt hat keine Entscheidungsmacht, es hat auch kein Monopol für die Bibelauslegung, aber es hat eine besondere Verantwortung dafür, dass die biblische Botschaft gehört werden kann. Diese theologisch-hermeneutische Aufgabe ist zentral und es muss institutionell gewährleistet sein, dass sie Gehör findet und in die kirchlichen Entscheidungsprozesse einfliesst.

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    • Dominik von Allmen
      Gepostet um 11:18 Uhr, 08. Februar

      Lieber Bernd, irgendwie ist meine erste Antwort an dich nie erschienen und jetzt offenbar in den Unweiten des Webs verloren gegangen. Also noch einmal: Danke für deine Rückmeldung! Ich gehe mit deinen weiterführenden Gedanken sehr einig. Mir gefällt, dass „Verständigung“ „kritische, durchaus heftige Auseinandersetzungen nicht aus, sondern ausdrücklich ein[schliesst]“. Kann man sagen, dass wir uns mit allen Modellen, die niemanden allein das Sagen lassen, in (der Nähe) einer Analogie zum theologischen Satz bewegen, dass Jesus Christus das Haupt der Kirche ist? Und erst da gute Argumente und klare Positionen ihre volle Wirkung entfalten können (weil andernfalls weniger die argumentative sondern v.a. die Machtposition entscheidet)?

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    • Dominik von Allmen
      Gepostet um 13:20 Uhr, 08. Februar

      Lieber Bernd, irgendwie ist meine erste Antwort an dich nie erschienen und jetzt offenbar in den Unweiten des Webs verloren gegangen. Also noch einmal: Danke für deine Rückmeldung! Ich gehe mit deinen weiterführenden Gedanken sehr einig. Mir gefällt, dass „Verständigung“ „kritische, durchaus heftige Auseinandersetzungen nicht aus, sondern ausdrücklich ein[schliesst]“. Kann man sagen, dass wir uns mit allen Modellen, die niemanden allein das Sagen lassen, in (der Nähe) einer Analogie zum theologischen Satz bewegen, dass Jesus Christus das Haupt der Kirche ist? Und erst da gute Argumente und klare Positionen ihre volle Wirkung entfalten können (weil andernfalls weniger die argumentative sondern v.a. die Machtposition entscheidet)?

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 09:32 Uhr, 08. Februar

    „Jesus Christus“ führt „seine Kirche“ ganz und gar nicht, bin ich überzeugt. Was er nach seinem Tod gesagt haben soll, das sind für mich WUNSCH- und PHANTASIEBILDER einer zunächst völlig orientierungslosen Jüngerschaft. Zu deren Entstehung Paulus nicht unwesentlich beigetragen haben dürfte, der den Jüngern und dann allen Christen nicht gerade viel zugetraut hat. Der historische Mensch Jesus sagt an entscheidend prominenter Stelle :“Gebt i h r ihnen zu essen!““ Wenn das nicht klar ist!?! Die ganze kirchliche HIERARCHIE ist meiner Meinung nach eine – in gewissem Masse zwar verständliche – Fehlentwicklung. Die Reformatoren habe zwar versucht, das ein bisschen zurechtzubiegen, aber das paulinische „die Obrigkeit ist von Gott“ sass – und sitzt immer noch – tief in den Knochen. Der von Zeit zu Zeit geäusserte Wunsch nach Einrichtung eines reformierten Bischofamtes ist Beleg dafür. Ich denke, die „Kirche“ hat nur dann eine Chance, wenn sie das „Herr“ (kyrios) los wird und sich in eine weltweit handelnde Kraft auf der Basis der SELIGPREISUNGEN (Matthäus) wandelt. Ganz im Sinn von Jesu Vision und Auftrag „Ihr sollt (könnt) vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“

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    • Dominik von Allmen
      Gepostet um 11:41 Uhr, 08. Februar

      Lieber Herr Rolla, ich kann Ihre These gut verstehen, wenn ich Ihrer (vermutlichen) Voraussetzung folge, dass Jesus Christus als historische Figur gemeint ist – und allein gemeint sein kann, weil nur das historische Faktum zählt. Ich denke aber, dass das völlig an dem biblischen Zeugnis von Christus vorbeigeht und den Texten sowohl der Evangelien als auch Paulus‘ nicht gerecht wird. Das wäre jetzt wohl eine längere Debatte, ich beschränke mich auf ein kurzes Beispiel: Die von Ihnen zitierte prominente Stelle geht ja dann so weiter, dass die Jünger es doch nicht selbst gebacken kriegen. Es wäre in der Tat ein Missverständnis – das leider oft vorgekommen ist – wenn man die Stelle nun so deuten würde, dass Menschen unfähig und unmündig sind und deshalb bei allem die Hilfe des Herrn Jesus brauchen. Sofern ihre Kritik gegen eine solche Lesart gerichtet ist, teile ich sie sehr! Aber ich meine doch, dass der Text als Ganzes eine Art „Grenzaussage“ macht: Dass uns Menschen die grundlegenden, lebensnotwendigen Gaben (in der Erzählung: Grundnahrungsmittel) ereignishaft von ausserhalb unserer Vorstellungen von Notwendigkeiten und Möglichkeiten zukommen. Dogmatisch auf den Punkt gebracht: Es geht um Rechtfertigung, nicht um historische Faktizität. Dasselbe scheint mir der Clou bei den Seligpreisungen zu sein: Dass den aufgezählten Menschen(gruppen) die Glückseligkeit eben von Christus zugesprochen wird. Wenn man sie als blosse Vision oder Auftrag liest, sind die Seligpreisungen nicht mehr als eine moralische Maxime, die man dann je nach dem schön, heraus- oder überfordernd finden kann.
      Und für die Kirchenleitung würde ich analog dasselbe sagen, soweit ich bis jetzt durchblicke: Dass Jesus Christus die Kirche führt meint nicht, dass er jemals in der Führungsetage irgendeiner christlichen Gruppe oder Institution gesessen hat (noch sitzen wird) – weder im historischen, noch physikalischen noch übernatürlichen Sinne. Es meint, dass wir in der Kirche die biblischen Zeugnisse über Christus so auslegen und weiterbezeugen, dass wir zum Schluss kommen, dass wir die „Funktion“, die Christus für unser Heil (Rechtfertigung) einnimmt, nicht menschlich besetzen können. Ergo sprechen wir von ihm als dem Haupt der Kirche. So gesehen traut Paulus (oder wer auch immer den Eph geschrieben hat) den NachfolgerInnen Christi nicht zuwenig zu, sondern schlicht und einfach soviel, wie es ihnen als Menschen möglich ist.

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 19:12 Uhr, 08. Februar

    Lieber Dominik, das mit der „Rechtfertigung geht meiner Überzeugung nicht auf Jesus zurück, sondern auf Paulus bzw. dessen falsche Interpretation der „Erzählung vom Sündenfall“. Paulus hat Jesus weitestgehend in die falsche „Ecke“ gedrängt – mit fatalen Folgen für die entstehend.

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 20:09 Uhr, 08. Februar

    für die entstehende Kirche – bis weit in unsere Zeit hinein…

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  • Corinne Duc
    Gepostet um 02:44 Uhr, 09. Februar

    Wichtiger als die (ohnehin nicht abschliessend beantwortbare) historische Frage ist vielleicht, dass wir die Denkanstösse finden bzw. erhalten, die wirklich weiterhelfen. ZB. Mk 10,37ff. – Wesen leiten heisst ihnen Knecht/DienerIn zu sein – spielt es da noch eine Rolle ob das nun paulinisch angehaucht oder früher schon einmal von irgendwem wörtlich so gesagt wurde?

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 07:17 Uhr, 10. Februar

    Liebe Corinne Duc, „paulinisch angehaucht“ klingt harmlos-niedlich, allzu „harmlos“ angesichts des Elends, das gewisse Lehren des Paulus verursacht haben. Die „Rechtfertigungslehre“ zum Beispiel, die im deutschen Lutherjahr – und auch bei uns in der Schweiz – wieder ans Tageslicht bemüht wurde. Ich bin Ihrer Meinung, dass es wichtigere Themen gibt in unserer Zeit.. Aber um in einem vollgestopften Zimmer Platz zu schaffen, muss erst mal entrümpelt werden, zumindest müss(t)en das die Zuständigen tun – in aller Öffentlichkeit. Mir geht es in erster Linie darum, die sperrigsten „Erbstücke“ zu entfernen, die eindeutig als „nicht von Jesus“ definiert werden können. Dummerweise sind es oft genau die, welche von gewissen „Geistern“ krampfhaft festgehalten werden, aus welchen Gründen auch immer.

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 13:46 Uhr, 10. Februar

      Lieber Herr Rolla
      ich bin gar nicht der Ansicht dass diese Themen nicht wichtig wären – ganz im Gegenteil halte ich es für sehr sinnvoll wenn ein offener Dialog über die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten und Interpretationsansätze geführt werden (und natürlich ist es praktisch wenn dabei auch gleich das Zimmer endlich entrümpelt werden kann:-).
      Ohne Paulus wären die Jesuaner vielleicht eine kleine jüdische Sekte geblieben, bzw. wie es halt so geht: bald zersplittert, zerstritten, und die allenfalls überdauernden Splittergruppen kaum unterscheidbar von anderen religiösen Sekten. Das ist natürlich reine Spekulation. Aber wir sollten nicht unterschätzen was mit dem Übergang von einer an Riten und Reinheitsgeboten orientierten Gesellschaft, zumal in einer Gesellschaft, in welcher diese alten Traditionen soziale Identifikation und religiöse Selbstvergewisserung bedeuteten, zu einer religiösen Gemeinschaft aufgrund des Glaubens an die Liebe und Gnade Gottes – und nicht aufgrund der Überlieferungen und „Gesetzeswerke“ – erreicht worden ist.
      Und dies nicht nur in historischer Hinsicht – wir neigen wahrscheinlich ganz ähnlich zu „Werk-“ bzw. Selbstgerechtigkeit einerseits, und andererseits zu Ängsten und nagenden Selbstzweifeln wie die damaligen Menschen. Die paulinischen Schriften können uns einerseits ganz besonders dazu anregen, diese Neigungen zu reflektieren; andererseits kann die paulinische Mystik vielen helfen, sich angenommen zu fühlen und Vergebung als reale Möglichkeit zu verstehen, ohne dies durch sinnlose Opferhandlungen erkaufen (glauben zu) müssen.
      Ich denke dass – zumal angesichts der Vielfalt von Interessen sowie der divergenten Lebenserfahrungen der Mitglieder – eine gewisse Vielfalt von Konzeptionen (und Korrektiven) auch innerhalb der evangelisch-reformierten Konfession sinnvoll bzw. notwendig ist. Auch wenn die „Sensationsgeschichte“ von (Sühne-) Tod, Jesu Auferstehung vom Kreuz und dadurch verheissenem ewigem Leben in dieser Form „nicht von Jesus selbst“ stammt, ist dieser Mythos wahrscheinlich ein zentrales tragendes Element, das viele Menschen intuitiv anspricht und unmittelbares Vertrauen ermöglicht. Schon für Paulus war das nicht von exakten historischen Daten abhängig, sondern von seinen mysthischen Erfahrungen. Diese Ebenen oder Dimensionen auszuschliessen schiene mir genauso fragwürdig wie kritische religionswissenschaftliche Rückfragen und Diskurse zu vernachlässigen. Und natürlich sollte man versuchen (soweit möglich…) beides zu trennen bzw. unterschieden.
      In historisch-kritischer Absicht zurückzufragen was „wirklich“ war ist etwas anderes als Herausfinden zu wollen was Jesus „wirklich gesagt hat“ (oder auch nicht) um daraus eine verbindliche Lehre, welche die Christenmenschen als revidierte Glaubensnormen zu befolgen hätten, herauszukristallisieren. Auch wenn viele Menschen in ihrer Verunsicherung solche Bedürfnisse verspüren – da scheint mir ein (post-) paulinisch klärender Diskurs erst recht eine segensreiche Ergänzung anzubieten (vorausgesetzt natürlich, wir fassen diese Texte nicht einfach als historische Faktenberichte auf, sondern lassen uns auf sie ein um uns selbst vertiefend mit den zentralen Fragen zu befassen – was natürlich keineswegs bedeutet dass wir alle Ansichten der alten Autoren teilen müssten: es sollte doch vielmehr zum Selberdenken anregen).

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 17:39 Uhr, 10. Februar

    Wir werden uns wohl nicht einig werden ,liebe Frau Duc, obwohl wir in Teilen ähnlich denken. Nur war und bin ich – mit jetzt 72 Jahren und nach einem fast fünfzig Jahren währenden Pfarrer-Leben – viel radikaler beim „Ausmisten“. Jesus war – wie alle „Propheten – ein Utopist, ein Visionär, ein „Abgehobener“ sogar. Deshalb konnte ein „Macher“ wie Paulus sich so leicht ihm vor die Nase und sich über ihn hinweg setzen. „Apostel Jesu Christi“ – welche Anmassung! Natürlich haben Sie höchstwahrscheinlich Recht mit der Annahme, dass ohne Paulus das „Christentum“ nie über Judäa/Galiläa hinausgekommen und also auch keine „Kirche“ entstanden. Aber was für ein Christentum, was für eine Kirche sind da entstanden!!!! So viele Gemetzel und Gemeinheiten sind wahrlich n i c h t vorzeigewürdig!!! Paulus‘ „Das Weib schweige in der Gemeinde“ und sein „die Liebe erträgt und erduldet a l l e s“ hat vor allem der Frauenwelt Entsetzliches angetan. bis zum heutigen Tag. (Natürlich mit fragwürdiger Hilfe der Männerwelt an vielen Orten der Welt!) Wie war das noch vor langer, langer Zeit mit dem Befreiungsruf „NEIN IN DER LIEBE“!? Ich habe „Paulus“ trotz einiger ganz passabler „Sprüche“ aus meinem Leben und meiner Arbeit entfernt und weise jeweils nur auf seine schlimmsten „Ausrutscher“. – und auf ein paar recht schöne Texte – hin. Ohne jeglichen Verlust, weil ich dem „historischen Jesus – auch intuitiv – ganz nah gekommen zu sein überzeugt bin. Und mich seither JESUANER nenne. („Paulaner“-Brier trink ich trotzdem recht gerne…) Aber da muss natürlich niemand folgen (Obwohl es schon recht viele tun…)

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 20:37 Uhr, 10. Februar

      Bier lieber nicht, Danke – aber bin natürlich froh wenn Sie ausmisten helfen:-) Für das Entsetzliche, das (u.a. unter Berufung auf Paulusbriefe) geschehen ist, Paulus verantwortlich zu machen scheint mir indessen weniger sinnvoll. Nicht nur, weil man ihn einerseits missverstanden hat wenn man meint, seine Aussagen (und dann noch solche die bloss auf eine spezielle Situation hin geschrieben wurden) als Gesetz bzw. Befehle und Verbote auslegen zu müssen, andererseits dann ja primär die unkritische Bibellektüre als Problem zu thematisieren wäre. Es lenkt auch von der Frage ab, weshalb Frauen in zahlreichen Gesellschaften und Institutionen noch immer diskriminiert werden. Ich halte es für eher unwahrscheinlich dass es primär an den Paulusbriefen liegt (ausser in biblizistischen Vereinen oder Gesellschaften – aber da müsste eben die theologische Kritik zuerst einmal viel grundsätzlicher ansetzen); könnte mir sogar gut vorstellen dass sich die „katholische“ Tradition von wegen apostolischer Sukzession und Disriminierung von Frauen, Eunuchen und Homosexuellen ebenso einseitig entwickelt hätte ohne diese paulinischen Textstellen (aber auch trotz anderer Textstellen, aufgrund welcher Paulus zuweilen sogar als Vertreter eines radikalen Egalitarismus dargestellt wird). Die Reformatoren bzw. „Reformierten“ standen ebenfalls noch lange in dieser Gesellschaftstradition (und verfolgten auch Vertreter radikal liberaler Auffassungen wie seinerzeit der Erzählung nach „Saulus“). Vielleicht geht es um Angst vor Machtverlust? Rigide Hierarchien scheinen da ja auch besonders anfällig.

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 17:37 Uhr, 11. Februar

    Ok, ich komme Ihnen entgegen, liebe Frau Duc. Ich werde nicht mehr von „Paulus“ schreiben, sondern von „Paulinismus“. Man kann tatsächlich einen Menschen nicht für alles verantwortlich machen, was aus dem geworden ist, was er in seinem Leben gesagt und geschrieben hat. Obwohl: Das alte Märchen von den „Federn“, die man nicht mehr einsammeln kann, hat seine Bedeutung. Man darf einen Menschen aber auch nicht über alle Zeiten hinweg „verheiligen“ und so jeder Kritik an seinem Reden und Schreiben entziehen. – Mir geht es bei allem um den SCHADEN, den die „Kirche/Christenheit“ genommen hat und immer noch nimmt, weil Paulusworte von Vielen sozusagen „Gottes Wort“ gleichgesetzt wurden und immer noch werden. Auch die zumindest heute abstrusesten wie „Das Weib schweige…“ und jene, die auf einem falschen Lesen des Originaltextes der „Sündenfall-Erzählung“ basieren. Es ist schon längst an der Zeit, hier „auszumisten“ und „Sonne“ und „frische Luft“ herein zu lassen. Für mich am dringendsten: die so genannte „Rechtfertigungslehre“, die längst zu einer Art „Rechthaberei-Lehre“ geworden ist. (In meinem Buch „War Jesus schwul? 100 unerschrockene Fragen und Antworten zu Bibel, Kirchen und Religionen“ ist ausführlich davon die Rede.)

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 10:11 Uhr, 12. Februar

      Dass Bibelzitate „von Vielen sozusagen „Gottes Wort“ gleichgesetzt wurden und immer noch werden“ sollte doch vielmehr ganz grundsätzlich als Missverständnis v.a. auch unter Reformierten erläutert werden. Läuft das Ihrem Vorhaben entgegen, reine Urlogien aus dem NT herauszusezieren? Man sollte sich doch auch bewusst machen, was der springende Punkt der sog. Rechtfertigungslehre für das Selbstverständnis der Einzelnen bedeuetet, und weshalb das für die Reformation (und viele kleine Reformbewegungen darüber hinaus) so wichtig war und ist.

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 11:19 Uhr, 12. Februar

    Wenn ich „Jesu Traum“ träume – alias Vision „schaue“ – dann sehe ich K i n d e r. Viele Kinder. Glückliche Kinder. In einer Welt „rund um die Kinder herum“. Eine Welt, in der sich Kinder wohl rundum fühlen. Sauber, frei von Abgasen und anderem Gift und Müll, auch geistigem. Eine Welt, in der ihnen nicht dauernd Angst gemacht wird. In der sie K i n d e r sein dürfen. Und ich sehe weitere „Angewiesene“: Menschen .jeden Alters, die es nötig hätten, dass ihnen das Leben so leicht und lebenswert wie möglich.gemacht wird. Ich sehe alte Menschen, vom Schicksal gebeutelte, chronische kranke, heimatlose, vertriebene, entwurzelte, umhergestossene, verzweifelte. Und ich höre Jesus sagen: „Gebt i h r ihnen zu essen!“ Und ich sehe Menschen, die genau das tun! DAS ist in meinen Augen das „jesuanische Vermächtnis“. Durch alle glaubensmässige Unterschiede hindurch und über sie hinweg. D a s ist – beziehungsweise wäre – für mich „Gemeinschaft Jesu“. Egal, in welcher äusserlichen Form. Ein Traum – eine Vision – eine Utopie? Ein (fernes) ZIEL, das ich lohnen würde, das sich lohnt. Trotz allem!

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