Kirche auf verschiedenen Ebenen

Wie hätten Sie es denn gern?

„Bottom up“ oder „top down“. Das ist für Wirtschaft und Politik eine Frage, um die nicht nur gerungen sondern oft auch gestritten wird. In der Demokratie wird das „top down“ mit Recht sehr beargwöhnt. Das Volk gilt als souverän. Das wird dann je nach politischem Couleur polternd und gestikulierend eingefordert oder aber mit dem „kleinen Mann von der Strasse“ – selten höre ich von der „kleinen Frau“ – emotionalisiert.

Im kirchenpolitischen Diskurs ist es ähnlich und doch etwas anders. „Bei euch aber soll es nicht so sein … „“ Doch wie im Staat die politische Gestimmtheit den Ton verändert, sind es in der Kirche die Frömmigkeitsmuster und die theologische Haltung, die die Einstellung prägen.

Im Denken der reformierten Kirche, wie wir sie in der Schweiz leben, gibt es den Wunsch nach dem „top down“ kaum. Nicht nur aus helvetischem Ressentiment gegen „die da oben“, die ja „sowieso machen, was sie wollen“. Es gibt durchaus biblisch begründbare, theologische Argumente, die den Blick auf „die da unten“ lenken. Und diese Perspektive gehört zur Neunerprobe für den zweiten Glaubensartikel der Menschwerdung, „die Geringsten“ nicht aus den Augen zu verlieren.

Nun ist auch diese Blickrichtung nicht absolut zu setzen. Das Handeln für „die da unten“ ist unverzichtbar. Doch ohne den Blick auf das, was uns dazu antreibt, ohne die Hoffnung auf ein Grosses, Ganzes, das mehr ist, als wir leisten können, wären unser Tun und unsere Mittel schnell erschöpft. Die Gefahr der Enttäuschung, ja Verbitterung in solchen Anstrengungen liegt näher als uns lieb ist. Frömmigkeit schützt nicht vor Depressionen.

Warum ist das so? Die Hilflosigkeit macht sich breit, je mehr sich der Blick der Helfenden verengt.

Vereinzelung und Schrumpfung in den Kirchgemeinden geben dieser Tendenz Schub. Dazu kommt eine typisch schweizerische Verengung, dass der christliche Glaube an der Grenze der eigenen Kirchgemeinde aufhört. Solches Denken korreliert mit einer übersteigerten Phantasie von Gemeindeautonomie. Nährboden dafür orte ich in einem föderalistischen Credo, das biblisch gesehen jedoch hors sol gedeiht.

Was uns aber inspiriert vertrauend als Kirche zu handeln, hat mit einem grösseren Ganzen zu tun. Das ist es, was uns ermutigt. In Deutschland wird diese Stärkung an Kirchentagen erfahrbar. Da wird etwas von diesem Gemeinsamen weiteren Geist der Vertrauenden wirklich.
Und bei uns in der Schweiz?

Beim Festanlass 500 Jahre Reformation (18. Juni in Bern) war etwas davon zu spüren, dass das auch in unseren politischen Strukturen möglich ist. Der Grossanlass wurde zur Schatzsuche. „Da wo dein Herz ist, ist dein Schatz.“ In der Umkehrung des bei Matthäus nachlesbaren Satz des Rabbi Jeschuah kam das Grössere, Ganze ins Bewusstsein, wurde erlebbar. Ein langer, reicher Gottesdienst mit viel Weite im Blick nach oben. Ein Gottesdienst mit erhebender Musik und Gesängen aus vielen Jahrhunderten.

Ein grosser Schatz tat sich auf, der die Herzen weitete: Nicht nur, weil alle Kantonalkirchen ihre Verbundenheit in und vor dem Berner Münster zum Ausdruck brachten, auch wegen der eindrücklichen Gäste die sich zu diesem grösseren Ganzen äusserten.

Drei sollen für die Vielen genannt werden. Da war der Erzbischof von Canterbury und da war der Kardinal aus der Schweiz, der früher Bischof des Bistums Basel war. Da sprach ein Bundesrat, der mit seinen Reden auch schon sehr viel Kritik erntete. Aber diese Rede, gerade die im Zelt vor dem Münster war anders, gelöst, geschwisterlich und warmherzig. Neben diesen Menschen mit Rang und Namen waren aber auch Kinder aus allen Kantonalkirchen, die ihre Kerzen mit den Reformationslogos ihrer Heimatkirche bedruckt auf den grossen Abendmahlstisch stellten.

Es zeigte sich, der Tisch des Hauses ist gross genug. Wie vielfältig wurde um diesen Tisch dieser grössten Kirche der Schweiz das Grössere, Ganze, das Geheimnis des Glaubens schon längst vor dem vergangenen Sonntag gefeiert. Der Tisch steht auf einem Grundstein der die Jahreszahl 1421 trägt. Dass die im Bau gespiegelte Glaubensgeschichte nicht erst damit begann, zeigte auch die Präsenz eines Mannes, dem ich vor dem Gottesdienst begegnete: Er kam als Vertreter der Juden in der Schweiz zum Festgottesdienst. Unser Herz wird gross genug, für die Bereicherungen des Himmels, wenn wir uns füreinander öffnen.

 

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