Kirche und die Vielfalt der Unterstützung

Seit einiger Zeit macht in den Kirchen ein neues Zauberwort die Runde, über den in verschiedenen Formen diskutiert, gesprochen, nachgedacht wird: Der Begriff der „Distanzierten“.

Kirchen- und religionssoziologische Studien widmen sich unter anderem dem Verständnis und dem Erfassen der religiösen und spirituellen „Landkarten“. Dass diese Landkarten immer bunter und vielfältiger werden, auch in der Schweiz, ist der gesellschaftlichen Vielfalt und der Individualisierung geschuldet. Im Rahmen dieser Studien (https://www.tvz-verlag.ch/buch/religion-und-spiritualitaet-in-der-ich-gesellschaft-9783290200787.pdf) wurde in Untersuchungen des Lausanner Soziologen Jörg Stolz und der Münster Theologin Judith Könemann eine Typologie erarbeitet, die diese Vielfalt qualitativ erfasst. Sie unterschieden insgesamt vier Grundtypen: Die „Institutionellen“, die  „Alternativen“, die „Distanzierten“ und die „Säkularen“. Dazu ergeben die Studien weitere „Untergruppen“, bei den Distanzierten etwa die „Distanziert-institutionellen“, die „Distanziert-alternativen“ sowie die Distanziert-säkularen“.

Um diese letztgenannte Gruppe kreisen die Gedanken und Aktivitäten der Kirchen zu Recht, da sie im Rahmen der Typologie die grösste Gruppe ausmachen: Rund 60% werden dieser Gruppe zugerechnet. Während die Institutionellen auszeichnet, dass sie traditionelle Glaubensüberzeugungen und eine regelmässige religiöse Praxis pflegen, ist dies bei den Distanzierten nicht der Fall. Ihre religiösen Überzeugungen sind vielfältig, abstrakt, ungefähr. Aber: Sie sind zumeist noch Mitglieder der Kirchen und zeigen so ihre ideelle und finanzielle Unterstützung.

Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser Studien – und damit mit gesellschaftlichem Wandel – ist wichtig, sie ist Teil der Legitimation, des Überlebens von Institutionen und Organisationen. Die Frage ist allerdings, wie sie dies tun. Die Ergebnisse der Studien zeigen für die Distanzierten, dass sie Glaubensüberzeugungen und Praxen haben, für die die Kirchen kaum Räume und Formate anbieten. Mehr noch: Die umfassende Auseinandersetzung mit der neuen Vielfalt der Distanzierten und damit von neuen Formen (auch christlicher) Religiosität würde die Kirchen langfristig verändern, und diese Bereitschaft und Offenheit der Kirchen müsste erkennbar sein. Dies meint nicht die Forderung nach einem Abschied vom Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, sondern eher die Frage, für welche Inhalte, die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Und welche neuen Kompetenzen sie dafür benötigt.

Dass die Mehrzahl der Distanzierten noch Kirchenmitglieder sind, birgt ein grosses Potenzial, mit diesen Menschen in den Dialog zu gehen, um sie zu fragen, welche religiösen Praxen, Räume, Glaubensvorstellungen sie pflegen. Was sie unter Religiosität verstehen.  Was sie an der Kirche gut finden, wie ihr Kirchenbild ist, was sie sich sogar vorstellen könnten einzubringen. Was sie nicht gut finden. Eine Voraussetzung für diesen Dialog wäre jedoch, dass die Kirchen sich von dem Begriff der „Distanzierten“ verabschieden. Denn er wirft erstens die Frage nach der Distanzierung „Wovon“ auf, das in den erwähnten Studien die traditionelle, institutionalisierte und regelmässige religiöse Praxis zu meinen scheint – und gleichzeitig scheint dieses vermeintliche „Zentrum“ ja entweder im Wandel oder nicht mehr so zentral zu sein. Und zweitens wird dann durch die „Distanzierung“ von diesem unbestimmten Zentrum eine implizite Zweitrangigkeit der Distanzierten behauptet. Wohlgemerkt: Es geht um die Kritik der sprachlichen Übernahme der soziologischen Kategorien, nicht um die Inhalte der Kategorie an sich. Und auch um die Anregung, in einen langen und vertiefenden Austausch mit denjenigen zu gehen, die andere Formen der Unterstützung und Zugehörigkeit in religiösen Fragen pflegen. Von verschiedenen Formen der Unterstützung bei Mitgliedern zu sprechen wäre wertschätzender als die Formulierung, Mitglieder als „Distanzierte“ zu bezeichnen.

Grosse und gesellschaftlich bedeutsame Mitgliederorganisationen, wie Gewerkschaften und Parteien haben allesamt nicht mehr die Mitgliederbindung der 70er und der 80er Jahre und sind trotzdem weiterhin relevant.  Die Form der Mitgliedschaft ist nur eine Form der Unterstützung, daneben gibt es viele weitere. Im Feld der politischen Partizipation ist zum Beispiel der Begriff der „Volkspartei“ ins Wanken gekommen, da Parteien ihre Dominanz und auch ihre Legitimation als Vertretung politischer Inhalte und Interessen verloren haben. Diese Entwicklung ist in ganz Europa zu beobachten. Stattdessen haben sich sowohl Organisationsformen wie Formen der Teilhabe ausserhalb von Parteien vervielfacht: Von Bürgerinitiativen und „Bewegungen“ bis hin zu individuellen Formen des Protests, von Wahlen bis hin zu Ein-Punkt-Kampagnen, Unterschriftenlisten und Konsumboykott. Die Herausforderung für Organisationen generell – seien es nun Kirchen, Gewerkschaften oder Parteien – liegt einerseits darin, die eigene Organisation zu öffnen und ein neues, vielfältigeres Profil zu generieren: Das bezieht sich auf die „Köpfe“, aber auch auf Prozesse, und dies geht nicht ohne Diversity-Strategien mit allem drum und dran. Zum anderen ist die Frage, auf welche Weise Organisation und neue Erscheinungsformen sinnvoll und dauerhaft kooperieren? Wie lassen sich neue Formen des Engagements mit bestehenden Strukturen verknüpfen, wie lässt sich eine gemeinsame fruchtbare Entwicklung „von alt und neu“ auf den Weg bringen?

Für die Kirchen hiesse das, neben der Verabschiedung des Begriffs der „Distanzierten“, systematisch mehr über diese Personen zu erfahren und auch darüber, welche neuen Glaubens-, Organisations- oder Verständigungsformen sich die Personen wünschen oder sie gar selbst pflegen. Die Herausforderung ist paradox, aber wirkungsvoll: Ohne Angebot, aber mit Augenhöhe und Fragen auf die Menschen zuzugehen.

Am Freitag, 30.11. 2018 hat zu diesem Thema eine Tagung der Abteilung Lebenswelten in Zürich stattgefunden. Unterlagen dazu finden Sie hier.

Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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12 Kommentare
  • THOMAS GROSSENBACHER
    Gepostet um 07:05 Uhr, 04. Dezember

    Distanz ist immer da. Vor Begegnungen noch mehr als durch und nach ihnen. Das war schon immer so. Von Ur an. Die Frage lautet: Wo und wie Chancen der Begegnung wahrnehmen. Nicht die Landkarte mit den Distanzangaben, sondern das Unterlaufen der vermeintlichen oder realen Distanz soll im Zentrum kirchlichen Denkens und Handelns stehen.
    Unterlaufen von Distanz kann leicht aufdringlich klingen, vielleicht sogar bergriffigkeit und Vereinnahmung vermuten lassen. Die Gefahr von Aufdringlichkeit muss mit im Bewusstsein bleiben. Mit diesem Vorbehalt gilt es aber sorgfältig und offen, neugierug und mit Interesse, mit Freude und Mut, auf Menschen zuzugehen, ihnen zu begegnen, sie fragen, was sie bewegt was sie beflügelt oder ihre Flügel lähmt, herausfinden auf welcher Flughöhe sie fliegen und was ihnen fehlt, was sie brauchen und nötig haben, was sie vom Leben erwarten und worunter sie leiden, was sie hoffen und wem sie vertrauen. Das wäre doch auch heute die Aufgabe der Kirche. Und Kirche sind alle, die sich mehr oder weniger ihr zugehörig fühlen, und vielleicht sind es morgen auch noch all die, die nur darauf warten, von einem offenen Menschen gefragt zu werden, was ihn, was sie unbedingt angeht.
    Wer ist mein Nächster? Die Frage entlarvt Rabbi Jeschua ben Maria weJoseph als falsch gestellt. Sie lautet, wem werde ich Nächste(r).

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  • Hans-Peter Geiser ZH Pfarrer Dr. theol. M. Div.
    Gepostet um 10:47 Uhr, 04. Dezember

    Meine Güte … wie schönfarbig und schönfärberisch wir doch praktisch theologisch und „religionstheoretisch“ werden können … ZKE, SG und andere …

    Vor kurzem sass ich im IC 5 Zug von Genf nach Aarau – symbolisch passend zu Genf – vor vier solchen „Distanzierten“. Irgendwie kamen wir spätnachts vor Mitternacht ins „kirchentheoretische“ Gespräch. Alle noch „drin“. Alle „zahlen“ noch. Keine/r wusste so recht … „warum“.

    „Fürs Soziale …“ „Aus Tradition“ … „bisher zu faul das Austrittsschreiben zu schreiben“ … die klassischen Antworten ohne gescheite Religionssoziologie, die noch Unbewusstes auf der „Religionscouch zutiefst versteckter Bedürfnisse“ post-freudianisch zu entdecken sucht und findet . Ansonsten „religiös völlig unmusikalisch“ (junger Habermas vor dem alten …).

    Nach Korrektur von ein paar Falschbildern – sprich wunschdenkenden Projektionen“ auf SBB’s GA Gratis-Couch in Hochlehne – etwa zum „Sozialen“ … und wie ASOZIAL im Realen CH Kirchen wirklich sind, meinten fast alle vor Mitternacht, im Grunde seien die 98% Nicht–Mehr-Zahlenden in Genfs radikal laizisierten areligiösen Gesellschaft – Religion einzig als Prêt-à-Porter private Hausmode der letzten Mohikaner/innen von 2% Religion Zahlenden – sei wohl doch konsequent ehrlicher.

    Mit Jesu Vision einer neuen und ANDEREN Welt habe beides nichts mehr gemeinsam.

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  • Samuel Burger
    Gepostet um 12:57 Uhr, 04. Dezember

    Das Problem der sog. «Distanzierten» wirft eine grundsätzliche Frage auf, die m.E. in der Kirche viel zu wenig intensiv diskutiert wird: Was ist unser Zentrum, unsere Mission? Begonnen hat es ja mit der Jesus-Bewegung, und das Neue Testament ist die Bibel einer endzeitlichen Sekte am Rande des Judentums. Dass 2000 Jahre später völlig andere Lebensfragen vorherrschen, die in diesen Schriften nicht beantwortet werden, überrascht nicht, ist aber der Hauptgrund für die Distanz. Die grosse Frage ist nun: Ist die Kirche als Trägerin einer antiken Erlösungsreligion obsolet, seit Erlösung in ihrem Sinn kein Bedürfnis mehr ist? Muss sie, um sich nicht untreu zu werden, trotz allem an ihrem Kern festhalten und vielleicht einmal aussterben – oder muss sie sich als Dienstleistungsbetrieb verstehen, der ungeachtet seiner Tradition die religiösen Bedürfnisse befriedigt, welche ihre Kunden momentan gerade nachfragen? Und gibt es dazwischen überhaupt einen Mittelweg? Ist nicht zwischen einer Auslegung, welche versucht, die biblische Tradition in heutigem Licht zu sehen und einer Theologie, die radikal bei den menschlichen Bedürfnissen ansetzt, heute ein unüberbrückbarer Graben entstanden? Über solche Fragen sollte man sich unbedingt viel mehr den Kopf zerbrechen.

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 21:40 Uhr, 04. Dezember

      Welche „biblische Tradition“? – Und in welchem „heutigen“ Licht gesehen? Und welcher „Graben“? War nicht die ursprüngliche religiöse Praxis vielleicht wirklich eine, die radikal bei den menschlichen Bedürfnissen ansetzte? Und sollte Theologie dann radikal davon abweichen?

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      • Samuel Burger
        Gepostet um 10:50 Uhr, 05. Dezember

        Ja, ich denke, dass die religiöse Praxis ursprünglich bei den wirklich brennenden Bedürfnissen ansetzte. Sie wurde über die Jahrhunderte theologisch und architektonisch in Beton gegossen bzw. in Stein gehauen, und heute müssen wir uns fragen, wonach wir uns richten: Nach diesen alten Traditionen oder nach den neuen Bedürfnissen. Und wenn wir Letzteres tun, ist die Frage, was daran denn noch christlich ist, Tun das nicht alle anderen auch und sogar noch besser? Das sind für mich kirchlich existezielle Fragen.

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        • Corinne Duc
          Gepostet um 12:35 Uhr, 05. Dezember

          Liegt das Problem vielleicht bei uns selber wenn wir meinen, weil sie („die biblische[n] Tradition[en]“?) „theologisch und architektonisch in Beton gegossen bzw. in Stein gehauen“ worden seien, müssten wir sie als solche, starre Überlieferung annehmen?
          Dabei sind diese Texte doch voller Motive, welche da wiederlegt, dort wiederaufgenommen, teils anders weiterentwickelt und daher eine breite Vielfalt von Ansichten, Reflexionen und Überzeugungen (wenigstens ausschnittsweise) wiedergeben, die es im Grunde offenbar längst schon gegeben hat?

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 11:49 Uhr, 08. Dezember

        Ja genau: Menschliche Bedürfnisse sollen wieder vermehrt im Zenzrum stehen. Die Überformungen auch gerade biblischer Texte in ihren Interpreationen und Wirkungseschichten müssen radikal hnterfrage werden und ein Rückbau sollte stattfinden: Hin zur Dynamik der Jesusbewegung und weg von der Tradition!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 07:42 Uhr, 05. Dezember

    Ich liebe Ihre Kommentare, Frau Duc ?!
    ?? ????

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  • Carsten Ramsel
    Gepostet um 22:54 Uhr, 05. Dezember

    Sehr geehrte Frau Behringer,
    vielen Dank für Ihre interessanten Überlegungen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, möchten Sie in Zukunft zwei Dinge erreichen: a. eine Wandlung der Reformierten Kirche in der Schweiz und b. eine stärkere Einbindung ihrer (distanzierten) Mitglieder in diesen Prozess. Dabei ist mir das Ziel oder Zweck dieser zwei Punkte ziemlich unklar – mehr Mitglieder, stärkere Bindung der Mitglieder, größere gesellschaftliche oder politische Relevanz, religiös-christliches Revival?

    Soweit ich die Religionslandschaft der Schweiz noch kenne, sprechen mindestens zwei empirische Befunde gegen ihr Vorhaben. 1. die einzigen christlichen Denominationen, die in der Schweiz an Mitgliedern gewinnen sind jene, die ein entschiedenes Angebot machen. Sie fragen ihre Mitglieder nicht und sie kennen auch keine „Distanzierten“. Nennen wir sie der Einfachheit halber – Evangelikale. (Man möge mich bitte an dieser Stelle mit theologischen Feinheiten verschonen; ich weiss um die theologische und soziologische Problematik des Begriffs) Wenn ich einen säkularen Vergleich anstellen darf, der Erfolg von Apple liegt darin begründet, dass Apples Kundinnen und Kunden nicht gefragt werden, was sie kaufen wollen, sondern Apple legt fest, was die Leute kaufen werden. 2. Gegeben Stolz’ Analyse in „Die Zukunft der Reformierten“ trifft zu, kennen wir sowohl das „Wovon“ der Distanzierung als auch das „Warum“ (hier nur relational und nicht kausal zu verstehen). Die Distanzierten haben sich sowohl von den christlichen Glaubensinhalten als auch von den Praktiken distanziert. Als wichtigster Faktor nennt Stolz die abnehmende religiöse Erziehung. Ich würde seine These gerne durch die Behauptung verschärfen, dass es an der sinkenden Bedeutung der religiösen Erziehung liegt, die schon in der Nachkriegsgeneration begonnen hat.

    Für mich als Säkularer haben diese Beobachtungen, sollten sie stimmen, eine doppelte Pointe. 1. Die politische und gesellschaftliche Akzeptanz der Reformierten Kirche in der Schweiz gründet auf ihrer liberalen (religiösen) Haltung und lässt sie weiter schrumpfen. 2. Eine Hinwendung zu anderen (als christlichen) Formen der Religiosität macht sie vielleicht für eine gesellschaftliche Mehrheit attraktiver, entfernt sie allerdings vom „Kern“ reformierter bzw. christlicher Religiosität, worin dieser auch immer bestehen mag.

    Freundliche Grüsse
    Carsten Ramsel

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 16:33 Uhr, 06. Dezember

      @1: Aber es wäre doch naiv anzunehmen, Apple würde sich dabei nicht an (wie indirekt auch immer eruierten bzw. mutmasslichen) Kundenbedürfnissen orientieren?
      @2: Distanzierung von irgendwelchen historisch gewachsenen Traditionen bedeutet nicht unbedingt Distanzierung von eigentlichen Kernanliegen. Übrigens wird bereits in Jes. 8,23 Galiläa als Land der Heiden bezeichnet; typischerweise hielt man dort wohl nicht so viel von dem was jene behaupteten und einfordern wollten, die sich für besonders nah an (bzw. als die Vertreter) der richtigen Tradition hielten. Vielleicht könnte man sogar sagen: Zum christlichen Wesenskern gehört auch eine besondere Offenheit zu den „Völkern“ und den (anderen) Distanzierten.

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  • Carsten Ramsel
    Gepostet um 22:00 Uhr, 06. Dezember

    Frau Duc,
    1. Benötige ich ein kleines Notebook für CHF 1’400? Nein! Trotzdem besitze ich ein Macbook Air. Also entweder weiss Apple mehr über meine Bedürfnisse als ich oder ich bin – verzeihen Sie mir bitte meine Wortwahl – besch… worden. Ich tippe auf Letzteres. Apple ist es gelungen mit seinen Produkten einen Lifestyle und ein positives Lebensgefühl zu kreieren. Außerdem ist es definitiv nicht mehr cool, hipp, in usw., Mitglied der Reformierten Kirche zu sein. Heute ist es hipp Buddhist*in oder zumindest evangelikal zu sein.
    2. Halten Sie den Gottesglauben für eine historisch gewachsene Tradition oder für ein reformiertes Kernanliegen?
    3. „Zum christlichen Wesenskern gehört auch eine besondere Offenheit zu den „Völkern“ und den (anderen) Distanzierten.“ Ging es Frau Behringer in ihrem Beitrag um diese „besondere Offenheit“ – die Kritik an dieser Behauptung erspare ich Ihnen und mir – oder um etwas Anderes?

    Freundliche Grüsse
    Carsten Ramsel

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 01:53 Uhr, 07. Dezember

      Lieber Herr Ramsel
      Stellen Sie sich mal vor Apple wäre bei den alten schweren Kisten geblieben. Klar gäbe es ein paar Verwegene die auf ewig dieser alten Tradition die Treue halten möchten. Aber wenn das verbreitete Bedürfnis nach kleinen, leichten (und daher auch weniger ressourcenaufwendigen), mobilen Geräten nicht berücksichtigt worden wäre dann würde das Geschäftsmodell wohl bald mal zum Auslaufmodell. Das ist natürlich nur eine Hypothese. Und erst recht kann ich nicht beurteilen ob Sie zu den Menschen gehören die eigentlich gerne eine riesen Kiste gehabt hätten aber stattdessen es vorzogen etwas zu kaufen das als (und nur weil es als) hipper gilt.
      Ich kann auch nicht erahnen ob sie für „den Gottesglauben“ eine bestimmte Definition oder ein spezifisches Konzept voraussetzen. Ich verstehe den Begriff zuerst einmal als extrem weit und offen. Ob „Gottesglauben“ im Kontext einer (spezifischen?) historisch gewachsenen Tradition betrachtet wird oder als etwas, das einem (spezifischen?) Kerngehalt reformierter Glaubenshaltung ausmacht, kommt dann umso mehr auf den Zusammenhang an. Da ich annehme dass Sie Bezug nehmen auf was ich weiter oben deponiert habe: Mir ging es eher um letzteren Aspekt, nämlich den Bezug auf die Idee von Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Wohlwollen – nicht weil es so tradiert worden ist oder wäre, auch nicht in Abhängigkeit von historisch hinzugwachsenen Ritualen die mittlerweile als typisch christlich gelten mögen, sondern eben vom wesentlichen Gehalt her (auch selber kritisch und offen denken sollte man ja nicht einfach weil bzw. nur wenn es Tradition ist, sondern weil es das einzig vernünftige Mittel ist); und vor allem meinte ich: wenn man sich von den rituellen Traditionen (wie sonntags um 10h den traditionellen Gottesdienst besuchen oder an Weihnachten die Kerzlein anzünden oder das Apostolikum aufsagen usw) distanziert oder solche historisch gewachsenen traditionellen Rituale einfach nicht braucht, impliziert das nicht per se eine Distanzierung von Gottesglaube bzw. Kernanliegen im ersten Sinn. Wobei sich „Kernanliegen“ und „rituelles/historisch gewachsenes Beigemüse“ in der konkreten Ausgestaltung nicht absolut trennen lässt – aber vielleicht sollten wir vermehrt eben diese Frage stellen: Worum geht es hier eigentlich? – Nicht auf dass diese Frage in wenigen Worten abschliessend zu beantworten wäre (gar von jedem Menschen auf die gleiche Weise); sondern vielmehr in der Offenheit anzunehmen und zu berücksichtigen, dass jeder Mensch in jeder Lebensphase wieder eine etwas andere Antwort geben kann.
      Auch was Sie hier unter „Offenheit“ verstanden oder nicht verstanden haben möchten kann ich nicht so einfach erraten – vielleicht können wir so weit einen gemeinsamen Begriff finden: Eine Kirchgemeinschaft, die darauf beharrte dass Teilnahme an jenen Ritualen, welche als die historisch gewachsene Tradition gelten, als verbindliches Kriterium für die reformierte Praxis zu gelten habe, nicht als offen gelten könnte.
      Vielleicht ist Ihre Sorge dass „Offenheit“ hier bedeuten könnte dass man doch buddhistische, shintoistische und ebenso noch viele andere religiöse Rituale – anstelle der (oder neben den) heute als traditionell geltenden – einführen könnte.
      Die Frage ist mE einfach, ob oder inwiefern es zum Kernanliegen passt. Meditieren, tanzen, diskutieren oder sich künstlerisch betätigen in der Kirche? – Warum nicht, so nebenbei oder ab und zu (ich muss zum Glück ja nicht hin wenn ich nicht mag)? Hauptsache die Menschen finden irgendwo trotzdem was sie brauchen.

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