Kirche zwischen Populismus und Volksnähe

Populismus ist in! Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Und die müssen es ja wissen. Kaum ein Tag, an dem nicht einer, dessen Name nicht genannt werden soll, etwas unsäglich Dummes oder Arrogantes daher zwitschert, dass man denkt, der Mann hat ein Spatzenhirn oder einen Vogel. Es sind auffällig viele Subjekte auf der Weltbühne, die sich rühmen, volksnahe zu politisieren. Und was sie alles tun, um es zu beweisen! Sie lieben es, in sibirischen Flüssen barbusig zu fischen, Babys zu küssen und Fahnen zu schwingen.  Und wehe, es wagt jemand zu widersprechen. Dann sind die Majestäten beleidigt. Was den überzeugten Demokraten beunruhigt, sind weniger die Vögel als die Tatsache, dass der Populist Macht hat, weil er vom Volk gewählt wurde.

Es ist natürlich klar, was die Kirche zu alldem zu sagen hat. Zumal unsere Kirche, die nicht einmal ein Bischofsamt kennt geschweige denn einen populären Papst hat. Wir dürfen auf den tiefsitzenden antiautoritären Instinkt des Kirchenvolkes zählen. Wir sind eine volksnahe Kirche, nennen uns „Volkskirche“ und rühmen uns, nahe bei Gott und den Menschen zu sein! Von dem, was der Geföhnte zwitschert und die Jeanne d’Arc-Imitation ihrer Nation verspricht, halten wir gar nichts. Bei uns gilt die Devise: Selber denken oder aufs Jubiläum hin: quer denken, frei handeln und neu glauben. Wer das ernst nimmt, kann keine Populistin sein. Und wer mit Ernst ein Christenmensch sein möchte, erst recht nicht.

Das Dumme ist nur, dass dieses volkstümliche Selbstbild ein wenig ambivalent ist. Sind wir wirklich so schaurig viel smarter? Auch wer selber denkt, kann sich irren. Im Evangelium hat das Volk jedenfalls eine zwiespältige Rolle. Einmal jubelt es „Hosianna Sohn Davids“ und dann skandiert es „kreuziget ihn“. Und meint zweimal denselben! Das geht kreuz und quer. Möglicherweise ist auch unser Hohelied auf die individuellen Querdenker ein volkstümliches Lippenbekenntnis? Wir sind doch alle lieber quer und originell als traditionell und gebunden. Oder nicht? Jedenfalls ist es ganz und gar nicht populär, sich für das alte Bekenntnis einzusetzen.

Wenn „die Kirche“ nur noch nahe „bei den Menschen“ sein will, bekommt sie es mit dem Völkischen im Volk zu tun. Dann hat sie sich schon ziemlich weit von dem entfernt, was Nachfolge meint und ist dem Populismus viel näher, als sie meint. Natürlich! Slogans dürfen nicht zu quer sein. Sonst rutschen sie nicht runter. Populisten wissen das. Sie sind Meister der einfachen Sprache. Sie buhlen um die Gunst des Publikums mit Schlagworten und Stereotypen. Sie bedienen Klischees.

Der SEK-Slogan gefällt mir und der Spruch von der Kirche, die nahe bei den Menschen und nahe bei Gott sein möchte, ist auch okay. Aber es liegt an uns, ob uns die Sprüche, die wir über uns klopfen, im Hals stecken bleiben müssten – weil sie mehr Propaganda als Bekenntnis sind. Das ist doch die wahre Crux. Es liegt an uns, dem Gott die Treue zu halten, der alle Majestätsbeleidigungen auf sich genommen hat –  um uns näher zu sein, als wir uns selbst sein können. Darum brauchen auch wir Erzdemokraten diesen und keinen anderen König.

Ach ja, die Spatzen! Die sind manchmal einsam (Psalm 102) und nisten doch in den Vorhöfen des Tempels. Sie sähen nicht und ernten nicht, und doch sorgt Gott für sie (Mt 6). Und weil Gott ein Herz für Vögel hat, denke ich: Wenn einer so dummes Zeugs zwitschert, wie der, dessen Name ich nicht nennen will, sage ich zum Schluss ganz und gar unkorrekt:  Hoffentlich schiessen die Amis bei der nächsten Wahl den Vogel ab. Und hoffen wir auf alle, die wirklich quer denken, frei handeln und neu glauben.

Vive la République!

…und für alle, die ab und an an das Schweinekommitee der „animal farm“ denken müssen und denen ein Kirchern mal wieder gut täte: Ernst Jandls Gedicht.

 

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8 Kommentare
  • Claudia Mehl
    Gepostet um 07:34 Uhr, 02. Mai

    Lieber Ralf, vielen Dank fuer diesen wichtigen und zum Nachdenken anregenden Artikel, . Du sprichst mir aus dem Herzen. Zudem, wie man es von dir kennt sehr pfiffig geschrieben.

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 10:42 Uhr, 02. Mai

    Ja, gut gezwitschert!

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 11:12 Uhr, 02. Mai

    Der Artikel ist mir ehrlich gesagt, zu „schwabbelig“, weil irgendwie zwischen „evangelikal“ (Bibelzitate) und „kirchenkritisch“ angelegt. Vielleicht liegt es auch daran, dass für mich so ernste Themen nicht „kabarettartig“ behandelt werden sollten. Obwohl der Artikel teils ganz lustig und „süffig“ daherkommt.

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  • Samuel Burger
    Gepostet um 11:14 Uhr, 02. Mai

    Das ist doch genau das Problem: Heute werden nur noch die in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen, die mit grosser Überzeugung einfache Unwahrheiten verbreiten. Wie reagieren wir als Kirche darauf? Machen wir mit? Resignieren wir davor? Oder kritisieren wir diese Umstände lauthals, ohne bessere Alternativen anbieten zu können? Es geht ja dabei nicht nur um Klicks in den sozialen Medien, es geht auch darum, ob und wie die Menschen vor Ort die Kirche wahrnehmen, ihre Angebote nutzen und sich engagieren. Das gibt mir im Moment ziemlich zu denken…

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  • Claudia Mehl
    Gepostet um 15:49 Uhr, 02. Mai

    Das Thema ist in der Tat sehr ernst. Meine Erfahrung ist aber, dass man vor allem bei sehr ernsten Themen mit Humor, freilich auf intelligente Art und Weise, oft mehr erreicht als mir trockener Moral.

    Wie heisst es so schön:: ‚Humor ist die höchste Form von Spiritualität‘.

    Sich zurücknehmen, sich selbst nicht ganz so wichtig nehmen. Vielkeicht sollten wir uns alle, ob Populist oder nicht, darin etwas mehr üben. ?

    Den ‚biblischen Einwand‘ fand ich im Übrigen sehr treffend. So funktionieren wir ja alle heute noch.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 06:09 Uhr, 03. Mai

    „der Geföhnte zwitschert“ – grandios ?!

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 11:03 Uhr, 03. Mai

      Mir hat diese Formulierung auch gefallen: Bravo Ralph!

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  • Mike Chudacoff
    Gepostet um 17:26 Uhr, 03. Mai

    Ein möglicher Gegenspieler desjenigen, den Sie nicht nennen möchten, ist ebenfalls Republikaner, nennt sich indessen einen positiven Populisten: John Kasich, praktisch veranlagter Gläubiger und Gouverneur von Ohio. Kasich erklärt, wie er die Fronten in der amerikanischen Politlandschaft überwinden möchte, in der Daily Show auf:
    https://www.youtube.com/watch?v=0Qw3Lhc_zt8&feature=youtu.be

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