Kontaminiertes Christentum?

Pardon, ich bin Christ?!

Würde ich mich als Christ bezeichnen? Vielleicht eher nicht. Zwar bin ich stolz auf meine Arbeitgeberin, die Reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, nehme innerlich und manchmal sogar durch Präsenz Anteil am Gemeindeleben in unserem Quartier, bete mit meinen Kindern und möchte dass sie die biblischen Geschichten kennen. Aber eine Selbstbezeichnung als Christ?

Was denkt mein Gegenüber von mir, wenn ich mich als Christ oute? Dass ich meine, die Welt sei vor rund 6000 Jahren von Gott in sechs Tagen erschaffen worden? Die Frau sei die von Gott eingesetzte Hilfe des Mannes, homosexuelle Beziehungen ein Gräuel, Schwangerschaftsabbruch Mord, Krankheit und Armut Prüfungen des Lebens, die im Gebet bewältigt werden wollen und „der Islam“ die letzte Prüfung vor dem Tausendjährigen Reich? So arg mag es nicht sein. Aber es stimmt schon, ich möchte sagen: „Ja, schon, ich bin Christ. Aber… nicht wie die vom Gellert, nicht wie die Evangelikalen, nicht wie die Kreationisten, nicht wie die Prosperity-Gospel-Leute, nicht wie die Trump-Wähler, nicht wie die Islamophoben. Und auch nicht wie…“

Selbstbezeichnung und Zeugnis

Das Problem liegt nicht nur darin, dass das Christentum kontaminiert ist mit historischen, politischen und oft deswegen auch biografischen Abfallprodukten. Das Problem ist vorallem, dass der Gestus der Selbstbezeichnung die Zuordnung zu diesen Abfallprodukten selbst befördert. Man darf Schweizerin sein. Wer aber die nationale Zugehörigkeit zu einem Identitätsmerkmal stilisiert, wird verdächtig. Man darf Christ sein. Wer sich aber öffentlich und sogar unbefragt als Christ thematisiert, gibt – ob er nun will oder nicht – mehr und anderes Preis, als seine konfessionelle Zugehörigkeit.

Das wiederum gefällt natürlich den besonders Frommen: Sie „wissen“ ja, dass die Christus-Nachfolge sie etwas kostet, dass „die Welt“ sie dafür nicht belohnt, sondern verfolgen wird aber auch, dass sie damit „himmlische Schätze“ anhäufen. Diese paar Jahre Windhauch erträgt man doch, wenn man eine ganze Ewigkeit vor Augen hat… Das Imageproblem ist also im besten Sinne hausgemacht, Ergebnis einer bestimmten Deutung der eigenen Tradition.

Ein Gütesiegel

Nun mag man angesichts dieser für viele misslichen Lage versucht sein, Labels und Gütesiegel einzuführen. Landeskirche – nicht Freikirche. Evangelisch – nicht evangelikal. Öffentlich-rechtlich anerkannt – kein Privatverein. Pfarrperson universitär ausgebildet – keine Bibelschule. Und dann kann man sich abgrenzen, öffentlich Stellung gegen diese Verirrten beziehen, sich als Religionsexperte hervortun, der für die bürgerlichen und kulturellen Grenzen und Werte gelebter Religion einsteht. Und natürlich muss man diese „anderen“ aus den eigenen Reihen ausschliessen. Nur: Gerade dann macht man das Spiel „der anderen“ mit, internalisiert die Polarisierung zwischen Kirche und Welt, Glaube und Unglaube.

Herz zeigen, bis der Arsch aus dem Bild verschwindet

Wenn wir Kirche – und zwar weltweite, ökumenische Kirche – als einen Leib mit vielen Gliedern (1. Kor 12, 12f) verstehen, dann gibt es einen anderen Weg: Statt sich darüber aufzuregen, dass „wir“ immer den Hintern in die Kamera halten, könnten wir „Herz“ zeigen – solange bis unser Gesicht wieder ansehlich wird. Dafür braucht es aber Menschen, die – nicht wie stolze Schweizer und Schweizerinnen, sondern wie Menschen mit Heimweh – von sich sagen, dass sie Christinnen und Christen sind. Als ob es selbst-verständlich wäre. Und dann vielleicht immer noch weniger durch das, was wir sagen, als durch das, was wir sind.

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43 Kommentare
  • Daniela Boelsterli
    Gepostet um 07:09 Uhr, 02. Februar

    Sehr schön getroffen. Diese Gedanken kenne ich gut.. Es ist auch meine alte Frage: Wo resp. wann will ich dazugehören (zur Kirche) und wo, wann (und weshalb) eben gerade nicht? Sie haben mir mit diesem Text eine grosse Freude gemacht, vielen Dank.

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  • Markus Saxer
    Gepostet um 07:31 Uhr, 02. Februar

    Christ sein, kurz gefasst daran zu glauben, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist am Kreuz für meine Schuld gestorben und von den Toten auferstanden ist doch vorerst eine Angelegenheit zwischen mir und Gott. Was also soll die Abgrenzung zu denen vom Gellert oder den Evangelikalen oder sogar Freikirchen? Ich brauche nicht Rechenschaft abzulegen dafür. Wen ich ob von der Kanzel aus oder im Gespräch dazu einlade sich in meinem Glauben umzusehen, hat das bisher immer mit Respekt getan (ein paar Deppen gibt es ja bekanntlich immer) . Ich fordere diesen Respekt auch deutlich ein und respektiere aber im Gegenzug andere Positionen. Sogar wenn es jemmersbhüetisnein solche vom Gellert sein sollten. Immerhin führen die einen dritten Gottesdienst pro Sonntag aus Platzgründen ein, offenbar machen die etwas besser, attraktiver oder Menschengerechter. Ich lasse mich gern belehren ob es das auch irgendwo in einer nicht Gellert Variante gibt.

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    • michael vogt
      Gepostet um 07:47 Uhr, 02. Februar

      mit den paar gellert-zeilen, die ich gelesen habe, kann ich etwas anfangen: nicht nur die frauen, die kinder gebären, sind berufen, leben zu gebären – und ich möchte auch gerne dazu berufen sein. dann unsere städte, die sind ja echt nicht besser als sodom und gomorra – weniger das feuer und schwefel auf sie harabkommt, aber aus ihnen, bekannt geworden als co2, aufsteigt.

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    • stephan jütte
      Gepostet um 08:39 Uhr, 02. Februar

      lieber herr saxer,
      natürlich, so lange das christentum „privat“, also „eine sache zwischen gott und mir“ ist, gibt es kein problem. nur würde ja ein mensch, auf den dies zutrifft, auch kein selbstbezeichnungsproblem kennen, oder? mir geht es aber darüberhinaus um ein imageproblem, das entsteht, wenn nur noch evangelikale verkünden und alle andern sich nur noch daran abarbeiten, anstatt selbst etwas zu formulieren.

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  • Anonymous
    Gepostet um 07:32 Uhr, 02. Februar

    herkunft als zugang zum ganzen

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  • michael vogt
    Gepostet um 07:35 Uhr, 02. Februar

    herkunft als zugang zum ganzen

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 07:39 Uhr, 02. Februar

    Weshalb nicht, wie von Reinhard Rolla auf dieser Seite immer wieder vorgeschlagen, den Begriff ‚Christ/in einfach gänzlich fahren lassen und stattdessen sich sls ‚Jesuaner/in‘ bezeichnen? Das würde von der Last der Dogmatik wie der Tradition entlasten und frei machen für befreites und befreiendes Handeln im Sinne des Nazareners!

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    • michael vogt
      Gepostet um 08:32 Uhr, 02. Februar

      das i hat eine ähnliche wirkung auf uns wie die 1. das e hat eine ähnliche wirkung auf uns wie die 2. meine lieblingszahl ist die 2. die 1 möchte ich aber als herausforderung nicht missen.

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    • stephan jütte
      Gepostet um 08:45 Uhr, 02. Februar

      liebe frau gisler,
      …weil ich nicht glaube, dass mein christsein in -von dogmatik- befreitem handeln aufgeht, sondern auch der freiheit von mir selbst bedarf. und die gibt es nicht durch die nachfolge, sondern als gnadengabe, die nachfolge erst ermöglicht. jesusnachfolge bleibt sonst eine moralinsaure projektion.

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 10:23 Uhr, 02. Februar

        Ich liebe Saures Herr Jütte!

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        • michael vogt
          Gepostet um 06:21 Uhr, 03. Februar

          🙂 – aber moralinsaures? die befreiende wahrheit offenbart sich wann, wo und wie sie will. dass es jesuanerInnen gibt, erscheint mir als logisch. von dem vielen, was man dazu sagen könnte eines: wie kann die wand, die uns vom leben trennt, abgebaut werden? vokale lösen sie in einer substanz auf. das ist aber nicht immer möglich. die konsonanten versetzen sie mit ihrem ereignischarakter in eine vibration, so dass sie dann in einer substanz aufgelöst oder sonst abgebaut werden. der name jesus ist mehr den vokalen zugeordnet, die auszeichnung christus mehr den konsonanten. der name jesus ist relativ leicht auszusprechen. anders das wort christus: zwischen dem obersten bewusstseinszentrum, das vom chri berührt wird, und dem zweitobersten, findet sich ein widerstand. die frage, ob wir jesus sagen oder christus, entscheidet sich nicht zuletzt daran, ob das chri diesen widerstand zu wandeln vermag, oder ob er damit negativ verfestigt wird. so wie das chr das i verstärkt, verstärkt da st das us, das das zweitunterste bewusstseinszentrum berührt, durch das vermittelt das i, das zugleich mit dem obersten auch das unterste bewusstseinszentrum aktiviert – ausser dem in der mitte liegen diese zentren ja alle auf einem kreis – , das wort begründet, und zwar sehr gut begründet, so wie der name jesus es nicht kann. dieser name begünstigt aber tatsächlich den fluss des handelns. dem obersten bewusstseinszentrum entspricht das arationale, integrale bewusstsein: die freie beziehung zu rationalen und praerationalen inhalten und ihre integration. den namen jesus würde ich mehr dem rationalen bewusstsein zuordnen und den ihm vorangehenden bewusstseinsformen, deren aller vollständige integration erst durch das arationale, integrale geschieht. das wort christus ist für mich seit meiner kindheit eine erfahrung, die zuerst einmal nichts weiss von einem zum könig der juden gesalbten sohn eines vaters. und was es zuerst ist, ist es, nehme ich an, auf eine etwas andere weise – nicht mehr an sich, aber an und für sich – auch zuletzt.

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          • michael vogt
            Gepostet um 06:56 Uhr, 03. Februar

            „abgebaut werden kann“, muss es heissen (nicht die konsonanten werden abegbaut 🙂 ) und „verstärkt das st das us“

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          • michael vogt
            Gepostet um 06:57 Uhr, 03. Februar

            den wollte ich 😉

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  • Samuel Burger
    Gepostet um 08:43 Uhr, 02. Februar

    Das mit dem Heimweh gefällt mir. Wir sind als ChristInnen unterwegs, nicht zu Hause. Wann immer man sich zu sehr zu Hause fühlte, kontaminierte man Christentum mit Giften wie Macht, Stolz, Überheblichkeit, Respektlosigkeit, Unehrlichkeit etc., und zwar schon seit 2000 Jahren. Und wenn wir innerlich unterwegs sind, machen wir uns auch äusserlich auf den Weg.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:57 Uhr, 02. Februar

    Alle Religionen sind doch als auch weltliche Gebilde kontaminiert. Aber wir arbeiten uns tatsächlich speziell dran ab, vermutlich auch wegen des Holocausts in einem „christlichen“ Land. Das ist auch richtig so. Und doch ist es längst nicht alles. ChristIn sein auch wie Sophie Scholl, Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King, Cicely Saunders, Franz von Assisi undundund … und vor allem wie alle die vielen namenlosen ChristInnen, die Christus nicht nur lauthals bekannt haben, sondern Herz und Gewissen gefolgt sind, auch wenns eng wurde. Die gibts nämlich auch. In diesem Sinne kann ich Stephan nur Recht geben: mehr Herz, mehr Bekenntnis durch unser Sein und Tun.

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  • Christof Bauernfeind
    Gepostet um 09:07 Uhr, 02. Februar

    Lieber Herr Jütte, die Frage ist doch, was für Sie das Christentum ausmacht. Was ist der Kern Ihres Glaubens? Warum arbeiten Sie in der Kirche? Das sind doch die Fragen die einen hinsichtlich der Selbstbezeichnung „Christ“ beschäftigen sollten und weniger die ständige angstvolle Frage „was könnte die anderen von mit denken?“, von der manche Teile der Landeskirche geradezu besessen zu sein scheinen. Wenn Sie nur ein Problem mit der Bezeichnung „Christ“ haben, weil es soviele andere „schlimme“ Christen gibt, wie z.B. „die vom Gellert“, die Sie offenbar als „Kontamination“ betrachten, dann sollten Sie vielleicht wirklich auf die Bezeichnung verzichten.

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    • stephan jütte
      Gepostet um 09:18 Uhr, 02. Februar

      lieber herr bauernfeind,
      zunächst: wie bösartig mir zu unterstellen, dass ich das gellert als kontamination bezeichne! aber in der tat: ich drücke mein christsein anders aus. dass sie jetzt von mir ein bekenntnis verlangen, ist irgendwie irritierend. aber bitte, nicht nur sie, auch der petrusbrief tut das ja: ich glaube an gott, wie er sich in der mitmenschlichen zerbrechlichkeit jesu gezeigt hat. hoffe, dass angesichts dieses gottes nicht der tot und alles was tötet das letzte wort über mein und unser aller leben haben wird. und ich wünsche mir, dass auch mich diese hoffnung befreit, um jetzt schon das was tötet, zu vermeiden, das leben und den lebendigen gott zu feiern, als ob…

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  • angelawaeffler
    Gepostet um 10:07 Uhr, 02. Februar

    Lieber Stefan
    Danke für deinen Artikel, der mir sehr aus dem Herzen gesprochen ist – mit einer kleinen Variante:
    ich sage nicht mehr: „Ja ich bin Christin, aber nicht wie …“ sondern versuche zu sagen, „Ja, ich bin Christin, weil…“
    Dann kann ich erzählen, wie ich mir Gott so vorstelle, wie die Bibel Alten wie Neuen Testaments erzählt;
    wie ich mich angesprochen fühle von Gott als einem Gegenüber, als einem Du – manchmal in einer hierarchischen Abhängigkeit, in der ich mich geborgen fühlen kann (elterlich, königlich, schöpferisch), manchmal ebenbürtig auf Augenhöhe (als BundespartnerIn, geschwisterlich, freundschaftlich, menschlich), manchmal als Herausforderung zur selbstverantwortlichen Autonomie (geistlich, weisheitlich, liebend, ordnend).
    So versuche ich zu vermeiden, mich von anderen abgrenzen zu müssen und dafür positiv zu sagen, was meinen christlichen Glauben prägt. Dass ich dabei auf zwei alte Bilder der Kirchengeschichte zurückgreife, auf die Trinität und die ZweiNaturen-Lehre, brauche ich nicht bekenntnishaft vor mir herzutragen 🙂

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  • Christof Bauernfeind
    Gepostet um 10:27 Uhr, 02. Februar

    Ich möchte ihnen sicher nicht zu nahe treten und ein „Bekenntnis“ von ihnen fordern (das was sie geschrieben haben ist aber schön). Ich denke lediglich: wenn diese Fragen für mich persönlich nicht im Vordergrund stehen, dann macht es wenig Sinn, mich öffentlich als „christ“ zu bezeichnen. Zu Begriffen: „Kontaminiert“, „Abfallprodukte“, „diese Verirrten“, die bringen Sie im Text natürlich in Zusammenhang mit „den besonders Frommen“, die sich angeblich darüber freuen, „die vom Gellert“, „die Evangelikalen“. Das sind schon ganz schön deftige Ausdrücke, die Sie da verwenden! Daraus ergibt sich eigentlich, dass ihr Glaube offenbnar auf einer höheren Stufe steht. Rein ist, von diesem „Abfall“. Davon werden sie sich vielleicht distanzieren, aber die Tonlage ist doch eindeutig und eigentlich genau das, was sie diesen „Verirten“ vorwerfen.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 10:39 Uhr, 02. Februar

      Herzlichen Dank für Ihre Präzisierung! Als ich schrieb: „Aber es stimmt schon, ich möchte sagen: „Ja, schon, ich bin Christ. Aber… nicht wie die vom Gellert, nicht wie die Evangelikalen, nicht wie die Kreationisten, nicht wie die Prosperity-Gospel-Leute, nicht wie die Trump-Wähler, nicht wie die Islamophoben. Und auch nicht wie…“, meinte ich das v.a. selbstironisch. Ich kann nicht mehr sagen, dass ich Christ bin, sondern nur noch, dass ich nicht wie diese Christ bin. und das finde ich traurig. Wo ich von Abfallprodukten spreche, beziehe ich sie explizit nicht auf diese Gruppen, sondern auf die Form der Selbstbezeichnung in Analogie zum Stolzen Schweizer. Die „besonders Frommen“ kritisiere ich deshalb, weil sie die mit der Selbstbezeichnung einhergehende Spaltung auch noch begrüssen und geistlich überhöhen. Wo ich von „Verirrten“ spreche, tue ich das in Abgrenzung zu der Polarisierungstendenz der Religionsintellektuellen – also wiederum selbstironisch. Vielleicht ist Ihre Interpretation wirklich nicht bösartig. Aber Ihre Deutung scheint mir reflexhaft: Wo ich eh schon weiss, dass die Hand mich schlägt, muss ich sie auch da noch ausschlagen, wo mir jemand Hand bieten will….

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      • Christof Bauernfeind
        Gepostet um 10:50 Uhr, 03. Februar

        Herr Jütte, ich weiss nicht ob das reflexhaft war. Die Terminologie in dem Text ist schon ziemlich harte Kost. Leider erinnert man sich sofort an die Polarisierung, die heute in den Medien Programm ist und die unsere ganze Gesellschaft erfasst hat. Trump ist ein gutes Beispiel: er ist ein heimlicher Glücksfall für die Medien, weil sie wissen, dass jeder Artikel mit „Trump“ die Gemüter hochkochen lässt und damit die Klickzahlen, die Kommentarspalten, etc füllt. So wird jeder Tweet Trumps zur Schlagzeile. Ich empfehle dazu das Interview mit Matthias Zehnder im letzten Kirchenboten. Wir Christen sollten dieser Polarisierung, den immer grösseren Zentrifugalkräften in Kirche und Gesellschaft entgegenwirken und uns nicht von Artikeln wie dem der Tageswoche (der alles auf die Spitze treibt) gleich aus dem Lot bringen lassen. Lieber miteinander statt übereinander sprechen.

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  • Corinne Duc
    Gepostet um 10:50 Uhr, 02. Februar

    Mir scheint es sinnvoll, wenn sich Reformierte eben in erster Linie als „reformiert“ bezeichnen. Natürlich nicht in dem Sinn, als hielten wir uns nun für bereits fertig reformiert, sondern als heutige Mitglieder der ecclesia semper reformanda. Die Idee von Humanität (Menschlichkeit; Nächstenliebe, die nicht nur jene Menschen meint, welche der gleichen Kirche oder Zunft angehören) und Toleranz – die ihre Grenzen finden muss wo Intoleranz und Diskriminierung beginnt – verbindet allerdings nicht nur Christen.
    Es ist zwar möglich, dass der historische Jesus genau dies vermitteln wollte: es kommt nicht auf den religiösen Schein an, sondern auf die innere, offene Einstellung. Ob wir daraus eine saure Moralinsuppe machen wollen, liegt an uns. Da wir nichts Sicheres über die tatsächlichen historischen Gegebenheiten wissen, birgt das Bestreben zu lehren „was Jesus wirklich gesagt hat“ immer auch die Gefahr, in Dogmatismus und sinnlose Lehrstreitigkeiten zurückzuführen.
    Sich in erster Linie als Reformierte zu bezeichnen bedeutet mithin nicht primär eine Abgrenzung gegenüber „anderen Christen“, sondern eine solche offene, kritisch reflektierte Einstellung gegenüber Menschen unabhängig von ihren partikulären religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauungen (insofern durchaus in Übereinstimmung mit neutestamentlichen Schriften, in denen es ebenfalls nicht primär um das Festhalten an Traditionen geht, sondern auch kritische Distanz gegenüber traditionellen bzw. bloss dogmatischen Lehrmeinungen zum Ausdruck kommt).

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  • Beat Bachmann
    Gepostet um 11:13 Uhr, 02. Februar

    Wichtiges Thema, aber mir missfällt auch die pauschalisierende Abgrenzung im ersten Teil ihres Blogs. (Der zweite Teil gefällt mir besser) Leider stützen sich diese Vorurteil gegenüber der Evangelikalenszene oft nur aufgrund unseriös recherchierten Berichte in den Medien.! Siehe https://gellertkirche.ch/news/1483-statement-der-gellertkirche-zur-aktuellen-medienberichterstattung. Oder siehe anderes Beispiel https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/freikirche-baut-fuer-36-mio-franken-neues-zentrum-bauherrin-arbeitete-fuer-umstrittenen-verein-132145278.
    Es ist auf der anderen Wiese nicht immer alles so „schwarz-weiss“, wie es der Anschein macht. Nur im Dialog und dem fairen Gespräch mit Mitchristen können die echten Unterschiede der Glaubensprägung erfahren, kontrovers diskutiert und damit das gegenseitige Verständnis geweckt werden. Dabei lernen beide Seiten! Dafür plädiere ich!

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 11:45 Uhr, 02. Februar

      Lieber Herr Bachmann,
      in diesem ersten Teil wollte ich nicht ein Urteil über andere Glaubensgemeinschaften fällen, sondern an mir selbst vorführen, dass ich mein Christsein oft nur in reflexhaften Abgrenzungen ausdrücke. Ihrem Plädoyer für Dialog schliesse ich mich gerne an.
      Ich habe das versucht, indem ich die ganze Gemeinschaft der Christinnen und Christen als Leib Christi zu verstehen suchte, auch wenn ich persönlich mit einigen Gliedern wenig anfangen kann und mich teilweise dafür schäme. Aber genau weil ich das tue, zeigt sich doch noch darin eine Verbundenheit, welche die Abgrenzung überwinden könnte…?
      Herzlich!

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 13:43 Uhr, 02. Februar

    MORALINSÄUERLICH

    Wenn Stephan Jütte von „,moralinsauerlich“ schreibt, dann hat er einen Jesus (oder gar Gott) vor Augen, wie ihn seit jeher gewisse Menschen dargestellt haben: Nörglerisch, griesgrämig, ein Spielverderber mit ständig erhobenem Zeigefinger. Mit diesem Jesus – oder Gott – konnte man Menschen einschüchtern und sogar in die Knie zwingen, gefügig machen, beherrschen. Der historische Jesus, wie ich ihn nach und nach unter den brüchigen Bauwerken namens „Evangelien“ und „Kirche“ entdeckt habe, ist nicht so. Er ist ein Liebender, der die Anforderungen für das propagiert hat, was er „vollkommen wie euer Vater in den Himmeln“ nennt. (Was ich als „..wie das ideale Bild, das ihr euch von Gott macht“ verstehe.) Wenn Jesus n i c h t „Gott in Menschengestalt“ war, n i c h t „für unsere Sünden gestorben“ und n i c h t „auferstanden und in den Himmel zur Rechten Gottes aufgefahren“ ist, war er dann wirklich „nur“ ein Moralapostel? Beziehungsweise wären dann – wie Paulus formuliert – „Verkündigung und Glaube nichts wert“? Für mich ist Jesu geniale Vision „Menschwerdung des Menschen“ – mit „Mensch“ als Ehrentitel – das Beste, was uns je geschenkt worden ist. Und Grund genug, mich JESUANER zu nennen – „Mensch in und auf den Spuren Jesu“. Mit einem lebenslangem Training aller erforderlichen Eigenschaften (siehe: Seligpreisungen) – ohne Druck, dafür mit viel Verständnis für Langsamkeit und Unvollkommenheit.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 14:32 Uhr, 02. Februar

      Lieber Herr Rolla,
      ich kann Sie beruhigen. Das hat Stephan Jütte nicht.
      Vielmehr habe ich die moralistischen Projektionen vor Augen, die aus der Leben-Jesu-Schule einen Vorbild-Jesus à la: What would Jesus do? gemacht haben. Was Jesus wollte, mag man teilweise rekonstruieren können. Was Gott, wie er sich in diesem Jesus gezeigt hat, von uns will, ist eine lebenslange Deuteaufgabe, bei der wir nie zu (selbst-)sicher werden können. Mir ist das Lieber. Denn dann bleibt die Stelle Gottes – oder die der Wahrheit und Gerechtigkeit – unverfügbar.
      Vielleicht hätte das auch dem Jesus gefallen, der wusste, dass wir in der Welt Angst haben. Dass man die Welt überwinden und nicht zähmen muss, und sie doch so gern gehabt hat…

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 16:20 Uhr, 02. Februar

        Dass Jesus die Welt überwinden wollte, ist mir neu. Ihn als Vorbild nehmend mich immer wieder als Individuum und gemeinsam mit Anderen zu fragen, was GOTT den von mir/uns will generiert mitnichten eine Moralinsäure; -höchstens vielleicht an Halloween`! 😉

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      • michael vogt
        Gepostet um 14:30 Uhr, 04. Februar

        er bestimmt selbst, wer er ist, indem er sich offenbart – und sei es durch ein jesuanisches argument. in der tendenz stimme ich Ihnen zu. die sache ist einfach sehr komplex. zb wäre zu bedenken, dass jesus sich – gemäss der überlieferung – als ganz und gar von seinem vater bestimmt verstand. dann weiter, dass – nach der trinitätslehre – nicht nur der sohn, sondern auch der geist vom vater ausgeht, und dass – nach dem verständnis des neuen testaments – dieser geist der interpretet ist, „lebendig macht“, wie Sie es an anderer stelle zu recht zur geltung gebracht haben. und damit ist die komplexität noch nicht zu ende, was die sache aber nicht unbedingt komplizierter macht: in 1kor 15.28 endet, nach meiner bisherigen erkenntnis, die tinität, eine schriftstelle, die, finde ich, eine gewisse – und eben auch wieder hypothetische – jesuskritik impliziert, so dass es gar nicht so fraglos immer um die die frage nach ihm – nach seiner fragestellung und seiner antwort – geht.

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 18:34 Uhr, 02. Februar

    Das mit dem „die Welt überwinden“ aus dem Johannesevangelium kann meiner Überzeugung in seiner „Geschwollen- und Gestelztheit“ (und auch – paulinischen – Lieblosigkeit) unmöglich von Jesus stammen. Und „…Gott, wie er sich in Jesus zeigt…“ ist eine GLAUBENSAUSSAGE. Solche Aussagen müssen in meinen Augen zugunsten einer intellektuellen Redlichkeit unbedingt als solche gekennzeichnet sein. („In meinen Augen“, „meiner Meinung/Erkenntnis nach“ etc.). Auch wenn sie sich auf biblische Texte berufen oder diese sogar zitieren. Nur so sind offene Diskussionen möglich – ist meine langjährige Erfahrung – als Pfarrer im Besonderen und als Mensch ganz allgemein.

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    • michael vogt
      Gepostet um 14:05 Uhr, 04. Februar

      unbedingt? kann aber auch sein, dass die emotion so gefesselt wird und sich in dieser gefangenschaft radikalisiert.

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  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 10:35 Uhr, 03. Februar

    Christ sein muss definiert sein im Zeitgeist. Ich Berufe mich als Schweizer auch nicht auf den Fake-Brief von 1291 sondern auf die aktuelle Verfassung. Das bibel ding wegschmeissen. Christ sein heisst heute : ganz mensch werden, sich engagieren und das leben ehren. Der rest lässt sich daraus ableiten.

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    • michael vogt
      Gepostet um 13:47 Uhr, 03. Februar

      erst wegschmeissen, wenn Sie ganz mensch geworden sind – und dann wohl doch nicht wegschmeissen 😉

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    • Seraphim Weibel
      Gepostet um 15:50 Uhr, 03. Februar

      Darf jeder machen wie er will. Ich meinte mit ‚wegschmeissen‘ die authoriive Gewalt antiker schrifterzeugnisse uber Bord werfen, als quellen der Inspiration mögen sie manchem vom nutzen sein

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 15:46 Uhr, 03. Februar

    Vor allem nicht „original-Jesus-Texte“ wir die Seligpreisungen und einige Gleichnisse mit hohem „Menschwerdungs-Trainings-Potenzial“

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    • Seraphim Weibel
      Gepostet um 15:51 Uhr, 03. Februar

      Es gibt womöglich nichts originäres von Jesus. Macht aber nix.

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      • Stephan Jütte
        Gepostet um 10:56 Uhr, 06. Februar

        😉 drum ist immer das Original, was wir besonders mögen…

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  • Max Hartmann
    Gepostet um 22:33 Uhr, 03. Februar

    Für mich fehlt eine seröse Auseinsersetzung mit evangelikal. Mir fehlt eine differenzierte Sicht wie etwa kürzlich von Michael Herbst im deutschen Pfarrblatt.
    Ich bezeichne mich als evangelikal im Sinn von am Evangelium orientiert, Christus im Zentrum meines Lebens und Glaubens, ein Glaube der bewussten Entscheidung. Ich bin kein Kreationisten, eher Mitte liegt links, wir engagieren uns für mehr Gerechtigkeit, Flüchtlinge etc. Trump ist für mich eine Katastrophe. Ich kenne persönlich Engagierte in der Gellert Gemeinde, die keineswegs blinde Fundis sind und differenziert denken, Warum denn unterstützt Lukas Kundert diese Gemeinde als Präsident der Basler Kirche? Der Mann weiß sehr wohl, dass Gellert nicht perfekt ist, aber ein gutes Zeichen von Vitalität ich n unserer Kirche. Wenn so etwas keinen Platz hat in unserer Kirche, dann frage ich mich, was das Gerede von Pluralität und Offenheit der n unserer Kirche soll.

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  • Carsten Ramsel
    Gepostet um 23:47 Uhr, 03. Februar

    Lieber Stephan
    Es ist wohl eher das Problem des Christ-seins, dass zu wenige Menschen wie Du, sich dazu öffentlich (!) bekennen, Christ*in zu sein. Die öffentliche Wahrnehmung und Darstellung, was Christ-sein heisst, wird meiner bescheidenen Meinung zu stark von entschiedenen (um nicht zu sagen radikalen) Befürworter*innen und Gegner*innen geprägt. Wenn ich in die Politik schaue, möchte ich den Diskurs nicht den Entschiedenen/Radikalen überlassen. Das Gleiche gilt mutatis mutandis auch fürs Religiöse.
    Herzliche Grüsse
    Carsten

    Off topic: Ich hoffe, Dir und Deiner Familie geht es gut

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 10:55 Uhr, 06. Februar

      herzlichen Dank, lieber Carsten! Der Vergleich ist gut getroffen. Hoffen wir, dass die nüchterne Mitte es wieder schafft, Identifikationsangebote bereit zu stellen 😉
      herzlich, Stephan

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  • Max Hartmann
    Gepostet um 00:10 Uhr, 04. Februar

    Sorry, Tippfehler: hier korrigiert:

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  • Max Hartmann
    Gepostet um 00:19 Uhr, 04. Februar

    Für mich fehlt eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Begriff „evangelikal „ wie etwa die differenzierte Sicht von Michael Herbst im deutschen Pfarrblatt 2017.
    Ich bezeichne mich selbst als evangelikal im Sinn von am Evangelium orientiert mit Christus im Zentrum meines Lebens und Glaubens verbunden mit einer bewussten Entscheidung. Ich bin kein Kreationist, eher Mitte liegt links, wir engagieren uns für mehr Gerechtigkeit, Flüchtlinge etc. Trump ist für mich eine Katastrophe. Ich kenne persönlich Engagierte in der Gellert Gemeinde, die keineswegs blinde Fundis sind und differenziert denken, Warum denn unterstützt Lukas Kundert diese Gemeinde als Präsident der Basler Kirche? Der Mann weiß sehr wohl, dass Gellert nicht perfekt ist, aber ein gutes Zeichen von Vitalität in unserer Kirche. Wenn so etwas keinen Platz hat in unserer Kirche, dann frage ich mich, was das Gerede von Pluralität und Offenheit in unserer Kirche soll.

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  • Nadine
    Gepostet um 19:28 Uhr, 23. Februar

    Danke für den Beitrag, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich sehe, dass Sie das Thema der Zugehörigkeit hier auf einer individuellen Ebene besprechen, und ich bin mit Ihnen einig, dass es gut wäre, „mehr Herz zu zeigen, bis unser Gesicht wieder ansehlich wird“. Für mich wäre es wichtig anzufügen, dass die Problematik des sich „outens“ (der Begriff sagt schon viel) m.E. tiefer geht, bzw. auch mit der Gesellschaft zu tun hat, in der wir leben. Menschen, die hierzulande eine Religion pflegen, sind eine Minderheit. (Menschen, die sich nicht den Evangelikalen, Kreationisten, etc. zugehörig fühlen, sind wohl nochmals eine Minderheit innerhalb der Minderheit). Und Minderheiten neigen dazu, stigmatisiert zu werden von der Mehrheitsgesellschaft, wobei Ihnen pauschale Merkmale zugeschrieben werden, über die die betroffenen Gruppen bezeichnenderweise keine Deutungsmacht haben. Entsprechend schwierig ist es, sich dagegen zu wehren. Was ich sagen will: Dass ich mir sieben Mal überlege, bevor ich jemandem sage, dass ich Christin bin, hat für mich auch damit zu tun, dass mir in der öffentlichen Diskussion reflektierte Darstellungen und Diskussionen bzgl. Christentum und Religion völlig fehlen. Medial sind höchstens schräge Freikirchler präsent, Religiöse werden als dumm, naiv, dargestellt, etc. – kurz gesagt, öffentlich präsent sind v.a. Stereotypen, die wieder und wieder reproduziert werden. Das liegt teilweise an den Christen selber, aber was ich hier zu sagen versuche, es liegt nicht nur an den Christen, sondern auch daran, dass unsere Gesellschaft sich so schwer tut, mit dem Thema Religion erwachsen umzugehen, und dies wiederum auf die Gläubigen zurück wirkt.

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