Samsung-Botschaften und Fünfliber-Abschreckung

Allerheiligen ist keine heilige Zeit. Selbst unschuldig importierte US-Kinderbräuche des Halloweens werden von Horrorclowns zum Fanal des Schreckens. Ganz abgesehen vom Grauen, das täglich aus Syrien vermeldet wird. Zeit für Besinnung, Zeit im Zürcher Fraumünster die leuchtenden Figuren Chagalls gen Himmel schweben zu sehen.

Doch: Halt! Der Türsteher am Fraumünster am Eingang verlangt seit 1. November einen Obolus von fünf Franken. Was dem kunstsinnigen Kulturprotestanten auf der Suche nach Stille empören mag, erläutert Kirchenpfleger Hans-Hinrich Dölle so: Von Berliner bis zum Mailänder Dom sei es längst Usus, einen Eintritt zu lösen.

delf_bucher_allerheiligen_03_1920Das Stichwort Mailänder Dom lässt bei mir die Alarmglocken läuten. Erst vor wenigen Tagen stand ich dort in der Warteschlange. Wie überall in der Welt spielte sich für die Wartenden das Leben nur auf dem kleinen Rechteck des Displays ihres Handys ab. Da konnte das Figurenvolk aus den Nischen des Doms noch so sehr zur internationalen Touristenschar herunterwinken. Das Smartphone bestimmte die Aufmerksamkeit, verstärkt noch durch die gigantische Leinwand, auf der Samsung für seine Handys warb. Strategisch geschickt inszenierte der Elektronikriese seine Botschaften direkt an der Kirchenmauer vor den Wartenden.

Und die Dombesucher waren willig, die kommerzielle Message des Handy-Zeitalters nach einer halbstündigen Wartezeit umzusetzen. Brav entfesselten sie eine Bilderflut, vereinigten sich vor dem Skulpturenpark von 3500 Statuen zu Gruppenfotos, machten Selfies mit den pseudogotischen Figuren. Mit dem digitalen Gesumse und Gepiepse im Ohr mutet einem der 1936 von Walter Benjamin verfasste Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ beinahe nostalgisch an.

delf_bucher_allerheiligen_1920Das Flüstern, das Heinrich Heine 1826 noch am Dom von den «weissen Steinmenschen» vernommen hat, geht heute im Lärm unter. Die «ganz geheimen Geschichten», die die Skulpturen noch Heine zuflüsterten, sind längst nicht mehr klandestin. Heute ist das Geheimnis gelüftet – das Sakrale ist zum Kommerziellen geworden.

Zurück nach Zürich: Ist dort das Fraumünster auch im festen Griff des Kommerz? Hans-Hinrich Dölle betont, dass die Eintrittsgelder keineswegs dem Profit dienen: «Unsere Satzung untersagt uns jedes Gewinnstreben.» Und Fraumünsterpfarrer Niklaus Peter stellt heraus: «Kirche soll wieder Kirche sein.»

Die Fünfliber-Gebühr soll also die Billig-Touroperators abschrecken. Vor Chagall farbigen Glasmalereien sollen sich die Tourguides nicht in Chinesisch, Englisch und Russisch überschreien. Wenn die Strategie aufgeht, könnte also Eintrittsgeld eine wundersame Wirkung erzielen: Von der kommerziellen Nutzung der Kirchenräume durch die internationale Touristikindustrie wieder zurück zum Sakralen, das auch die Aura der Kunstwerke im «Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» schützt.

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3 Kommentare
  • Michael Mente
    Gepostet um 08:51 Uhr, 01. November

    Die Frage ist vielleicht, ob der Einlass zum Ablass wird. Wozu eine „Gebühr“ für einen Raum, der für Protestanten ohnehin nicht sakral sein kann? Geht es um den Zustupf für den Unterhalt der Kunstschätze (das ist die Rechtfertigung in Italien) oder geht es darum, den Zustrom – zugunsten „sakraler“ Bedürfnisse – zu steuern (was aber auch unsere Gastfreundschaft mindert). In beiden Fällen läuft es darauf hinaus, dass der/die Besucherin einen Obolus dafür entrichtet, sich quasi dafür entschuldigt (Ablass), den Raum nicht dafür zu betreten, wofür er eigentlich ursprünglich gedacht ist. „Dominus providebit“, sagt der Fünfliber – Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. – Toller Artikel

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 09:01 Uhr, 01. November

    Dass die globale Religion Markt sogar vor dem Mailänder Dom zelebriert wird, irritiert, erstaunen mag es mich nicht mehr. Nur vielleicht, dass sich Samsung erdreistet, für seine explodierenden Handies zu werben …

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  • Angela Wäffler-Boveland
    Gepostet um 10:09 Uhr, 01. November

    Neulich in einem kleinen Ort in der Schweiz: es goss in Strömen; in ein Café wollte ich mich nicht setzen, ein Museum gab es nicht und ich war dankbar, mich in die Kirche setzen zu können, wo es warm und trocken war. Ein Recht, das nur mir zusteht? Nein. Ein paar Reihen vor mir war eine Familie auf die selbe Idee gekommen. Natürlich sass der Sohn – vielleicht 13-, 14jährig – in ein Spiel auf dem Handy vertieft und auf dem Handy der Tochter (ein bisschen jünger) piepste es pausenlos…
    da fiel mir ein altes Lied ein https://www.google.ch/#q=bruce+low+das+kartenspiel
    ich träume von Kirchen, in denen gelebt werden kann – als Kulturtourist ebenso wie als Stillesucherin, als Sorgenvolle wie als Lebemensch … eben weil unsere Kirchen keine sakralen Räume sind, sollten wir sie auch nicht so behandeln. Aber sorgfältig mit den Orten umgehen … und wie gelingt das? Wir werden sehen

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