Schwangere vom Abendmahl ausschliessen?

Kürzlich passierte es mir wieder einmal, dass ich laut schluchzend in Tränen ausbrach. Solche Situationen sind immer ein wenig ungewohnt für mich und dieses Mal war es besonders heftig. Als Vater eines Kleinkindes traf es mich das Thema mitten ins Herz. Beim Durchstöbern neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse auf der Website higgs.ch las ich einen Artikel über das Fetale Alkoholsyndrom. Der Artikel präsentiert die Erkenntnisse von Dagmar Orthmann Bless, welche an der Universität Freiburg am Departement für Sonderpädagogik unter anderem zur Alkoholspektrumstörung (FASD) forscht. Ehrlichgesagt war es nicht nur der Artikel, sondern der damit verbundene Film von Jean Boué, welcher mich derart heftig berührte. Der Dokumentarfilm zeigt schonungslos, aber gleichzeitig Distanz wahrend, das Leben einer selbst von FASD betroffenen Mutter. Nur ist diese Jenny nicht nur selbst Opfer eines fetalen Alkoholsyndroms, sondern wurde bei zwei ihrer eigenen Töchter unwissend ebenfalls zur Täterin. Die Kamera begleitet die Familie dezent im Alltag und zeigt mit welchen gravierenden Problemen sie zu Recht kommen muss.

„Wenn es der Mutter gut geht, dann geht es auch dem Kind gut.“, kam mir beim Betrachten des Films in den Sinn. Diese vermeintliche Volksweisheit hörte ich während unserer Schwangerschaft öfters und staunte nicht schlecht, wie hartnäckig meine Frau jeglichen Alkohol ablehnte. Mir persönlich wäre dies nicht so wichtig gewesen und damit war ich keineswegs alleine. Laut der Studie von Dagmar Orthmann Bless geben zwar rund 90 Prozent der schwangeren Frauen zwar an, nach der Feststellung ihrer Schwangerschaft keinen Alkohol mehr zu konsumieren. Aber bis zu 60 Prozent scheinen es entgegen ihrer Absicht weiterhin gelegentlich zu tun.

„Wie soll so ein Gläschen Wein denn schaden, wenn die Menge Alkohol eh viel zu gering ist?“, malte ich mir jeweils aus. Und dabei machte ich einen simplen Denkfehler. Während im erwachsenen Körper die Leber den Alkohol abbaut, tut das entsprechende kindliche Organ dies erst nach der Geburt. Alkohol im Körper der Mutter passiert ungehindert die Plazenta und gelangt via Nabelschnur in den ungeborenen Körper, wo er zahlreiche Schädigungen hinterlassen kann. Die Alkoholfolgen sind seit Jahrzehnten bekannt und seit 1968 besteht ein medizinischer Begriff dafür. Und dennoch werden jährlich in der Schweiz immer noch schätzungsweise 4000 Babys mit FASD geboren!

Auch ohne utilitaristische Weltsicht muss man sich fragen, was denn da schiefläuft, wenn in der Schweiz im Schnitt pro Tag zehn Babys zur Welt kommen, welche ein Leben lang durch ihr unverschuldetes Gebrechen geplagt sind und gesellschaftliche Folgekosten in ungeahnter Höhe verursachen. Es waren aber nicht die Kosten oder die Leiden, welche die Dämme in mir brechen liessen. Viel mehr war es wohl die Ungerechtigkeit, dass es diese wehrlosen, ungeborenen Wesen trifft, obwohl wir es, als Gesellschaft sofort und sehr leicht verhindern könnten. Wir wissen zwar alle, wer die letzte Fussballweltmeisterschaft gewann und welche Tragödie der Kirchenbrand in Paris am «Herzen der Nation» sei, aber dass wir bereits mit einem alkoholischen Getränk das ungeborene Leben gefährden, scheint unseren Medien kaum eine Zeile wert zu sein. Einen exakten Grenzwert können wir übrigens nicht festlegen, aber einiges deutet daraufhin, dass auch einmaliger Konsum zu Formen von FASD führen kann, so dass zur völligen Abstinenz während Schwangerschaft und Stillzeit geraten wird. Eine Kennzeichnungspflicht, dass alkoholische Getränke nicht von Schwangeren konsumiert werden sollten, haben wir in der Schweiz im Gegensatz zur EU übrigens nicht. Hier wäre es mehr als angebracht, wenn der Bundesrat die entsprechende Verordnung schleunigst anpassen würde.

Natürlich sollen wir als Christ*innen nun keine Schwangeren vom Abendmahl ausschliessen, denn dieses bleibt weiterhin ein Ritual zur Versammlung aller Christ*innen. Aber wir sollten mindestens überall eine alkoholfreie Alternative zum Wein anbieten, damit eine risikolose Teilnahme auch für Schwangere möglich ist. Als Teil des Christentums müssen wir uns auch nicht für ein Alkoholverbot, wie in anderen Weltreligionen einsetzen, aber wir sollten uns und unseren Mitmenschen die Risiken solcher Suchtmittel bekannt machen und vor allem offene Arme für all jene haben, welche unter den Folgen dieser Mittel verschuldet oder unverschuldet leiden müssen. Seelsorge, Selbsthilfe und Vergebung werden hier meines Erachtens zu probaten Mitteln diakonischen Handelns, wenn beispielsweise Eltern feststellen, was sie ihren Kindern unwissend angetan haben oder aber Kinder selbst realisieren, wem sie ihr FASD zu verdanken haben.

Hier dürfen wir als öffentliche Institution nicht abseitsstehen, sondern sollten dazu beitragen dieses gesellschaftliche Tabu aufzuheben, die Folgen einzudämmen und das ungeborene Leben bestmöglich durch Aufklärung zu schützen. Helfen Sie bitte mit und teilen Sie dieses Wissen!

Links:

Artikel bei higgs.ch «Alkohol soll schaden»

Film von Jean Boué:  Alkoholkinder – Behinderung durch Alkohol in der Schwangerschaft

Hilfe für Betroffene und weitere Informationen: https://www.suchtschweiz.ch

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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7 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 11:52 Uhr, 26. April

    Ich versteh glaub den Titel nicht ganz, find ihn irgendwie reisserisch…. und die meisten Kirchgemeinden bieten doch längst auch Traubensaft an – nicht nur wegen der Schwangeren, sondern auch wegen der trockenen AlkoholikerInnen? Habs eigentlich immer so erlebt.

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    • Christoph Staub
      Gepostet um 14:12 Uhr, 26. April

      Liebe Barbara
      Du verstehst den Titel wohl doch ganz richtig. Die reisserische Überschrift sollte ein Versuch sein, um das wichtige Anliegen im Clickbaiting-Wettkampf nach oben zu bringen. Die zu verwendenden Lebensmittel sind in der Kirchenordnung fürs Abendmahl übrigens nicht definiert, Aber Du hast schon recht, dass zum Glück meist Traubensaft angeboten wird. Die Zeiten, wo die Kirche Kindern Wein ausschenkt, sind zum Glück vorbei.
      Liebe Grüsse,
      Christoph

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      • Alpöhi
        Gepostet um 21:38 Uhr, 30. April

        Lieber Herr Staub,
        Diesseits.ch braucht inspirierende Inhalte, kein Clickbait. Clickbait halte ich für kontraproduktiv.

        Danke für den Artikel zu einem mir bisher unbekannten Thema.
        Betreffs Abendmahl bin ich ganz mit Frau Oberholzer: In der reformierten Kirche gibt es doch eh ausschliesslich Traubensaft.

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        • Christoph Staub
          Gepostet um 13:45 Uhr, 03. Mai

          Lieber Alpöhi

          Das sehe ich ja grundsätzlich auch so. 🙂
          Der Versuch war übrigens ein doppelter. Nur hat den zweiten Teil, des Versuchs wohl noch niemand bemerkt…?

          Liebe Grüsse,
          Christoph

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 13:39 Uhr, 05. Mai

        Ja zum Glück gibt es da keine Vorschriften wie bei den Katholen, wo es kein Maisbrot und kein Ananassaft sein darf.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 13:38 Uhr, 05. Mai

      Ja Barbara, da habe ich dieslben Erfahrungen wie du.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 13:50 Uhr, 27. April

    Also bei mir ist dir das gelungen, mit dem Titel ?! Aber ich hätt den Beitrag auch so gelesen.

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