Sei gut! Ich beobachte dich.

Ich gehe davon aus, dass der Albtraum eine Folge der Lektüre des Romans „1984“ war. Soviel vorweg: Die Lösung aller menschlichen Probleme wird eine simple Software sein, die auf einem Memory-Stick Platz haben wird. Das tönt nach Science-Fiction, ist es aber nicht. Aber zurück zu meinem Traum. Zwei Männer stellten sich als Neugründer vor, die eine neue Social Media-Plattform aufbauen wollten. Ich glaube, dass sie eine Präsentation hielten, die an einer Messe für digitale Produkte und Dienste stattfand. Sie wollten eine App mit automatischer Gesichts- und Spracherkennung lancieren. Und sie verheimlichten nichts: Die digitalen Augen auf unseren Smartphones, iPads, Computers, Fernseher und alle Kameras im öffentlichen Raum würden für die Sicherheit der Weltbürger sorgen. Diese würden die Menschen jederzeit beaufsichtigen, damit die Maxime „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ tatsächlich respektiert werde. Die Absicht der Männer war gut: die Welt gerechter und sicherer zu gestalten, die Menschen zu honorieren, die sich an die Regeln hielten und diejenigen zu bestrafen, die sich hingegen illegal verhalten würden. In einem weiteren Schritt würden sie die persönlichen Informationen, wie beispielsweise Einkaufs- und Internetverhalten, Bewegungsdaten und Freizeitbeschäftigungen, mit der App verbinden. Später würde auch die Möglichkeit bestehen, nein, vielmehr die Plicht, mit der App zu bezahlen. Dort, wo die digitale Aufsicht nicht ausreichen würde, hofften sie später auf die soziale Kontrolle der Bürger: Die Menschen würden sich gegenseitig auf die Finger schauen. Negativ formuliert: sich gegenseitig denunzieren.

Wie absurd und unwirklich Träume sein können… Es sei denn, sie haben prophetischen Charakter. Denn im letzten Jahr ist der Artikel „Genosse Big Brother“ im Magazin erschienen (leider nur mit einem Abo zugänglich). Hier sehen Sie einen Auszug:

„China konstruiert gerade eine Gesellschaft, wie sie die Welt so noch nicht gesehen hat. Eine Diktatur, die sich digital neu erfindet. Die den Menschen bis in den letzten Winkel seines Gehirns durchleuchtet. Mithilfe von Big Data. Und ihn dann bewertet, nach Wohlverhalten, und zwar mithilfe von Computerprogrammen, in jedem Augenblick seines Daseins. Ein jeder Bürger erhält einen Bewertungsstempel aufgedrückt, der seine neue Identität wird, der letztlich über seine Teilhabe am Alltagsleben und über seinen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen entscheidet […] Betrügerischen Firmen droht der Ausschluss von staatlichen Ausschreibungen. Und Bürger, die ihr Vertrauen verwirkt haben, können sich nicht für Regierungsjobs bewerben. Der Zugang zu Versicherungen und Krediten wird ihnen erschwert oder verwehrt. Ebenso Autokauf und Hausbau. Sie dürfen nicht mehr fliegen und bekommen keine Tickets mehr für Hochgeschwindigkeitszüge. Ihr Internetzugang wird eingeschränkt. Sie sollen nicht mehr in Luxushotels und exklusiven Restaurants essen. Ihnen selbst wird die Ausreise aus China, ihren Kindern der Zugang zu teuren Schulen versagt. Noch ist nicht klar, wie das System am Ende im Detail aussehen wird. Dutzende unterschiedlicher Pilotprojekte arbeiten im Moment nebeneinanderher. Sicher ist: Hier entsteht etwas komplett Neues.“ (Quelle: Das Magazin, N°21– 27. Mai 2017.)

So etwas kann nur in China passieren. Oder doch nicht? Per Anfang März 2018 trat das revidierte Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) in Kraft. Die persönliche Aufzeichnung des gesamten Surfverhaltens in Mobilfunk- und WLAN-Netzen könnte nötig werden. Betroffen sind alle in der Schweiz wohnhaften Menschen.

Und übrigens: ich habe Teile meines Traums im Zukunftsroman „Die Wolke des Wissens“ hineinfliessen lassen. Ist als eBook gratis verfügbar.

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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7 Kommentare
  • THOMAS GROSSENBACHER
    Gepostet um 07:07 Uhr, 19. März

    Nicht nur George Orvell hat in seinem Roman „1984“ den Big Brother erahnt. Wie eindrücklich, dass Hiob – im 7. Kapitel nachzulesen – sich gegen einen Gott abzugrenzen wusste, der nicht mehr sein soll, als ein Prüfer, Überwacher und Abrechner.
    Eine reife theologische Antithese! Und diese erst noch aus tiefster Lebensnot geboren! Aus reinster Ohnmacht und blossem, nacktem Vertrauen. Es kann doch nicht sein, dass ein Gott, wenn er ein Gott des Vertrauens sein soll, nicht mehr ist als ein Prüfer und Vergelter. Die Passion des Jeschuah steht in derselben überzeugend ringenden Auflehnung gegen solch missverstandene Bigbrothergottesbilder. Die Frage bleibt:
    Wie übersetzen wir diese auf grösserem Vertrauen basierende Widerspruchstheologie in unser (politisches)Handeln? Wir brauchen vertrauende sich gegen Misstrauen kritisch abgrenzende Schwestern und Brüder. Die Grösse die gefragt ist, ist eine innere. Mit big und Bang hat das nichts zu tun.

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    • Luca Zacchei
      Gepostet um 08:40 Uhr, 20. März

      Guten Tag Herr Grossenbacher und vielen Dank für Ihre Ausführungen. Mir kommt eine Geschichte aus dem Orient in den Sinn. Rābiʿa al-ʿAdawiyya al-Qaisiyya war eine islamische Mystikerin und Heilige, die als eine der ersten Sufisten gilt. Gemäss der Legende, sah man Rabia in den Strassen von Basra mit einem Eimer Wasser in der einen Hand und einer Fackel in der anderen Hand. Als sie gefragt wurde, was dies zu bedeuten habe, antwortete sie: „Ich will Wasser in die Hölle giessen und Feuer ans Paradies legen, damit diese beiden Schleier verschwinden und niemand mehr Gott aus Furcht vor der Hölle oder in Hoffnung aufs Paradies anbete, sondern nur noch um Seiner ewigen Schönheit willen. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Rābiʿa_al-ʿAdawiyya_al-Qaysiyya).

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 08:35 Uhr, 19. März

    Um Himmels Willen k e i n „1984“! Aber etwas mehr SOZIALKONTROLLE alias „ZIVILCOURAGE“ wäre meiner Meinung nach schon nötig. Viele der auf „Nebenspuren“ geratenden jungen Menschen – teils aus überforderten Elternhäusern stammend -und ihre Opfer könnten vor eben diesem Schicksal bewahrt werden, wenn rechtzeitig – auch durch Behörden – hilfreich eingeschritten würde. SCHADENSVERHINDERUNG ist das Zauberwort. Und das hat ganz viel mit Nächstenliebe zu tun. (Übrigens auch die Eindämmung von Sozialschmarotzertum und anderen Betrügereien, die viel Geld kosten. – Und wenn wir schon dabei sind: Für mich wäre die Verhinderung der acht Milliarden Franken für neue Kampfflugzeuge durch fleissige Mund-zu-Mund-Werbung ein Segen. Und sogar die Abschaffung einer in einem Binnenland unnötigen teuren Armee. Zugunsten einer VERRINGERUNG oder gar ABSCHAFFUNG DER ARMUT in unserem Land.

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    • Alpöhi
      Gepostet um 15:03 Uhr, 21. März

      „Soziale Kontrolle“ haben schon viele Regimes versucht. Es endete immer im totalitären Staat. Und es war immer nur Symptombekämpfung.

      Die Lösung liegt woanders: Weg von Individualisierung und Vereinzelung, hin zu Familie und Gemeinschaft. Gotthelf sagt: nicht der Staat bildet das Leben, sondern das HAUS; Hausväter und Hausmütter die sich kümmern. Zu Hause fängt alles an, und je nach dem wie es zu Hause gelernt wurde, gestaltet sich alles Andere.

      Gerade dies könnte unsere erkaltete westliche Gesellschaft wieder lernen von der jüdisch-christlichen Tradition.

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  • michael vogt
    Gepostet um 11:55 Uhr, 19. März

    zur alternative gehört wohl „die wolke des nicht-wissens“, ein buch verfasst von einem unbekannten autor im 14. jahrhundert. er empfiehlt, immer ein wort zu wiederholen, ohne darüber nachzudenken. dann auch die ablösung der menschheit vom skiliftprinzp: wir wollen chronisch, dass eine maschine etwas für uns macht. dabei ist es doch bekannt, dass die abfahrt zu einer noch anderen erfahrung wird, wenn wir selbst auf den berg gestiegen sind. und dieses ständige rechnen mit der rechenmaschine fördert nicht unbedingt die erhaltung der fähigkeiten unseres bewusstseins. es ist auch nicht einzusehen, warum wir mit noch so raffinierten raketen auf den mars fliegen sollen. ginge es doch darum, uns inmitten eines von leben erfüllten univerums – ein verschreiber, der regelmässig auftaucht – wahrzunehmen und darin den roten, warmen planeten von unserer planetin aus ohne jede maschine in unverblendeter nacht zu begrüssen. jetzt kommt die grosse digitalisierung. ich habe nicht den ehrgeiz, sie aufzuhalten. darunter schiebt sich aber eine andere evolutionsschicht, die die wolke des wissens und die des des nicht-wissens revolutionieren wird. nicht zuletzt dadurch, dass ein windhauch die wolke, die auf der einsicht liegt, dass die pflicht mit der app zu bezahlen, ein weiteres moment in der chronischen elektronischen exposition ist, die wir vielleicht, bei maschineller ablenkung des windhauchs zb, einmal teuer bezahlen werden.

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    • michael vogt
      Gepostet um 01:31 Uhr, 20. März

      . . . , wegbläst. 😉

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    • Luca Zacchei
      Gepostet um 08:42 Uhr, 20. März

      Guten Tag Herr Vogt, ich habe die Wolke des Nicht-Wissens gelesen. Der Titel des Zukunftsromans ist eine Anspielung auf das Werk. 😉

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