Sonntagmorgen bei Pfarrers

6:15 – der Wecker reisst mich aus dem Schlaf. Nun gut, denkt ihr, so früh ist das jetzt auch wieder nicht.
Aber: es ist Sonntag. Und auch nach fünf Jahren im Pfarrdienst habe ich mich noch nicht daran gewöhnt, regelmässig am Sonntagmorgen einen Wecker stellen zu müssen.

Also raus aus den Federn und in die Predigtkleidung. Wobei ich vorausblickend das weisse Hemd erst dann anziehen werde, wenn wir gefrühstückt haben. Mit drei kleinen Kids weiss man nie.

Frisch geduscht und nach einer Tasse Schwarztee einigermassen wach, mache ich mich an die letzten Predigtvorbereitungen. Da bin ich gerne ungestört. Also drehe ich das Schild an der Türe auf rot – „Bitte nicht stören.“ Abschliessen kann man die Zimmertüren in diesem 300 Jahre alten Haus wohl schon länger nicht mehr.
Mein Mann kommt zur anderen Tür in mein Büro. Dort hängt natürlich kein „Bitte-nicht-stören“-Schild.

Er beginnt nervös an meinem Computer irgendwelche Lieder zu googlen. „Schaaatz, sag mal, welche Lieder singen die Sonntagschülerinnen und Sonntagschüler heute gleich nochmal im Gottesdienst?“ Da er eben gerade erst aus dem Konflager zurück ist, hatte er bisher keine Zeit, sich vorzubereiten.

Ich bin echt dankbar, dass er die Gitarrenbegleitung übernehmen wird, jedoch nicht sehr glücklich darüber, dass ich ihm noch helfen soll die Noten herauszusuchen. Langsam werde auch ich nervös. Eigentlich wollte ich den Gottesdienst ja noch einmal in aller Ruhe durchgehen.

Kaum sitze ich wieder an meinen Unterlagen, ruft ein erstes Kind. Sie ist wach und sucht ihre Eltern. Gar nicht so einfach in diesem grossen Haus. Ich schaue meinen Mann an in der Erwartung, dass er sich bemerkbar macht. Doch er möchte noch kurz etwas erledigen: Die Lieder, ihr wisst schon.

Mit Blick auf die Uhr sehe ich, dass es reichen sollte. Also mache ich mich auf den Weg in den oberen Stock.
Langsam erwachen auch die anderen zwei. Und da ja die Pfarrkinder selbstverständlich in der Sonntagschule sind, werden alle drei im Gottesdienst mithelfen. Es müssen also für alle Röcke sein – finden sie – und es braucht noch schöne Haare. Natürlich…!

Die Jüngste ist relativ schnell frisiert, mit diesem Wuschel auf dem Kopf tun es ein paar „Spängeli“. Die Älteste hat da schon etwas genauere und gehobenere Ansprüche. Es dauert also etwas, sodass sich die Jüngste entscheidet, sich der Frisur der Mittleren anzunehmen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stösst auch der Papa wieder zu uns, immerhin mit der Info, dass das Morgenessen aufgetischt sei. Es habe etwas gedauert, da er das eine Lied nicht online gefunden habe und es sich aus der Erinnerung noch notieren musste. Gott sei Dank gibt es so musikalische Menschen, und einer davon ist mein Mann.

Also Morgenessen mit der ganzen Bande. „Schaaatz, kannst du mir auch noch die Haare machen?“ Aber natürlich, schliesslich muss auch er an diesem Morgen vorne stehen.

Blick auf die Uhr – jetzt muss ich aber wirklich los. Spurt in den oberen Stock um die Zähne zu putzen und einen letzten Blick in den Spiegel. Ihr ahnt es…Meine Haare sind noch nicht gemacht. Also kurz irgendwie zusammenbinden. Das geht eigentlich immer.

Und dann los in die Kirche: Laptop an den Beamer anschliessen, letzte Absprachen mit der Organistin, Absprachen mit dem Sonntagschulteam, Rücksprache mit dem Sigristen, Karte unterschreiben, Blumen bereitstellen, Mikrophon montieren, Talar anziehen und dann schliesslich Gottesdienstbesucherinnen und –besucher begrüssen.

Durchatmen.

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5 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 07:25 Uhr, 23. Mai

    Gaaanz wichtig, dieser Beitrag! Und kommt mir sooo bekannt vor ?. Das ist Pfarrerinnensein mit Familie. Kein Rückzug ins Studierzimmer möglich, keine vorgängige besinnliche Meditationszeit, keine Pfarrfrau, die den Rücken freihält. Dafür das pralle Leben – und gab dann bestimmt einen ganz lebendigen und menschennahen Gottesdienst ?!

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  • Rita Famos
    Gepostet um 08:23 Uhr, 23. Mai

    Kommt mir bekannt vor…. Pfarrerinnen und Mütter verlieren so sicher nie die Bodenhaftung und das Evangelium wird lebensnah! Alles Gute der Pfarrfamlile (wir sind in einer neuen Phase angelangt. Alles hat seine Zeit.)

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  • Ellen Tedaldi
    Gepostet um 11:08 Uhr, 23. Mai

    😉 herrlich (so aus der Ferne)! Ich schreibe dir gerne mal den Tagesablauf eines Sigristen auf. Ok, eines überaus perfektionistischen Sigristen!

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 11:16 Uhr, 23. Mai

    Wenn ich – zu Anfangszeiten – mal einen Gottesdienst nicht ganz fertig vorbereitet hatte, bin ich notfalls schon um 4.00 Uhr aufgestanden und hatte so zwei bis drei Stunden für mich… Reinhard Rolla (seit sechs Jahren pensioniert)

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  • Esther Gaillard
    Gepostet um 23:01 Uhr, 28. Mai

    Nicht einfach das Leben als Pfarrerinnen mit einer Familie – ich denke aber auch an das Leben von vielen anderen Menschen und deren Organisation in unserer Gesellschaft die nicht selbstverständlich ist……und nicht nur am Sonntag stattfinden sondern die ganze Woche.

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