Spitzbuben und andere „Spitzfindigkeiten“

Es riecht verführerisch aus der Küche. Meine Frau bäckt mit ihrem Gottenmeitli Spitzbuben. Oder sind es dann Spitzmeitli? Spitzfindig? In diesem Beitrag geht es mir um «Spitzfindigkeiten». Theologische. Es seien nur noch Spitzfindigkeiten, die die Kirchen trennten. Meinte kürzlich Kirchenbundspräsident Gottfried Locher. Durchaus spitzbübisch provozierte er bewusst damit im Sonntagsblick die Kirchenhierarchien. Und drückte damit wohl aus, was viele Menschen denken. Glauben wir nicht letztlich alle dasselbe? Um was für Spitzfindigkeiten es wohl gehen mag?

Ich mache mich auf die Suche: Ob Jesus Christus und wenn ja wie im Abendmahl real präsent sei, ist eine Diskussion aus dem Mittelalter. Noch Luther und Zwingli kriegten sich in die Haare darob. Erst 1973 wurden die Verdammungen aufgehoben. Die unterschiedlichen Verständnisse mögen noch teilweise vorhanden sein, aber sie hindern Reformierte, Lutheraner und Methodisten nicht mehr an der gemeinsamen Feier des Mahls. Dass in der katholischen Messfeier heute «Eucharistie» gefeiert wird, was wörtlich Danksagungsfeier bedeutet, trennt Katholiken nicht mehr von Protestanten. Da wird das „Opfer Christi“ nicht mehr wiederholt, was für die Protestanten eine Abgötterei war. Heute können wir gemeinsam Dankopfer feiern, Dank für den einmaligen Tod Jesus für uns alle! Diese theologischen Spitzfindigkeiten sind im Prinzip aufgehoben, wenn, ja wenn da nicht der «kleine Unterschied» wäre. Dass eben der Priester ein Mann sein muss, während für die Protestanten «in Christus weder Mann noch Frau» ist. Daraus wird nun aber leider eine ganze Hierarchie bis hinauf zum Papst aufgebaut, die keine Gleichberechtigung zulässt. «Gott schuf den Menschen als Mann und Frau.» «In Christus ist weder Mann noch Frau.» Nur eine Spitzfindigkeit?

Kürzlich meinte der Churer Bischof, er müsse die Priester daran erinnern, dass sie einem Suizidwilligen die Sterbesakramente verweigern müssten. Der Vorstoss war gut terminiert, denn eben erst hatte der Papst das Jahr der Barmherzigkeit abgeschlossen, nun kann man ja wieder munter verurteilen und verdammen. Die ethische Not des Bischofs verstehe ich durchaus. Auch die Gewissensnot, die er seinen Priestern ersparen will. Auch die Bedenken, dass eine seriöse Vorbereitung auf die Sakramente nicht mehr möglich sein soll. Dass mittels Sterbehilfeorganisationen gar eine Selbsttötungsindustrie entsteht, die Sterbebegleitung zum makabren Geschäft werden lässt, das wäre in der Tat ein Greuel. Bei aller Abneigung, die manche kirchlich engagierte Leute hegen, muss man aber den seriösen unter den Sterbehilfevereinen zugestehen, dass sie die Sache ernst nehmen. Da wird nicht leichtfertig Menschen beim Suizid geholfen, vielmehr werden Nöte ernst genommen und die meisten gehen ja dann einen anderen Weg, nachdem sie um den «Exit» wissen. Dass sich die Kirchen aber stark dafür einsetzen, dass mittels Palliative und Spiritual Care Menschen ganzheitlich und selbstbestimmt bis zum Tod begleitet werden, ohne Suizidhilfe zu beanspruchen, ist ein starkes Zeichen, für das sich reformierte und katholische Kirche gerade bei uns gemeinsam engagieren. Das Sterben ist keine Spitzfindigkeit, sondern hat alle seelsorgliche Aufmerksamkeit verdient. Warum aber sollen Sterbesakramente verweigert werden? Denen, die in grosser Not sind? Und überhaupt: Ist es nicht vielmehr eine Krankensalbung und nicht mehr die «letzte Ölung»?

Und wieder einmal wird die Eucharistie dazu benutzt, Sünder zu kennzeichnen. Wie es früher auch die reformierten Kirchen getan haben. Und wer den Suizid am Ende einer schweren Krankheit einfach mit der Todsünde Mord gleichsetzt, ermisst wohl kaum die schwere Gewissensnot des Patienten. Spitzfindigkeiten…, nein nicht wirklich! Gerade deshalb hat es die Reformation vor 500 Jahren gebraucht, um die Menschen nicht von kirchlicher Macht abhängig zu machen. Allein Christus! Allein der Glaube! Was ist dein einziger Trost im Leben wie im Sterben? fragt der reformierte Heidelberger Katechismus von 1563, um die Antwort zu geben: Dass ich Jesu Eigentum bin. Modern gesagt: Im Vertrauen auf Jesus kann ich durchs Leben und durchs Sterben gehen. Ein «Sterbesakrament» ist dazu da, dieses Vertrauen zu stärken, nicht es zu nehmen! Die Seelsorge mag es gebrauchen, oder auch einfach ein Gebet und ein Segen sprechen. In Gotts Namen: Im Sterben den Menschen die Nähe Gottes zu verweigern, ist keine Spitzfindigkeit! Offenbar braucht es noch reformatorisches Denken, Glauben und Handeln.

Zurück zu den Weihnachtsguetsli, den Spitzbuben: Wer weiss, wie anspruchsvoll es ist, den Teig zu machen, auszuwallen, die Löcher auszustechen, mit guter Konfi zu füllen, zu backen, damit sie weder zu trocken, zu weich oder zu hart oder zu brösmelig werden, der hat Respekt (in meinem Fall vor meiner Frau und meiner Mutter, die das hinkriegen!). Es braucht Respekt vor Spitzfindigkeiten und kleinen Unterscheiden, die «es» manchmal gerade ausmachen. Denn so sind wir, wir Menschen. Und wurde Gott nicht Mensch?

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9 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 05:31 Uhr, 08. Dezember

    Uff, danke, Michel Müller! Mit Entsetzen hatte ich als Seelsorgerin am Wochenende vom „Churer Vorstoss“, Todkranken, die zu Exit wollen, die Sakramente zu verweigern, Kenntnis genommen. Doch ich wollte selbst nicht schon wieder schreiben. Gerade die Kirchen engagieren sich sehr für Palliative Care. Ein solches Verbot rückt dieses Engagement in eine völlig falsche Richtung und stellt ein massives Eigengoal dar.

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  • Anita Ochsner
    Gepostet um 11:47 Uhr, 08. Dezember

    Ein Eigengoal. Es schürt wohl die Bilder (oft nicht selbsterfahrene?) von vielen Leuten gegenüber Pfarrpersonen Seelsorgenden … „ein Gebet aufgeschwatzt zu bekommen“ … und gerade dann noch in der Hilflosigkeit. Oder das Gegenteil? Kein Gebet zu bekommen .. ?!
    oder was ich sonst so höre bezüglich einem Gespräch mit Seelsorgenden: „ich habe nichts zu erzählen“ „mein Leben ist zu langweilig“ „an meiner Situation ändert sich dabei gar nichts!“ Doch viele oder mehr und mehr, auch Angehörige, erfahren gerade darin etwas anderes. Und sie erzählen davon.
    Wir Pflegende/Betreuende wünschen uns hie und da, es würden seelsorgerische, begleitende Gespräche aufgenommen, gesucht.
    Da wo es gemacht wird erleben wir Entlastung bei „GesprächsempfängerInnen“ (wie soll ich nennen?) , das Leben wird wie „weiter“ .. . und wirkt sich auch aus auf uns Begleitende/Unterstützende. Auch hier Entlastung. Darauf wie jemand in seinem Schicksal weiter gehen kann, oder auf welche Weise auch immer ein Mensch weiter gehen möchte oder wie auch immer „es“ weiter geht. Es geht sowieso „irgendwie“ weiter… wo hin.. da liegt ein Weg bis zum Ende . Auch bei Angehörigen. Wo Menschen aushalten, dass es für den von Behinderung/Krankheit betroffenen „nicht mehr auszuhalten“ ist, und da muss nicht der bevorstehende Tot liegen. Das Sterben nicht in Sicht, sondern da ist „mitten im Leben sein“.
    Ihr macht weiter. Für alle! :- )) Danke. was es jemandem bringen mag oder bewirkt..? weiss zum Voraus niemand oder und obs nicht schon bei der Begrüssung zu Ende ist? – Eine Hemmschwelle sie aufzusuchen? Wie meine Spitzbuben würden? würde ich welche backen?! ,- ) Noch nie welche gemacht!

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    • Barbara Oberholzer
      Gepostet um 13:47 Uhr, 08. Dezember

      Liebe Frau Ochsner, vielen Dank für dieses ermutigende und wertschätzende Feedback über unserer Arbeit!

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  • Regula Stern
    Gepostet um 12:23 Uhr, 08. Dezember

    Danke für den informativen und leicht geschriebenen Text, mit einem Gruss aus dem Tessin, wo heute katholischer Feiertag ist.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 15:40 Uhr, 08. Dezember

      „Maria unbefleckte Empfängnis“ heisst der in katholischen Landen wenn auch nicht gefeierte, so doch gerne als arbeitsfreier Tag entgegen genommener heutige Feiertag. Hat übrigens nichts mit fehlenden Flecken auf dem Laken zu tun, als damit, dass sich männliche Theologen gedacht haben, dass auch Maria besonders sein soll, wenn es ihr Sohn auch ist. Deshalb soll sie von ihrer Mutter Anna ohne die Erbsünde empfangen worden sein.

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  • Rainy Stillhart
    Gepostet um 14:23 Uhr, 08. Dezember

    Schwieriges Thema. Danke für die Gedanken, Herr Müller. Doch geht es dabei mehr als über Spitzfindigkeit. Es geht um freiwilliges Sterben. Als Seelsorger, jemanden dabei im Namen Gottes segnen zu müssen, drückt auf das Gewissen. Denn die Frage, bis oder ab welchem Grad von Krankheit und Schmerz muss der Seelsorger jemanden mit Berufung auf den Schöpfer bestärken, dass Suicide der richtige Weg ist eine Schwere……ist der Suicide-Weg, der aus Not, Verzweiflung und Schmerz gewählt wird immer der Richtige?
    Was würde Jesus tun? Primär lädt er alle ein zu ihm zu kommen: “ Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und beladen sein und ich werde euch erquicken! Mt 11,28
    Dem Mitmenschen in der Krankheit und im Sterben betend die Hand zu halten, ist auch für die Seelsorger ein erfüllender Akt der Menschlichkeit.

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    • Michel Müller
      Gepostet um 17:12 Uhr, 08. Dezember

      Lieber Herr Stillhart
      Genau: Überhaupt keine blossen Spitzfindigkeiten, sonder schwierige Entscheide. Seelsorgende können gewiss nicht gezwungen werden, jemandem auf dem Weg zum Suizid zu segnen. Und zugleich können sie auch niemanden verurteilen oder gar eine Gefahr für das ewige Heil androhen, gerade angesichts der Not. Schön, dass Sie auf den „Heilandsruf“ hinweisen, der gerade für Zwingli das Evangelium zusammenfasste. Jesus bat selber im Garten Gethsemane: Bleibt hier und wachet mit mir. Und wird nicht gerade sein eigener Tod als freiwillige Selbsthingabe verstanden? Das ist jetzt zugegeben auch extrem gedacht. Aber die evangelischen Haltungen lassen sich nicht in „biblische“ oder „sittliche“ oder „kirchliche“ Gesetze fassen. Vielmehr wird das Gesetz in der Liebe erfüllt.

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    • Barbara Oberholzer
      Gepostet um 07:30 Uhr, 09. Dezember

      In der Seelsorge ist Authentizität besonders wichtig. Wenn für mich grundsätzlich Suizidbeihilfe nicht der richtige Weg ist, soll ich auch nichts anderes vertreten müssen. Aber verurteilen darf ich niemand und kirchliche Unterstützung vorenthalten auch nicht. Das gebietet der Respekt vor einem andern Menschen mit seinem Schicksal, nicht meinem. Und der Glaube an einen gütigen und gnädigen Gott, auf dessen Barmherzigkeit ich genauso angewiesen bin.

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  • Michel Müller
    Gepostet um 12:56 Uhr, 13. Dezember

    Hab heute noch eine „Spitzfindigkeit“ gefunden. In den neuen Richtlinien über Priester aus dem Vatikan steht offenbar der Satz: Wer „tiefliegende homosexuelle Tendenzen“ offenbart, heißt es dort, befinde sich in einer Situation, „die in schwerwiegender Weise daran hindert, korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen aufzubauen.“ Dieser Satz allein ist schon ein Grund, um reformiert zu bleiben!

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