Tierversuchsverbot – Problem oder Entwicklungsschritt?

Selbst wenn Tierversuche nützlich wären, wäre der zivilisierte Mensch ethisch verpflichtet, seine Ressourcen und seine beeindruckende Kreativität so einzusetzen, dass weder Tier noch Mensch von nah oder fern, gesund oder krank, geopfert werden müssten zur Rettung eines anderen Kranken. Es ist gefährlich „unwertes“ oder „minderwertiges“ Leben in den Dienst von (angeblich) „wertem“ oder „höchstwertigem“ zu stellen. Man soll nicht „Glück“ auf das „Unglück“ von anderen aufbauen! Die Schöpfung ist heilig und so sind es die einzelnen Geschöpfe, und so sollte man mit ihnen auch umgehen. Das Initiativziel hat also nur schon aus ethisch-moralischen-spirituellen-zivilisatorischen Überlegungen bereits absolute Daseinsberechtigung.

Ins Schleudern gerät die Ethik der Bürger/innen bloss, wenn man ihnen weismacht, dass grenzenloses Nutzendenken „gut“ und „christlich“ ist und man (ungestraft) durch Qual von Mitgliedern der einen Spezies, Rettung und Heil für sich selbst und die „Seinen“ bekommen kann. Wozu sich für die Maus – oder ein fremdes Kind – einsetzen, wenn durch deren Qual das eigene Kind gerettet werden kann? Genau mit solchen Trugschlüssen werden Herzen und Köpfe in die Irre geleitet. Es gibt nicht das „Entweder-Oder“. Es gibt nur viele schlechte Wege und einige gute. Tier- und Menschenversuche gehören zu den schlechten. Forschung mit tierversuchsfreien Modellen zu den guten. Ehrfurcht vor der komplexen Natur und ihren nicht leicht zu durchschauenden Gesetzen zu den besten.

In der Politik und am Markt ist vieles anders als es versprochen wird. Das genaue Hinsehen und Hinterfragen lohnt sich! Die Tierversuche sind heute das Eintrittsticket zum Menschenversuch, obwohl noch viel zu wenig Wissen über eine Substanz und deren biologische Fähigkeit erarbeitet wurde. Genau dort liegt «der Hund begraben»! Solange Menschenversuche von der Forschung gebraucht werden, ist das ein klares Eingeständnis dafür, dass die Vorbereitungen schlecht erfolgt sind und wesentliche wissenschaftliche Test-Modelle noch nicht erarbeitet wurden. Die individuelle Erstanwendung (ein erfolgsversprechender, weil bestens vorbereiteter Heilungsversuch, statt ein Menschenversuch) muss im umfassenden Interesse des Betroffenen liegen und die Generalprobe mit maximalen Erfolgschancen sein. Nicht ein «Versuch und Irrtum» mit fast sicherem Misserfolg, wie dies heute in der klinischen Studie der Fall ist: Nach erfolgsversprechenden Tierversuchen versagt die Mehrheit (deutlich mehr als 90%) der Wirkstoffe im Menschenversuch und darf nicht auf den Markt. Das ist abgesehen von der katastrophalen Misserfolgsquote auch darum erstaunlich, weil: viele „Schadsubstanzen“ wie z.B. Thalidomid-Derivate („Contergankatastrophe“, Verkauf in DE 1957 – 1961) (wieder) auf den Markt dürfen. Der Beipackzettel gibt jeweils darüber Auskunft, was bisher in den Menschenversuchen an „unerwarteten Arzneimittelwirkungen“ gefunden wurde.

Die Liste der Schädigungen muss – oder sollte zumindest –  immer wieder ergänzt werden, weil im Einsatz an den Patienten laufend neue Probleme „entdeckt“ werden. Wo keine Daten aus Erfahrungen am Menschen vorliegen, wird auf die gravierendsten Wissenslücken hingewiesen, denn alles ist möglich: z.B. Schädigung in der einen Spezies und gute Verträglichkeit in einer anderen. Gute Dosis-Toleranz in der einen, hohe Empfindlichkeit in der anderen. Frühe Symptome hier, Spätschäden dort. Neben den unzähligen speziesspezifischen Abweichungen kommen auch noch individuelle Unterschiede hinzu, die es verunmöglichen, für ein Individuum eine sichere Aussage zu machen. Sogar der gleiche Mensch kann nach einer gewissen Zeit völlig anders auf einen Wirkstoff reagieren, je nach seinem Alter, seinem Gesundheitszustand, seinen Belastungen, seiner Epigenetik und seinem Darmflorazustand. So brauchen selbst Zwillinge manchmal unterschiedliche Medikamente.

Der Fahrzeugbau erschuf sich den Crash-Test-Dummy! Die Medizinische Forschung ist uns die patientenspezifischen, tierversuchsfreien Bio-Dummy-Systeme noch schuldig, obwohl technisch alles bereitstünde. Zeit und Ressourcen werden in grausamer Weise mit falschen Ansätzen verschwendet.
Wer hinter den Rauch und Spiegel von Illusionen, Träumen und Versprechen blickt, der entdeckt, dass es wenig Unethischeres gibt, als Tier- und Menschenversuche zuzulassen oder gar zu fordern. Es ist Zeit, sich endlich mit voller Kraft der Zivilisation zuzuwenden, in welcher allen Wesen schützende Fürsorge geschenkt wird, statt einen Zustand zu verteidigen, in welchem geschundene Opfer und Geopferte geschaffen werden.

Der Weg zu Ethik und Wissen:
www.tierversuchsverbot.ch/init/unterschriftenbogen

Zum Beitrag von Wolfger von der Behrens, Gegner der Initiative „Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot“:
https://www.diesseits.ch/tierversuche-sind-unerlaesslich/

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3 Kommentare
    • michael vogt
      Gepostet um 13:33 Uhr, 31. Oktober

      ein kommentar für beide beiträge beim zweiten beitrag

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  • Urs Lachenmeier
    Gepostet um 22:28 Uhr, 31. Oktober

    Die ethischen Vorbehate gegenüber Tierversuchen erhalten mit gründlicher Betrachtung immer mehr Gewicht, so geht es mir jedenfalls. Die tierischen Testungen dienen oft nur als Vehikel für einen Markteintritt, darauf kann dann der „Raubtierkapitalismus “ so richtig losgehen.
    Beispiel Contergan. Da ist nicht allein die bekannte Katastrophe der 60er Jahre. Nein, eine Pharmafirma der Schweiz lancierte vor ein paar Jahren das gleiche Medikament neu in Brasilien. Die Etikette des Schmerzmittels wurde mit einer grafischen Warnung versehen, damit es schwangere Frauen nicht verwenden sollten. Die Grafik zeigte eine Schwangere wobei der Bauch mit angedeutetem Fötus rot und kreuzweise durchgestrichen war. Es zeigte sich, dass diese Grafik interpretierbar war. Ungewollt Schangere glaubten, mit diesem Medikament ihre Frucht abtreiben zu können. Die traurige Geschichte hat sich wiederholt…. nicht sehr bekannt bei uns.
    Dieses Beispiel sagt voralem etwas über das branchenübliche Marktverhalten aus, getestet wurde ja an Tieren und an Menschen…

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