Verreckt die Kirche an ihrer Sprache?

Verreckt die Kirche an ihrer Sprache?

Der Kommunikationsberater Erik Flügge hat ein Buch über die Predigtsprache geschrieben. Darin kommt er zum Schluss, dass die Kirche entweder an Unverständlichkeit oder an bemühter Jugendlichkeit „verrecke“.  Er rät kirchlichen Berufsrednern, so über Gott zu reden, als säßen sie mit Freunden in der Kneipe. „Sprecht, wie ihr mit mir beim Bier sprechen würdet.“

Das scheinbar bodenständige Argument für mehr Natürlichkeit und Verständlichkeit entpuppt sich bei genauerer Prüfung als ziemlich wacklig. Die vorgeschlagene „Kneipkur“ könnte jedenfalls diese Wirkung haben. Meine vom Gerstensaft inspirierten Reden sind vielleicht leutseliger oder rührseliger und garantiert bierseliger, aber nicht unbedingt verständlicher als nach dem Konsum von Milch. Interessanter ist die Frage, ob wir den Geistpegel erhöhen könnten, wenn alle, die am Sonntagmorgen in die Kirche kommen, das Ritual mit einem Hellen oder Dunklen begännen? Das scheint mir aber eher eine rhetorische Frage und keine Frage der Rhetorik zu sein. Denn an der geistlichen Austrocknung, an der wir leiden, würde auch der Konsum von ein paar Hektoliter geistlicher Getränke nichts ändern.

Natürlich hat Flügge recht! Das trostlose Repetieren ewiggleicher Floskeln ist genauso ein Ärgernis wie der Kanzelton – dieses schwebend-pathetisch bedeutungsschwangere Betonen, das einem auf den Geist gehen muss, wenn man nicht betäubt oder erkältet ist und eh etwas Narkotisierendes braucht. Der „Kirchsprech“ ist ein Tonfall, den ein gesundes Gehör nicht erträgt. Aber warum ist das so? Woher kommt die schlechte Musik? Die pseudopsychologischen und halbgaren religionssoziologischen Analysen von Flügge und anderer Predigtkritikern helfen hier nicht wirklich weiter. Als ob das nicht schon alles einmal diskutiert und reflektiert worden wäre. Selig sind die intellektuellen Ignoranten. Denn sie kümmern sich nicht um Diskurse und finden (darum) Gehör. Wer sich die Mühe macht und eintaucht in die Debatten, wird schnell zur Erkenntnis gelangen, dass es doch komplizierter ist.

Flügge beschreibt ein Symptom, aber nicht die Ursache. Das Verheerende an Schnellschussanalysen der Predigtnot ist weniger die Tatsache, dass manches zutrifft, als vielmehr die Gefahr, dass die daraus abgeleiteten Schnellschusstherapien die Not nur vergrössern. So sympathisch das Plädoyer für einen natürlichen Sprechstil auch ist, es droht gerade das Gegenteil zu bewirken. Aus der Kirchsprech-Kritik eine Lehre abzuleiten, eine Art Flügge-Sprechschule, die mit gezielten Ratschlägen und Übungen die Kunst der Kanzelrede verfeinern soll, wäre eine eklatante  Bieridee. Man übersähe dabei das eigentliche Problem. Die Kirche verreckt nicht an ihrer Sprache, sie leidet an Geistlosigkeit!  Und das wiederum hört man der Sprache an.

Das ist doch die Frage, ob die, die den Mund auftun, von Gott reden können. Und wenn sie es nicht können, warum sie es dennoch tun? Wäre es nicht gescheiter, die Klappe zu halten, wenn man nichts zu sagen hat?  Genau! Das ist beinahe ein geflügeltes Wort. Wer Flügel hat zu fliegen, landet beim richtigen Namen. Aber nicht um Namen geht es mir, sondern um diejenigen, die zuhören, also diejenigen, die sich im Kirchgang üben und in der Hoffnung in den Gottesdienst gehen, etwas zu hören, das sie sich nicht selber sagen können. Wenn sie Glück haben, treffen sie auf eine Rednerin, die sie packen und begeistern kann.  Und doch, es liegt nicht allein an ihr. Der Raum, die Zeit, die Orgel und das ganze Ritual – alles spricht mit. Und neben mir singt einer kreuzfalsch. Ich überhöre es und merke, auch ich als Hörer spreche mit.

Und worauf hoffe ich wirklich? Was erwarte ich als Hörer von einer guten Predigt? Dass eine nach dem Vikariat flügge gewordene Theologin mir nach dem Mund reden kann? Dass mir einer bierselig auf Augenhöhe seine tiefsitzenden Probleme mit dem Höchsten anvertraut? Will ich die ultimativ authentische Kanzelrednerin? Oder verreckt gerade daran die Sprache, dass sie ums Verrecken echt sein will?

Ich hoffe, dass der Prediger oder die Predigerin so redet, dass Gott mitspricht und mich anspricht. Man merkt es den Rednerinnen an, ob sie Zeuginnen sind oder nur überzeugend sein wollen. Ob in ihren Reden das Wort fällt oder nur die Wörter fallen. Ob der Ewige mitspricht oder nur der Zeitgeist. Denn im Anfang begegnen das Wort und kein Geschwätz und mit dem Gebet kommt der Geist und vertreibt die Geister. Das ist ein hoher Anspruch. Aber ihm wird entsprochen. Wenn der Geist kommt, wird die Sprache zum Feuer, das nicht verbrennt. Manchmal sehen wir es über den Köpfen derer, die reden, brennen – weil sie selber Hörende sind. Dann ist die Begeisterung in der Sprache, die zu einem geistreichen Sprechen verhilft. Flügge hin oder her –  der Geist weht, wo er will und bläst denen, die ums Verrecken in die Kirche wollten, auch einmal ins Gesicht.

 

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11 Kommentare
  • Angela Wäffler-Boveland
    Gepostet um 11:43 Uhr, 03. Oktober

    Danke für diesen Beitrag! Auch ich gehe in den Gottesdienst mit der Hoffnung, dort angesprochen zu werden – das hat mit Gottesgegenwart ebenso zu tun wie mit Ästhetik. Darf gern auch provozierend, anstossend, herausfordernd sein, doch bitte nah am Bibeltext und nicht langweilend! Welch eine Freude, wenn das tatsächlich geschieht und ich angeregt, geistig genährt statt übersättigt in die Woche gehe.

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  • Susanna Meyer
    Gepostet um 12:43 Uhr, 04. Oktober

    „Mit dem Gebet kommt der Geist und vertreibt die Geister“. Redende sprechen mich dann an, wenn sie selber Hörende sind. Ja genau!! Deshalb gehe ich trotz allem was dagegensteht (Zeitpunkt, Familie, meine Faulheit) immer wieder in diese gottesdienste – aber nein nicht um des verreckens Willen wo denkst du hin! Um Himmels Willen!? Herzlichen Dank Ralph, ich bin begeistert von dieser erfrischenden replik. Ich kann eigentlich nur sagen: Amen- wahrhaftig. So soll es sein. So sollen wir sein: uns antreiben lassen vom Geist des Ewigen. Wir – Gottes Volk.

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  • Urs Meier
    Gepostet um 21:27 Uhr, 04. Oktober

    Flügge geht mir auf den Geist: intellektuell unbedarft, dafür umso aufgeblasener. Ausser billiger Provokation ist da wenig. Gut, dass Ralph Kunz sich trotzdem die Mühe einer echten Entgegnung macht. Sie ist ja noch moderat ausgefallen. Meinen Respekt für deine Friedfertigkeit., lieber Ralph!

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  • Erich Gerber
    Gepostet um 11:09 Uhr, 05. Oktober

    Höfliche Frage an unsere Pfarrpersonen:

    Besteht Ihre Hauptaufgabe nicht darin, aus dem Dienst an Gott – dem sogenannten „GOTTESDIENST“– noch intensiver und gezielter einen DIENST AM MITMENSCHEN zu machen?

    Damit meine ich vor allem auch die sehr wichtige persönliche Für- und Seel-sorge der Pfarrpersonen und Diakone, die zuhause bei den Mitmenschen geschieht.
    Müsste diese nicht auch in den zahlreichen Genossenschafts-Ueberbauungen verstärkt werden, um auch dort neue Mitglieder für unsere Kirchen zu gewinnen.

    Auch die Form der Predigt lässt sich manchmal ändern. Wie ich mir versuchsweise eine andere Form der Predigt vorstelle:
    Am Sonntag sitzen wir um 10 Uhr im Kirchgemeindehaus in grossen Kreisen auf unseren Stühlen, kehren einander nicht den Rücken zu wie in der Kirche, sondern schauen einander an, reden miteinander, blicken interessiert auf die Pfarrperson, die mit ihrer Predigt im Zentrum steht. Wir hören ihre Predigt und dürfen uns nachher dazu äussern und Fragen stellen.
    Beim kürzlichen, stark besuchten, ökumenischen Chilbianlass im Kirchgemeindehaus hat der katholische Priester Alfred Böni mitten im Saal das Gespräch mit Anwesenden gesucht. Das war ein guter Anfang…

    Wäre diese andere Form von „Gottesdienst / Dienst am Mitmenschen“ nicht ab und zu einen Versuch wert?

    In diesem Sinn sollte die Predigt vor allem auf die Situation und Bedürfnisse unserer Mitmenschen ausgerichtet sein. Dazu könnten auch gelegentliche Laienprediger beitragen. Blosse Bibelzitate bringen zu wenig.

    Erich Gerber, Mitglied der reformierten Kirche Schwamendingen-Saatlen
    5.10.2016

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    • Anonymous
      Gepostet um 09:38 Uhr, 19. Oktober

      Vielen Dank für diese wichtige Ergänzung! Die Vielfalt der Formen ist mir auch ein wichtiges Anliegen,
      Die klassische Predigt ist e i n e (wenn auch immer noch zentrale) Form der Verkündigung.

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  • Erik Senz
    Gepostet um 13:58 Uhr, 06. Oktober

    Mit Erik Flügge diskutieren:
    http://brefmagazin.ch/lesung-mit-erik-flugge/

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  • Roland Portmann
    Gepostet um 14:14 Uhr, 07. Oktober

    Vielen Dank für diesen Beitrag. lieber Ralph!
    Die Diagnose von Flügge hat sicherlich Wahres, nur die Therapie finde ich auch zu banal.
    Aber, Ralph, was heisst denn genau: Gott redet mit? Und ist das Gebet liturgisch nicht von der Predigt zu unterscheiden?
    Ich habe immer noch an der Uni gelernt, dass einer Predigt eine profunde und wissenschaftlich adäquate Exegese des Bibeltextes zu Grunde liegt. Mittels Hermeneutik versucht man dann den Text bzw. die im Text inhärenten Fragen und Themen für den Alltag fruchtbar zu machen…
    Gerade diese Arbeit vermisse ich in vielen Predigen (leider auch in den eigenen…).

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  • Daniel Kosch
    Gepostet um 16:34 Uhr, 18. Oktober

    Ob ein Predigtwort als wirkmächtiges, erhellendes, ermutigendes oder herausforderndes Wort ankommt – oder bloss als „leeres“ Wort, ist nicht nur eine Frage des Predigers bzw. der Predigerin, sondern auch des Hörers oder der Hörerin. Ich habe schon erlebt, dass mich etwas sehr „getroffen“ hat, während andere die Predigt als wenig aussagekräftig beurteilten.

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  • Esther Gisler Fischer, la Pasionara
    Gepostet um 16:45 Uhr, 19. Oktober

    In der Analyse gehe ich mit Eric Flügge grundsätzlich einig, seine Remedur mag etwas gar banal sein. Dennoch: Einen biblischen Text sorgfältig bearbeitet zu haben um ihn dann in einen Dialog mit den Lebens- und Erfahrungsrealitäten der Gottesdinstbesucher_innen und -_hörerinnen zu bringen, dünkt mich hohe Schule und ein hoher Anspruch. Luthers Rat versuche ich dabei auch immer zu beherzigen: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf!“

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  • Felix Geering
    Gepostet um 12:09 Uhr, 29. Oktober

    Eine Landeskirchenpredigt müsse „wischiwaschi“ sein. Sei sie es nicht, sei es keine Landeskirchenpredigt mehr, denn die Pdarrperson könnte ja jemandem auf die Füsse treten und dadurch Kirchenaustritte provozieren. Das kostet Steuergeld und ist unbedingt zu vermeiden!
    Diese Eindruck entsteht bei mir jedenfalls. Untermauert durch kritische Rückmeldungen der „liberalen“ Kirchensteuerzahler bzw. Passivmitglieder, nie man nie mehr als drei mal pro Jahr in der Kirche sieht.

    Warum eigentlich ist das so?

    Müsste nicht eine Pfarrperson im GD sagen dürfen, wovon ihr das Herz brennt, auch wenn damit ein paar Kirchensteuerzahler vergelstert werden? – Sind wir ehrlich: In der real existierenden Praxis wird dies möglichst vermieden. Man will und soll ja die Kirche im Dorf lassen.

    Kommt hinzu, dass es möglicherweise schwierig ist für das Pfarrpersonal, fliessbandartig Sonntag für Sonntag nach ca. 60 Wochenstunden noch eine geistvolle Predigt abzuliefern. Ein Pfarrer, eine Pfarrerin müsste auch den Mut und die Ehrlichkeit aufbringen dürfen zu sagen: „Diesemal wurde mir kein Wort gegeben. Heute feiern wir einfach miteinander.“

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  • Andreas Imhasly
    Gepostet um 18:26 Uhr, 28. Dezember

    Ich bin sehr spät dran, aber entdecke den Beitrag von R.Kun z erst jetzt und bin dankbar dafür! Denn diese Predigt- oderi Sprachkritik von Flügge ist einfach nur ärgerlich, angefangen schon rein sprachlich beim Untertitel, der wahrscheinlich die einzige Ursache war für den Hype. Der Inhalt ist beliebig, widersprüchlich, leidet an grosser Einbildung und fehlender Erfahrung. Es ist nicht mehr als ein billiges Plakat, auch wenn sich die Auflagen mehren.Die Mühe von Prof. Kunz lohnt sich sehr, auch für mich als Leser, als Prediger,, als Gottesdienst- mit-Gestalter.

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