Warum ich gerne Kirchensteuern zahle

Gestern habe ich unsere Steuererklärung ausgefüllt. Die Mitgliedschaft in der Reformierten Landeskirche kostet unsere Familie eine ganze Stange Geld. Letztes Jahr habe ich alles in allem etwa acht kirchliche Veranstaltungen besucht: Zweimal Asylessen, einmal Taufgottesdienst, einmal normaler Gemeindegottesdienst (in dessen Anschluss meine Frau in der Kirchgemeindeversammlung als Kirchenpflegerin gewählt wurde), einmal Universitätsgottesdienst, einmal Gottesdienst vor dem MitarbeiterInnen-Jahresessen und zweimal Weihnachtsgottesdienste. Ich liege damit über dem Durchschnitt, glaube ich. Trotzdem: Weniger als ein Besuch pro Monat, vier davon alleine in der Weihnachtszeit. Hätte ich mein Fitnessabo auch so wenig benutzt, hätte ich ausgerechnet, dass mich ein einziges Training hundert Franken kostet und gekündigt.

Das geht vielen so: Sie rechnen nach, ob sich das General-Abo lohnt, welches Handy-Abo für sie das Beste ist, wechseln regelmässig die Grundversicherung, warten mit ihren Grosseinkäufen bis sie einen fünffach Cumulus-Bon haben, buchen Last-Minute-Urlaube  – und bezahlen Kirchensteuern. Dabei lohnen sich Kirchensteuern auch dann nicht, wenn man während seiner Lebensspanne zwei Taufen, mehrere Hochzeiten und eine Beerdigung einkalkuliert. (Bei wie vielen Kindern, die man taufen lassen will, liegt wohl der Break-even-Point?) Und es ist mindestens fraglich, ob wir im Stande wären auch nur drei konkrete gemeinnützige Projekte aufzuzählen, die wir über unsere Kirchensteuer bewusst finanzieren wollen. Ich jedenfalls kann es nicht. Im Gegenteil: Ich nerve mich darüber, wenn die PR-Berater die gesellschaftliche Nützlichkeit der Kirche anpreisen.

Gewiss leisten die Kirchgemeinden und die kirchlichen Hilfswerke viel gute Arbeit. Bestimmt haben sie auch in diesem Jahr zig-fach unkompliziert geholfen, wo die gesellschaftlichen Maschen zu weit waren. Ich finde das gut. Mir persönlich sind die Kirchen aber deshalb so wertvoll, weil sie ein Refugium des Zweckfreien, des Nicht-käuflichen geblieben sind. Ich will nicht Kirchensteuern zahlen, obwohl sie die Gebete und Feiern am Sonntagmorgen ermöglichen, sondern genau deshalb. Während Gesundheitsleistungen anhand von Fallpauschalen, Menschen durch Lebenserwartung multipliziert mit Einkommenserwartungen, Schulen mittels PISA-Studie und PolitikerInnen vermöge effekthaschend erzeugter Zustimmungswerte (Volksnähe) be-Wert-et werden, weiss ich, dass in meinem Quartier, unserem Kanton, der ganzen Schweiz und weit über die Landesgrenze hinaus am Sonntagmorgen zwecklos, dafür beziehungsreich und sinnvoll gebetet, gesungen und gesegnet wird.

Ich erwarte nicht, dass ich diese Gemeinschaft in naher Zukunft brauche. Ich bezahle nicht, damit ich, sollten die Erschütterungen des Lebens das nötig werden lassen, dort Trost finde. Ich bleibe nicht Mitglied, damit andere in den Genuss kirchlicher Leistungen kommen können. „Meine Kirche“ wartet nicht am Wegrand auf mich und muss ihre Nützlichkeit meinetwegen in keinem Jahresbericht darlegen. Ich liebe sie dafür, dass sie in meiner Welt, in der alles so zweckmässig und nützlich und geordnet ist, Schönheit und Sinn jenseits des Messbaren darstellt.

 

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20 Kommentare
  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 06:55 Uhr, 22. Februar

    – Diese Romantik können sich immer weniger Leisten!
    – Es gibt immer mehr Konkurrenz die neue Formen der Spiritualität präsentieren die sich rechnen. Seit niemand mehr verbrennt wird wegen häresie, Wohnungen auch ledigen Frauen und Aufträge an Firmen von nicht Kirchengänger vergeben werden (im Gegensätze zu früher) ist Konkurrenz da und belebt den Markt. ICF ist gross und trägt auch selbst, und es gibt hunderte von meditaion grüppli aller couleur und andere eso Vereinigungen. Das Monopol ist weg. Gut so, Qualität setzt sich durch. Gut so. Die Reformierten mitten drin…

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 12:13 Uhr, 22. Februar

      ach, ach… das monopol ist doch schon lange weg… und das ist sehr gut so! ich teile aber ihre einschätzung, wonach das icf sehr gross sein soll, nicht. immer gibt es und gab es evangelistische gruppen, die auf dem religionsmarkt ihre nische bedienen. anzeichen dafür, dass dieser markt wächst, sehe ich keine.

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 22:05 Uhr, 23. Februar

      …..nur kurz zum: „ICF ist gross und trägt auch selbst“ — mag sein. Die Frage bleibt für mich, wie es denn dazu kommt und was die Beweggründe dieser christlichen „FreiKirche“ oder Gemeinschaft sind?
      Gruss Verena

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      • Felix Geering
        Gepostet um 11:50 Uhr, 24. Februar

        Da war kürzlich ein Bericht im katholischen „Forum“. Leo Bigger erlebte im Ausland moderne katholische Gottesdienste und wollte das auch zu Hause. Man sagte ihm, er solle selber etwas aufziehen. Der Rest ist Geschichte.

        Die Gründe, warum neue Gemeinschaften entstehen, dürften immer die gleichen sein: Die etablierten Kirchen können oder wollen konkrete Bedürfnisse nicht erfüllen. Dann organisiert man sich halt notgedrungen selber.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:14 Uhr, 22. Februar

    Hmmmm…. auch für mich hat diese Perspektive etwas sehr Ansprechendes – vor allem der Aspekt, sich nicht sogleich einen persönlichen Nutzen ausrechnen zu müssen. Dennoch bleibt für mich Kirche immer auch christliche Kirche. Und von daher ist sie für mich nicht nur zweckfrei. Es gibt Werte und Verhaltensweisen, für die ich als Christin einstehen möchte, und diese erhoffe ich mir auch von meiner Kirche.

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    • stephan jütte
      Gepostet um 09:17 Uhr, 22. Februar

      liebe barbara, das empfinde ich auch so. allerdings erwarte ich dasxeinstehen für werte, sozial schwache etc. auch von gewissen parteien und politikerinnen. nur von der kirche erwarte ich aber refugium des nichtzwecklichen zu bleiben….

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 19:09 Uhr, 27. Februar

      Ja genau! Und dazu gehört für mich unbedibgt (gesellschafts-)politischens Engagement.

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  • Felix Geering
    Gepostet um 09:18 Uhr, 22. Februar

    Kirchensteuer kostet weniger als Billag und weniger als Cablecom. Aber das „Programm“ ist besser 🙂

    Gehen Sie doch einfach mehr als acht mal im Jahr „zweckfrei“ in die Kirche und feiern Sie mit!

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  • Andreas Imhasly
    Gepostet um 11:36 Uhr, 22. Februar

    lieber Herr Jütte, Ihr Plädoyer für die zweckfreie Kirche in Gottes Ohr, es ist erfreulich in unserer Zeit der totalen Verzweckung von (beinahe) allem. Trotz dem mein Wunsch: teilen Sie diese Freude doch öfter mit andern an kirchlichen Orten und Gelegenheiten. Denn unsere Kirchen entgehen der Nützlichkeitsrechnung (die soviele gedankenlos teilen und zulassen) auf lange Sicht nicht. Und am Schluss wird dann eben doch öffentlich auf- und abgerechnet…. Und bei allem Genussfaktor… bis in unsere Liebesverhältnisse hinein bleibt unser Leben Herausforderung und Auf-Gabe, Arbeit und Kampf und das auch (leider?) in und mit der Kirche. Wenn Gletscher schmelzen kann es uns nicht egal sein, solange sie noch kalt und schön in der Landschaft stehen.
    NB. Ihre Lebens- und Glaubensfreude spüre ich durchaus in Ihrem provokativ-kreativen Denken!
    A .Imhasly

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 08:07 Uhr, 24. Februar

      Danke, ich habe mich sehr über diese einfühlsamen Worte gefreut!

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  • Anonymous
    Gepostet um 14:05 Uhr, 22. Februar

    Wenn Gletscher schmelzen.. Ich bin ganz froh, ist Zürich, die schone Reformationsstadt Zürich nicht mehr unter einer Gletscherdecke. Vielleicht geht es dem Käfer mit der AHV-Nummer 3456.7890.12345 auch so?

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 21:45 Uhr, 23. Februar

      …..und damit wollen Sie sagen…..? Ich habe diesen Kommentar jedenfalls nicht, oder allenfalls nur knapp verstanden.

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  • Elisabeth Stuck
    Gepostet um 22:15 Uhr, 23. Februar

    Lieber Stephan
    das Zweckfreie und das Schöne als Refugium der Kirche? Was unterscheidet denn da die Kirche von der Kunst? Mit der Begründung ‚zweckfrei und schön‘ kann man auch eine literarische Lesung am Sonntagmorgen, wo das Publikum den Literaten feiert und verehrt, subventionieren oder eine Führung durch einen sakral anmutenden modernen Kunsttempel u. v.a.m. Was ist das Alleinstellungsmerkmal von Kirche, das dich bewegt, Kichensteuern zu bezahlen und dich nicht mit diesem Geld als Kultursponsor zu betätigen? Nehme aber nicht an, dass dein Beitrag als Plädoyer für eine Kunstreligion zu verstehen ist 😉 Bei aller Vorliebe für eine kreative theologisch genährte Kunst und für eine kreative von der Kunst genährte Theologie: was bringt Menschen dazu, Kirchensteuern zu bezahlen? Und was macht die Kirche, wenn diese Steuergelder nicht mehr fliessen? Eine Entprofessionalisierung bei den Mitarbetenden, damit’s nicht zu teuer kommt? Das wäre vermutlich nicht in deinem Sinn und könnte dazu führen, dass das ästhetisch Gestaltete und Zweckfreie, das man in der Kirche immer wieder auch findet, ebenda nicht mehr zu erleben ist.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 08:04 Uhr, 24. Februar

      Liebe Elisabeth, so verstanden, kann ich die Alternative natürlich nicht annehmen 🙂 Mein Grundgedanke war ein anderer: Warum spende ich das Geld nicht einfach dem Pfuusbus, der Winterhilfe oder dem HEKS, anstatt Kirchensteuern zu zahlen? Das ist rational zunächst gar nicht so einfach. Und da merke ich, dass es bei mir keine zweckrationalen Abwägungen, sondern eine emotionale Verbundenheit ist, die mich das tun lässt. Diese Verbundenheit spüre ich aber gerade oft als Abwesender. Kunstreligion würde ja bedeuten, dass ich am Ereignis teilnehmen will. Ich meine aber eher, dass ich eine Verbundenheit jenseits der Teilnahme spüre. In den letzten Tagen habe ich mir überlegt, ob nicht vieles von dem was Kirchenmitglieder tun, letztlich von dieser Verbundenheit getragen wird, sie also gar nicht eine Alternative zur Diakonie, sondern die Diakonie eine Folge der Verbundenheit ist…? Herzlich!

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  • Corinne Duc
    Gepostet um 22:56 Uhr, 23. Februar

    In dem Fall halten Sie die Kirche für eine (unermesslich) nützliche Institution zumindest in Bezug auf die von Ihnen genannten Zwecke (wie […] Gebete und Feiern am Sonntagmorgen ermöglichen, als Refugium des Zweckfreien dienen, etc.)?

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 08:06 Uhr, 24. Februar

      Nein, weil ich die Kirche ja nicht unter einer funktionalen Perspektive betrachte kann sie mir nicht als nützlich/unnützlich erscheinen. Aber Ihre Beobachtung beschreibt zutreffend, wie Sie meine Beobachtung aus einer funktionalen Perspektive beobachten können 😉

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  • Verena Thalmann
    Gepostet um 20:13 Uhr, 25. Februar

    …..“ich liebe sie dafür, dass sie in meiner Welt, in der alles so zweckmässig, nützlich und geordnet ist, Schönheit und Sinn jenseits des Messbaren darstellt! “
    Das hat mich echt berürt – nach nochmals gründlichem durchlesen.
    Ist wohl „nicht einfach so“, aber heilsam zu erfassen.

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  • michael vogt
    Gepostet um 01:35 Uhr, 26. Februar

    was in der gemeinde geschieht, soll der oikodome, dem hausbau dienen. das haus (oikos) ist ein bild für den einzelnen, die gemeinde, die welt. aufgrund ihrer erbauung, richten sich die einzelnen nicht nach dieser welt. das ist ihr beitrag zu ihrem umbau. das wort zweck kann sich in unsere haut setzen wie ä zeck (eine zecke). Sie verwenden es in einem bestimmten sinn, unterschieden vom sinn. mir geht es wie beim glauben: das wort zweck würde ich möglichst nicht verwenden. muss ich aber sagen, ob ja oder nein, sage ich: doch, was in der gemeinde geschieht, hat einen zweck, soll dem beschriebenen zweck dienen und soll – nicht chronisch, aber grundsätzlich – auch dahingehend geprüft werden. (rm 14.19 und 12.2 und 1kor 14.5.12.26). in Ihrem beitrag zu den menschenrechten haben Sie die unverfügbarkeit des menschen hervorgehoben. ja, vieles kann nicht verfügt werden, und doch sind wir nicht einfach so unverfügbar. so müsste jede firma ihren laden dicht machen. und es gibt eine schulpflicht etc. kant sagt nicht, der mensch dürfe nicht als mittel zum zweck betrachtet werden, sondern „nie nur als mittel, immer auch als zweck“. sinn für andere hat das, was seinen sinn in sich selbst hat.

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 13:31 Uhr, 26. Februar

      …..spannende Gedanken – weiterführende Worte – „alles soll zum Aufbau dienen“
      …..vielleicht ist das dann eben mehr als Zweck sondern einfach sinngebend und lebensfördernd.

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    • michael vogt
      Gepostet um 23:48 Uhr, 03. März

      zitat nicht wörtlich. die anführungszeichen im zweitletzten satz müssten weg.

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