Zum Tag der Kranken: Waiting to live

Meine Augen sind geschlossen. Ich träume von der warmen Sonne, die mir auf den Rücken scheint. Der Zürisee glitzert in wunderschönen Farben, und zu meinen Füssen liegt mein treuer Hund Gino. Wasser tropft aus seinem gelockten Fell. Er liebt das Schwimmen im See ebenso wie ich.

Ich öffne meine Augen und befinde mich im Universitätsspital Zürich auf der Pneumologieabteilung. Ich kenne diese Zimmer in- und auswendig. Die Türen, die Fenster, die Farbe des Fussbodens und die karierte Bettwäsche in Pastelltönen.

Das Rauschen des Sauerstoffs holt mich zurück ins Hier und Jetzt. Vier Liter strömen zusätzlich durch meine Nase in meine Lunge. Es ist alles anstrengend, der Weg zur Toilette gleicht einem Bergaufstieg mit grosser Atemnot. Das Haarewaschen ist wie ein Marathon und vom Haareföhnen reden wir schon gar nicht. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht mir sehr schlecht.

Ich liebe meine Lunge, auch wenn wir es momentan sehr schwer haben zusammen. Sie ist ein wunderbares Geschenk, das ich im Sommer 2010 von einem wunderbaren Menschen bekam. Er oder sie hat mir das Organ gespendet, welch unglaubliche Nächstenliebe, Heldentat, mein Held oder meine Heldin, mein Organspender.

Mir wurde ein neues Leben geschenkt. Zutiefst dankbar bin ich diesem Menschen, seinen Angehörigen. Zutiefst dankbar bin ich dir, Gott. Ich durfte atmen wie nie zuvor, ohne diesen fiesen Schleim, ohne den chronischen Husten der Cystischen Fibrose. Ich durfte laufen ohne Limit, stundenlang, ohne Atempause, einfach atmen, leben, geniessen…wie ein gesunder Mensch. Welch Segen, dies alles zu erleben. Ich durfte mir Wünsche erfüllen, wieder arbeiten, Abenteuer wagen und Träume verwirklichen. Ich heiratete. Meinen verspielten Hund Gino durfte ich als Welpen aufziehen. Er tut mir so gut! Mein Herz ging auf und ist immer noch offen von diesem Wunder.

Doch meine Spenderlunge ist nun müde. Ich habe oft mir ihr geredet und ihr Mut zugesprochen. „Wir schaffen das!“ oder „Es wird wieder gut, Gott hilft uns“. Daran glaube ich ganz fest, dass Gott uns hilft, dass er eingreift. Nur weiss ich nicht wie und wann, aber ich vertraue auf Ihn.

Ich bin noch jung, ich würde gerne weiterleben. Leben mit all den lieben Menschen, die mir nahe sind. Mit meinem wunderbaren Mann, meiner lieben Mutter, meinen tollen Freundinnen, liebenswerten Menschen an meinem Arbeitsplatz.

Manchmal habe ich Angst, dass ich es nicht schaffe. Ich denke auch über das Sterben nach. Es ist mir nahe und auch wieder nicht. Gelegentlich fühle ich mich wie in einem Film. Meine Lunge wird nach achteinhalb Jahren plötzlich abgestossen – ich kann nichts tun. Plötzlich war die so ersehnte und geliebte Luft wieder weg. Ich möchte aussteigen, es wieder wie früher haben, und kann nicht. Ich bin 41 Jahre alt.

So Gott will, darf ich nochmals auf die Warteliste für eine Spenderlunge. Die, die sich jetzt fragen: «Muss das sein? Will die wieder ein fremdes Organ? Langets denn nöd öppe mal?!», denen kann ich sagen: Sein muss es nicht, aber wenn ein Mensch geht und mir seine passende Lunge schenken möchte, damit ich mit dieser weiterleben darf, atmen, lieben, Gutes tun – dann sage ich JA! Ja, danke, ja, ich nehme dieses Organ gerne an, halte es in Ehren, halte Sorg dazu und erzähle den Menschen gerne wie du, unbekannter Spender, mein Leben gerettet hast.

In unserer Stube brennt ein Licht, ich vergesse dich nicht.

Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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15 Kommentare
  • Hedi
    Gepostet um 08:54 Uhr, 03. März

    Ich kann Sie so gut verstehen. Zwar habe ich erst eine beginnendende COP, aber das nach Luftringen und nicht genug bekommen, kann sich wohl niemand so richtig vorstellen.
    Ihnen alles Gute und Gottes Hilfe!

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    • Sonja Bauer
      Gepostet um 17:13 Uhr, 04. März

      Ich wünsche Ihnen noch lange ganz viel „ Schnuuf“ und alles Gute!

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  • Anonymous
    Gepostet um 11:44 Uhr, 03. März

    Liebe Sonja, ich wünsche dir so sehr, dass du nochmal eine Lunge bekommst. Du bist so ein unglaublich wunderbarer Mensch, der so unsagbar viel zu geben hat. Eine wahre Bereicherung!!
    Su

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  • Aurelia Hegi
    Gepostet um 11:47 Uhr, 03. März

    Liebe Sonja, danke für diese berührenden Worte, die haben mich mitten ins Herz getroffen. Ich hoffe, dass eine passende für dich, wunderbaren Menschen, gefunden wird. Ich wünsche dir viel Kraft und Zuversicht.. Dein Mann, Gino und Gott werden dir sicher diese Kraft geben. Meine Gedanken sind bei dir.

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  • Sona Appert
    Gepostet um 12:13 Uhr, 03. März

    Sehr berührend, emocional und gekonnt geschrieben. Jede sollte sich Gedanken machen und die auch zu Lebzeiten äusern betreff Organspende. Wenn ich jemanden mit meinem Spendeorgan Leben retten kann, ist es für mich ein Zeichen nächste Liebe. In Beitrag liest man und spürt die Kraft, Zuversicht und Stärke und vor allem die Glaube an Gott. Ich wünsche Sonja Bauer weiter viel Kraft und bin überzeugt, dass sie bald wieder durchatmen könnte , mit Hund durch Wald spazieren und ihre geliebte Arbeit mit Menschen wieder ausüben kann. Alles Liebe und Danke dass es dich gibt.

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  • Katja Eberle
    Gepostet um 13:58 Uhr, 03. März

    Der Beitrag ist sehr berührend und aus dem Herzen geschrieben. Ich wünsche Dir ganz fest, dass diese Lunge kommt und Du nochmals lässige Jahre mit Deinem Hund, Mann, Mutter und Freundinnen verbringen kannst! So dass wir unsere besprochenen Zukunftspläne noch verwirklichen können!! Finde Dich eine bewundernswerte, starke Frau! Viel Kraft weiterhin!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 17:06 Uhr, 03. März

    Liebe Sonja – ich danke dir so sehr. Du bist mutig, du bist stark. So vielen andern mitbetroffenen Menschen hast du nun deine Stimme verliehen. Ich bin stolz darauf, dich zu kennen. DANKE!

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    • Sonja Bauer
      Gepostet um 17:19 Uhr, 04. März

      Vielen Dank für die lieben Worte.
      Ich habe sehr gerne meine Geschichte erzählt und hoffe fest dass man über das Thema „Organspende“ offener reden kann. Vorallem in der Familie sollte man dies besprechen können. Wer informiert ist kann besser entscheiden in einer Notsituation.

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  • Ellis D'Elia
    Gepostet um 18:16 Uhr, 03. März

    Liebe Sonja, danke für diesen berührenden Beitrag Ich glaube daran. Wir schaffen es.
    Von Herzen
    Ellis

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  • Susanna Meyer Kunz
    Gepostet um 09:35 Uhr, 04. März

    LIebe Frau Bauer

    Danke, dass Sie bereit sind Ihre Situation der Öffentlichkeit kundzutun.
    Nach wie vor ist das Reden über die Organspende tabuisiert.
    Das diesjährige Thema zum Tag der Kranken lautete: „Wissen macht uns stark“.
    Sie tragen mit Ihrem Beitrag dazu bei, dass wir, die wir Ihre Erfahrung nicht kennen, von Ihnen lernen dürfen.
    Von Herzen wünsche ich Ihnen für Ihren weiteren Weg Gottes Segen!
    Herzlich Susanna Meyer

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  • Markus Bauer
    Gepostet um 19:46 Uhr, 05. März

    Liebe Sonja, ich bin so stolz auf dich, wie tapfer du mit deiner Situation umgehst. Du hast trotz allem nie deine Lebensfreude und deinen Humor verloren.. Ich bin stolz darauf, dein Mann sein zu dürfen. In Liebe dein Markus

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  • Gabriela Ursprung
    Gepostet um 17:41 Uhr, 06. März

    Liebe Sonja
    Ein toller und berührender Text! Deine Zeilen lassen erahnen, was du aktuell – einmal mehr – aushalten musst.. Doch wer dich kennt weiss, dass du dich so schnell nicht unterkriegen lässt. Deine Lebensfreude war schon immer ansteckend und dein Lachen sowieso :-)! Ich und all die vielen Menschen die dich in’s Herz geschlossen haben wünschen sich darum nur eines: Eine neue Chance für DICH!
    Herzlichen Dank für deine Freundschaft, Gabi

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  • Alain Bollhalder
    Gepostet um 17:24 Uhr, 12. März

    Liebe Sonja, ich bin in Gedanken ganz fest bei Dir, ich wünsche Dir viel Kraft, Mut und Zuversicht, damit Du bald wieder frei atmen kannst und Dir keine Sorgen mehr machen musst. Gott ist immer bei uns, auch in der schwersten Zeit. Magst Du Dich noch an das Gedicht „Spuren im Sand“ von Margaret Fishback-Powers erinnern!? Es ist so, wir werden immer von Gott getragen!!! Sei stark und tapfer, glaube an Wunder, denn sie geschehen, jeden Tag. Dir, liebe Sonja, Deinem Mann Markus, Deiner Familie und dem lieben Gino, wünsche ich von Herzen nur das Beste, auf dass Ihr bald wieder alle zusammen das Leben geniessen und aufatmen dürft. Herzlichst, Alain

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  • Trudy Krkoska
    Gepostet um 11:32 Uhr, 19. April

    Herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Was mir am meisten daran gefällt ist, dass Sie klar machen, dass obwohl Ihre Krankheit einen wichtigen Teil Ihres Lebens ist, sie Ihr Leben nicht definiert. Ihr Leben besteht aus viel mehr. Herzlichen Dank auch dafür, dass Sie über die Organspende schreiben und wie diese das Leben einer auf eine Transplantation wartenden Person ändern, verbessern kann. Leider redet man nicht offen über die Organspende in der Schweiz und Menschen halten gerne Abstand von denen, die auf eine Organspende angewiesen sind. Ich rede aus eigener Erfahrung. Mein 26-jähriger Sohn wartet seit drei Jahren auf eine Niere. Einmal, als ich mich besonders verzweifelt fühlte, klebte ich Blätter (worauf ich kurz die Situation meines Sohnes geschildert hatte…und mit meiner Mobil Telefonnummer) auf alle Scheiben meines Autos und fuhr in der Region herum. Mein Mann war entsetzt und bat mich, alles zu entfernen. So was mache man hier nicht. Es ist schwer zu sagen was „zu weit gehen“ heisst, wenn das Leben eines jungen Menschen das Thema ist.

    Ich wünsche Ihnen alles Gute…und besonders ein Organ, dank dem Sie weiterhin Gutes tun können.

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    • Sonja Bauer
      Gepostet um 09:03 Uhr, 24. April

      Liebe Frau Krkoska
      Vielen Dank für Ihren Kommentar.
      Ich kann Sie so gut verstehen – mit den Zetteln auf dem Auto.
      Es ist die Verzweiflung nichts tun zu können, einfach nur zu warten.
      Ich wünsche Ihrem Sohn ganz viel Mut und Durchhaltevermögen, und dass er auch in dieser schweren Zeit viele schöne Momente haben darf und die Hoffnung immer an seiner Seite bleibt.
      Liebe Grüsse
      Sonja Bauer

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