Das Gute im Affen

Im ugandischen Regenwald blickte ich in die Bernstein farbigen Augen obiger Berggorilla-Dame. Ich schaute in frontale Augen wie meine, in ein Gesicht wie meines und fühlte mich mit ihr verbunden.

Die Grenze zwischen Mensch und Tier ist immer wieder verschoben worden. Menschen seien die einzigen, die Werkzeuge benützen und herstellen. Die weltberühmte Schimpansen-Forscherin *Jane Goodall, die dieses Jahr ihren 85-igsten Geburtstag feierte, hat das schon lange widerlegt. Nur Menschen hätten Kultur? Schimpansen-Gruppen an einem Ort machen andere Werkzeuge oder benutzen sie anders als an anderen Orten. Sprache? Kanzi, eine Bonobo-Berühmtheit in einer US-Forschungsstation versteht englisch und kann sich mit Hilfe von Computer und Symbolen mit Menschen verständigen.

Bleibt noch die Moral? Haben wir Menschen wenigstens in Sachen Fairness und Empathie das Krönchen auf? Elefanten helfen anderen mit Rüssel und Stosszähnen aus Löchern. Delfine schieben verletzte Kollegen an die Wasseroberfläche. Eine Schimpansin im Zoo gibt einem kranken Kollegen von ihrer Holzwolle ab und legt sie ihm als Kissen zwischen Rücken und Wand zurecht. Schimpansen zerren einen unvorsichtigen Kumpel von einer Giftschlange weg, zeigen Dankbarkeit mit einer Umarmung, trösten einander nach Ungemach. Mitgefühl und gezielte Hilfe können sich sogar an eine völlig fremde Art richten. Die Bonobo-Frau Kuni fand einen benommenen Vogel im Gehege, kletterte mit ihm auf den höchsten Baum, entfaltete seine Flügel und warf ihn in die Luft.

Schimpansen und Bonobos sind zu gleichen Teilen unsere nächsten Verwandten. Wir teilen über 98 Prozent unseres Erbguts mit ihnen. Die Macht bewussten Schimpansen-Männer sind bekannt für ihre heftigen und manchmal blutigen Rivalitätskonflikte. Aber sie haben auch die Fähigkeit, sich zu versöhnen. Sie tun das mit einem Kuss. Ebenso greifen ältere männliche und weibliche Schimpansen bei Konflikten als Streitschlichter ein. Auch wenn der eigene beste Kumpel zu einer Streitpartei gehört, verhält sich der Mediator neutral und zielt auf Versöhnung. Die Empathie-Stars unter den Menschenaffen sind die Bonobos, eine endemische Art, die nur südlich des Kongofluss in der D.R. Kongo vorkommt. Sie bauen Spannungen untereinander mit Sex ab in fast alle Richtungen. Sie führen keine Vernichtungskriege gegen fremde Gruppen wie Schimpansen und Menschen. Dafür spielen sie bis ins hohe Alter wie der Homo Sapiens. Bei Schimpansen sind wechselnde Männer-Koalitionen wichtig. Boss der Gruppe ist ein Alpha-Mann. Bei den Bonobos spielen starke Frauenbündnisse eine Rolle. Angeführt werden die Gruppen von einer Alpha-Frau.

Eine Bonobo-Frau in einer Forschungsstation wurde für eine Aufgabe mit Rosinen und Milch belohnt. Das bekamen auch ihre Kolleginnen und Kollegen mit. Sie machte deutlich, dass auch die etwas abbekommen sollten. Erst dann konnte sie ihre Belohnung geniessen. Ein Test zur Ungerechtigkeits-Aversion bei Kapuzineräffchen finde ich lustig. Eines bekommt als Belohnung für eine Aufgabe Gurkenscheiben und ist zufrieden bis es sieht, dass sein Kollege höher geschätzte Traubenbeeren kriegt. Sofort nimmt es die Gurkenscheiben nicht mehr an, sondern wirft sie aus dem Käfig. Beim gleichen Test mit Schimpansen fängt übrigens der hochwertiger belohnte Schimpanse zu protestieren an. Ein weiterer Test zum prosozialen Handeln von Schimpansen geht so: Zwei nicht verwandte Schimpansen sind nebeneinander in Käfigen. Einer bekommt eine Schachtel mit roten und grünen Plastikchips. Wenn er einen herausgibt, bekommt er eine Belohnung. Wenn er einen grünen herausgibt, bekommt auch sein Kollege eine Belohnung. Schon nach kurzer Zeit gibt er vor allem grüne Chips heraus.

*Frans de Waal, ein renommierter Primatologe hat über Jahrzehnte beobachtet, wie sich Menschenaffen empathisch, fair und kooperativ verhalten. Moral sei vermutlich aus der Fürsorglichkeit von Säugetieren entstanden. Sie fördert Kooperation und Gruppenzusammenhang und beruht auf Emotionen und nicht auf äusseren Prinzipien. Sie ist viel älter als Religion. Human handeln nicht nur Menschen und bestialisch nicht nur Tiere. Traurig, dass alle Menschenaffen vom Aussterben bedroht sind. Lebensraumbeschneidung und Buschfleischhandel durch den Menschen sind die Hauptursachen.

*Frans de Waal: Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote

*Jane Goodall: Grund zur Hoffnung, Autobiographie

 

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16 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:50 Uhr, 01. Mai

    Ja, sehr traurig! Traurig auch, dass theologisch nur und stur und unreflektiert und nochmals nur dem Menschen „unverlierbare Würde“ zugesprochen wird. Auch die Seelsorge ist da nicht weiter gekommen. Wirklich traurig. Danke für diesen Beitrag, Brigitte! Am nächsten Pfarrkapitel haben wir übrigens Kollege Christoph Ammann von der Aktion Kirche und Tiere eingeladen. Ob wir auch beim Thema Tiere mal theologisch über die Entstehungszeiten unserer heiligen Schriften hinauskommen können?

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    • Alpöhi
      Gepostet um 09:07 Uhr, 01. Mai

      Frau Hauser, danke für den Artikel. Er zeigt, dass uns die Tiere näher stehen als wir auf den ersten Blick meinen.

      Frau Oberholzer,
      >> Traurig auch, dass theologisch nur und stur und unreflektiert und nochmals nur dem Menschen „unverlierbare Würde“ zugesprochen wird.

      Wo nehmen Sie denn das her? Ich sehe das überhaupt nicht so. Im Gegenteil. Gerade im zweiten Schöpfungsbericht werden die Tiere als „Gegenüber“ zu Adam gebracht. Aber nur Eva ist „wie Adam“, und das finde ich richtig so, und wertet die Tiere nicht ab.

      Tiere vermenschlichen finde ich unsäglich. Aber sie ernst nehmen und achten als Mit-Geschöpf, das Gefühle hat und Beziehungen eingeht, ist mir wichtig.

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      • Alpöhi
        Gepostet um 09:07 Uhr, 01. Mai

        Für diejenigen unter uns, die Fleisch essen, könnte das heissen: Dankbar sein, dass das Tier auf dem Teller sich für uns hingegeben hat. (Wobei mir schon klar ist, dass es keine andere Wahl hatte.)

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        • Esther Gisler Fischer
          Gepostet um 13:29 Uhr, 05. Mai

          Auf diese Dankbarkeit kann ich pfeiffen Alpöhi! Nur weniger oder am besten k e i n Fleisch essen hilft da.

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          • Barbara Oberholzer
            Gepostet um 16:58 Uhr, 10. Mai

            Da muss ich Esther Gisler Recht geben. Was meinen Sie denn mit „das Tier hat sich für uns hingegeben“? Überhöhen machts nicht besser, sondern schlimmer!

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      • Brigitte Hauser
        Gepostet um 13:35 Uhr, 02. Mai

        Tiere sind in Theologie und Kirche m.E. doch recht selten Thema. Sie sind auch kaum im kirchlichen Weiterbildungsangebot. Manchmal ein Artikel zur Tierethik im Zusammenhang mit Fleischkonsum oder zu Tiergottesdiensten. Der Dialog mit Primatolog*innen bringt m.E. einige Erkenntnisse über uns Menschen. Frans de Waals Theorieentwurf zur Entstehung von Moralität finde ich spannend. Er und Jane Goodall machen im Regentanz von Schimpansen übrigens auch Anlagen von Religion aus. Goodall interpretiert ihn mehr als Ehrfurcht vor Naturphänomenen. De Waal als Bannversuch von etwas, das sie überhaupt nicht mögen.

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      • Brigitte Hauser
        Gepostet um 19:15 Uhr, 04. Mai

        Vermenschlichung ist evtl. das geringere Problem als „anthropodenial“, also das Verneinen der Ähnlichkeit in Emotionen, Sozialleben etc

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 09:40 Uhr, 01. Mai

    Lieber Alpöhi
    Das ist so ein Standardsatz aus kirchlicher Ethik, Seelsorge etc. Der Erhalt eines Menschenlebens rechtfertigt alles und erlaubt keine Fragen. In der Kirche. In Gesundheitswesen, Politik, utilitaristischer Ethik schon. Dem will ich hier auch gar nicht widersprechen, das Thema ist mir zu komplex. Aber mich stört die Einseitigkeit. Für die Tiere setzen wir uns niemals in dem Umfang ein. Wie ähnlich sie uns sind, zeigt obiger Beitrag schön auf. Und der theologische Mainstream ist klar auf das Primat des Menschen ausgerichtet. Was in der Bibel – die noch keine Massentierhaltung und – schlachtung kannte – zur Tierethik vorhanden ist, das zeigt in unserm Alltag keine Konsequenzen und wird theologisch/kirchlich noch viel zu wenig bearbeitet und gepusht.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 09:42 Uhr, 01. Mai

    Hab bis jetzt von diesseits übrigens noch keine Mail mit dem neuen Beitrag gekriegt. Aus Versehen im Spam gelandet ist auch nichts. Schad.

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  • Brigitte Hauser
    Gepostet um 10:03 Uhr, 02. Mai

    Die biblischen Schöpfungs-Mythen sind was Tier und Mensch anbelangt nicht auf fundamentale Differenz angelegt (von der sogenannten Herrschaftsauftrag-Stelle, sehe ich mal ab). Mensch und Tier sind aus gleichem Material gemacht und beide haben Teil am gleichen Lebensatem. Der Nicht-Zerstörungs-Bund bei der Arche Noah-Geschichte gilt auch den Tieren und das Ruhetags-Gebot auch Nutztieren.
    Ich plädiere für eine zoologische Theologie, weil wir diesen Planeten mit den Tieren teilen. Wenn man jedoch beispielsweise eine Kollekte für Tiere erhebt, gibt es bestimmt Stimmen, die sagen, warum denn nicht für arme Kinder…

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 13:31 Uhr, 05. Mai

    Liebe Frau Haiser

    Ihr Beitrag berührt mich! Der Mensch ist halt nicht die ‚Kroneder Schöpfung‘, sondern inmitten des Geflechts an Tieren und Pflantzen.Wenn wir dies nur mal kapieren würden …

    Freundich grüsst Sie
    Esther Gisler Fischer.

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    • Fuchs
      Gepostet um 18:51 Uhr, 05. Mai

      Wenn ich den Kehrichtsack aufreisse, Plastik in die Natur hinausschleife. . . können die Menschen nicht von mir erwarten, dass ich kapiere, was ich tue und was dagegen getan werden könnte. Aber ich von ihnen. Erfahrungsgemäss schiessen sie mich nicht einfach ab, sondern stellen einen Container für die Säcke hin, zu dem ich – leider – keinen Zutritt habe. Es auch nicht versuche, da ich hängen bleiben könnte, wie Sie mit ihrem Kapieren. Warum sie auch anders, nicht ganz anders, leiden als wir, warum sie zuerst die Reiterin retten, aus dem Wasser oder aus den Flammen, dann aber auch das Ross. Weil, wie sie sagen, wir unmitelbar oder unmittelbarer leben, anders, nicht ganz anders, sterben. Wobei sie finden, dass zum Herrschen kraft ihrer intellektuellen Fähigkeiten und technischen Werkzeuge auch die Reintegration des Unmittelbaren gehöre, ähnlicher verflochten werden und weniger anspruchsvoll sein wie wir. „Krone“ halte ich nicht einfach für ein analytisches Urteil, sondern, wie in einer ihrer heiligen Schriften steht, Schöpfung durch das Wort – was auch nötig ist bei der Art wie sie uns in Fabriken halten, überladenen Fahrzeugen viel zu weit transportieren. . . Persönlich bin ich aber mit ihnen zufrieden. Zum Beispiel werde ich von ihnen bewundert, darin sogar der Katze vorgezogen. Das will etwas heissen!

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      • Fuchs
        Gepostet um 12:45 Uhr, 07. Mai

        oh Entschuldigung, es muss heissen: wie sie mit ihrem Kapieren

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    • Brigitte Hauser
      Gepostet um 17:35 Uhr, 06. Mai

      Herzlichen Dank Frau Gisler Fischer.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 18:35 Uhr, 09. Mai

    Liebe Frau Hauser, liebe Frau Gisler Fischer, ihr seid beide Mitglieder des Pfarrkapitels Zürich! Aber echt, ey ?

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 13:56 Uhr, 23. Mai

      Danke Barbara für den Hinweis! Einen Namen zu lesen heisst nicht,ihn auchgerade einer Kollegin zuordnen zu können…
      Ich fand den Beitrag gestern an ebendeisem Pfarrkapitel über Tiere super spannendund emminent wichtig!

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