Eine Stimme haben

Es gibt Schlimmeres

Zugegeben, es gibt weit Schlimmeres, als in der Ferienwohnung am Strand vor Taormina zu erfahren, dass der Rückflug annuliert worden ist und der nächstmögliche Flug in zweieinhalb Tagen durchgeführt wird. Man kann sich dann sagen: Zwei geschenkte Tage – Glückspilz. Damit die Tage aber wirklich „geschenkt“ sind, muss die Hotelbuchung von Easyjet ausgeführt werden. Und weil das Mietauto trotzdem abgegeben werden muss, wartet man solange am Flughafen mit Gepäck, Kind und Kegel.

Böse Enkel

Nach drei Stunden wurde mir etwas mulmig zu Mute. Suchen die wirklich ein Zimmer für uns? Wie kann ich da sicher sein? Warum wurde der neue Rückflug bestätigt, aber kein Hotelzimmer erwähnt? Kurzum: Ich hatte Kommunikationsbedarf. Und da es wenig hilfreich ist, solche Dinge im Familienkreis zu besprechen – mindestens wenn die Familienmitglieder nicht in der sizilianischen Hotelleriebranche arbeiten -, habe ich bei Easyjet angerufen. Eine (wirklich nicht ausgereifte!) künstliche Intelligenz brachte viel Verständnis für mich auf, verstand aber meine Anspielung auf den Turing-Test nicht, worauf ich kapierte, dass sich hinter den Formulierungen „ja, ich verstehe“ „ah ja“ „mhm“  nicht ein sehr geübter Enkel, sondern eine äusserst sparsame Airline hinter einer Technologie in Kinderschuhen verbirgt.

Ein Mensch

Beim zweiten Anruf hatte ich einen Menschen am Apparat. Der hatte dafür kein Verständnis – „Was? Sie brauchen jetzt ein Hotelzimmer? Wollen Sie Mittagsschlaf machen?“ – und wirklich überhaupt keine Ahnung, ob irgendjemand ein Zimmer für uns sucht. Von zornigem Selbstmitleid ergriffen, habe ich böse Tweets in die Welt geschickt. Und siehe da! Ein Mensch(!) der bei Easyjet arbeitet, kontaktiert mich, ruft mich an, berät mich. Da ist ein Zimmer, eine Adresse und ein Weg, mitsamt Rückforderungsformular, freundlichen Entschuldigungen und besten Wünschen für den verlängerten Urlaub.

Kunden und Menschen

Am Abend darauf erfahre ich, dass in der selben Stadt, in der ich selbstmitleidig in einem 4-Sterne-Hotel gestrandet bin, ein Schiff der Küstenwache mit 130 überlebenden Flüchtlingen an Land gegangen ist. Aussteigen durfte keiner. 110 weitere waren Tags davor im Mittelmeer ertrunken. Dort haben wir zwei Tage zuvor Delfine beobachtet, auf einem Schlauchboot mit Prosecco und Melonen. Die Ökonomisierung unserer Gesellschaft hat offenbar dazu geführt, dass noch der schlechteste Kundendienst tausendfach menschlicher ist, als unsere Politik. Es gibt Menschen und es gibt Kunden. Selig, wer unter das Gesetz von Angebot und Nachfrage fällt und nicht auf die blasse Idee von Menschenrechten angewiesen ist. Selig, wer Kunde ist, wer eine Stimme hat. Und ich hoffe – ohne dass ich es ganz glauben kann -, dass überm Sternenzelt eine sitzt, die die Schreie dieser andern hört und darauf wenigstens so gut antwortet wie unsere Kundendienste.

Ob sie das, was sie dann hört, den Kunden je vergeben können wird?

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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14 Kommentare
  • Daniela Boelsterli
    Gepostet um 09:23 Uhr, 13. August

    Zuerst musste ich laut lachen, dann ist es mir im Hals stecken geblieben. Gute Schreibe. Danke.

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  • Anonymous
    Gepostet um 10:01 Uhr, 13. August

    Ja, schöne Schreibe. Eindrücklich.

    Genau genommen sind die Flüchtlinge ja auch Kunden, nämlich Kunden der Schlepper. Dumm nur, dass diese einen NOCH schlechteren Kundendienst haben als die Fluggesellschaft, obwohl die Preise deutlich höher sein dürften.

    Das Thema ist also eigentlich: „Wie setze ich meine Rechte durch?“ und wenn dein Geschäftspartner nicht will, dann musst du vor Gericht. Beim „Vertrag“ mit dem Schlepper geht das nicht. Bei der Fluggesellschaft geht es auch nur in der Theorie.

    Nüchternes Fazit für ein emotionales Thema: „Trau schau wem“. Dein Leben kann davon abhängen. Nicht wegen der Menschenrechte; Recht haben und Recht bekommen ist nicht das Gleiche; sondern wegen der Arbeitsethik.

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  • Alpöhi
    Gepostet um 10:08 Uhr, 13. August

    Ja schöne Schreibe. Eindrücklich.

    Eigentlich ist der Flüchtling ist ja auch Kunde – Kunde der Schlepper. Nur haben diese einen NOCH schlechteren Kundendienst als die Fluggesellschaft. Das wirklich Tragische ist, dass der Flüchtling seine Rechte gegenüber dem Schlepper nicht durchsetzen kann. Denn Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich zweierlei. Das hat nichts mit Menschenrechten, aber viel mit Arbeitsethik zu tun.

    Nüchternes Fazit für ein emotionales Thema.

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  • Susanne Scherpel
    Gepostet um 10:55 Uhr, 13. August

    Sorry, aber das ist mir zu oberflächlich.

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  • michael vogt
    Gepostet um 23:15 Uhr, 13. August

    berührend, wie auf die tweets, auf die stimme, geantwortet wird. „selig, wer kunde ist, wer eine stimme hat.“ der elementarste gedanke ist, finde ich: selig, wer geld hat. die genaue umkehrung in der bekannten seligpreisung, die ihre entsprechung in den worten findet: ihr könnt nicht gott dienen und dem mammon. die stimme über dem sternenzelt hat nicht mit billigen worten geantwortet. sie ist fleisch geworden, hat in den verhältnissen unter dem sternenzelt gezeltet. (joh 1.14) und es ist ihr dabei nicht besser ergangen als denen, die auf schiffen leiden und im meer sterben. das ist die stimme, die uns zu dem sonst unbeantworteten alles sagt, bis zu der antwort: ja, vergebung auch für die kunden, die rechtfertigung durch ihren tod, aus der dann auch tatsächliche gerechtigkeit hervorgeht. zur ferienreise nach sizilien habe ich in der letzten diskussion dazu vorsichtshalber nichts gesagt. was dafür spricht: dass einer von uns in das land von carola rackete geht. was dagegen spricht: der wert armut, der auch entlastung der atmosphäre ist. in grundsätzlicher weise gedacht. abgesehen vom geld, das es zu ihrer entlastung andererseits braucht. „ohne dass ich es ganz glauben kann“ – inzwischen bin ich noch darauf gekommen: tun als ob ist eine sich selbst auflösende formel: tun, als ob man täte, als ob. (bei näherem interesse: https://www.diesseits.ch/die-krux-mit-der-identitaet/#comment-22167 > 18:50 uhr, 10. august und 00:57 uhr, 13. august)

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    • stephan jütte
      Gepostet um 06:52 Uhr, 14. August

      Ja, Vergebung auch für die Kunden! Das berührt mich. Vielleicht auch, weil ich ahne, dass unter dem Sternenzelt keine billige Gnade, sondern ein Einstehen für die ganze Welt geschenkt worden ist. Merci!

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  • Andri Florin
    Gepostet um 23:33 Uhr, 14. August

    Es wird doch wohl das viel Entscheidendere sein, mit welcher Region und welchen Mitmenschen ich verbunden bin – eine andere Solidarität kann nie unterschiedslos eingefordert werden, es geht nämlich um ein längeres Zusammenleben als die zitierten drei Tage. Die Idee einer Gemeinschaftlichkeit wurde einfach ausgeblendet, es geht um mehr als die wirtschaftliche Interessen, sondern um soziale Zusammenhänge, auch und vor allem in der Ethik. Dem Berufsethiker sind diese wohl abhanden gekommen, war das ferienbedingt? Nichts für ungut, Herr Jütte, der Alltag wird Sie wieder einholen, die Wertungen dürfen nicht verabsolutiert werden. Diese Unschärferelation schmerzt, sie muss aber ausgestanden werden, sonst lassen sich Ihre Abstraktionen einfach nicht umsetzen.

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    • michael vogt
      Gepostet um 02:41 Uhr, 15. August

      es gibt verschiedene erscheinungsformen von solidarität. zb man solidarisiert sich mit einer interessegruppe. das ist grundsätzlich gut. falsch ist die meinung, es gebe gleichzeitig nicht eine andere solidarität: die anerkennung jedes anderen menschen, auch wenn er oder sie andere interessen vertritt. die unterscheidung von person und interesse. die gegenseitige anerkennung trotz unter umständen gegensätzlicher interessen. die dogmatische begründung der solidarität mit allen habe ich oben dargestellt. es geht dabei nicht nur um die frage, mit wem ich verbunden bin, sondern ebenso oder noch mehr um die frage, mit wem ich verbunden w e r d e . in meinen augen geht es nicht um die frage solidarität oder nicht, sondern wie sich solidarität zeigt. das höre ich in Ihrer wendung „nicht unterschiedslos“. die solidarität mit den einen lässt die mit den andern nicht ausser acht. aus grundsätzlichen erwägungen lassen sich nicht direkt politische entscheidungen herleiten. die frage ist allerdings, ob sich ohne sie bei allen realitätsbedingten einbussen die möglichst humane entscheidung finden lässt.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 09:20 Uhr, 15. August

      Der Clou der Menschenrechte bestünde nun aber darin, dass Menschlichkeit jedem Nächsten, ungeachtet Ihres eigenen Einfühlungsvermögens zusteht… Dahinter steht eine Idee von Menschheit, welche Regionen, Schichten und Ideologien transzendiert.

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      • michael vogt
        Gepostet um 09:44 Uhr, 15. August

        das sagt ja auch die rechtfertigungslehre, dass, wo jede sympathie am ende ist, das rechtsverhältnis bleibt, das letzbegründete rechtsurteil, das jedes andere urteil an intensität übertrifft und ausser kraft setzt. die vom untergang bedrohten sind zuerst mal die schwächeren, denen die menschlichkeit proritär zukommt. das problem beginnt damit, dass sie andererseits die stärkeren sind, oder, anders gesagt, die anderen die schwächeren, und endet nicht zuletzt deswegen nicht, weil wir in diesem kontext nicht alles so frei diskutieren können, wie wir das in einem freiheitlichen staat sonst gewohnt sind.

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      • Alpöhi
        Gepostet um 14:30 Uhr, 15. August

        Nun ja, die Idee der Menschenrechte ist aber doch grundsätzlich abhängig von den Regionen, Schichten und Ideologien, auf denen die Idee gewachsen ist – kurz: ist abhängig vom Kontext der Herkunft.

        Darum haben Menschen aus anderer Herkunft (anderen Regionen, Schichten, Ideologien) teilweise ihre liebe Mühe mit den Menschenrechten. Was dazu führt, dass die Mächtigen in anderen Regionen, Schichten, Ideologien anders umgehen mit ihren Mitmenschen – was dazu führt, dass die Flüchtlinge überhaupt erst von dort nach hier kommen.

        Kann ich nicht lösen. Muss ich nicht gut finden. Ist aber Teil der Realität.

        Oder wie sehen Sie das?

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  • René D.Gorsatt
    Gepostet um 15:06 Uhr, 15. August

    Wölfe im Schafspelz seid lhr von deformiert. Zum Glück leeren sich die Kirchen!!!!

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    • Alpöhi
      Gepostet um 17:26 Uhr, 15. August

      Herr Gorsatt,
      ich (als oftmaliger Opponent hier) freue mich, dass Sie sich hierher „verirrt“ haben. Scheinbar sind Sie anderer Meinung als andere hier. Das ist prima! Leider kommt mir Ihre Wortmeldung etwas gar, nun ja, platt rüber 😉 Legen Sie uns doch Ihre Meinung etwas näher aus. Was finden Sie gut an diesem Thema? Was Stört Sie? Was nervt Sie?

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      • René D.Gorsatt
        Gepostet um 19:48 Uhr, 15. August

        Das jekami Blabla stört mich. Die SEK ist antichristlich verpestet. Sie ist eine Metastase des globalen Trends zum Sozialismus in den Medien. Bern Washington Jerusalem London Canberra Brasilia Budapest Warschau Prag Kiew New Dehli Riad Amman Dubai Abu Dhabi Guatemala Rom etc.are a Dreamteam. Allen die guten Willens sind den Segen des lebendigen allmächtigen dreifaltigen Gottes der Liebe für Glauben Weisheit Gesundheit Erfolg Freiheit und Frieden. Gelobt sei Jesus Christus in alle Ewigkeit.Amen Diesseits ab nach Venezuela. René D. Gorsatt alias Bruder Kephas Vicarii Christi eingesetzt von der Burgergemeinde Bern am Tag der Ermordung von Johannes Paul l durch die Kurie im Vatikan. Der Chefetage der Kinderschändergang

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