Not am Mann

Am ersten Abend zu Hause legten wir erschöpft, aber glücklich unser Neugeborenes in die Wiege, sangen ihm ein Gutenachtlied und löschten das Licht. Aber unser Baby dachte gar nicht daran, zu schlafen. Es wollte auf dem Arm sein und fortbewegt werden. Pausenlos.

Als ich einen Monat später zur Erstkontrolle beim Kinderarzt ging, brauchte ich zehn Minuten, um mich beim Ausfüllen des Formulars an meine Telefonnummer zu erinnern. Ich hatte die vergangenen vier Wochen 2-4 Stunden pro Nacht geschlafen. Im Kinderwagen bzw. Tragetuch lag kein süsses Baby, sondern eine tickende Bombe, die bereits explodierte, wenn ich an der Migros-Kasse anstehen musste oder der Bus 30 Sekunden vor einer roten Ampel anhielt. Nuggi, Dampfabzug, Föhngeräusche, Baby-App – nichts brachte uns Entspannung. Unser Kind wollte wach bleiben. Und weil es ständig übermüdet war, schrie es normalerweise, wenn es wach war. Ich zählte die Minuten, bis mein Mann von der Arbeit heimkam und sich das Baby anschnallte, um auf dem Gymnastikball wippend die Fertigpizza zu essen.

Angeblich gibt es auch pflegeleichtere Babys (und entspanntere Eltern). Und zum Glück gehen die ersten Monate vorbei. Aus unserem Schreibaby ist ein fröhliches Kleinkind geworden, das problemlos ein- und durchschläft und morgens kaum aus dem Bett zu kriegen ist. Der anfängliche Horror ist sogar soweit verblasst, dass wir uns Ende Jahr ein zweites Mal auf das Baby-Abenteuer einlassen.

Um dieses Abenteuer zu überleben, braucht es allerdings Teamwork. Im Idealfall ist ein ganzes Dorf vorhanden: Eltern, Grosseltern, Verwandte, Freunde und grosszügige Nachbarn. Da dieses Dorf aber aufgrund der gestiegenen Mobilität und anderer gesellschaftlicher Entwicklungen sehr oft fehlt – die Grosseltern sind selbst noch berufstätig oder wohnen weiter weg –, ist es von grosser Bedeutung, dass wenigstens die Kleinfamilie freigestellt ist.

Ein vierwöchiger Vaterschaftsurlaub ist nicht zu teuer und schon gar nicht übertrieben oder unnötig. Ein vierwöchiger Vaterschaftsurlaub ist das mindeste.

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6 Kommentare
  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 07:37 Uhr, 05. Juli

    Ja genau: Männer vor bei der Pflege- und Erziehungsarbeit!

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  • Christof Bauernfeind
    Gepostet um 09:40 Uhr, 05. Juli

    Super, bin voll dafür. Das ist hier in der Schweiz ein Witz. In Deutschland kann man ja bis zu drei Jahre Elternzeit nehmen.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 09:52 Uhr, 05. Juli

      Die Schweiz ist eben gleichstellungspolitisch ein Entwicklungsland lieber Herr Bauernfeind! 😉

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    • Michael Wiesmann
      Gepostet um 09:57 Uhr, 05. Juli

      Die Elternzeit in D-Land ist jedoch weitest gehend unbezahlt, und damit für die allermeisten ein unbezahlbarer Luxus. Aber immerhin gesetzlich gewährleistet.

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      • Christof Bauernfeind
        Gepostet um 10:39 Uhr, 05. Juli

        Das ist richtig, aber man kann schon bis zu 1800 Euro bekommen. Das ist nicht viel, aber in D kann man sich davon schon etwas kaufen.

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 17:57 Uhr, 05. Juli

        ‚Unbezahlbarer Luxus‘ ? Hallo? Was sicher ist, dass die noch meist von Frauen verrichtete Care-Arbeit in unserem Land ein ‚unbezahlter Luxus‘ ist, den sich unsere Gesellschaft immer noch zu leisten meint!

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