Rassismus am Krankenbett

Erst scheinen es ganz nette Gespräche zu werden. Zum Beispiel mit Herrn P., Ende 60. Er zeigt sich erfreut, dass ihn die Seelsorge im Spital besuchen kommt. Man plaudert erst ein wenig, den Fokus schon eher drauf gerichtet, dass es nicht gut läuft auf der Welt. Und leider auch in der Schweiz ist vieles nicht mehr, wie es war. Als Seelsorgerin spüre ich meinen Adrenalinspiegel ahnungsvoll höher steigen. Und tatsächlich, es kommt: „Und sogar hier im Spital spricht keiner mehr wirklich Deutsch! Alles Ausländer! Eine kam sogar mit Kopftuch und wollte mich pflegen. Die hab ich aber wieder geschickt, die! Wir Schweizer sind nichts mehr im eigenen Land, alles wird uns weggenommen von diesen Schmarotzern“ undsoweiterundsofort. So ein Herr P. liegt dann beispielsweise in einem 4er Zimmer, zwei der andern Patienten tragen Namen aus dem Balkan. Bleibt zu hoffen, dass sie – sicherlich völlig unintegriert und des Züridütschen nicht mächtig – nichts davon verstanden haben. Ich hatte schon Schweissausbrüche in solchen Situationen, das können Sie mir glauben. Natürlich verstehen die Bettnachbarn!

Sie kommen leider gar nicht selten vor, solche Begegnungen. Tendenz zunehmend. Und im multikulturellen Mikrokosmos des Spitals erschüttert mich dieser unverhohlene Rassismus besonders. Was glaubt Herr P., was hier noch funktionieren würde ohne ausländisches Personal? Nimmt er seine Zimmernachbarn überhaupt wahr? Leiden sie anders als er? Haben sie ihr Leben lang von goldenen Löffeln gegessen? Sind sie wirklich bloss Schmarotzer, haben null und nichts beigesteuert an unser Land an Steuern, an Arbeitskraft – häufig bezahlt mit ihrer Gesundheit? An Hilfsbereitschaft, Herzlichkeit, Offenheit und Geduld mit uns? So mein innerer Kommentar, der natürlich nicht laut wird.

Denn ich bin Seelsorgerin. Und ich besuche jetzt Herrn P. Auf die Frage, worunter er denn gerade jetzt besonders leide, kommt eine schwierige Lebenslage zum Vorschein. Der Kontakt mit AusländerInnen spielt kaum eine Rolle darin. Umsomehr Arbeitgeber, Sozialversicherungen, Krankenkassen, Behörden, die ihm trotz schwerer Krankheit und vergangener Schicksalsschläge jeden Rappen vorhalten und -enthalten. Und einen entsprechenden Umgang pflegen. Wie demütigend ist das denn?! Auch Herr P. ist nicht nur Täter. Fremdschämen für rassistische Reformierte reicht nicht. Würde ich so behandelt werden wollen?

Hilflosigkeit und Wut bleiben zurück bei Menschen wie Herr P.  Und irgendwo müssen sie dann hin. Der Buckel von noch Schwächeren bietet sich an: AusländerInnen, Asylsuchende, MuslimInnen. Die irgendwann auch nicht mehr schlucken können, krank werden, depressiv, gleichgültig gegenüber der Gemeinschaft, in der sie wenig gelten. Wollen wir das? Immer noch mehr sparen bei den Sozialleistungen? Im Gesundheitswesen? Steuern reduzieren? Die USR III? Wer kommt für die Mindereinnahmen auf? Wen wird das treffen? Rassismus, Wut und das Gefühl, von der Gesellschaft im Stich gelassen zu werden, bilden ein Trio infernale, dem ohne soziale Investitionen nicht beizukommen ist.

Spitäler sind Mikroorganismen, in denen sich Trends und Entwicklungen abzeichnen, bevor sie in einer breiten Öffentlichkeit angekommen sind. Offener Rassismus gegenüber Personal und MitpatientInnen, Sozial- und Personalabbau ist längst Realität. Werden wir im Reformationsjahr als Kirche auch den Mut haben, dagegen anzugehen? Nebst allen Feierlichkeiten? Nicht nur nach oben zu buckeln und gegen unten zu treten, wie es so viele tun? Nicht nur in Diakonie und Seelsorge für Benachteiligte, Schweizer oder Ausländer, da zu sein, solange wir das Geld noch haben? Sondern uns auch politisch für sie einzusetzen? Es wäre dringend nötig. Und ich schliesse hoffnungsvoll mit dem bekannten Zitat Zwinglis: «Ein Christ sein heisst nicht, von Christus zu schwätzen, sondern ein Leben zu führen, wie er es geführt hat.» 

 

 

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9 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 06:10 Uhr, 10. Januar

    auf meinen herrn p reagiere ich null moralisch. verstehe seine perspektive und vesuche, sie zu erweitern. dann übersetze ich dieses latein in seine sprache: die particulae exclusivae reformationis sagen alle ein solo deo aus, was für unseren kontext heisst, rechtfertigung nicht sola fide, sondern solo deo.

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  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 08:06 Uhr, 10. Januar

    Schön wie Sie die Perspektive von der moralisch Überlegenenperson zur empathischen Vollziehen. Darin liegt das Potetional um in Kontakt zueinander zu kommen. Es fällt mir selber oft schampar schwer dies zu tun, genau in dem Moment in dem es richtig wäre. Es ist trotzdem richtig dem Rasismus in jeder vorm die Stirn zu bieten, aber nicht vom hohen Ross herunter sondern in der Solidarität mit denen die dieses Ventil nötig haben.

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 08:41 Uhr, 10. Januar

    Super dieser Beitrag liebe Barbara! In meinem gemeindlichen Kontext stelle ich solches Treten nach den noch Schwächeren leider auch immer wieder fest und es ist auch manchmal schwerlich auszuhalten. Dennoch: Emphatie ist wohl da die richtige Haltung. Angesicht der sozialen Verlustängste eines Teiles unserer Bevölkerung braucht es daneben auch politisches Engagement wie es jenes für ein begingungsloseses Grundeinkommen war und sich aktuell gegen die Unernehmenssteuerreform III richtet. Nur sind es eben gerade die Meistbetroffenen, welche sich in der Regel geben solce VOrlagen wenden.

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  • Catherine McMillan
    Gepostet um 09:37 Uhr, 10. Januar

    Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag! „Rassismus, Wut und das Gefühl, von der Gesellschaft im Stich gelassen zu werden, bilden ein Trio infernale, dem ohne soziale Investitionen nicht beizukommen ist.“ Das ist genau der Punkt! Ja, und wenn wir Zwingli wirklich ernst nehmen wollen bei diesen Feierlichkeiten, sollten wir konsequent sein, Missstände in der Gesellschaft anprangern und den Schwachen (Schweizern und Migranten) eine Stimme geben.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 10:21 Uhr, 10. Januar

      Nicht nur eine Stimme geben, sondern sie ermutigen, sich selbst in dir direkte Demokratie einzumischen und zwar in ihrem eigenen Sinne.

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    • Barbara Oberholzer
      Gepostet um 14:43 Uhr, 10. Januar

      Danke für diese ermutigenden und solidarischen Kommentare! Die Beobachtung, die du, Esther, am Schluss deines 1. Kommentars einbringst, bleibt mir bis jetzt auch ein Rätsel. Vielleicht, weil niemand gern als benachteiligt, schwach, „gescheitert“ gelten will?

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 08:17 Uhr, 11. Januar

        Vielleicht auch deshalb, weil viele davon träumen, mal den Lotto-Jackpot zu knacken und sich nicht als auf SOlidarität angewiesene verstehen?
        Es guets Tägli dir!

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  • Laura Klingenberg
    Gepostet um 21:16 Uhr, 10. Januar

    Liebe Barbara, herzlichen Dank für deinen guten Beitrag! Als ich ihn las, kam mir das Buch von Carolin Emcke: „Gegen den Hass“ in de Sinn, das ich gerade häppchenweise lese. Hier ein Auszug daraus, da ich es gerade passend finde (Der Kontext dabei ist der Vorfall in Clausnitz letztes Jahr, in dem Flüchtlinge vor ihrer Ankunft in der Asylunterkunft mit enormem Rassismus konfrontiert wurden) : „Die Geflüchteten im Bus werden einerseits als individuelle Personen UNSICHTBAR gemacht,Sie werden nicht gesehen als Teil eines universalen Wir. Sie werden negiert als menschliche Wesen mit einer besonderen Geschichte, besonderen Erfahrungen oder Eigenschaften. Und zugleich werden sie SICHTBAR gemacht oder konstruiert als Andere, als „Nicht-Wir“. Auf sie werden Eigenschaften projiziert, die sie als unheimliches, abstossendes, gefährliches Kollektiv formen und markieren.“ (S.48)
    Für mich bringt dies vor allem auch zum Ausdruck, wie wichtig es ist, sich selbst und die Umwelt mit einem differenzierten Blick betrachten zu können. Zu wissen, warum man wie, wann auf was reagiert oder dem zumindest nachzugehen und zu versuchen es zu verstehen. Dies immer wieder selbst und in der Arbeit mit Menschen zu versuchen zu fördern (natürlich mit viel Empathie ;)), ist mir wichtig.

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    • Barbara Oberholzer
      Gepostet um 21:27 Uhr, 10. Januar

      Hoi Laura, wie schön, von dir zu hören ?! Danke für dein anregendes Feedback!

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