Levitation – Ein Maler bekennt Farbe

Ich leide nicht unter Kontrollzwang. Einmal nachsehen, ob der Elektroherd auch wirklich ausgeschaltet ist, reicht, und auch nur vor längeren Reisen. Eine Email aber habe ich kürzlich dreifach gecheckt: „‚Ich möchte mich taufen lassen‘. Wäre noch bitte freizugeben“, hatte ich geschrieben. Die fünf Minuten später eingelangte Antwort lautete: „Ist auch freigegeben. Besten Grüße NB“.

Davor hatte Norbert Bisky bereits unkompliziert die Freigabe einer Reihe anderer Zitate für die Wiedergabe in einer Berliner Tageszeitung erteilt. Gesagt hat er sie bei einem Gespräch in seinem Atelier im Berliner Stadtteil Friedrichshain, wo die Dichte von Studentenkneipen und besetzen Häusern Autonomer überdurchschnittlich hoch ist:

„Malerei hat mit einem Zustand leichter Verrücktheit zu tun. Nicht im Sinne von ‚crazy‘, aber in der Form, dass die Wahrnehmung um ein paar Zentimeter verschoben ist und Dinge zusammenrücken, die eigentlich nicht zusammengehören.“

„Meine Eltern sind Kommunisten geworden, weil die Großeltern Nazis waren.“

„Ich bin nicht getauft. Ich stamme von Kommunisten ab, wo es andere Arten von Taufe gab, eine andere Religion. Ich bin glaube ich ein sehr, sehr religiöser Mensch. Ich kenne aber keine Konfession, in die das passen würde. Ich muss mir meine Konfession selbst ausdenken.“

Dass ich den Satz mit dem Taufenlassen triple-gecheckt habe, hängt glaube ich mit einer doppelten Verwunderung zusammen. Erstens, dass einer wie Bisky ihn sagt, der coole Kunstmarktkünstler, dem sowohl vorgehalten wurde, er male flache Bilder als auch er gründle zu tief in faschistischer Ästhetik (Leni-Riefenstahl-Vergleich). Und zweitens, dass der Spross aus einer prominenten Intellektuellenfamilie der DDR sich öffentlich zum Christentum bekennt; der Maler ist der Sohn des 2013 gestorbenen Linke-Politikers Lothar Bisky.

Im Gespräch hat er einige Gründe für seine Konversion angeführt. Da war das Malereistudium in Madrid, die Liebe zu den Meisterwerken im Prado, die zumeist im Umfeld des Religiösen entstanden sind. Dann die Liebe zu Brasilien. Jair Messias Bolsonaro habe daraus allerdings eine No-go-Area für bekennende Homosexuelle wie ihn gemacht. Bisky sind nur zwei kitschige Touristentassen geblieben. Auf einer ist ein gelbschnabeliger Tukan aufgedruckt, auf der anderen Cristo Redentor aus Rio de Janeiro.

Er habe außerdem ein kleines Atelier in Andalusien. Seine spanischen Freunde würden sagen: „‚Was, Du bist nicht getauft?‘ Für sie bedeutet das in etwa, dass ich nicht wirklich existiere“, sagt er und lächelt kurz in sich hinein.

Und dann gibt es da noch einen tieferen Grund. Die Welt, aus der er kommt, wurde weggespült. Und auch die Gegenwart wird gefährlich unterspült. „Ich glaube, Kirchen sind wahnsinnig wichtige Orte. Wir leben in einer krassen Zeit, in der viele Konflikte gerade unheimlich an Fahrt aufnehmen. Als Orte, wo Leute zusammenkommen und zu kommunizieren versuchen über das, was passiert, sind Kirchen extrem aktuell und wichtig.“

Im Zentrum des Atelierraums steht ein Modell der evangelischen St.-Matthäus-Kirche, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Berliner Gemäldegalerie befindet. Am 10. November wird dort anlässlich von 30 Jahren Berliner Mauerfall eine Bisky-Ausstellung eröffnet. Gemeinsam mit dem dortigen Pfarrer Hannes Langbein überlegt der Künstler derzeit, welches Werk im Altarraum hängen wird. „Levitation“ mit einer himmelwärts schwebenden Christusfigur wird darunter sein.

Die „Berliner Morgenpost“ hat dann auf meinen Vorschlag „Ich möchte mich taufen lassen“ zur Überschrift des Feuilletonaufmachers gemacht. Ein zutiefst persönliches und zugleich politisches Bekenntnis. Es ist unsere verrückte Zeit, die alte Fronten aufweicht und den Blick freigibt nicht nur auf Werte, die sozialistisch und christlich Sozialisierte teilen, sondern alle, die sich über die Prekarität unseres Planeten nicht hinwegtäuschen.

Bild: Norbert Bisky „Levitation“, 2007, Courtesy VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Bernd Borchardt

Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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5 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 07:50 Uhr, 12. November

    zitate freigeben – und wie frei werden sie wiedergegeben?! es gibt fluide bisexualität, homosexualität (kernhomosexualität) und heterosexualität, die beide als unveränderbar gelten – und wunder.* interessante unterhaltungen mit einem emeritierten professor aus der ehemaligen ddr. auf seinem t-shrt: gott sei dank bin ich atheist.
    *https://www.youtube.com/watch?v=xl6XmjDVVlM
    https://www.youtube.com/channel/UCEYYX_pUYN3S5fOeW6jlcew

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    • michael vogt
      Gepostet um 07:51 Uhr, 12. November
    • michael vogt
      Gepostet um 15:01 Uhr, 12. November

      oder wollte ich diesen vortrag verlinken https://www.youtube.com/watch?v=SRbgwOifSdo ? ist das nun ein kontrollzwang? die engagierte aktivistin gegen diskriminierung homsexueller spricht sich vehement gegen die werbung für konversationstherapien aus, die deren misserfolgsquote bei kernhomosexualität von 100% verschweigt. die, welche von ihrer konversion berichten, seien bisexuelle, die dann oft bald wieder ihre homosexuelle seite leben. in deutschland wird zur zeit ein gesetz ausgearbeitet, das diese therapien, deren erfolgsquote nach meiner einschätzung im promillebereich liegt, verbieten will. die postulierten unter 0,5% erfolg oder, wenn null promille, die möglichkeirt eines wunders, ist wohl das, was das vollständige verbot problematisch macht, für das die verzweiflung, die mit diesen therapien einhergeht, sprechen würde. es stellt sich, finde ich, dabei auch die frage, was von worten wie „der geist erforscht alles, auch die tiefen gottes“ und „der geistbegabte beurteilt alles, er aber wird von niemandem beurteilt, zu halten ist. (1kor 1.10 und 15) meine ansicht ist, dass sie die medizinischen modelle im promillebereich über den haufen werfen, was aber nicht zur folge hat, das homosexualität als etwas angesehen werden soll, das verändert werden soll, sondern lediglich als etwas, was sich in einer sehr tiefen erfahrung verändern kann, was aber wiederum nicht eine negativwertung dieser orientierung bedeuten soll. „man kann nicht kommunizieren, ohne zu kommunizieren“, zitiert die rednerin paul watzlawick. weil ich mit dem wort „es gibt fluide bisexualität, homosexualität (kernhomosexualität) und heterosexualität, die beide als unveränderbar gelten – und wunder“ faktisch etwas anderes kommunizieren könnte als ich kommunizieren will, diese verdeutlichung. in kauf nehmend, etwas zu machen, was, zumindest in dieser ausführlichkeit, nicht ganz hierher gehört.

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    • michael vogt
      Gepostet um 16:05 Uhr, 12. November

      anlass war die „no-go-area für bekennende homosexuelle“, was in meinen augen ein no go ist. das wahrheitskörnchen darin, das allerdings nicht zur staude heranwachsen soll: die entwarnung vor übertragung von homosexualität durch homosexuelle auf heterosexuelle vermag mich nicht in jeder form zu überzeugen.

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