Begeistert

Ich muss noch klein gewesen sein. In meiner Erinnerung lag das Fensterbrett knapp über meiner Nasenspitze. Wir waren ins Kinderzimmer verbannt, damit meine Eltern in Ruhe ihren Mittagsschlaf halten konnten. Plötzlich hatte ich eine Idee. Das ganze Kinderzimmer geriet in Bewegung; jeder Stuhl, jede Puppe, jedes Klötzchen bekamen Sinn und Bedeutung. Begeistert erklärte ich meinen Schwestern, wie das Spiel ablaufen würde. Doch so schnell wie die Idee gekommen war, verschwand sie wieder. Die Spielsachen schauten mich mutlos an, ich sass auf dem Boden und schaute ratlos zurück. Die Sinnlosigkeit des Lebens hatte mich überfallen; vermutlich habe ich meine kleinen Schwestern mit meiner Traurigkeit angesteckt.

Wie schön wären Ideen, die begeistern, ohne daran einzubrechen. Wie wunderbar, den Wind unter den Flügeln zu spüren, der trägt. Ideen sind gefragt wie nie. Ideen, um die Menschen zu erreichen, um die christliche Tradition zu vermitteln, um die Kirche zu retten. Ideen für Massnahmen und Veranstaltungen, die wie Leuchttürme in den Medienhimmel ragen, damit endlich wieder einleuchtet, welcher Reichtum hier verborgen liegt.

So eine Leuchtturm-Geschichte wird in der Bibel erzählt. „Auf, wir wollen eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und uns so einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“ Die Turmbauer zu Babel hatten eine gute Idee und die Mittel, sie zu realisieren. Alle waren einverstanden, alle waren begeistert, alle haben tatkräftig mitgeholfen. Und am Ende ist das eingetreten, was sie verhindern wollten: alle waren über die ganze Erde zerstreut und haben sich nicht mehr verstanden.

Die Pfingstgeschichte ist die Fortsetzung und Antwort auf die Turmbau-Geschichte. Angezogen durch ein himmlisches Brausen kommen Menschen aus allen Völkern der Erde zusammen. Die, die zerstreut waren, sammeln sich und verstehen die, die reden. Warum hat es dieses Mal geklappt? Keiner hatte eine Leuchtturm-Idee. Es gab keinen Zweck, der erreicht werden sollte. Es hatte Platz für das Pfingstwunder: Die einen haben von dem erzählt, was sie begeistert. Die anderen haben sie verstanden. Das Brausen verdichtet sich im Bild: „Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten, und auf jeden von ihnen liess eine sich nieder“.

Ideen bleiben gefragt. Wenn sie mich ereilen, bin ich noch immer begeistert. Ich liebe die Leichtigkeit und Lebendigkeit, in die sie mich versetzen. Wenn sie ausblieben, wäre mein Leben ärmer. Aber ich gehe heute anders mit ihnen um. Ich habe gelernt, mich von Ideen schmerzlos zu verabschieden, wenn sie kein Echo finden. Wenn Ideen-Funke und Begeisterung nicht überspringen, ist etwas schiefgelaufen. Entweder war die Idee nicht gut, oder sie kommt später und anders wieder. Aber nichts schöner, als wenn man sich gegenseitig ansteckt. Wenn es eine kleine, verschworene Truppe gibt, die miteinander unterwegs ist. Wenn man sich gemeinsam für eine Sache einsetzt, am gleichen Strick zieht und sich aufeinander verlassen kann. So etwas zu erleben, ist für mich Glück.

Und wenn dann andere dazu stossen, weil sie merken, dass da was läuft, das attraktiv und lebendig ist, dem man sich nicht entziehen kann, weil es so verheissungsvoll und mitreissend wirkt, dann ist das Glück komplett.

Zwei Elemente der Pfingstgeschichte stören das Glück des begeisterten Einverständnisses; zum Glück. Diejenigen, die verstehen, obwohl sie nicht damit gerechnet haben, sind nicht von Freude erfüllt. Sie sind verstört, fassungslos, verwundert und ratlos: „Was soll das bedeuten?“ Was soll das bedeuten, dass ich verstehe und einverstanden bin?

Wer sich von einer Begeisterung anstecken lässt, sollte unter keinen Umständen seinen Verstand ausschalten.

Alle sind erfüllt, alle verstehen. „Andere aber spotteten und sagten: Die sind voll süssen Weines.“ Auch wenn alle verstehen, braucht es die anderen, die widersprechen. Ein Stolperstein, damit einen die Begeisterung nicht irgendwohin führt, wohin man eigentlich gar nicht wollte. Oder um die Idee, die begeistert, noch einmal zu überprüfen und an ihr – trotz Widerspruch – festzuhalten.

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10 Kommentare
  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 07:24 Uhr, 02. Juni

    Nicht die Kirche müssen wir retten, sondern die Idee für ein gutes Leben für alle Würdeträger_innen auf dieser unserer so bedrohten und verletzlichen Erde!

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  • Anita Ochsner
    Gepostet um 09:06 Uhr, 02. Juni

    Die Kirche als Stellvertreterin von Solchen – „Idee für ein gutes Leben für alle Würdeträger-innen“.. Mann /Frau soll sie sehen! darin …

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 09:42 Uhr, 02. Juni

      Liebe Frau Ochsner

      Das Evangelium lässt sich nicht in den Kirchen einschliessen. Ideen für ein gutes Leben wieder in diese reinzuholen, das wäre wahrlich eine pfingstliche Aufgabe!

      Freundlich grüsst Sie
      Esther Giser Fischer.

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      • Anita Ochsner
        Gepostet um 15:18 Uhr, 05. Juni

        Ich versuche mal zu antworten. Ich weiss nicht ob wir uns gegenseitig richtig verstanden haben.
        Das Evangelium in den Kirchen einschliessen, bestimmt nicht. Ich meine ganz im Gegenteil, können nicht Gedanken aus dem Leben z.B. Umwelt-Gedanken gleichsam in Kirchen eingebracht, bzw. als Idee vermehrt zu kirchliche Angeboten werden. Für ein gutes Leben für alle. Ich glaube, wenn aus der Haltung heraus „die Kirche zu retten“ gehandelt wird, so verliert die Sache die Idee, ihre Wirkungskraft. Doch eine gute Idee für ein gutes Leben für alle, aus ganz verschiedenen Lebensbereichen, (das wiederrum kann eine Kirchgemeinde alleine nie tun, doch zusammen) das soll doch in Kirche eingebracht werden, tut sie doch auch.
        Und diese sollen gut ersichtlich sein, in Ausschreibungen, ist Kirche nicht auch etwas wie ein „Unternehmen“? Indem darin ihre Herkunft Haltung Glauben doch ersichtlich ist und bleibt. In allem diesem wünsche ich mir immer, dass Menschen „Kirche“ anders sehen, neugierig, und sie neu erleben und erfahren können, als das Bild das in ihren Köpfen steht. ?! (Welche Bilder haben sie? Was sind denn ihre Urteile von Kirche? )
        Nicht einschliessen … – Ideen einbringen, entwickeln gedeihen gebären lassen – sich inspirieren lassen – vielleicht im Kirchentag?! Inspirationen müssen überprüft, ausgereift werden, ja, nur eben aufpassen, dass die Ideenhaber_innen sich nicht selbst die Stolpersteine in den Weg legen, sich beirren lassen, sondern auch wenn vielleicht ein Projekt nicht ganz ausgereift ist? Es aber mit Leuten zusammen, die in der dieser Kraft darin stehen, angehen…(wie heisst es doch in einem Gedicht: sinngemäss: Beim Gehen zeigt sich uns der Weg.) Oder wie es so schön steht im Beitrag am Schluss. Da ist doch sehr wohl, Ideen für ein gutes Leben in diese reinholen und hinaustreten.. sich zeigen.. das tut doch Kirche auch.
        Dies Tage sass ich an einem See, am Horizont kamen die ersten Wolken über den Bergen auf. Alles spiegelte sich wunderbar im Wasser. In diesem Spiegel sah das Wetter, die Wolken trüber aus, auch einwenig verzerrt durch die Wellen. Am Himmel sah das Wetter lichter aus, heller, ich dachte, man muss das Licht nähren nicht die Wolken am Himmel. Oder die Sonnenbrille ausziehen wenn das Wetter trüber wird. Ohne Brille sieht man besser wie das Wetter ist. Man sieht mehr vom Licht.
        Vielleicht braucht es dazu immer wieder „Orte der Stille“ ,-) ! Die findet man in Zürich! 😉

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        • Anita Ochsner
          Gepostet um 15:55 Uhr, 05. Juni

          Das Gedicht:

          der Weg ist frei
          die Spannung löst sich
          langsam auf
          und Schritt für Schritt
          gelingt der Übergang
          in neues Land

          der Mut
          ist gross genug
          das Wagnis bleibt

          im Gehen
          wächst dem Fuss
          der Boden zu

          und das Vertrauen
          in das Leben
          trägt

          Almut Haneberg

          Herzlichst, Anita Ochnser

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 09:06 Uhr, 02. Juni

    Pardon: In Lukas‘ Pfingsterzählung2 sind die vielen Menschen n i c h t wegen der „Geschehnisse“ im Haus, worin die Jünger waren, gekommen, sondern wegen dem „Fest des fünfzigsten Tages“ (nach Passa = „Auszug aus Ägypten). Wenn schon Texte bringen, dann bitte – der Autorenschaft zuliebe und zu Ehren – richtig. Für mich klingt in der Erzählung des Lukas übrigens weit mehr die „Herabsenkung Gottes (JHWH) auf den Berg“ (Sinai?) an mit der Übergabe der „Gebote Gottes“ an das Volk..

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 09:43 Uhr, 02. Juni

      Ja genau Herr Rolla: Ohne das jüdische Erbe bliebe so Vieles unverständlich in unseren Schriften; -danke!

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 22:47 Uhr, 02. Juni

      Mir scheint die Interpretation der Autorin durchaus treffend wiederzugeben, was mit Apg 2 (und insbesondere 2,16-2,36! – usw….) intendiert war.

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  • michael vogt
    Gepostet um 12:29 Uhr, 04. Juni

    ideen sind gefragt, um aufzuzeigen, was für ein reichtum in der christlichen tradition verborgen liegt. das ist die eine seite. andererseits erscheint mir die christliche traditon als zutiefst magelhaft. sie bedarf der vervollständigung durch andere traditionen, nicht zuletzt durch inhalte, die in den religionen nicht vorkommen. begeisterung ist ein befallensein von geistern. das wort kommt nicht umsonst in unserer heiligen schrift nicht vor (ausser in den apokryphen, 2ma 15.10, als kriegsbegeisterung), und in der kirchengeschichte sind „die begeisterten“ die, die es übertreiben, die schwärmen, deren leben durch eine trennung von wort und geist charakterisiert ist. adolf ogi hat einmal auf eine entsprechende frage geantwortet, in der kirche suche er nicht begeisterung, sondern besinnung. das finde ich insofern berechtigt, als die vielzahl der geister zuerst einmal negativ ist. ich verschreibe mich andauernd (begeistung ,was in früheren zeiten auch vorkam) und würde nachwievor nicht von begeisterung sprechen, weil durch das hineingeraten in eine manie der absturz in die depression vorprogrammiert ist, räume aber ein, dass eine vielzahl von traditionen und inhalten auch mehrere geister aus sich entlassen kann, würde allerdings dann bei der erkenntnis landen, dass es sich dabei immer um ein und denselben geist handelt respektive um ha ruah oder unter welchem namen dieses dem wind vergleichbare weht. und ich sehe ein kind vor mir, das sich für etwas begeistert, und möchte ihm seine begeisterung ja nicht nehmen. es ist ein unterschied, ob jugendliche etwas „mit viel enthusiasmus“ tun, oder ob erwachsene sich diesen zum (pr-)programm machen, so tun als ob, obschon sie die schattenseiten durchaus sehen. es geht mir nicht um ein definitives entgeisterungssystem, sondern bin gegen das aufladen und den inflationären gebrauch besagten wortes und dafür, dass wir wissen was wir sagen.

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    • michael vogt
      Gepostet um 13:01 Uhr, 04. Juni

      übrigens: als ich ein kind war, vier oder weniger, sah ich während der mittagsruhe immer wieder ketten aus perlen in wunderbaren farben im zimmer umherziehen – eine ruhige erfahrung, die mich daran erinnert, was leben sein kann – fast ein bisschen ungestört durch geist – oder ermöglicht durch pneuma, ruah. . .?

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