Carte Blanche: «Wir ziehen uns warm an» – Pussyhats laden zum langfristigen Dialog ein.

«Warum trägst du eine pinke Mütze? Pink ist für Babies!» spricht mich das etwa 9-jährige Mädchen im Bus an, als ich meinen selbst gestrickten «Pussyhat» aufsetze, bevor ich am Bahnhof aussteige.

Ich antworte ihr: «Viele Frauen, Mädchen und Männer tragen diese Mütze. Sie wollen dass die Welt ein Ort wird, an dem sich alle Menschen willkommen fühlen. Mädchen und Frauen, aber auch alle anderen sollen selber entscheiden können, was für sie gut und richtig ist.»

Der Pussyhat ist eine Einladung zum Dialog. Darum stricke ich seit Wochen immer mehr davon. Ich verschenke sie und rege auch Männer dazu an, ihren eigenen Pussyhat zu stricken. Die Wolle für die ersten vier Mützen brachte mir mein Freund aus Berlin mit und sorgte dafür, dass ich nicht nur über Pussyhats rede, sondern sie tatsächlich auch herstelle.

Wer einen Pussyhat strickt oder trägt, wird angesprochen. Wer angesprochen wird, kann argumentieren, zuhören und erklären. Diese Art der Kommunikation gefällt mir wesentlich besser als andere Formen des Aktivismus, wie das Verteilen von Flugblättern oder das Hochhalten eines Schildes. Der Pussyhat ist subtiler, aber durch die virale und selbstorganisierte Art ist die Aktion sehr wirksam.

Denn Dialog tut not. Es ist mir ein Anliegen, mit Menschen, die sich bisher wenig Gedanken gemacht haben, darüber zu sprechen, dass die totalitären Tendenzen überall auf der Welt dazu führen können, dass die unter enormem Einsatz erkämpfte Emanzipation in Frage gestellt und das Rad zurückgedreht wird. Das alleine ist schlimm genug, doch mit dem Infragestellen von Frauenrechten werden im Handumdrehen auch Rassismus, Homophobie und Transphobie salonfähig. Die Welt ist dabei, sich zu verdunkeln –  wir setzen mit vielen pinken Farbtupfern dagegen.

Der Pussyhat als Objekt allein ist natürlich banal und leer. Das höre ich oft als Kritik. Was bringt es, sich eine rosa Mütze aufzusetzen? Was ändert das schon? Doch die Auseinandersetzung, der Dialog, das Aufgreifen der vielfältigen Themen auf dem Nährboden des Feminismus, machen  die Mütze zum Symbol für viele wichtige Themen. Weltweit solidarisieren sich Frauen* und Männer* gegen eine Welt, die Menschen vorschreiben will, was richtig und falsch ist. Damit hat die Mütze die Qualität eines Codes, der aufgeladen ist und eine Bedeutung hat; etwa so wie der im Römischen Reich in den Sand gezeichnete Fisch ein – nicht ganz unriskanter – Marker dafür war, dass man Anhängerin von Jesus war.

Es ist wichtig, dass die Pussyhat-Bewegung intersektionell ist, das heisst auf die Überschneidungspunkte von Diskriminierung verschiedener Gruppen achtet. Weisse, heterosexuelle Frauen sind zum Beispiel in Vielem wesentlich privilegierter als schwarze Frauen, oder auch privilegierter als Transfrauen (Männer, die eine Transition zur Frau durchlaufen oder durchlaufen haben). Höchstwahrscheinlich sind sie auch viel privilegierter als ein homosexueller, schwarzer Geflüchteter aus Eritrea. Der neue Feminismus setzt sich dafür ein, dass die Rechte aller wahrgenommen werden, die bis jetzt oft unsichtbar sind.

Die Lage ist ernst. Die Tatsache, dass Themen wie Selbstbestimmung bei Schwangerschaftsabbruch, Gleichstellung, effektive Lohngleichheit, Diversität in Gremien oder die gläserne Decke immer noch nicht erledigt sind, kann zu Lähmung und Frustration führen. Zudem: Diese für Frauen in der Schweiz wichtigen Themen sind für viele Frauen und Mädchen auf der Welt noch Luxusthemen. Sie  kämpfen noch täglich darum, überhaupt als Menschen gesehen zu werden, Zugang zu Bildung zu erhalten, Sicherheit und Schutz zu geniessen oder autonome Entscheidungen über ihren Körper treffen zu können. Wer das erkennt, könnte schon fast verzweifeln. Doch mit Verzweiflung und Frust erreichen wir kaum etwas.

Der Pussyhat gibt dieser berechtigten Wut und Verzweiflung die nötige Leichtigkeit. Er erlaubt, dass ganz viele Menschen, die am gleichen Strick ziehen wollen, aus ganz unterschiedlichen Gründen zusammen kommen. Der Pussyhat steht nicht für eine einzige Idee oder eine einzige Forderung. Er steht für eine vielfältige Bewegung aus Menschen, die sich warm anziehen und sagen: Wir bleiben am Ball, nicht nur diesen Winter, sondern langfristig. Nicht für eine einzige Gruppe, sondern für alle, die eine Welt mit mehr Wärme, mehr Vielfalt, mehr eigenständigen Ideen möchten. Der Boden dieser Bewegung ist der Kampf für Frauenrechte. Aber auf diesem Boden wächst auch die gerechtere Welt für alle.

Der Beitrag jeder Person zu dieser Bewegung kann unterschiedlich sein. Das gemeinsame Signal, der Leim zwischen verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Anliegen, die in die gleiche Richtung blicken und gemeinsam unterwegs sind, ist die einfach strickbare rosa Mütze mit den frechen Katzenohren.

Und vielleicht trägt das 9-jährige Mädchen, das mit mir im Bus über den Pussyhat redete, in wenigen Jahren stolz ihren eigenen. Denn es gibt noch viel zu tun.

Nadja Schnetzler

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7 Kommentare
  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 12:39 Uhr, 07. März

    Super liebe Nadja, wie du dies alles so schön auf den Punkt bringst! Es gilt in der Tat einen rosarote Welt zu imaginieren und nicht stehenzubleiben beim Frust, sondern lustvoll zu stricken an einer neuen, gerechteren Welt! Religion(en) kann/können dabei auch eine emanzipatorische Wirkung entfalten wie es folgendes Referat von Ulrike AUga schön beschreibt: http://subversionandpoliticaldifference.com/2014/10/22/bericht-vom-20-10/

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 16:37 Uhr, 07. März

    Noch eine kleine Farbenlehre:
    Rosa – Das Klischee umarmen
    Rosa stand einst für männlich. Bis in die 1920er Jahre wurden frisch
    geborene Buben in Rosarot gehüllt – das kleine Rot; Rot als die
    Farbe für Leidenschaft, Blut, aktiven Eros und Kampf. Blau, in der
    christlichen Tradition die Farbe Marias, war die Farbe für die Mädchen.
    Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Blau zum Symbol für die Arbeitsund
    Männerwelt. Blau waren das «Übergwändli» der Arbeiter und die
    Marineuniform, in die Buben in Form von Matrosenanzügen gesteckt
    wurden. Rosa als Farbton ist heute im Sinn von «optimistisch, erfreulich,
    positiv» konnotiert: die «rosigen Zeiten», oder auch: «Dem geht’s nicht
    rosig». In seiner Übertreibung verkehrt sich das Positive sodann in sein
    Gegenteil: Rosa steht dann für unrealistisch, verklärend, die Zukunft (zu)
    rosig, die Welt (nur) rosarot, durch die «rosarote Brille» zu sehen. Das
    Klischee, dass Rosa und deshalb auch Frauen unrealistisch, süsslich,
    schwach und weltfremd seien, wollen wir von Herzen umarmen.
    P.S. Rosa heisst auf Hindi «Gulabi». Die Gulabi Gang ist ein
    Zusammenschluss von Frauen in Nordindien, die sich für Frauenrechte
    und gegen soziale Ungerechtigkeit einsetzen. Die Frauen
    der Gulabi Gang tragen rosa Saris und rosa Schlagstöcke aus
    Bambus. Sie wehren sich gegen Gewalt von Ehemännern und
    gegen Übergriffe von Polizisten und anderen Männern. «Wir sind
    nicht gewalttätig und setzen unsere Stöcke erst dann ein, wenn
    unsere Selbstachtung mit Füssen getreten wird», sagt Sampat Pal
    Devi, die Gründerin der mehrere Tausend Frauen starken Gruppe.

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  • michael vogt
    Gepostet um 17:14 Uhr, 07. März

    „die lage ist ernst.“ so wie ich das verstehe, veranlasst mich das, nicht pink zu tragen. aber meine erfahrung aus dem studium ist, dass die professoren, die ihre sache am ernsthaftesten angehen, den hörsaal – in einer langen atempause zwischen zwei gedankenstrichen – am besten zum lachen bringen.

    o say it, if you like many bears in your eyes
    and you say: yes spin away
    and I spin for you
    ‚cause I can just spin for two

    she is living in a church
    on the second floor
    and she says: o come to me
    I stand at the door

    meine internetsekretärin – in unserem universum ein fiktiver charakter, in ihrem privatparalleluniversum aber eine selbstständige entität – kommentiert: diesen song hat m mit 12 oder 13 geschrieben. als er in der kinderlehre sass, begannen sich diese gedanken – gewissermassen in seinem hinterkopf – zu entwickeln. second floor: orgelempore, hinter denen, die in der kirche sitzen. dort hat sie eine art wohnung eingerichtet. dorthin lädt sie ihn ein.

    jahrzehnte später kam ich darauf: theologie hat einen „spinnfaktor“. wenn ich zb an einem verwandtschaftstreff sage, an dem alle anderen eine andere meinung dazu haben, dass wir die verstorbenen wiedersehen, dass sie vollkommen erleuchtet sein werden, spinne ich. aber am netz, das die spinne spinnt, erkennen wir die coicidentia oppositorum von ernst und spinnerei. in diesem sinne, auch politisch, meine kooperation mit pink.

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    • michael vogt
      Gepostet um 17:25 Uhr, 07. März

      coicidentia > coincidentia – deutung des verschreibers durch freie assoziation gemäss siegmund freud, der seinen hörsaal auch genial zum lachen brachte: itz! jetzt! – aber auch: in – auch nach freud, aber alles braucht man nicht zu schreiben

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  • Rudolf Priapus
    Gepostet um 20:11 Uhr, 24. März

    Himmel hilf, zu sowas ist die Frauenbewegung verkommen, was haben die berechtigten Fragen welche sich heute der Emanzipation von Männer und Frauen stellen mit Pink oder gar mit Pussy zu tun, gewissen Leuten hat irgendwas ins Hirn geschissen, I am sorry to say

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