Islamismus in der Schweiz

Mit ihrem soeben erschienenen Buch „Islamistische Drehscheibe Schweiz. Ein Blick hinter die Kulissen der Moscheen“ legt Saïda Keller-Messahli den bisher umfassendsten und detailliertesten Bericht zur salafistischen und islamistischen Szene in der Schweiz vor.

Wer sich wie ich beruflich mit den Themen Religionen, Jugendkulturen etc. befasst, dem ist natürlich schon vieles bekannt. Die Stärke des Buches liegt im Zusammenführen verschiedener Fäden und Stränge zu einem besorgniserregenden Muster. Die zunehmende Hinwendung zur konservativen Lesart des Islam in vielen Moscheen hat System. Keller-Messahli legt die Verbindungen hiesiger Vereine zu staatlichen Organisationen (etwa die der türkischen AKP unterstellten Union DITIB) oder zu Geldgebern aus der Golfregion offen. Organigramme und Graphiken illustrieren die Kanäle des ausländischen Einflusses. Ganz offensichtlich geht es nicht darum, dass ein paar Jugendliche die Religion für sich entdecken und ausleben wollen. Die Islamisierung der europäischen Muslime ist eine orchestrierte Aktion.

Was auch in diesem Buch immer wieder frappiert, ist die Naivität (oder Bequemlichkeit) der Behörden, dem Ansinnen solcher Kreise mit ihrer antiwestlichen, antidemokratischen, frauenverachtenden Ideologie einen Riegel zu schieben. Liberale, die sich nicht in die Gesinnung des Einzelnen einzumischen vorgeben und Linke, die just beim Thema Islam all ihren emanzipatorischen Impetus vergessen, legen zusammen eine Untätigkeit an den Tag, in deren Schatten die sektiererischen Blüten gedeihen können.

Vielleicht braucht es nebst Enthüllungsjournalisten wie Kurt Pelda, der jüngst einen Bieler Hassprediger entlarvte, auch Bücher wie dieses hier, um die Behörden aufzurütteln.

Ich wünsche dem Buch auf jeden Fall viele Leser, gerade auch unter Richtern und Politikern!

Und Saïda Keller-Messahli wünsche ich den Support, den sie und den viele moderne und progressive Muslimas und Muslime dringend nötig haben. Leute wie Zana Ramadani, Ahmad Mansour, Mouhanad Khorchide, Hamad Abdel-Samad und Seyran Ates.

Die Reformierten feiern heuer 500 Jahre Reformation. Die muslimischen Reformer stehen jetzt vor ähnliche Herausforderungen wie die Zwinglis und Luthers damals. Diese wurden von der staatlichen Obrigkeit unterstützt, weshalb sich die Reformation schliesslich durchsetzen konnte. Unsere Behörden sollten den muslimischen Reformern wenigstens keine Steine in den Weg stellen. Schliesslich liegt es auch in ihrem Interesse, Kräfte zurückzubinden, die eine destruktive Ideologie in die Mitte unserer Gesellschaft tragen.

 

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5 Kommentare
  • Catherine McMillan
    Gepostet um 23:04 Uhr, 01. September

    Danke! Sie helfen uns, die Dinge differenziert anzuschauen, und genau hinzuschauen.

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  • Jonathan Stutz
    Gepostet um 00:30 Uhr, 02. September

    Die Forderung an den Rechtsstaat, die Anerkennung seiner unverhandelbaren Geltung auch von den Islamisten einzufordern, und den Aufruf an die intellektuellen Kreisen, den Mut zu haben, auch diskursiv für die freiheitiche Ordnung unserer offenen Gesellschaft einzustehen (und ich würde mit Hinblick auf die Linken hinzufügen: auch den Mut zu haben, an ihre gute und alte Tradition der Religionskiritik wieder anzuknüpfen), ist höchstens willkommen. Dennoch ist es gerade für dieses Vorhaben kontraproduktiv, wenn dies über die Köpfe der hier lebenden MuslimInnen hinweg geschieht und man dies nur im Schulterschluss mit den besagten Reformdenker zu erreichen sucht. Die besagten Namen (allen voran Abdel Samad) sind alles andere als repräsentativ für den gegenwärtigen Islam. Es wird wohl noch für viele Jahre eine Gratwanderung sein, im Dialog mit dem Islam beide Elemente zu berücksichtigen. Wichtig wird es dabei sein, sich einzugestehen, dass niemand für sich die Deutungshoheit beanspruchen kann, die „Moderne“ zu definieren.

    PS: Ganz allgemein und nicht nur mit Hinblick auf diesen Text möchte ich jedenfalls das im diesem Reformationsjubiläum fast mantraartige Narrativ hinterfragen, welches Reformation und Modernisierung des Christentums geichsetzt.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 13:34 Uhr, 04. September

      Übrigens gab es auch im Islam wine reformatorische Strömung, welche sich im Zweistromland des 9.-11. Jahrhunderts entwickelte und massgebend war. Die Mu’tazila (von sich absondern) konnte sich leider nicht durchsetzen, auch wenn sie in Teilen der Schia weiterhin rezipiert wurde und wird.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 13:46 Uhr, 04. September

      ‚Ni Dieu, ni Maitre‘ Um Religionskritikbbetreiben zu können, muss man erst eine Ahnung von Religion haben. Auch bei den Linken schlägt eben der Traditionsabbruch voll durch …

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 13:27 Uhr, 04. September

    Höre gerade das ‚Tagesgespräch‘ mit Frau Keller-Messahli. Die grösste Zahl der hier lebenden MuslimInnen ist ihrer Religion gegenüber ziemlich indifferent. Wie die Mehrheit der christlichen Mehrheitsbevölkerung übrigens. ?

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