Rückfahrt aus Kapstadt im Februar 2029

Durch glückliche Umstände habe ich unverhofft Ferien nehmen können. Der Winter ist in der Schweiz schon länger nur noch grau und nass geworden, Schnee gibt’s fast keinen mehr. Umso mehr habe ich mich gefreut, dieses Jahr den Februar für einmal als Sommer zu geniessen. Hier in Kapstadt läuft vieles anders als zu Hause, nicht nur im Strassenverkehr, wo man links fährt, auch die Sonne hat einen andern Lauf und steht mittags im Norden. Vor allem pflegt man in Südafrika einen ganz anderen Umgang mit der Digitalisierung. Während in Westeuropa mittlerweile sehr viele Jobs durch Computer übernommen wurden, ist man hier nach wie vor bestrebt, möglichst viele Jobs zu schaffen um Menschen eine Arbeit zu geben. Self-Scanning-Kassen sucht man in Kapstadt vergebens, selbst an der Gemüsewaage im Supermarkt stehen zwei Angestellte, die eine nimmt die von mir ausgesuchten Früchte entgegen, der andere wägt sie und klebt das Etikett mit dem Preis auf den Plastikbeutel. Selbstfahrende Taxis gibt es zwar auf Wunsch vieler Touristen zwar auch in Südafrika, aber von Gesetzes wegen sind sie gleich teuer wie die Taxis mit Fahrer. In Zürich, wo ich arbeite, fahre ich nur selten mal mit einem selbstfahrenden Taxi, Wagen mit Chauffeur kann ich mir bei den Schweizer Preisen schon gar nicht leisten.

Als ich vor zwei Wochen am Flughafen ankam hatte ich die Stimme einer vielreisenden Freundin im Ohr, die mir immer wieder vorgeschwärmt hatte wie schön doch das Fahren in einem Taxi mit Chauffeur sei. Sie erzählte mir, sie hätte immer gute Gespräche, die Taxifahrer seien freundlich, würden einem mit dem Gepäck helfen, wüssten Interessantes über die anzufahrende Destination, erzählten aus ihrem Leben oder gerieten beim Anblick auf die abendliche Skyline ins Schwärmen. Hier in Südafrika, so dachte ich, könnte ich mir das Fahren mit Chauffeur nun auch mal leisten. Doch meine Freude über diesen «Luxus» war nur von kurzer Dauer. Nicht nur dass der Fahrer mit übersetzter Geschwindigkeit über die Strassen donnerte und mir hundeelend wurde, er war auch mürrisch und an Hilfe mit dem Gepäck war schon gar nicht zu denken. Weder konnte ich mich mit ihm unterhalten, noch den Anblick des Tafelbergs, des Wahrzeichens von Kapstadt, geniessen – Gangsta-Rap in voller Lautstärke dröhnt aus den altersschwachen Lautsprecherboxen – ich war heilfroh, als wir beim Hotel ankamen und diese Höllenfahrt zu Ende war.

Für die Rückkehr habe ich mir daher geschworen ein selbstfahrendes Taxi zu nehmen. Nun gleite ich in einem eleganten modernen Fahrzeug durch Kapstadt während mich eine freundliche Computer­stimme über die Sehenswürdigkeiten informiert. Vor dem Einsteigen habe ich allerdings etwas warten müssen, bis das Computertaxi seine Software aktualisiert hat. Doch hat sich dies offenbar gelohnt, denn trotz des abendlichen Stossverkehr kommen wir flott voran. Mein selbstfahrendes Taxi wird von Navi auf Routen geleitet, die wenig befahren sind und schon bald haben wir Stadt und Häuser hinter uns. Durchs Fenster geniesse ich den Blick auf die weite Gegend im Abendlicht.

Mittlerweile dünkt mich die Gegend etwas gar einsam, doch bevor ich mich frage, wo wir hingeraten hält das Auto an und eine Stimme ertönt aus dem Lautsprecher: «Bitte warten, die Software ihres Autos muss aktualisiert werden.» Ob beim letzten Download ein Fehler passiert ist? Wohl schon, denn mittlerweile befinde ich mich nicht nur weit weg von Kapstadt, sondern auch abseits von jeglicher Zivilisation. Die Gegend ist mir von einem Ausflug, den ich ins Landesinnere gemachte habe seltsam vertraut – und plötzlich wird mir klar wo ich bin, mein selbstfahrendes technologisches «Wunderwerk» steht inmitten der halbwüstenhaften Gegend der Kleinen Karoo. Hier dauert der Software-Download meines selbstfahrenden Taxis aufgrund der schlechten Mobilfunkverbindung wohl ewig und meinen Rückflug werde ich sicherlich verpassen.

 

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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3 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 18:00 Uhr, 01. März

    der digitalisierung wohnt offenbar so viel humor inne, dass ich nicht anders kann, als „lustig“ zu werten, obschon Ihr beitrag auch andere aspekte hat. die abenteuerliche fahrt mit dem chauffeur ist möglicherweise eine hinweis darauf, warum hier in der arbeitsbeschaffung eine ausnahme gemacht wird. charakteristisch ist die ausschliessliche konzentration auf das soziale. ich stehe sogleich vor dem dilemma fliegen oder nicht. mein selbstfahrendes taxi bin im übrigen ich selbst. vor jahren habe ich herausgefunden, dass ich, wenn ich nachts, wenn kein öv mehr fährt, den letzten zug auch über weitere strecken per dauerlauf erreichen kann. vor vierzig jahren habe ich auch mal die erfahrung gemacht, dass das wahre selbst des menschen mit langlaufskis, auch im dauerlauf, hohe berge erreichen kann, ohne die geringste anstrengung zu empfinden. die emanzipation vom skiliftprinzip als eine art stellenbeschaffung für uns selbst. 😉

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    • michael vogt
      Gepostet um 04:54 Uhr, 02. März

      meine korrektorin k 2029 hätte „, wenn ich“ ausradiert, bevor der abschicker den kommentar abgeschickt hätte (per briefpost natürlich, wenn nicht per brieftaube). bei uns wird im bekanntschaftsinserat stehen: mann, entdigitalisiert, sucht. . .

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    • michael vogt
      Gepostet um 16:07 Uhr, 02. März

      mein kommentar ist von einem verleser bestimmt: 2019, bleibt sich aber mit 2029 ungefähr gleich. kurz vor erscheinen des beitrags habe ich gedacht: heute wird jemand auf diesseits einen selbsterfundenen witz bringen und uns auffordern, auch einen zu erfinden. im durchschnitt erfinde ich pro jahr einen, in den letzten monaten waren es mehrere – leider alle vergessen. die erfundene geschichte kommt dem nun viel näher. meine meinung ist, dass in zukunft das telepathische wahrnehmungvermögen zunehmen wird, was zur folge haben wird, dass wir weniger telefonieren. die zunahme der wahrnehmung zb des ortes, wo wir sind, wird zur folge haben, dass wir real und digital weniger reisen. eine bessere selbstwahrnehmung wird den gebrauch des digitalen fingers (digitus lat. finger) zumindest teilweise erübrigen. wenn achtsamkeit/mindfulness entsteht, ist es gut. doch können diese beiden worte diese erfahrung auch zestören. eine andere evolutionsschicht schiebt sich unter den hauptstrang.

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