Wann beginnt eigentlich Leben?

Wann beginnt eigentlich das Leben?

«Was sagst Du eigentlich dazu? Du musst das doch wissen. Du musst doch wissen wann das Leben beginnt. Du bist doch Pfarrerin und Ethikerin. Du hast das doch studiert», höre ich immer wieder. So, habe ich das? Ich habe Theologie studiert, das ist richtig.  Aber habe ich auch studiert, wann das Leben beginnt? Von Embryonen und Föten ist doch in der Bibel noch gar nicht die Rede. Ich habe wohl eher studiert, wie das Leben funktioniert, oder besser, wie das Zusammenleben funktioniert – oder noch genauer: Wie das Zusammenleben funktionieren könnte, wenn …. Denn so richtig scheint es ja nicht zu funktionieren. Die Zeitung traut man sich ja fast schon nicht mehr aufzuschlagen. Eine Schreckensmeldung jagt die nächste. Aber das ist ein anderes Thema.

Ich versuche mich hier nun doch der Frage zuzuwenden: «Wann beginnt menschliches Leben?» Berechtigt ist sie ja durchaus, die Frage. Sie stellt sich im Zuge der modernen biomedizinischen Forschung (PID, embryonale Stammzellenforschung…) immer dringlicher. Also habe ich mir einmal Gedanken dazu gemacht. Die Beantwortung ist allerdings alles andere als einfach. Ich versuche es trotzdem.

 

Wann erhält der Embryo seine Seele?

In unserer pluralistischen Gesellschaft, die auf dem Grundsatz der Religionsfreiheit aufbaut, gibt es sehr unterschiedliche religiös, kulturell und politisch geprägte Auffassungen. So lässt sich jüdischen, religiösen Schriften entnehmen, dass ein Embryo erst 40 Tage nach der Befruchtung eine Seele erhält. Erst von diesem Zeitpunkt an, kann man von einer Person reden. Aus islamischer Sicht betritt die Seele gar erst zwischen dem 40 und dem 120. Tag den Fötus. Davor ist der Embryo zwar nicht grundsätzlich schutzlos, hat aber einen relativ geringen moralischen Status. Diese Überzeugung geht auf Aristoteles zurück. Für ihn ist der Zeitpunkt der ersten Bewegung des Embryos im Mutterleib das Kriterium der Beseelung oder Animation und somit der Menschwerdung. Auch der heilige Thomas von Aquin vertrat im 13. Jahrhundert die Lehre von der Animation des menschlichen Körpers, die seiner Meinung nach vom 40. oder 80. Tag nach der Empfängnis bei männlichen bzw. weiblichen Föten geschieht. Bei Abbruchwilligen dürfte diese Interpretationsweise freilich Probleme aufgeworfen haben, da es in diesem frühen Schwangerschaftsstatus noch nicht möglich war, das Geschlecht zu bestimmen. Thomas ging wohl davon aus, dass sich männliche Föten ab den 40. Tag bewegen, weibliche dagegen erst etwas später. Tatsache aber ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch vor diesem Zeitpunkt der Kirche als weniger schwere Sünde galt als die Abtreibung eines bereits animierten Fötus. Diese Ansicht hat die römisch-katholische Kirche noch bis vor etwa 120 Jahren vertreten. Erst Papst Pius IX. änderte das Kirchenrecht. Seit 1896 heisst es: Das Leben beginnt mit der Empfängnis.

 

Beginnt das Leben, wenn Samen und Eizelle verschmelzen?

Heute ist sich die katholische Kirche weitestgehend einig, dass menschliches Leben, auf Grund des Potentialitäts- und des Kontinuumsarguments, mit der Verschmelzung von Samen- und Eizelle beginnt. Wie eine Tulpenzwiebel, die bereits das ganze Entwicklungsprogramm in sich trägt und unter günstigen Bedingungen am Ende die voll erblühte Tulpe heranreifen lässt, genauso ist das Programm für die Entwicklung des Menschen ab der Befruchtung gegeben. Damit seien nämlich die Erbanlagen von Mutter und Vater in etwas vereint, was nun in seiner Entwicklung als Person fest programmiert ist.

Der katholische Moraltheologe Karl Rahner spricht hier jedoch von einem logischen und theologischen Dilemma. So sterben mehr als sechzig Prozent der Embryonen bereits vor der Einnistung oder Implantation ab. Dies würde bedeuten, dass über die Hälfte aller mit einer unsterblichen Seele ausgestatteten menschlichen Personen sich nicht über die ersten undifferenzierten Stadien des Lebens hinaus entwickeln. Nun, es lässt sich in der Tat darüber streiten, ob es sinnvoll ist, die Befruchtung als Beginn des Lebens zu bezeichnen.

 

Beginnt die Menschwerdung mit dem «Hirnleben»?

Ein Blick in die moderne medizinische Forschung zeigt, dass der personale TOD eines Menschen relativ genau zu bestimmen ist. So setzen Intensivmediziner diesen mit dem Ende der Funktionsfähigkeit des Hirnorgans gleich. Man spricht von „Hirntod“. Daher vertreten einige Wissenschaftler und Philosophen analog dazu die Meinung, dass die Menschwerdung mit dem „Hirnleben“ beginnt. Demnach könne mit Beginn der neuronalen Synapsenbildung, etwa am 70. Tag, von einem „Hirnleben“ und somit von menschlichen Leben gesprochen werden. Freilich ist aber auch dieser Einschnitt mehr oder weniger willkürlich und von Menschen gesetzt.

Wie dieser kurze Abriss zeigt, ist es nicht möglich, verbindlich für jedermann festzuschreiben, wann genau menschliches Leben beginnt. Dieses Streben nach einer Verallgemeinerung und obersten Ordnung, das auf biologische Prozesse zurückgeführt wird, führt meiner Meinung nach eher dazu, dass Leben(sweisen) in ihren besonderen Kontexten aus dem Blick geraten.

 

Die Bibel ist vielfältig wie das Leben selbst

Ein Blick in die Bibel sagt mir, dass Gott Adam seinen Atem erst nach weitestgehend abgeschlossener Formung seines Körpers eingeblasen hat (Gen 2,7) und im 2. Buch Mose (Exodus 21,22) ist nachzulesen, dass die Tötung des Ungeborenen im Mutterleib nicht im gleichen Masse wie Mord oder Totschlag bestraft wurde. Daraus könnte man folgern, dass die Schutzwürdigkeit eines Embryos nicht dem eines geborenen Menschen entspricht. Allerdings ist die Bibel kein durchgegliedertes Gesetzeswerk und kein systematischer Traktat, sondern vielfältig wie das Leben selbst. So ist es also nicht verwunderlich, dass in ihr dieselbe Sache aus ganz unterschiedlichen, auch entgegengesetzten Blickwinkeln gesehen werden kann.

 

Der Beginn des Lebens ist kein isolierbarer Augenblick

So belegt sie auch ganz klar, dass unsere Beziehung zu Gott bereits im Mutterleib beginnt (Ps 22,11; Ps 71, 5-6; Ps 127,3; Jes 44,2.24; Jer 1,5; Lk 1,15 etc.). Der Mutterleib ist der Ort, an dem aus der intimen Gemeinschaft der Eltern durch göttliches Wirken langsam Leben heranwächst. Insofern ist der Beginn des Lebens kein isolierbarer Augenblick, kein bestimmter Zeitpunkt, sondern ein Prozess, in dem der Embryo biologisch Gestalt annimmt und durch die Liebe seiner Eltern zu ihm als auch durch Gottes Schöpferhand seine Personalität und Individualität und somit seine Würde empfängt. Die These von der vollen Menschwerdung im Moment der Zeugung, Befruchtung oder eines anderen mehr oder weniger willkürlich festgelegten Zeitpunktes leidet meines Erachtens an einer Überbetonung der biologischen Dimension des Lebensbeginns und greift zu kurz.

 

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36 Kommentare
  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 09:30 Uhr, 08. Februar

    Schön geschrieben. Theologie ist meines erachtensbeine Kulturwissenschaft deren aufgabe es ist technischen/biologischen Fakten kulturelle Bedeutung zu geben. Theologie kann nix beantworten aber alles ordnen was der Mensch zum eigenen und gemeinschaftlichen Leben braucht. Wir können die Fakten nicht der Wissenschaft überlassen, den diese betont, dass sie nur um den wissenserwerb bemüht ist, nicht um die Gesellschaftliche verortung. Gratuliere. Sie haben sich der theologischen Aufgabe sorgsam angenommen.

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    • michael vogt
      Gepostet um 16:27 Uhr, 08. Februar

      sie ist aber nicht nur das. zu starke diesseitsorientierung ist ausbeutung. die aufhebung des gegensatzes von diesseits und jenseits. in der buddhanatur ist alles enthalten, sagt die religion, gemäss der es „nichts losgelöstes“ gibt. und damit die aufhebung des gegensatzes von „nur“ (was ich Ihnen im übrigen nicht unterstelle) und „nicht nur“.

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      • Seraphim Weibel
        Gepostet um 14:19 Uhr, 09. Februar

        Hallo Michael,
        Deinen Kommentar hab ich leider nicht ganz Verstanden. Vielleicht kannst du noch mal konkret umfassen um was es dir geht ?

        Danke

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        • michael vogt
          Gepostet um 20:25 Uhr, 09. Februar

          hallo seraphim, einerseits, finde ich, ist theologie das, was du sagst, aber ich finde, sie kann – manchmal – auch antworten und ihre antworten begründen. mehr möchte ich nicht sagen, denn in den letzten tagen habe ich schon gerade etwas viel gesagt.

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 10:55 Uhr, 08. Februar

    Weshalb muss ich auf einem reformierten Blog die Lehrmeinung von Kirchenvätern und der röm.-kath.Kirche lesen. Zudem so abstruse Theorien eines Thomas von Aquin und Aristoteles, welche mit ihrer Verachtung von Frauen bereits im Mutterleib bei weiblichen Föten beginnen?

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    • michael vogt
      Gepostet um 16:47 Uhr, 08. Februar

      ha ja, diese unterschiedliche wertung von weiblich und männlich bereits im mutterleib, sollen wir nicht übernehmen, aber zur kenntnis nehmen. gestern war ich auf dem internet zum thema schechina, worauf Sie dankenswerterweise wiederholt hingewiesen haben, und eben auf Ihrer webseite, insbesondere unter „erstaunliches“. Sie haben mir ja empfohlen, mich „ein wenig“ mit feministischer theologie zu befassen. habe ich natürlich längst. als ich in den achtzigern in der vorlesung bei jürgen moltmann zum thema schechina einiges vernahm und er dieses wort, wie viele andere, mit „einwohnung“ übersetzte, nahm ich das erste n weg und sezte dafür ein b an den anfang. müsste ich, wenn ich nun tiefer in die literatur einsteigen würde, lauter texte lesen, in denen diese kleine, logische und in der assoziation wohl kaum vermeidbare wortänderung nicht einmal erwogen wird?

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 17:41 Uhr, 08. Februar

      @ Michael Vogt: Machen Sie sich nur lächerlich über die Erkenntnusse feministischer Theologie; – mit assoziativen männlichen Beiwohnungsphantasien hat dies herzlich wwnig zu tun. Und statt Jürgen Moltmann hätten Sie wohl eher seiner Frau Elisabeth Moltmann-Wendel zugehört!

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      • michael vogt
        Gepostet um 18:30 Uhr, 08. Februar

        ich spreche auch von den beiträgen zum thema von männern. und müssen es männliche phantasien sein? können entsprechende erfahrung auf den begriff der phantasie reduziert werden? und wenn ich mich lächerlich mache, dann nur über einen punkt, nicht über die arbeit der frauen als ganzes, der ich – postfeministisch – vieles verdanke. anders würde ich mich im wörtlichen sinne, nämlich mich selbst lächerlich machen.

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        • Esther Gisler Fischer
          Gepostet um 20:30 Uhr, 08. Februar

          Leider sind wir noch lange nicht im postfeministischen Zeitalter angelangt; -höchsten ein wenig postpatriarchal geht es zu und her und das ist gut so!

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          • michael vogt
            Gepostet um 21:45 Uhr, 08. Februar

            einverstanden. mit postfeministisch meine ich, dass wir, wie gesagt, dem feminismus vieles verdanken, dass ich aber, da ich nun mal nicht eine frau bin, mich damit nicht zufrieden geben kann. differenzen im sinne des kampfes der geschlechter sind vorprogrammiert. ich versuche so zu fahren, dass das land bis zuletzt fruchtbar wird. dass das wort auch eine gewisse kritik an bestimmten feministischen verhaltensweisen enthält, räume ich ein. das ist aber im verhältnis an einem kleinen ort.

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    • Verena Thalmann
      Gepostet um 22:22 Uhr, 08. Februar

      …..ich verstehe deinen Aerger über die Unterscheidung von Thomas v. Aquin bezüglich männlichen und weiblichen Embryonen!
      Wäre es jedoch nicht hilfreicher, den Text als gesamten anzuschauen? Dieser ist meines Erachtens sehr weise, wirklich von verschieden Seiten angegangen bezw. beschrieben worden. Mit interessanten und wertvollen Anstössen versehen. — Im Gegensatz zu den Argumenten und Haltungen von Menschen, die zum Beispiel immer wieder beim „Marsch für s’Läbe“ anzutreffen sind, finde ich den Beitrag von Claudia Mehl ermutigend. Gruss Verena

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 17:52 Uhr, 10. Februar

        Ja klar, da hast du Recht. Bin eben einfach allergisch auf solchen alten Müll aus scholatischen Männerköpfen. Vielleicht haben sich im Mittelalter ja auch Frauen dazu vernehmen lassen nicht?!

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    • Huber Erwin
      Gepostet um 11:04 Uhr, 10. Februar

      Ist es Ihrem Verständnis nach, Frau Fischer Gisler, „reformiert“, nur die Meinung reformierter Denkerinnen und Denker zu einem Thema zur Kenntnis zu nehmen bzw. zu erwähnen? Thomas von Aquin und Aristoles haben nebst höchst Bedenkeswertem auch höchst Abstruses behauptet, aber ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum sie auf einem reformierten Blog nichts zu suchen haben sollten. „Prüfet alles, behaltet das Gute!“, hat einmal einer geraten. Oder hat die Meinung dieses Typen, der in anderen Dingen durchaus seltsame Ansichten gehabt haben soll, hier auch nichts zu suchen?

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 18:05 Uhr, 10. Februar

        Grüezi Herr Huber
        Gerne expliziere ich Ihnen, weshalb ich der Meinung bin, dass zumindest ein Thomas von Aquin auf diesem Blog nichts verloren hat: Mit seinem Naturecht (wohl auch solch abstrusen Unterscheidungen zwischen männlichen und weiblichen Föten) prägt er nach wie vor das Lehramt der röm.-kath. Kirche, welche u.a. auch damit die Minderwertigkeit der Frauen gegenüber dem Mann rechtfertigt.
        Und ja: Auch auf Paulus bin ich allergisch,. Ihm wird meines Erachtens viel zuviel Gewicht gegeben; -gerade auch bei den Reformierten. Ich berufe mich leiber auf Leben und Wirken des Nazareners.
        Freundlich grüsst Sie
        Estehr Gisler Fischer (Doppelnamen nach ZGB: Ledigennamen vorgestellt; -auf die reihenfolge kommt alsi auch noch an. ;-))

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        • Esther Gisler Fischer
          Gepostet um 17:28 Uhr, 17. Februar

          Und was noch schwerer wiegt: Mit seinen Versuchen, bei staatlichen Gesetzgebungsprozessen aktiv EInfluss zu nehmen, wenn es um Frauenrechte geht und solche reproduktiver Gesundheit von Mädchen und Frauen; namentlich in Mittel- und Südamerika, aber auch Polen, outet sich der römische Männerclub als reaktionäre Bation männlicher Macht.
          Inwieweit Religionen Orte weiblicher Freiheit sein können, erfährt man/frau foffentlich an der Tagung vom 4. März im RomeroHaus, welche unter dem Titel stehen wird: „Menschenrechte auf dem Prüfstand: Frauenrechte zwischen Religion, Kultur und Politik“
          Mehr dazu hier: https://feministische-theologinnen.ch/wp-content/uploads/2016/11/170304_Tagung-Frauenrechte_Flyer_A5.pdf

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  • Felix Geering
    Gepostet um 11:09 Uhr, 08. Februar

    Danke für die spannenden Gedanken. Und aufschlussreich, was Judentum und die Kirche vor Pius IX für eine Meinung hatten.

    Was mir noch fehlt im Artikel ist eine Betrachtung, was denn „Seele“ überhaupt ist. Wenn ich es richtig erinnere, ist es das Verlangen nach Leben. Dies drückt sich u.a. in entsprechenden Handlungen (Körperbewegungen) aus.

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    • Corinne Duc
      Gepostet um 14:09 Uhr, 08. Februar

      Es gibt auch in bzw. zu den Aristoteles zugeschriebenen Schriften verschiedene Interpretationen von “Seele”.
      Wenn “die Seele” etwas unsterbliches (und ewiges?) wäre, würde sie beim Abtöten der “Hülle” vermutlich doch nicht sterben?
      Mir scheint es durchaus in Ordnung auch verstehen zu wollen, welche Ideen(vielfalten) auch in anderen Kulturen vertreten werden und wurden.
      Die Bibel spezifisch als Anleitung zu konkretem moralischen Verhalten lesen zu wollen scheint mir indes ein Missverständnis, ausser man man entnehme daraus, dass es immer die Menschen selbst sind, die – eingedenk ihrer Fehlbarkeiten – in ihrem jeweiligen Lebenskontext die Sachverhalte offen, mit eigenem Verstand und Verständnis auch für die Anderen zu verstehen suchen sollten.

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      • michael vogt
        Gepostet um 17:11 Uhr, 08. Februar

        interessant und noch nie angetroffen (oder noch nie befriffen), dass das unsterbliche nicht sterben würde. in der geschichte der erwägungen zum schwangerschaftsabbruch geht es immer darum, diesen auszuführen, bevor das angeblich unsterbliche in die angebliche hülle eingeht. logisch ist das allerdings betreffend des kriteriums leiden. und ja, es gibt die auffassung, dass seelen sich für einen körper entscheiden, und wenn dieser zerstört wird, suchen sie einen andern. zu Ihrer letzten aussage bin ich der meinung, es gibt, in anlehnung an kant formuliert, den „reinen“ und den offenbarungsgestützten verstand. die bibel ist insofern sehr wohl anleitung zu konkretem moralischen verhalten, das allerdings sehr leicht sein gegenteil sich trägt, warum ich lieber, grundlegender von der befreiung zu weder zu noch zu wenig moralischem verhalten sprechen würde.

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        • Corinne Duc
          Gepostet um 11:12 Uhr, 09. Februar

          Es ist ein Missverständnis, die Bibel als konkrete Handlungsanleitung zu lesen, weil wir die Bibel nicht biblizistisch (miss-)verstehen sollten, sondern die alten Geschichten primär einmal dies sein lassen sollen, was sie sind: Erzählungen und Ansichten, welche die Autoren bestimmten Zielgruppen vermitteln wollten. Was wir daraus machen, liegt in unserer Verantwortung. Wir können natürlich versuchen den Geist des Buchstabens zu erfüllen und das, was in den Texten vorgeschlagen wird, eins zu eins umzusetzen. Das wird uns, kann man wohl auch aus protestantischer Sicht sagen, gar nichts nützen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass wir in diesen Schriften einander (oder auch unseren eigenen ethischen Grundsätzen) oft widersprechende Aussagen und Aufforderungen finden, sondern das Befolgen-Wollen von Vorschriften um dieser Vorschriften oder der eigenen Profilierung Willen an sich oftmals sehr destruktive Konsequenzen hat und den ursprünglich intendierten Sinn dann nicht selten sogar ins Gegenteil verkehrt.

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          • michael vogt
            Gepostet um 00:01 Uhr, 11. Februar

            moritz leuenberger hat mal gesagt, feindesliebe, das gehe nicht im nationalrat, da könne man nicht umarmen. natürlich geht das! wenn man sich die ärgsten gemeinheiten verkneift, ist schon viel gewonnen. der respektvolle gruss. die gegenseitige anerkennung trotz unter umständen gegensätzlicher überzeugung. für frauen ist das vielleicht etwas anders: sie sind evolutionsbiologisch disponiert, männer, mit denen sie keine kinder aufziehen wollen, aus ihrem lebensbereich fernzuhalten. aber ich glaube, es gibt auch bei ihnen liebesfähigkeit gegenüber feindin und feind.

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 13:41 Uhr, 08. Februar

    Die Geschichte von ‚ha adam‘, dem ‚Erdling‘ ist eine rein allegorische. Dem tönernen Menschen, der noch weder männlich noch weiblich ist, haucht JHWE Leben ein.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 14:30 Uhr, 08. Februar

    Liege ich völlig falsch, wenn ich aus diesem Blog implizit immer wieder die Thematik des Schwangerschaftsabbruchs raushöre? Und sind in dieser Frage solch willkürliche „Beseeltheitsannahmen“ von wem auch immer wirklich hilfreich? Wie in vielen ethischen Dilemmas müssen auch hier Spannungen und Interessenskonflikte manchmal einfach schmerzhaft ausgehalten werden.

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  • michael vogt
    Gepostet um 16:00 Uhr, 08. Februar

    danke für Ihren beitrag. musste auch ein wenig lachen: als ich 1990 der frage näher nachging, war es noch der 35. tag. damals kam ich zum schluss, dass dieser zeitpunkt nicht irrelevant ist, weil von da an die biologischen voraussetzungen gegeben sind, dass ein embryo unter seiner zerstörung leidet. kam aber bald darauf, dass das die biologische betrachtungsweise ist. theologische gesehen befindet sich, finde ich, jedes lebewesen auf dem weg zur vollkommenheit. oder noch spezifischer theologisch: diese kommt auf es zu. wird ein embryo später unter seiner zerstörung leiden? war dann meine frage. oder nicht? das dilemma bleibt bis heute dasselbe: es stehen sich zwei unendlich wertvolle güter gegenüber: das kleine menschliche lebewesen, in dem alles schon angelegt ist, und das sich entwickeln wird, wenn es nicht verhindert wird (lässt es sich letzten endes verhindern?), dann aber auch genug zeit für bereits geborene kinder und vieles mehr bis zum gedanken, dass der mensch als massenware unvorstellbares leiden zur folge hat. persönlich habe ich in der verhütungsfrage immer grossen einsatz gezeigt, um nicht plötzlich vor der frage zu stehen, vater werden oder abtreibung. so lächerlich und patriarchalisch das einige empfinden werden: ich habe es in den sparsam eingegangenen sexuellen beziehungen bis zum coitus interruptus gebracht, für mich eine ekstatische, voll befriedigende erfahrung. „bis zum bitteren ende“, wie meine damalige sprachbegabte und intuitive freundin es sagte, wollte ich nicht gehen. sie hat mir dann auch recht gegeben, hatte bald einen andern, erich – „er oder ich“, fragte ich sie dann mal auf einem spaziergang, wir kamen auch danach noch gut aus miteinander – und mit ihm bald ein kind, während der, der in diese welt keine kinder stellen will (ich) in einem mini-essay „gott als sexualpartnerin“ seine gedanken dazu formulierte, warum das leben für ihn auch so ein voll befriedigendes vorkommnis ist.

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    • Felix Geering
      Gepostet um 17:12 Uhr, 08. Februar

      …und schon sind wir bei der Frage nach dem Sinn des Lebens. – Ich spüre, dass Leben selber der Sinn des Lebens ist: Weitergeben desselben; beitragen dass alles immer weitergeht. Die Theologie sagt: Gott gab den Geschöpfen den Auftrag, sich zu mehren. Nicht kopflos, sondern mit Herz und Verstand, aber doch: vermehren. Die Biologie zeigt uns, welche Organe bei Mensch und Tier redundant (mehrfach) vorhanden sind. Es sind die besonders wichtigen Organe. Die Geschlechtsorgane sind besonders wichtig, weil ohne sie das Leben endet.

      Metaphysisch ist das der Grund, warum Kinder machen und Kinder haben so viel Freude macht…

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      • michael vogt
        Gepostet um 17:29 Uhr, 08. Februar

        die erde erfüllen (gen 1.28), aber nicht überfüllen. das leben endet auch beim zuviel. die zur fortpflanzung unabdingbaren organe sind nur teilweise redundant. warum gibt es heute bereits die gebärmutter transplantation? meine meinung ist, soweit es gelingt, die inhalte der menschlichen geistesgeschichte (religonsgeschichte inbegriffen und das ganze nicht im sinne einer negativen vergeistigung) fruchtbar zu machen, brauchen wir keine künstliche befruchtung.

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      • michael vogt
        Gepostet um 18:15 Uhr, 08. Februar

        das leben kann auch beim zu viel schreiben enden. aber ich schäme mich nicht, denn ich finde, dass kirche und theologie hinsichtlich der erarbeitung von alternativen zu der die menschenwürde infragestellenden technisierung sehr weit hinter ihrem auftrag zurückbleiben. um einen andern apekt beizuziehen: der traum vom fliegen (inklusive raum zeit freiheit), der in seiner verbreiteten ausprägung vorübergehend in der arktis enden, bei tagsüber minus 25° C (gefühlt wegen wind minus 35°C), und riesige kosten verursachen kann, liesse sich auch anders verwirklichen. und – thema mars – wären wir erleuchtet wie der weltraum, würden wir auf der erde bleiben. diese erfahrung wurde mir 1978 ausgerechnet auf einer hochzeit zu teil, als ich eine vertonung einer verheissung an den gefangenen jeremia in althebräischer sprache zur gitarre sang. sie werden vestehen, dass ich Ihnen zustimme und nicht zustimme: der sinn des lebens ist das leben selbst, es beinhaltet aber nicht immer – nicht einmal bei der pflanze – fortpflanzung.

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    • michael vogt
      Gepostet um 14:46 Uhr, 12. Februar

      zum letzten satz: das wort gott verwende ich in diesem zusammenhang nicht mehr

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  • Claudia Mehl
    Gepostet um 17:13 Uhr, 08. Februar

    Liebe Barbara, ich kann nachvollziehen, dass Du implizit die Thematik des Schwangerschaftsabbruchs heraushörst. (Michael Vogt danke ich – ebenfalls hinsichtlich dieser Thematik – für seine sehr persönlichen und detaillierten Ausführungen). Mehr als diese Frage treibt mich allerdings diejenige umher, wem Menschenwürde zukommt, bzw. ab wann einem potentiellen menschlichen Wesen Menschenwürde zukommt (oder eben: wann beginnt menschliches Leben?). So wird ja der Begriff der MW seit der Jahrtausendwende vor allem hinsichtlich der Bio- und Medizinethik verstärkt diskutiert. Der ausserordentliche wissenschaftliche Fortschritt und die damit verbundene rasante Entwicklung der hochspezialisierten Medizin, der Medizintechnik, Biotechnologie etc. (allen voran die Stammzellforschung, PID …), stellt nicht nur Patienten und alle im Gesundheitswesen Beteiligten vor neue Herausforderungen, sondern fordert eine breiter angelegte gesellschaftliche Diskussion. Ich gebe natürlich zu, dass sich diese komplexe Frage in einem blog nicht wirklich erschöpfend diskutieren lässt.

    Was die Thematik des Schwangerschaftsabbruchs betrifft, so stimme ich Deinem letzten Satz „Wie in vielen ethischen Dilemmas müssen auch hier Spannungen und Interessenskonflikte manchmal einfach schmerzhaft ausgehalten werden“ voll und ganz zu.

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  • Seraphim Weibel
    Gepostet um 17:41 Uhr, 08. Februar

    Das Problem mit dem Zeitpunkt stellt such wenn man NUR diesen betrachtet. Die Diskussion wird dann sinnentleert, abstrakt. Sobald aber die Biographie der Mutter und des Vaters dazu genimmen wird, deren Familien und dee gegenwärtigen Lebenssituaion wird es real und viel konkreter. Die Frage nach einem einzigen richtigen Zeitpunkt wird dann surealistisch.

    Die frage ist wie hilft man einem sochlem Paar?

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  • Claudia Mehl
    Gepostet um 17:48 Uhr, 08. Februar

    Michael Vogt, welches sind die Inhalte der menschlichen Geistesgeschichte, nicht in einer negativen Vergeistigung? Ist die menschliche Geistesgeschichte schon abgeschlossen, oder dauert sie noch an?

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    • michael vogt
      Gepostet um 19:33 Uhr, 08. Februar

      danke für Ihre frage und Ihr interesse. vielleicht habe ich hier https://www.diesseits.ch/wann-beginnt-eigentlich-leben/#comment-959 bereits geantwortet. zur achtung der eigenen menschenwürde gehört meines erachtens mehr ehrgeiz, das, was durch infragestellung der menschenwürde gemacht wird, nicht zu brauchen. und zur achtung der würde anderer, der ehrgeiz, ihnen die entsprechende option zu vermitteln. im sinne eines mittelweges zwischen askese und wohlstandsverwahrlosung und einer umgestaltung, nicht des zusammenbruchs der wirtschaft. wie dargestellt, sagt der buddhismus, dass in der buddhanatur alles enthalten ist. das neue testament spricht – meines erachtens gleichbedeutend – von der bis hundertfachen gegenwart dessen, was man nicht beansprucht. (mk 10.30) die geistesgeschichte, die geschichte der reliogionen und nicht-religionen dauert an. der zen-meister joshu sasaki, der brüllen konnte wie ein löwe – und im nächsten moment wieder völlig still, und von dem eine schier unglaubliche bejahung ausging, er konnte schimpfen bei völliger güte, und wie er der allgemeinen wc anlage entgengenschritt… hat, ganz abgesehen von diesem letzten, jahrzehnte lang hunderten von frauen den eindruck vermittelt, die sexuelle annäherung gehöre zur zen-ausbildung. das war zu einer zeit, in der es zum guten ton gehörte, konventionen zu widersprechen. mein gedanke war: das kommt daher, dass „buddha kein kennzeichen von männlich oder weiblich hat“, dass also in der erfahung, dass in der buddhanatur alles enthalten ist, ein entscheidender mangel besteht. entsprechendes auch für unser traditionelles „bild“, wie man sagt, vom ursprung des lebens. das ist ein aspekt, der beleidigen und gewalt provozieren kann. wir befinden uns auch hier wiederum in einem dilemma: einerseits brauchen wir ihn, finde ich, um mensch und natur nicht auszubeuten, andererseits nicht auszumalen, was geschehen kann, wenn wir diese frage nicht mit genügender zurückhaltung angehen. yoku mire ba/nasuna hana saku/kakine kana. kennen Sie das? „auf den ersten blick“, „beispiele aus der dichtung“ (repräsentiert die gechichte, von der wir sprechen), erich fromm „haben oder sein“, ein haiku von basho. wenn ich aufmerksam schaue/sehe ich die nazuna/an der hecke blühen. vielleicht kann die aufforderung zur aufmerksamkeit stören, zu viel absicht hereinbringen. die alternative: offenbarung.

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    • michael vogt
      Gepostet um 19:37 Uhr, 08. Februar

      danke für Ihre frage und Ihr interesse. vielleicht habe ich hier https://www.diesseits.ch/wann-beginnt-eigentlich-leben/#comment-959 bereits geantwortet. bei der fortsetzung ist das system der meinung, ich hätte „das schon einmal geschrieben“, vielleicht will es sagen, „zuviel geschrieben“. ich schicke Sie Ihnen per mail.

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  • Claudia Mehl
    Gepostet um 07:26 Uhr, 11. Februar

    Also ich finde es wirklich spannend und sehr aufschlussreich, welche Richtung diese Diskussion eingeschlagen hat. Das lässt tief blicken. Als ich meinen Artikel schrieb, habe ich nicht im Geringsten an Feminismus und Co gedacht. Ganz ehrlich. 🙂 Und Michael Vogt, lassen Sie sich gesagt sein, auch wir Frauen sind – obwohl wir Ihrer Meinung nach evolutionsbiologisch dazu dispositioniert sind, Männer aus unserem Lebensbereich auszuschliessen, mit denen wir keinen Nachwuchs zeugen wollen – auch zur „Liebesfähigkeit“ diesen gegenüber fähig – zumindest manchmal. Wir schliessen nicht generell alle Männer aus unserem Leben aus. Ich denke da z.B. an meinen Sohn, Bruder, Vater … 🙂 🙂

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  • Anita Ochsner
    Gepostet um 09:19 Uhr, 16. Februar

    Zur Frage, Wann beginnt eigentlich leben?
    Beginnt leben, das menschliche nicht vom Anfang an?! Ist Leben nicht schon davor, vor dem Beginn eines menschnlichen Lebens. Da braucht es ja Frau und Mann lebendige, dass überhaupt Leben entstehen kann. Und wenn es beginnt, ist schon Leben, das menschliche da, denn ohne dieses kann kein Mensch werden., wenn wir den Anfang nicht „mitnehmen“ wie soll denn menschliches Leben entstehen können, wenn nicht der Anfang miteingenommen, gedacht, in unsere Seele aufgenommen wird. (zumindest dann wenn wir wissen, dass hier menschliches Leben begonnen hat.)
    Oder, wie es in einem kleinen Kreis von Menschen mit einer Körperbehinderung jemand zu diesen Fragen sagte: „Wir haben alle schon einmal gewonnen. Der schnellste gewinnt. Wir sind Gewinner.“ weiter: „Wir sind vom Leben gewollt, gewünscht.“ Zustimmendes nicken, ein Schweigen für einen Moment. Es schien mir, die eine Frau, wurde etwas grösser in ihrem Elektrorollstuhl. Für jemanden tritt die Seele klar bei der Zeugung in den Körper. Und überzeugt: „Seele stirbt nicht, wenn der Körper stirbt.“ Waren die Meinungen und ist auch meine, was das Sterben betrifft. Sucht die Seele einen Körper? „da wartet noch eine Seele“ wie es einmal eine Freundin sagte: Es soll noch ein Kind geboren werden.

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