Das Amen von He-Man

Wenn wir an Weihnachten unsere Grosseltern in Italien besuchten, hat es praktisch nie geschneit. Es konnte aber trotzdem sehr kalt werden. Weil nicht alle Zimmer des Hauses geheizt wurden, versammelte sich die gesamte Familie in der Nähe des Kaminfeuers. Es ist nämlich nicht so, dass die Italiener von Natur aus besonders gesellig wären. Manchmal geht es aber einfach nicht anders: Sie müssen dicht gedrängt ihren Platz an der Wärme teilen. In der Schweiz funktionieren in der Regel die Heizungen hingegen ganz gut und jeder kann für sich alleine sein.

Als wir noch Kinder waren, beobachteten meine Cousins und ich hypnotisiert die Glut, während uns Nonno die unglaublichsten Geschichten erzählte. Eine davon werde ich nie vergessen. Mit aufgeregter Stimme sagte Grossvater, dass es beim Nachbar, einem stämmigen Bauern, Nachwuchs gegeben hätte. Seine Traktorin hätte Traktörchen zur Welt gebracht. Ganz putzig seien sie. Überrascht war ich zunächst von der weiblichen Bezeichnung „la trattoressa“. Ich meinte, Traktoren sollten eigentlich per Definition männlich sein: stinkig, stark und laut. Nonno schwor uns, dass sein Nachbar beim Kauf nicht auf das Geschlecht des landwirtschaftlichen Gerätes geachtet habe. Das hätte er nun davon: Fünf kleine Traktoren würden jetzt im Hof für Radau sorgen. Er hatte den letzten Satz noch nicht fertig ausgesprochen, da stand die Kinderschar bereits draussen in der Kälte. Grossvaters Nachbar war nach unseren Erläuterungen zunächst verwirrt, dann fing er an zu lachen. Und je mehr er lachte, desto grösser wurde unsere Enttäuschung, weil die Geschichte erfunden war.

Um sich zu entschuldigen, bot uns Nonno ein Stück Pandoro an. Pandoro ist besser als Panettone, weil es keine Weinbeeren oder kandierte Früchte darin gibt. Und dann spielten wir alle zusammen Tombola, die italienische Version des Lottos. Bei der Tombola müssen aber nicht unbedingt ganze Zahlenreihen voll sein. Man gewinnt bereits ab zwei Zahlen (das heisst dann „ambo“) und wenn die Karte voll ist, dann kann man eben „TOMBOLA!“ schreien. Die Karten waren früher nicht mit Plastikfenstern versehen. Um uns die bereits gezogenen Zahlen merken zu können, haben wir getrocknete Kichererbsen auf die Zahlenfelder gesetzt. Onkel Tiberio wollte immer gewinnen, und wenn seine Karten nicht so gut waren, dann stiess er zufälligerweise mit dem Knie gegen die Tischkante: Die Kichererbsen rollten davon und wir mussten neu beginnen. Wenn Grossvater die Zahlen aus dem Beutel zog, dann war es am lustigsten. Er hatte für jede Zahl ein passendes Bild: „77 – Die Beine der Frauen“ schrie er, indem er auf die Ähnlichkeit zwischen der Zahl und der Form der Beine hinwies.

Bei den Nonni war es ebenfalls Tradition, die Weihnachtskrippe herzurichten. Bevor das Jesuskind eintraf, durften die Neben-Figuren aus Holz oder Keramik, die Jungfrau Maria und Josef, Ochs und Esel, Schäfer und Engel ihre Positionen einnehmen. Die Landschaften gestalteten wir jeweils mit Moos und Steinen aus dem Hausgarten. Die besonders frommen Familien übertrieben es: Die Krippe mutierte förmlich zum Miniatur-Dorf, inklusive Wasser- und Stromversorgung. Das Wasser plätscherte in künstliche Seen und Bethlehem leuchtete wie Las Vegas. Damals wusste ich nicht, dass die ganze Inszenierung als Status-Symbol missbraucht wurde. Wir Kinder hatten jedenfalls unsern Spass und sorgten für ein paar Erweiterungen: Flughafen, Kinos und Hotels für die drei Könige, die doch irgendwo übernachten mussten. Nachdem wir das Christkind in der Krippe mit dem Rega-Helikopter hinunterseilen liessen, musste Wache gehalten werden. Ich traute meinen unbewaffneten Schäfern nicht, das Sicherheitsdispositiv erachtete ich als unpassend und ging auf Nummer sicher: Die Truppe wurde durch ein paar Zinnsoldaten, Indianer und die Action-Figur He-Man verstärkt. Falls sich Herodes hätte blicken lassen, hätte er seine letzte Segnung erhalten: das endgültige Amen von He-Man!

Zur Adventszeit und über Neujahr hatte ich wirklich eine Heidenfreude. In der Schweiz bekam ich Geschenke vom Samichlaus, vor Weihnachten Geburtstagsgeschenke, an Weihnachten wurde ich vom Christkind und später von der Befana beschenkt. Die Befana ist eine Hexe, die in Italien in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar auf einem Besen von Haus zu Haus fliegt und zufälligerweise gleich gross wie meine Mutter ist. Streng genommen hätte die Befana die Schweiz gar nicht besuchen sollen. „Das ist mir völlig schnuppe“, sagte ich meinen Eltern, „sie hat einen fliegenden Besen, dann soll sie die Schweizer Grenze überqueren. Und wenn sie vorbeikommt, dann soll sie auch einen Dreikönigskuchen mitbringen.“ Gegenargumente, beispielsweise die Befana hätte keinen gültigen Pass, liessen meine Schwester und ich nicht gelten. Wir wurden verwöhnt, besonders dann, wenn wir die Verwandten in Italien nicht besuchen konnten. Dann hatte meine Mutter ein schlechtes Gewissen und die Hexe bekam problemlos Landeerlaubnis.

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12 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 07:25 Uhr, 18. Dezember

    fuss
    wunder

    bein
    geheimnis

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    • Luca Zacchei
      Gepostet um 16:47 Uhr, 18. Dezember

      Fuss-Pilz.
      Wunder-Salbe.

      Bein-k-Geheimnis.

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      • michael vogt
        Gepostet um 03:09 Uhr, 19. Dezember

        in Ihrem beitrag sieht man, wie früh Sie dieses sarkastische (oder wie Sie es nennen wollen) kennen gelernt (oder wie immer es genau war) haben. kaum hat einer einen kontrapunkt gesetzt, setzen Sie auch schon wieder einen. 😉 😉 😉

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        • Luca Zacchei
          Gepostet um 14:26 Uhr, 19. Dezember

          Ich bin kaum auszuhalten 🙂 Kürzlich habe ich meiner Frau gesagt, ich könne unmöglich mit mir zusammenleben. Ich meine, wenn ich mich als Partnerin hätte, dann würde es einfach nicht klappen. Zu sarkastisch und ungestüm.

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          • michael vogt
            Gepostet um 20:54 Uhr, 19. Dezember

            und man fällt auch mal rein: als Sie mich fragten, ob das analoge so „unverfälscht“ sei wie die moderne digitale tonwiedergabe. . . als partnerin möchte ich Sie nicht, unterhalte mich aber gerne mit Ihnen.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:01 Uhr, 18. Dezember

    Soooo super, diese Erinnerungen :-))))! Aber nein: Pandoro ist NICHT besser als Panettone. Weil er keine Canditi und Sultanini hat! Pandoro ist langweilig.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:04 Uhr, 18. Dezember

    Ich vermutete immer, Pandoro sei nur für die Deutschschweizer erfunden worden. In dem Fall wird das in Italien wirklich gegessen?!

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    • Michael Mente
      Gepostet um 14:27 Uhr, 18. Dezember

      Liebe Barbara

      Italiener/innen essen das wirklich auch. Kandierte Früchte sind im Süden beliebt – Sizilien etwa hat x Gebäcke mit diesen Dingern drin. Und nein: Pandoro ist besser 🙂

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    • Luca Zacchei
      Gepostet um 16:51 Uhr, 18. Dezember

      Die Vorliebe für Pandoro ODER Panettone teilt Italien. Aber für einmal nicht geographisch, wirtschaftlich oder politisch 😉

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 09:50 Uhr, 18. Dezember

    Ich meinerseits musste „alt“ werden, bis ich nach vielem Anderem auch noch erkannte, dass in der Lukas-Geburtsgeschichte k e i n e E n g e l im und beim Stall sind. Es heisst nämlich klar und deutlich: „Als die Engel von ihnen (den Hirten) g e n H i m m e l g e f a h r e n waren, sprachen sie zueinander: Lasst uns nach Bethlehem gehen und sehen…“. Da auch der „Stern“ und auch die „Weisen“ nicht von Lukas stammen (die sind – bei Matthäus – sogar sechs bis sieben Jahre früher angesiedelt), ist die Szene im Stall doch wohltuend dunkel – und intim. Ein sehr guter Rat für zukünftige (Vor-)Weihnachtsfeiern, denke ich.

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    • Luca Zacchei
      Gepostet um 14:28 Uhr, 19. Dezember

      Lieber Herr Rolla, das wusste ich nicht! Aber erzählen Sie es bitte nicht weiter. Die Industrie der Engel-Keramikfiguren könnte drastisch einbrechen 😉

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  • Michael Mente
    Gepostet um 14:34 Uhr, 18. Dezember

    Wunderschöne Erinnerungen. Weihnachten ist Familienfest – ob mit oder ohne Heizung, man rückt zusammen. Es ist nun genau ein Jahr her, als ich über unsere Familien-Weihnachtskrippe auf diesem Blog und anschliessend ermutigt über die neue Idee in meinem privaten Schreibprojekt über meine zweite süditalienische Heimat geschrieben habe; die Krippe, dieses Abbild des prallen Lebens, in welches das Weihnachtswunder geschieht . Sie bringen das Geschehen immer wieder in unsere Zeit – Ich habe Krippen gesehen, in welchen ein Berlusconi (mit heruntergelassenen Hosen) neben all anderen Aktualitäten auftreten konnte) und vieles mehr; eine schöne Tradition!
    Danke für das Teilen der Erinnerung, die auch in mir einiges wieder wach werden lässt. Vor einem Jahr ist dann das Haus mitsamt Krippe, kaum literarisch verwertet, nach 50 Jahren regelmässigen Aufbaus mit Figuren aus Italien niedergebrannt. Wir bauen wieder – neue Figuren, die gleiche Geschichte – das Leben geht weiter, die Erzählung bleibt.

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