Die Zukunft der Kirche – wie geht das?

Kämpfen wir den falschen Kampf?

Neulich habe ich an einer Veranstaltung zur Zukunft unserer Kirche teilgenommen. Im Nachhinein sind mir vor allem die Art und der Ton geblieben, in denen da miteinander geredet wurde. Als ob wir es mit Schwerverbrechern zu tun hätten, die bös- und mutwillig alles falsch machen, um die Kirche zugrunde zu richten. Ich übertreibe; aber nur ein bisschen.

Erschüttert von der Wucht der Aggression kam mir das Detail eines Gemäldes in den Sinn: Ein Heuwagen fährt in den Abgrund. Die Leute auf dem Wagen bekämpfen sich erbittert. Sie sehen den Feind, den es zu bekämpfen gilt. Dass sie miteinander auf den Abgrund zufahren, scheinen sie nicht zu bemerken.

Oder wissen sie es sehr wohl und bekämpfen sich darum, weil der andere Schuld an der Fahrt in Richtung Abgrund ist?

Ist das die Situation, in der sich die Kirche befindet?: Wir wissen, dass wir in den Abgrund fahren, weil wir an Einfluss und Mitgliedern verlieren. Und wir wissen auch, wer daran schuld ist: Die Kollegen, die Kirchenpflege, die Pfarrpersonen, die in Zürich, der Kirchenrat, … Und dann packen wir unsere Waffen aus und bekämpfen die Schuldigen, um den Abgrund zu verhindern. Das klingt erstmal logisch.

Aber die Botschaft des Bildes ist eine andere und eine doppelte: Beim Kämpfen vergessen wir den Abgrund oder anders gesagt: das wirkliche Problem. Gerade das Kämpfen verhindert den Abgrund nicht. Sondern die ungebremste Fahrt auf den Abgrund ist eine logische Folge des Kämpfens.

Der Kampf mit den eigenen Gespenstern

Ich erinnere mich nur noch an dieses Detail, nicht mehr an das ganze Gemälde. Es ist mir so eindrücklich in Erinnerung geblieben, weil es mich über mich selbst belehrt hat. Oder über Situationen, in denen ich durch ein Problem gebannt war, das mir als ernsthafte Bedrohung erschien. Dabei hatte das Gefühl der Bedrohung nur marginal mit dem äusseren Problem zu tun. Es hatte andere Gründe. Und indem ich dieses Gefühl bekämpfte, hatte ich es nur vollzogen. Um das Gefühl der Bedrohung los zu werden, muss man mit sich selbst verhandeln, nicht gegen die anderen kämpfen.

Auf die Kirche bezogen, müsste sich jede und jeder fragen: Wovor fürchte ich mich und warum? Und was bräuchte ich, damit sich diese Furcht verflüchtigt?

 Wo liegt das wirkliche Problem?

Adolf Muschg soll einmal gesagt haben, er habe noch nie ein Problem gelöst, sondern es immer durch ein grösseres ersetzt. Was sich wie das Eingeständnis von Feigheit anhört (und vielleicht hat er es sogar so gemeint), ist vielleicht eine weitsichtige Anleitung zu einem wirklich klugen Verhalten.

Das ginge dann so: Wenn Du ein Problem identifizierst, schau Dich um, wo das grössere oder eigentliche Problem liegen könnte. Und dann kümmere Dich darum.

Natürlich hat erstmal keiner Lust, sich den grösseren und eigentliche Problemen zu stellen; weshalb wir sie so lange wie möglich ausblenden. Vielleicht verschwinden sie ja von alleine; so die Hoffnung.

Wer dann doch darauf aufmerksam macht, muss sich warm anziehen: Der Überbringer schlechter Botschaften wird entweder ignoriert oder kaltgestellt. Was nichts anderes ist als die Weiterführung des Verleugnens mit drastischen Mitteln.

Für die Kirche gibt es Probleme, die sie nicht mehr übersehen kann, weil sie uns knallhart aufs Auge gedrückt werden. Ich meine die gesellschaftliche Entwicklung, zu der die Gestalt unserer Kirche nicht mehr recht passt. Oder wie ich neulich in einem Vortrag gehört habe: Die Gesellschaft erzwingt sich eine andere Kirchen-Gestalt.

Zwei gute Botschaften

Die gute Botschaft: Wir sind daran nicht schuld. Klar kann man immer alles besser machen, aber dieses Problem ist unmöglich über die Schuldfrage zu lösen. Wir können noch so viel Schuld verteilen; unser Problem wird dadurch nicht kleiner werden.

Die zweite gute Botschaft: Wir können diese Probleme nur gemeinsam lösen; keine und keiner muss die Last alleine tragen.

Zugegeben: Dass das eine gute Botschaft ist, leuchtet erst auf den zweiten Blick ein. Wir denken ja immer, wenn erstmal die weg sind, die alles falsch verstehen, lösen wir die anstehenden Probleme schon.

Wir können erst anfangen sie zu lösen, wenn wir begreifen, dass wir einander haben. Und dass wir – wenn wir einander nicht hätten – nichts hätten.

Eine neue Ausgangslage

Um nicht im alten Fahrwasser zu bleiben, braucht es eine neue Versuchsanordnung: Wir kennen einander noch gar nicht. Wir müssen uns erst kennenlernen und zu erkennen geben. Die dazugehörenden Tugenden lauten: Zuhören, fragen, von sich erzählen.

Und einen Aussenblick einnehmen. Es gibt nämlich welche, die schauen uns zu, wie wir da auf dem Heuwagen miteinander kämpfen und fragen sich, ob wir noch ganz bei Trost sind.

«Die haben Mitglieder, die haben Ressourcen, die haben Gebäude, Strukturen und eine Botschaft.
Was machen die da?
Wo bleibt die Zuversicht?
Wer, wenn nicht die?»

Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

Blog abonnieren     Alle Beiträge ansehen    

Diesen Beitrag fand ich...
  • wichtig (45)
  • inspirierend (37)
  • fundiert (10)
  • frech (0)
  • berührend (9)
  • langweilig (3)
  • falsch (0)
  • schlecht (1)
  • lustig (3)
13 Kommentare
  • Anita Ochsner
    Gepostet um 06:53 Uhr, 25. Juni

    …es macht halt auch traurig … zu sehen vorhandene Kräfte werden zerrissen zerstreut

    trotzdem freue ich mich da und dort freiwillig mitzuarbeiten! mit einer Träne in den Augen, weil ich nicht glaube, dass Kirche das was Kirche tut und tun kann, davon Menschen nicht angesprochen berührt gestützt sind

    0

    0
    Antworten
  • michael vogt
    Gepostet um 07:20 Uhr, 25. Juni

    was ich an diesem beitrag lustig finde? sich warm anziehen bei angekündigter rekordwärme. leben entsteht durch das, was uns zufällt. heute ist badewetter. die kirche verwandelt sich in ein unterseeboot. der turm als schnorchel. nicht untergehen durch abtauchen zum untergegangenen.

    3

    0
    Antworten
  • Daniel Kosch
    Gepostet um 07:32 Uhr, 25. Juni

    Danke für diesen Augen-Öffner

    2

    0
    Antworten
  • Alpöhi
    Gepostet um 09:03 Uhr, 25. Juni

    Was macht denn „gelingende Kirche“ aus? – Ich meine: Wenn wir uns in der Gemeinschaft der Gläubigen zu Hause fühlen. (Das schliesst auch die ein, die gerade nicht gläubig sind.)

    Strukturen sind dabei hilfreich, so wie ein Knochengerüst für ein Wirbeltier hilfreich ist. Aber Strukturen bergen immer auch die Gefahr des Erstarrens in sich. Wenn die Routine („das haben wir schon immer so gemacht“) wichtiger wird als die Begeisterung, dann ist etwas schief gegangen.

    Und Furcht vor Veränderung ist dabei ein schlechter Ratgeber. Johannes schreibt: Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.

    Ich will mich immer wieder entscheiden, aus dieser furchtlosen Liebe heraus die anstehenden Veränderungen anzupacken.

    3

    1
    Antworten
  • Anonymous
    Gepostet um 09:22 Uhr, 25. Juni

    Vielleicht sind wir ja wirklich so weit, dass nur noch Eventgottesdienste mit spezieller Musik, einer Politikerin, einem Komiker die Menschen in die Kirche locken, und wir ihnen so nebenbei eine Portion Evangelium mit “ unterjubeln“ können.
    Vertraut den neuen Wegen? Gott ist auch auf denen mit uns unterwegs!

    0

    0
    Antworten
    • Anita Ochsner
      Gepostet um 23:34 Uhr, 25. Juni

      Nein das glaube ich nicht, dass nur noch Eventsgottesdienste zählen, Menschen sich nur dann ansprechen lassen wie Sie hier beschreiben. Menschen gerade zur heutigen Zeit sind voll von Fragen zum Leben überhaupt, in den Lebensabschnitten, in Veränderungen, sind auf Sinnsuche und nach Inspiration, sind Wesen die nach Spiritualität sich sehnen, die ganz verschieden gelebt werden kann und will, doch darin auch einen Rahmen eine Struktur suchen die sich dann aber nicht in Kirchen-Räumen finden lassen, sondern an anderen Orten vielleicht unter dem offenem Himmel, wollen Gemeinschaft erleben und das allein sein (gewollt und ungewollt)
      An anderen Ort im diesseits wurde nach Symbolen (wie Christbaum und Osterhase…) an Pfingsten gefragt, davon gäbe es keine. doch an Pfingsten suchen Menschen gaanz viele das Feuer, sich draussen aufhalten.. zusammen mit anderen, da ist etwas das man nicht kaufen kann, nur erleben. Und dazu gehört für viele an einem Feuer sitzen am Abend in die Nacht… man möchte draussen sein, die Sterne sehe, das Leben spüren.. bei Würsten Brot Bier Wein.. zusammen sein
      Die Tage vor Pfingsten erlebte ich, dass mir an einem Tag sicher gegen 10 Mal „schöne Pfingsten“ gewünscht wurde! Beim Kiosk, in Begegnungen auf der Strasse, in Geschäften… über all beim gewöhnlichen Poschtnä, es viel mir auf, plötzlich, was heisst das? fragte ich mich, vielleicht Ganz einfach dass sich die Leute auf diese Tage freuen.. sie sind bedeutsam weil …
      Ja, und es kam mir gleichsam auf, dass ich diese guten Wünsche zu Pfingsten auf der Website der Zürcher Landeskirche vermisse, wie auch an Weihnachten und Ostern .. weshalb sind sie nicht da ? Wenn sie nicht von daher kommen … , sie werden gelebt vom Volk
      oft ist`s dann so, dass ein Beitrag im Diesseits – ein wohlgesinnter – zu diesen Tagen erscheint, das tröstet mich dann etwas darüber.

      Das Interview vom Salon um Sechs scheint mir zu diesem Beitrag sehr passend! Hörte es mir heute an: Mit Erik Flügge
      https://www.youtube.com/watch?v=7nQi8ezZ_4M&list=PLI-e6TPQmLfKLGDVemXI8Kx4GJ9PV7fO7&index=9&t=0s

      2

      0
      Antworten
  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 09:55 Uhr, 25. Juni

    Nicht nur als Kirche(n), sd. auch als Welt steuern wir mit unserem menschlichen Gebaren auf den Angrund zu …

    4

    1
    Antworten
  • Corinne Duc
    Gepostet um 14:02 Uhr, 26. Juni

    Mit der zweiten «guten Botschaft» bin ich durchaus einverstanden.
    Die Aussage davor («Wir sind daran nicht schuld. Klar kann man immer alles besser machen, aber dieses Problem ist unmöglich über die Schuldfrage zu lösen. Wir können noch so viel Schuld verteilen; unser Problem wird dadurch nicht kleiner werden.») bleibt mir irgendwie schleierhaft. Natürlich ist kaum zu erwarten dass sich Probleme schon durch Schuldverteilung von selbst auflösen. Aber manchmal kann es ein nützlicher erster Schritt sein sich zu fragen ob man selber etwas tut oder getan hat, das nicht (mehr) wirklich geeignet erscheint. Das hängt natürlich auch zusammen mit der Frage, ob oder wie sich etwas «besser» machen liesse; bzw. ob es überhaupt einen Konsens darüber gibt (oder geben kann) was dieses «Bessere» wäre.
    «Schuld» vom (Mit-) Verursacherprinzip her zu verstehen kann in dieser Hinsicht fruchtbar sein bzw. gemacht werden. Vielleicht liegt das Problem teilweise aber auch daran dass mit «Schuld» zuweilen etwas wie ein Etikett verstanden wird, das jemandem auf den Rücken geklebt wird auf dass es wie ein Schandfleck für alle schon von weitem sichtbar wird?

    1

    0
    Antworten
  • Daniela Boelsterli
    Gepostet um 07:20 Uhr, 27. Juni

    Ich glaube, dass wir uns auf die gute Botschaft konzentrieren sollten, Events gibt es schon genug. Vielleicht sollten wir uns auch fragen, ob wir selbst überhaupt noch Zuversicht haben und worauf sie wirklich gründet. Besinnung nach innen, Konzentration auf das Gemeinsame, das wäre mir wichtig. Im Moment ist mir zu viel im Aussen, zu viel des nicht mehr Funktionierenden und das Innere ist und bleibt blutleer.

    2

    0
    Antworten
  • Hans-Peter Geiser ZH Pfarrer, Dr. theol. M. Div.
    Gepostet um 09:53 Uhr, 28. Juni

    Meine Kommentare werden nicht mal mehr publiziert – ZENSUR Stephan Jütte ZH Ref tragisch.

    1

    0
    Antworten
  • Jürg Wildermuth
    Gepostet um 15:19 Uhr, 10. Juli

    Das scheint ja an jener Veranstaltung zur Zukunft der Kirche hoch zu und her gegangen zu sein. Schade, dass ich sie verpasst habe. Doch wo kommt das Wissen her, „dass wir in einen Abgrund fahren“? Ist ärmer und kleiner werden ein Abgrund? Weshalb dieses negative Bild? Gewiss, es ist eine riesige Herausforderung, sich in den demografischen und ökonomischen Umbrüchen zurecht zu finden. Aber kleiner werden könnte auch mit weniger negativen Begriffen beschrieben werden: Familiärer werden, agiler werden, pointierter werden. Hat nicht die eingeborene reformierte Kirche eine Brückenfunktion in einer von Migration und kulturellen Wandel geprägten Umgebung? Haben wir da nicht einen Einfluss auf das Leben in Dörfern und Städten? Fast scheint mir, dass Huldrych Zwinglis Lied: Herr, nun selbst den Wagen halt! Bald abseits geht sonst die Fahrt. (RG 792) stand beim Bild vom Heuwagen, der auf den Abgrund zurast, Pate. Aber Huldrych Zwingli hat auch noch positivere Bilder geprägt als dieses. Ein frohes Reformationsgedenken wünsche ich allerseits.

    2

    0
    Antworten
  • Daniel Stoller-Schai
    Gepostet um 13:15 Uhr, 02. August

    Für alle, die sich das Bild vom „Heuwagen am Abgrund“ (Hieronymus Bosch – Der Heuwagen
    Öl auf Holz, zw. 1485 und 1490, 135x100cm, Museum del Prado in Madrid) anschauen wollen:

    https://the-artinspector.de/galerie/bosch-der-heuwagen

    1

    0
    Antworten
  • Jürg Wildermuth
    Gepostet um 08:58 Uhr, 15. Oktober

    Danke für den Hinweis!

    0

    0
    Antworten

Antwort schreiben zu Alpöhi Abbrechen