Event-Marketing in der Kirche

In Zürich ist der Film „The Square“ angelaufen, der in Cannes dieses Jahr die goldene Palme gewonnen hat. Ich habe dort auch etwas über die Kirche gelernt.

Als älterer Besucher musste ich mich an das Wummern und Knallen, an die technisch hochgerüstete Akustik der neuen Filmsprache erst gewöhnen (und in vielen Szenen die Ohren zuhalten). Es gab aber auch inhaltliche Knaller. Vor allem die Auseinandersetzung mit dem vielfach gebrochenen Umgang mit der Wertebasis dieser Gesellschaft. Es gibt viel So-tun-als-ob, viel Vorschützen von Werten, die man selber nicht teilt im persönlichen Leben, die aber immer noch so viel öffentliche Geltung haben, dass man damit „arbeiten“ kann.

The Square“ heisst der Film. Der Titel bezieht sich auf eine Ausstellung, die in einem Museum vorbereitet wird. In einen öffentlichen Platz wird ein kleines Quadrat gefräst, so gross, dass ein Mensch sich hineinstellen kann. Vielleicht bietet es auch Platz für zwei, drei Personen. Das Quadrat markiert die Werte, die in diesem Raum gelten sollen: dass die Würde der Person geachtet ist, dass man sich gegenseitig helfen soll.

Aus kirchlicher Sicht könnte man es als Symbol des Gottesreiches betrachten, wo Menschen in Gerechtigkeit und Frieden zusammenwohnen. Die europäische Geschichte hat ihre Erfahrungen gemacht mit Konzepten, die dieses Gottesreich verwirklichen wollten. Das Versprechen, absolute Werte wie „Heil“ oder „Gerechtigkeit“ in dieser Welt zu verwirklichen, ist oft in Totalitarismus umgeschlagen, die Achtung des Menschen in seine höchstmögliche Verachtung. Darum hat die europäische Geschichte Kirche und Religion zurückgebunden, sie begegnet Ideologien mit Vorsicht. Der Relativismus ist fast zu einem Verfassungsgrundsatz geworden. Kein Wertesystem soll je wieder eine solche Herrschaft entfalten.

So will man sich vor Werteterror schützen und fällt nun in das gegenteilige Extrem: dass Werte gar nicht mehr verbindlich gemacht werden können, dass sich jeder daraus bedient, wie es ihm gefällt. Auch der Linksverkehr auf der Strasse ist ja nur eine Konvention. Soll man sich da an die Unversehrbarkeit von Eigentum und Leben halten? Der Museums-Kurator jedenfalls wird in einer brutalen Aktion auf der Strasse überfallen und beraubt.

In Konkurrenz zum Terror

In dieser Phase des Films scheint das Museum die Werte noch zu teilen. Man möchte es dem Kurator abnehmen, dass er sich für die „Würde des Menschen“ einsetzt. Aber wie soll man die Ausstellung bekannt machen? Im Internet entscheiden die ersten Sekunden, ob ein Besucher eine Zeile anklickt und auf dieser Seite bleibt, erklären die Werbe-Fachleute. Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Besucher bestehe nicht nur zu andern Museen, sondern zu all dem, was heute in den Medien aufscheint: die Schlagzeilen von Gewalt, Sex und Terror. Die Werber entwerfen einen Clip, in dem ein blondes Mädchen in die Luft gesprengt wird.

Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit?

Der Erfolg ist „viral“, die Werbeleute jubeln. Die Öffentlichkeit reagiert mit einem Shitstorm. Der Kurator muss – allein gelassen – vor die Medienvertreter hinstehen und distanziert sich von den „menschenverachtenden Inhalten“. Doch jetzt reagiert die Gegenseite. Heisst das, dass er sich von der Meinungsäusserungs-Freiheit distanziert? Die Empörung ändert ihre Richtung. Und sie ist genau so unerbittlich. Die Kritiker setzen diese Freiheit absolut. Es ist eine Diskussion, die die nordischen Länder im „Karikaturenstreit“ geführt haben, nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen 2006 in einer dänischen Zeitung.

Was gilt jetzt? Auch eine Performance für die Geldgeber des Museums läuft aus dem Ruder, als ein Gorilla-Darsteller die Grenzen überschreitet, eine Frau angreift und die Männer sich auf ihn stürzen. Die ganze zuvor angestaute Angst entlädt sich in Aggression.

Entscheidung

Der Kurator entscheidet sich in der Folge, er sucht die Einwanderer-Familie auf, die durch seine Handlungen im Nachgang nach seiner Beraubung zu Unrecht unter Verdacht geriet. Er will sich entschuldigen, aber es ist zu spät. Sie haben die Wohnung geräumt, sind weggezogen. Das Unrecht ist geschehen, es kann nicht wieder gut gemacht werden. Immerhin hat er jetzt eine Entscheidung gefällt. Zugunsten der Werte. Sie sind nicht nur Manipulationsmasse, begreift er jetzt, nicht nur ein Vorhang, mit dem man spielen kann, um Aufsehen zu erregen oder künstliche Bedeutung zu suggerieren, um eine Ausstellung aufzumotzen. Auch öffentliche Aufmerksamkeit ist nicht der letzte Wert, dem alles andere untergeordnet werden darf.

Die Kirche in der Öffentlichkeit

Das ist das Stichwort für die Kirche, die auch in diesem Zwangsfeld steht, entweder Aufsehen zu erregen, damit sie ihre Botschaft anbringen kann, oder in der immer lauter werdenden Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit unterzugehen.

Die „NZZ“ vom 26. Oktober 2017, in derselben Nummer, in der sie den Film „The Square“ bespricht, handelt vom Auftritt der Reformierten Kirche anlässlich des 500-Jahr-Jubiläums der Reformation. Das Jubiläum der deutschen Lutheraner ist 2017, die Zwinglische Reformation jährt sich erst 2019. So war Zürich in der Zwickmühle, entweder bis 2019 zu warten, wenn die grossen, europaweiten Feiern vorbei sind, oder sich anzuschliessen und 2019 noch einmal an ihren Reformator zu erinnern, wenn das Thema für die Öffentlichkeit „abgefeiert“ ist. Dass das „falsche Jahr“ 2017 in der Schweiz jetzt auch noch vom Bruder-Klaus-Jubiläum überdeckt wird, weckt den Spott mancher Betrachter.

Tiefer geht die Kritik, die Reformierten hätten es verpasst, eine Debatte zu führen, was es denn heute noch bedeute, Protestantin oder Protestant zu sein und so von innen her zu einer Revitalisierung der Kirche zu finden. Die Leitungsinstanzen der Kirche standen wohl unter Druck, an den öffentlichen Gross-Feiern mitzuwirken. Alles andere wäre als „provinziell“ angeprangert worden. So wurden auch grosse Gelder gesprochen und renommierte Ausstellungsmacher wie Martin Heller und Barbara Weber engagiert. Aber das allein kann die mediale Beachtung noch nicht in eine inhaltliche Beschäftigung überführen.

Wurde es denn versucht? Wurden die eigenen Kräfte der Kirche aufgefordert, sich zu beteiligen? Hat man ein Forum bereitgestellt, auf dem nicht nur die grossen Namen und gängigen Marken zelebriert wurden, sondern alle sich eingeladen fühlen konnten, in ein Gespräch zu treten?

Soll die Kirche im Grossen auf das Event-Marketing hereinfallen, das schon das Gemeindeleben im Kleinen seit einigen Jahren untergräbt? Die Pfarrerinnen und Pfarrer stehen immer mehr unter Druck, noch einen Anlass hervorzuzaubern, nachdem der letzte noch kaum verdaut ist. Es entsteht ein unguter Wettbewerb. Was zählt, sind die Flyer im Aushang. Wenig sichtbare Aktivitäten, wie Seelsorge-Besuche, haben keine Chancen. Sie bringen keine Beachtung. Als Kirchenverantwortlicher kann man sich darin nicht sonnen. Also geraten sie in Abgang. Und so etwas schadet der Kirche.

Der Künstler, der die Bank anzündet

Das Event-Marketing treibt zu immer höheren Sprüngen. Die Aktionen werden immer affiger. Im Film ist es der Kunstbetrieb, der sich zum Affen macht. In drastischen Szenen mit echten und gespielten Affen wird das ad absurdum geführt. Aufmerksamkeit ist kein Wert an sich. Es ist entscheidend, was damit gemacht wird und ob sie auf ein anderes Feld übergeleitet werden kann.

Ein paar Tage vorher berichteten die Zeitungen von einem Künstler in Paris („Tages-Anzeiger“ 17.10.2017). Dieser hatte eine Bank angezündet und das zu einer „Performance“ erklärt. Ist das Zufall oder treibt der immer enger werdende Raum an der Spitze der Aufmerksamkeit zu immer absurder werdenden Aktionen? (Die Polizei nahm es nicht als Kunstaktion wahr. Er wurde „wegen Sachbeschädigung verhaftet“.)

Die Falle der Berühmtheit

Der Künstler, der die Bank anzündet, erinnert an Herostrat, der im 4. Jahrhundert in Ephesos den Tempel der Artemis anzündete, um seinen Namen „unsterblich“ zu machen. Der Tempel, der so zerstört wurde, war eines der sieben Weltwunder der Antike.

Sein Ruhm ist allenfalls eine Herostrat-Berühmtheit. Sie gleicht eher der Verachtung. Und die Bekanntheit, die nicht in etwas gesellschaftlich Produktives überführt werden kann, ist eine „Herostrat-Falle“.

Das Hungern nach Beachtung, die Zählung der Besucher und die quantitative Bewertung der Kirchenanlässe, das gehört in diese Rubrik. Es schielt nach Beachtung und vergisst, nach den Inhalten zu fragen. Diese machen aber die Kirche aus. Die Reformierte Kirche mag wegen ihres Jubiläums hunderttausendmal auf ihrer Webseite angeklickt werden. Das bringt sie in der Wahrnehmung ihrer Aufgabe keinen Schritt weiter, wenn die Menschen, deren Aufmerksamkeit so gewonnen wird, kein Angebot finden, für das die Kirche steht. Ein altes Glaubensbekenntnis formuliert dieses Angebot folgendermassen: ein Glaube, mit dem ich leben und sterben kann. Das zu formulieren, das braucht Zeit und Kraft, was heute ob all der Events verloren zu gehen droht.

Peter Winiger betreibt auch einen eigenen Blog: www.vongotterzaehlen.ch,

 

Diesen Beitrag fand ich...
  • wichtig (15)
  • inspirierend (19)
  • fundiert (4)
  • frech (0)
  • berührend (3)
  • langweilig (3)
  • falsch (3)
  • schlecht (0)
  • lustig (1)
2 Kommentare
  • Jürg Hürlimann
    Gepostet um 08:40 Uhr, 09. November

    Mir scheint Peter Winiger Grossanlässe und kleinere Anlässe, die inhaltlich tiefer gehen, aber im Einzelfall nur ein kleines Publikum anlocken, etwas zu sehr gegeneinander auszuspielen. Ja, ich würde eine Grundsatzdebatte, was es bedeutet, Protestantin oder Protestant zu sein, sehr schätzen. Dies möglichst vielseitig, in möglichst vielen Gemeinden, unter Teilnahme von Exponenten verschiedener Richtungen in unserer Kirche und mit der Chance auch für „nicht-professionelle“ Kirchenmitgliedern, mitzudiskutieren und Fragen zu stellen ohne die ständige Angst, sich zu blamieren. Dies ist aber etwas, das geübt werden muss und nicht einfach aus dem Hut gezaubert werden kann, weil eben gerade jetzt Reformationsjubiläum ist. Die breite inhaltliche Debatte scheint uns Reformierten abhanden gekommen zu sein. Die Bekenntnisfreiheit dient zu oft als Ausrede, schon gar nicht mehr über Fragen des Glaubens und des Kirchenverständnisses zu sprechen oder dies in Insiderkreise, die individuelle Seelsorge (wenn sich ein Kirchenmitglied mit seinen persönlichen Fragen an die Pfarrperson wendet) und allenfalls in kindgerechter Form in den Drittklass-Unti zu verbannen. Oft erlebe ich die Kirche mehr als sozio-kulturelles Dienstleistungsunternehmen und weniger als Ort der Verkündigung. Das Gebot der „Verkündigung in Wort und Tat“ gibt auch ein beliebtes Begründungsmuster, um nicht diskutieren zu müssen, da man sich ja schon durch die „Tat“ auszeichnet.
    Die Grossanlässe haben aber auch ihren Sinn. Sie geben die Gelegenheit zum öffentlichen Auftritt und damit um auf Menschen zuzugehen, ohne dass diese sich persönlich bedrängt fühlen, und um Menschen die Möglichkeit zu geben, selbst anonym auf die Kirche zuzugehen, zu „schnuppern“. Grossanlässe sind in diesem Sinne niederschwellige Angebote und markieren Präsenz, ja Stärke der Reformierten. Das sollte nicht unterschätzt werden.

    13

    0
    Antworten
  • michael vogt
    Gepostet um 03:43 Uhr, 10. November

    die 500 jahr feier hat mir viel gebracht. es gibt auch nebenschauplätze, zb hat ein facebook freund von mir texte zur theologie zwinglis publiziert, was ich sehr gut gebrauchen konnte, da ich danach schon vermehrt vergeblich gesucht hatte. die schattenseite luthers kam bei mir im studium nicht so recht vor. nun habe ich sie studiert. und auch sonst viel historisches, das mir bisher nicht so anschaulich war. das interaktive des internets kommt der sache entgegen: was nach meiner meinung die reformation ausmacht und was eine reformation der reformation oder eine erweiterte reformation ist, habe ich halt gleich selbst dargelegt. 😉 das evangelium macht das gesetz eindeutig: welches gebot für mich gilt, erkenne ich im moment, wo ich es nicht zu meiner selbstrechtfertigung brauche. das ist auch ein schutz vor dem werteterror. ich würde nicht von absoluten werten sprechen, weil darin der keim der diktatur enthalten sein könnte. es ist zuerst einmal alles relativ, abhängig von zeit, ort usw. dann kann es aber eindeutig werden, bis zum unbedingten gebot. dasselbe für dogmatische inhalte, für den indikativ, der dem imperativ vorangeht und ihn wirksam macht. veranstalter finanzieren anspruchsvolleren jazz mit discos. diese querfinanzierung sehe ich auch bei den kirchen und habe im prinzip – in principio, soweit sie der schöpfung und neuschöpfung dient – nichts dagegen einzuwenden.

    4

    0
    Antworten

Antwort schreiben zu michael vogt Abbrechen