I, Tonya – outscate them all!

Gerade rechtzeitig zum internationalen Frauentag  zog ich im Kino “I, Tonya” rein. Absolut empfehlenswert! Vielleicht erinnern sich noch einige an diese Geschichte, im Film «the Incident» genannt? An Tonya Harding, amerikanische Eiskunstläuferin? Und daran, dass Ehemann Jeff der Konkurrentin Nancy Kerrigan mit einer Eisenstange das Knie verletzen liess, um sie ausser Gefecht zu setzen? Aber nicht darum soll es hier gehen.

Eiskunstläuferin Tonya war anders. Sie gehörte nicht dazu. War nicht konform. Sie entsprach nicht dem Bild der zierlichen Prinzessin mit der gepflegten Scater-Mom, die elegant zu klassischer Musik über das Eis schwebt. Tonya war white Trash. Ein Redneck. Aus einer bitterarmen Familie, Mutter kettenrauchende Kellnerin, die sich Tonyas Training an den Fingern absparte und sie dies auch spüren liess. Die Ehemänner schienen wie Unterwäsche zu wechseln, Instabilität, Gewalt, Gefühlskälte der Mutter prägten Tonyas Kindheit. Erfolg auf dem Eis war alles. Dort gab sie auch alles – als einzige Frau sprang sie den Axel dreifach und beherrschte ebenfalls allein auch andere Sprungkombinationen. Kräftig, athletisch, nervenstark, «Strength and Speed». Aber halt zu wenig von – was? Tonya lief lieber zu Rockmusik als Vivaldi, lackierte sich die Nägel schwarz und blau. Tat sich viel zu früh mit dem falschen Mann zusammen. Die im Elternhaus begonnene Gewaltspirale setzte sich fort. Entsprechend zurückhaltend wurde sie von den JurorInnen benotet. Der «Gesamteindruck» stimme nicht. Nicht lieblich und harmonisch genug – nicht feminin genug? Als Botschafterin für die USA habe sie ein anderes Bild zu vertreten. Ein ganz anderes Familienbild auch. «Aber ich komme nicht aus einer perfekten amerikanischen Familie», antwortet Tonya einmal ratlos. «Warum ist Eiskunstlaufen nicht genug?» Ja, warum nicht? Warum sind Begabung, Ehrgeiz, harte Arbeit, Kampfgeist nicht genug? Nicht bei Eisprinzessinnen? Nicht bei Frauen? Um welche Bilder geht es hier?

Sie erahnen, worauf ich hinauswill. Tonya Harding kam weit. Doch sie scheiterte letztlich – an ihrer Partnerwahl, an ihrem Hintergrund, aber auch an der Kombination von Persönlichkeit und Geschlecht. Sie wollte Eiskunstlaufen und nicht Charme versprühen. Das hatte sie nie gelernt. Sie setzte auf Leistung. Ihre Biographie konnte sie nicht ändern. Aber Axel und Toeloop springen, hart arbeiten, an sich selbst glauben konnte sie. Am Tag trainieren, abends kellnern. Doch das genügte nicht. Hätte es gereicht, wenn sie ein Mann gewesen wäre? Ich meine: Ja, und nochmals ja!

Innerhalb meiner auch ausserkirchlichen Berufserfahrung habe ich einige solcher Frauen erlebt. Direkt, ehrgeizig, fokussiert. Doch die Rückmeldungen, die dann folgen, sind typisch:  Leistung bringen gerne – aber bitte nur in Kombination mit Aussehen, Charme, Diplomatie, weichgespültem Verhalten. Konformität. Und bei uns in der Kirche … mhm. Es ist nicht ganz fair, Jungs! Und wir Frauen wehren uns leider viel zu wenig für uns selbst oder andere Frauen. Mir persönlich helfen Biographien wie die von Tonya Harding. Oder von andern Künstlerinnen, Autorinnen, sogar Heiligen. Es braucht Eigenständigkeit, Authentizität, Durchhaltevermögen, auch Aggressivität, um etwas zu erreichen. Für Männer völlig klar. Lassen wir uns das nicht absprechen. Solche Eigenschaften stehen uns genauso zu. «Outscate them all» – überzeugen wir durch Begabung, Kreativität, Arbeit und Leistung, nicht durch Konformität. Seien wir stolz auf uns! Obwohl Tonya Hardings Karriere 1994 – after «the Incident» – beendet war, hat sie tiefere Spuren hinterlassen als manche Eisfee vor ihr.

Der Film wurde 2018 mit einem Oscar für die beste Nebenrolle ausgezeichnet.

Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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6 Kommentare
  • Sibylle Forrer
    Gepostet um 22:50 Uhr, 12. März

    Danke, liebe Barbara, für diesen Beitrag! Ich habe den Film heute gesehen. Deine treffende Analyse hat mir aus dem Herz und Hirn gesprochen. Ich schliesse mich deiner Aufforderung an: Let‘s outscate them!

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 11:54 Uhr, 13. März

    Liebe Sibylle, deine Rückmeldung freut mich sehr!

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  • michael vogt
    Gepostet um 16:13 Uhr, 13. März

    ich bin mehr für das wandeln auf dem wasser – vielleicht wäre sie mitgegangen

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  • Brigitte Hauser
    Gepostet um 10:19 Uhr, 14. März

    Danke Barbara. Toller Blogbeitrag, toller und auch witziger Film. Ich erinnere mich noch gut an Tonya Harding an den olympischen Spielen in Lillehammer. Die Szene mit den Schnürsenkeln vor den Preisrichtern. Ohne ihre Geschichte zu kennen, gehörten ihr schon damals meine Sympathien und sie berührte mich, weil sie war wie sie war. Weit entfernt von Eisprinzessin.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 10:25 Uhr, 14. März

    Gell? Ich als alter Eiskunstlauf-Fan hab auch alles miterlebt. Tonya war eine Persönlichkeit, und ich freue mich riesig über den Film als späte Würdigung!

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 18:34 Uhr, 24. Mai

    Weshalb lese ich diesen Beitrag erst jetzt? Ich weiss es: Weil ich seelenverwandt bin mit dieser Tonya Harding. Doch nun bin ich wieder da!

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