Mein Gott, Köppel!

Roger Köppel – ein Taliban in Karl Barths Namen?

Roger Köppel verbindet eine eigenartige Liebe zum Roten Pfarrer aus Safenwil. Wenn Köppel über Religion spricht, ist Karl Barth jeweils sein Kronzeuge für richtigen Glauben versus anmassende Religiosität. In seinem Editorial zum Jahresende 2016, dem Editorial zu Ostern 2014 aber auch im Interview mit reformiert. von 2017 ist Barth das Beispiel für echten Glauben, der Gott nicht für eigene, allzumenschliche Selbstbestätigung verzweckt – im Gegensatz zu einer frömmlerischen, selbstgerechten und darum über sich nicht aufgeklärten Religiosität.

Er ist damit in bester Gesellschaft. Auch sein geistiger Ziehvater, Christoph Blocher, ist als Leser und Bewunderer Karl Barths bekannt. Freilich muss man Blocher attestieren, ihn wenigstens genauer gelesen zu haben, als sein sonst intellektuell profilierterer Nachwuchs. Dass Texte vielschichtig sind und verschiedenste Interpretationen zulassen, ist bekannt. Und mit Umberto Eco müsste man vielleicht sagen, dass es sich bei Köppels jüngster Einlassung gar nicht um eine Interpretation, sondern um einen Textgebrauch handelt. Die Bibelstelle Epheser 6,13 wird mit Karl Barths Biografie so in Verbindung gebracht, dass der Bibeltext dessen militärischen Widerstand gegen das Unrechtsregime der Nazis legitimiert habe. Damit will Köppel plausibilisieren, dass Christentum wesentlich bedeute, „einem Endkampf entgegenzugehen“ um dann die „bequemen Kirchen“, welche von „Bewahrung der Schöpfung“ und „Sozialer Gerechtigkeit“ säuseln, lächerlich zu machen.

Context matters

Hätte er entweder Barths Position gegenüber sozialistischen Diktaturen zur Kenntnis genommen, oder sich an seine eigenen Worte erinnert, wonach die Anbetung Gottes rasch in eine Selbstvergottung und Absolutsetzung des eigenen Standpunkts übergehen kann, wäre er sich der Absurdität seiner Pointe bewusst geworden. Ganz sicher würde aber eine durchschnittliche Lesekompetenz ausreichen, den Irrtum zu bemerken, wenn sie auf den Bibel-Vers im Kontext gerichtet würde. Nicht umsonst betitelt die Lutherübersetzung diesen Abschnitt mit „Die geistliche Waffenrüstung“.

Gute Theologie ist gefährliche Theologie

Umberto Eco würde jetzt vielleicht sagen, dass Köppel diesen Teil des Neuen Testaments auf eine Weise interpretiert habe, die zumindest ungewöhnlich sei. Weit interessanter als die Beschäftigung mit dieser zwar provokativen aber ziemlich schludrigen Deutung ist aber die Frage, weshalb nicht nur helvetische Rechtsaussen, sondern mindestens so viele Intellektuelle aus dem linkspolitischen Spektrum von Barth angetan sind. Ich sehe dafür nebst der sprachlichen Wucht und Ästhetik v.a. einen inhaltlichen Grund: Barths Theologie gelingt es – gerade in ihrem mitunter apodiktischen Stil – die Differenz zwischen Gott und Mensch zu wahren. Mit Gott rechnen heisst bei Barth immer, auf einen Gott hoffen, den man sich nicht machen kann, dessen Gerechtigkeit jenseits eigener Vorstellungen liegt und dessen Frohbotschaft noch in der Verkündigung Geheimnis bleibt. Barths Theologie kommt gewissermassen von einem Ende her. Aber nicht von einem Endkampf. Sondern von einer Verheissung, dass Gott am Ende alle zu Recht bringen werde.

In der grundsätzlichen Andersheit und Unverfügbarkeit Gottes liegt Freiheit. Die Freiheit von zwanghaften Vorstellungen, moralischen Urteilen über diese und jenen, politischen Ideologien und persönlichen Ängsten. Das hat Roger Köppel in früheren Beiträgen fasziniert herausgehoben. Aber diese – gratis – Freiheit wird als geschenkte Freiheit erfahren und geglaubt und verpflichtet diejenigen, die sich in dieser Freiheit finden, jenseits von frömmlerischer Moral, gegenüber ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt.

Wer nur die aus dieser Theologie erwachsende Verpflichtung beachtet, gerät in Gefahr sich doch wieder einen Gott zu basteln und wirkt verkrampft. Wer aber vor lauter Freiheit seinen Nächsten nicht mehr sieht, verselbstgottet sich auch und gerade wenn er das Freiheit nennt.

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15 Kommentare
  • Christoph Jungen
    Gepostet um 07:57 Uhr, 12. Januar

    Danke Stephan, für die Differenzierungen. Das Perfide bei Köppel scheint mir einmal mehr u.a., dass die „halbe Wahrheit“, die er m.E. durchaus zu Recht aus Barth „extrahiert“, nämlich das Insistieren auf der Unverfügbarkeit Gottes für Ideologien und Selbstvergottung in seinem Geschreibsel zur Lüge wird (das haben halbe Wahrheiten so an sich!), nicht nur indem er Kontexte ignoriert, sondern offenbar vom reformierten (auch barthianischen) Ethos noch nie gehört zu haben scheint, dass „aus Dankbarkeit“ gegenüber der unverfügbar geschenkten Zuwendung dann auch die Welt verantwortlich gestaltet/verwaltet werden soll, was dann eben sehr wohl Engagement für Gerechtigkeit und „Weltverbesserung“ (wohl ein Unwort für Köppel!) bedeutet.

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  • Dave Jäggi
    Gepostet um 10:02 Uhr, 12. Januar

    Wie Barth zu sagen pflegte: „Sie haben wohl an tausenden von Seiten vorbeigelesen….“

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  • Friedric Stefce
    Gepostet um 13:42 Uhr, 12. Januar

    Die barth’sche Theologie kommt von einem Ende her und setzt in Freiheit! Schön! Gerade darum geht es Köppel in seinem Text ja auch! Eine Theologie die an Gottes Lebendigkeit nicht vorbeigeht und sich mit ideologischen motivierten Komplexitätsreduktionen nicht begnügt! Auch dann nicht, wenn sie sich mit Schlagworten wie Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung verbindet! Es geht um die Freiheit der Theologie und ihre Fähigkeit kontextuell bedingt Kontra zu geben, gegen Einseitigkeit und eingefahrene Muster! Die barth’sche Theologie kommt von einem qualifizierten Ende her und setzt damit eben gerade auch in Differenz! Insofern setzt auch die barth’sche Theologie in einen Endkampf! In den Endkampf zwischen der Freiheit Gottes und jeder Ideologie! Köppel hat dies kontextuell und in der Schlichtheit die eine Kolumne zulässt zur Geltung gebracht! Es reicht nicht die Kirche auf ein sozial-reformerisches Programm oder abstrakte Wertepolitik zu reduzieren, sie muss sich von Gottes Lebendigkeit her in Freiheit setzen und herausfordern lassen! Um ihres Dienstes an der sozialen Gerechtigkeit willen!

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    • stephan
      Gepostet um 15:28 Uhr, 12. Januar

      nein, nein, das war doch nicht gegen die kolumne gerichtet, sondern gegen dieses zitat in idea! herzlicher gruss!

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  • michael vogt
    Gepostet um 05:30 Uhr, 13. Januar

    in einer frühen phase sprach barth vom ganz anderen und sagte, religion sei verdrängung von offenbarung. später sprach er von dem der schöpfung ähnlichen, dann sogar vom menschlichen, und unterschied wahre und falsche religion. er vertrat den verteidigungskrieg als „cura posterior“: erst dann, wenn alle anderen möglichkeiten ausgeschöpft sind. die bewegung gerechtigkeit, frieden und bewahrung der schöpfung ist fast ganz anthropologisch – soweit ich es in ihren anfängen wahrgenommen habe. ich sagte mir: die bewahrung der schöpfung geschieht in der wahrheit, dass die schöpfung bewahrt wird auch dann, wenn sie zerstört wird. wieweit es sinnvoll oder sinnwidrig ist, einen nostalgie train zu fahren, wie einige äusserungen köppels mir vorkommen, mag ich nicht beurteilen, da ich die diskussion bisher nicht verfolgt habe.
    https://www.google.ch/search?q=nostalgic+train&sa=X&tbm=isch&tbo=u&source=univ&ved=0ahUKEwjLpPqai9TYAhVIPhQKHUxnAucQsAQIKQ&biw=1366&bih=700#imgrc=4FHKsvJjsF1p3M:

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  • Corinne Duc
    Gepostet um 12:15 Uhr, 13. Januar

    Eigentlich ist nicht erstaunlich, wenn Ideologen sich (extraktweise) gerne bei Theologen bedienen, die vorgeben absolute dogmatische Sätze aus gewissen Bibelstellen ableiten zu können (auch wenn andere Bibelstellen dazu eher im Widerspruch zu stehen scheinen). Sätze wie „Die Freiheit des menschlichen Seins in der Verantwortung vor diesem Gott schliesst in sich, dass der Mensch vor dem Argen bewahrt ist: potest non pecare und non potest pecare“ (Barth, KD III: Schöpfungslehre) bilden gewiss einen wichtigen theologischen Diskussionsbeitrag. Es liegt an uns aus dem dogmatischen Schlummer aufzuwachen und darauf aufmerksam zu machen dass die alten Texte uns zwar wichtige Denkanstösse geben können, aber immer nur aus der der jeweiligen zeitlichen Perspektive heraus zu erwägen und neu zu interpretieren sind. Der Skandal liegt allenfalls darin, dass die heutige Theologie noch immer zu dogmatischem Scheinwissen statt zu kritischer Reflexion anleitet.

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    • michael vogt
      Gepostet um 19:33 Uhr, 13. Januar

      offenbarung geschieht wann, wo und wie sie will. Sie geben uns einen wichtigen denkanstoss, aber mit dem „immer nur“ in form eines dogmas und, wie ich sagen möchte, selbst in einem schlummer. nun wäre ich meinerseits in einem schlummer, würde ich nicht einräumen, dass, was Sie schreiben, gemäss meinem eingangs formulierten dogma offenbarung sein kann, die, zumindest für einen moment – und das ist relevant und kann entscheidend sein – vom lutherischen non potest non peccare befreit. ich verstehe im übrigen nicht, ob barth sagen will, dass arge bestehe darin, dass man meine, man könne ohne sünde leben, oder das gegenteil. das fehlende c bei Ihnen stellt die frage, ob jesus ohne sünde war, ob christus nach seinem tod ohne sünde ist, oder ob. . . die freie assoziation lässt allerdings nicht nur eine deutung zu, was auch bei der interpretation von texten nicht unter den tisch fallen sollte.

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      • michael vogt
        Gepostet um 19:49 Uhr, 13. Januar

        das s zu viel bei mir, deute ich selbstverständlich auch

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        • michael vogt
          Gepostet um 19:57 Uhr, 13. Januar

          und das , zu viel

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          • Corinne Duc
            Gepostet um 21:29 Uhr, 13. Januar

            Mit der zitierten Aussage wollte Barth offenbar beschreiben, was seiner Überzeugung nach eine Wirklichkeitsdimension des Menschseins sei, eben mit „potest non peccare und non potest peccare“; aber es wäre wohl durchaus möglich dass er irgendwo anders zu anderen Zeiten auch quasi das Gegenteil behauptet hätte, also dass es arg wäre wenn Menschen sich als in Wirklichkeit für sündenfrei halten würden.

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          • michael vogt
            Gepostet um 12:13 Uhr, 14. Januar

            @corinne duc: ein risiko ist auch „der ganz andere“. in der rede vom endkampf geht es um star wars. muss es vielleicht auch, wenn man eine zeitung verkaufen will. der chefredaktor am besten als der letzte jedi. wollten wir die auflage unseres offiziellen organs steigern, bedürfte es vielleicht des namens „sein verlängerter arm“, nämlich des ausserirdischen, der sich hier inrobotiert. die entwicklung wäre dann der ganz andere, der ähnliche, der menschliche und, mehr als das, der robotliche, und als solcher der ganz andere. „ganz anders“ würde ich sagen, weil mir das bedeutungsspektrum von „der ganz andere“ als zu beschränkt erscheint. emotional hat das „ganz“ eine bedeutung, streng logisch würde ich es aber ebenfalls weglassen, weil auch damit das bedeutungsspektrum eingeschränkt wird. der eigentliche link ist das titelbild.
            http://reformiert.info/artikel/news/roger-k%C3%B6ppel-und-der-weltuntergang

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        • Corinne Duc
          Gepostet um 17:32 Uhr, 14. Januar

          Danke für den Link. Dem Rest kann ich ehrlich gesagt nicht recht folgen. Ich glaube weder dass wir „star wars“ brauchen noch Ausserirdische, sondern einfach einen offenen Diskurs (in welchem idealerweise alle ihre Ansichten klar begründen und offen zu ihrer Meinung stehen).

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