Nachwuchsmangel bei den eierlegenden Wollmilchsäuen

Vor kurzem habe ich mich in eine Pfarrwahlkommission wählen lassen. Es geht um die Nachfolge einer Pfarrerin und eines Pfarrers an zwei verschiedenen Standorten meiner Kirchgemeinde. Aus Spargründen werden die zwei Stellen auf ein 100-Prozent-Pensum reduziert. Für die Pfarrwahlkommission bedeutet das viel Spielraum: Wir suchen nicht einfach einen Ersatz für eine Stelle mit vorgegebenem Profil, sondern haben die Möglichkeit, dieses Profil neu zu definieren. Ausserdem befinden wir uns in einer Stadt, in der die kirchliche „Grundversorgung“ schon gut abgedeckt ist.

Was für eine Pfarrerin, was für einen Pfarrer wünsche ich mir also für unseren Stadtteil? Ich persönlich schätze Gottesdienste mit schlichter, traditioneller Liturgie. Ich liebe es, Gebete zu sprechen, von denen ich weiss, dass Christen und Christinnen sie schon vor tausend Jahren gesprochen haben und heute noch weltweit dadurch verbunden sind. Also bitte nicht jemand, der einen Verstärker in die Kirche stellen will! Andererseits habe ich eine Familie und wünsche mir mehr Angebote für Kinder. Ich möchte wieder gemeinsam mit Mann und Kind in den Gottesdienst gehen, statt dass wir uns abwechseln, weil es keine Hüte gibt. Oder wäre eher, um mal von meinen eigenen Bedürfnissen abzusehen, eine Pfarrstelle mit einem Schwerpunkt auf der Arbeit mit Migrantinnen und Migranten das Richtige fürs Quartier?

Wenn ich mit angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern spreche – aufgrund meiner Arbeit habe ich gelegentlich mit ihnen zu tun – dann wird mir klar, was für eine Person ich mir tatsächlich wünsche: jemanden mit Freude, Motivation und Engagement, dessen Ideen und Visionen nicht durch ein enggefasstes Profil ausgebremst werden. Ich will nicht zwischen Bewerberinnen und Bewerbern abwägen, die zu 50 Prozent oder zu 70 Prozent in mein Profil passen. Ich will eine Person, die zu 100 Prozent passt – weil wir uns für sie und ihre Stärken, ihre Projekte, ihre Vision entscheiden. Ich will jemandem den Raum geben, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Etwas, das er oder sie wirklich tun will und für das er unsere Kirchgemeinde begeistern kann.

Warum? Den reformierten Kirchen der Deutschschweiz gehen bald die Pfarrerinnen und Pfarrer aus. Rund zwei Drittel von ihnen werden in den nächsten fünfzehn Jahren pensioniert, und es fehlt an den Theologischen Fakultäten der Nachwuchs, um ihre Stellen neu zu besetzen. Wenn wir mehr junge Menschen dafür begeistern wollen, Theologie zu studieren, müssen wir ihnen aufzeigen, dass das reformierte Pfarramt grossartige Perspektiven bietet. Die Arbeit anderer weiterzuführen, die Bedürfnisse einer möglichst grossen Zahl von Gemeindegliedern unter einen Hut zu kriegen oder ausgediente Strukturen am Leben zu erhalten, sind keine grossartigen Perspektiven. Junge Pfarrerinnen und Pfarrer sollten die Chance haben, eigene Visionen umzusetzen.

Ob ich die anderen Mitglieder der Pfarrwahlkommission überzeugen kann, einen Ideenwettbewerb auszuschreiben statt einen Anforderungskatalog zu erstellen, weiss ich noch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass die Suche nach einer Person mit einer guten Idee erfolgversprechender ist als die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau.

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7 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 09:13 Uhr, 15. Oktober

    Komisch – warum muss ich bei diesem Bild spontan an eine Konfirmation denken – nicht an eine Ordination?!

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  • Mauro Giaquinto
    Gepostet um 09:57 Uhr, 15. Oktober

    Ich schliesse mich Barbara Oberholzers Kommentar an: es wäre sicher besser, man würde das von einer Konfirmation oder Diplomfeier klar unterscheiden. Es könnte beispielsweise so laufen wie bei uns Katholiken: die Ordinanden ziehen im Laufe des Gottesdienstes den Talar an (offizielle Einkleidung) und stehen dann quasi als frisch Ordinierte im Pfarrkleid da und erhalten danach ihre Urkunde. Das wäre ein schönes Ritual und auch das Foto wäre nicht mehr zu verwechseln mit anderen Feiern.

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  • Anonymous
    Gepostet um 12:03 Uhr, 15. Oktober

    Die Kirche ist nur dann hilfreich für unsere Gesellschaft wenn sie ihren Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums wahrnimmt und Pfarr-und andere Leitungspersonen in der Kirche an diese Botschaft glauben und sie durch ihr Leben ein Vorbild sind. Das hat Ausstrahlung und wird die Landeskirche verändern. Je mehr alles verwässert und liberalisiert wird, Leute gewählt und eingesetzt werden, die nur die Karriere anstreben, desto mehr wird die Kirche unattraktiv. Es ist ein Trugschluss, dass die Gesellschaft mehr auf die Kirche anspricht, je mehr sie sich ihr anpasst. Auch als Volkskirche. Die Leute wollen Antworten auf Lebensfragen, die auch die Kraft haben ihr Leben zu verändern. Wir können nur etwas bewirken wenn wir, wie Jesus Christus sagt, nah am Weinstock bleiben und so durch seine Kraft Früchte tragen. Ich schätze die Landeskirche steht da und dort in der Gefahr sich vom Weinstock zu lösen und die Beziehung zu Jesus zu verlassen. Ich wünsche mir eine Umkehr und dass statt Lücken gefüllt, Pfarrpersonen gesucht werden, die an Christus glauben und danach von Herzen leben wollen. Ich bin sicher auch fähige junge Leute sind bereit sich in einer Landeskirche einzubringen. Ich liebe diese volkskirche, aber ich habe bereits zweimal die Erfahrung gemacht, dass es für einen jungen Menschen, der Christus nachfolgen möchte, schwierig ist auf Dauer, weil zu wenig Leute da sind, mit denen man ernsthaft den Glauben teilen und über Christus sprechen kann, bzw die Sicht überhaupt da ist Reich Gottes zu bauen. Es ist noch nicht zu spät sich Christus anzuvertrauen, auch in den Fragen der Pfarrwahl und dem Nachwuchs.

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 17:09 Uhr, 15. Oktober

    Oh oh, bei diesem Blog kommen mir als Mentorin grad gewisse KEA -Explorationen (welch ein Unwort ?) in den Sinn … Mit zunehmendem Druck, immer ausgefeilteren, ambivalenteren und fantastischeren Ausbildungsanforderungen erzeugen wir halt trotzdem keine eierlegenden Wollmilchsäue. Und fröhliche, motivierte, selbstbewusste neue KollgInnen auch nicht.
    Viel zu lange wurde die grundlegende Verunsicherung in der Kirche auf den Köpfen des Nachwuchses ausgetragen.

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  • Joachim Finger
    Gepostet um 16:03 Uhr, 17. Oktober

    Dem Kommentar von Barbara Oberholzer kann ich mich anschliessen – mit Eindrücken als Mentor und als Vikariatsleiter. Ich habe damals mit Begeisterung Theologie studiert. Wenn ich all die Professionalisierungen und Spezialisierungen und Langzeitweiterbildungen sehe – ich weiss nicht, ob ich heute mit derselben Begeisterung dabei wäre. Natürlich, wenn ich die Berufung spüre, dann nehme ich manches in Kauf. Vielleicht sogar das Kompetenzenportfolio. Aber wenn ich mir meiner Berufung noch nicht sicher bin, meines Glaubens noch nicht sicher bin … ich weiss nicht. In der Lehrerausbildung habe ich Ähnliches (von aussen) beobachtet und so manchmal das Empfinden gehabt: Heisse Luft. Aber vielleicht bin ich mit meinen 60 ja diesbezüglich auch einfach antiquiert.
    Immerhin, in exegetischen Seminarien, ja selbst in systematischen Lehrveranstaltungen, in die ich in den letzten Jahren als Mentor hineinschauen konnte, habe auch ich Freude gespürt. Aber ich muss mich ja auch nicht mehr mit ECTS-Punkten, Leistungsnachweisen und Prüfungen herumschlagen. Für den Verbleib der Theologie als Wissenschaft ist das sicher nötig. Aber wieviel davon brauchen wir fürs Gemeindepfarramt?

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  • Felix Geering
    Gepostet um 13:44 Uhr, 29. Oktober

    Vielleicht ist halt der Pfarrer als „eierlegende Wollmilchsau“ eh ein Auslaufmodell. Niemand kann alles können: Gut predigen, seelsorgen, gemeindemänätschen usw. usf. Sonst im Leben wird heute alles in Teams erledigt, die einzelnen Funktionen werden einzelnen Personen zugeteilt, die dort ihre spezifischen Stärken haben.

    Der Pfarrer hat anderen Fachpersonen eigentlich nur noch die Hochschultheologie voraus. Aber genau das kann auch seine Stärke und sein Markenzeichen werden: Es ist wichtig, dass jemand über eine gesunde, fundierte Lehre wacht. Sekten entstehen genau dann, wenn diese „theologische Hygiene“ fehlt.

    Die Frage muss allerdings erlaubt sein: Was ist eine gesunde, fundierte Theologie? – Eine universitäre Denkrichtung, die alles Unerklärbare entmythologisiert und wegrationalisiert, macht sich zum Mass aller Dinge und wird wahrscheinlich dem Geheimnis des Glaubens nicht gerecht. Ob dies ein Grund ist, weshalb die Erkenntnisse der Uni-Theologie so wenig den Weg auf die Kanzel finden? – Was logischerweise zu einer „theologischen Bewusstseinsspaltung“ führen muss. Das merken die Leute und rümpfen die Nase.

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