Reclaim the Bible!

Welche Bedeutung hat Bibellektüre in unseren Gemeinden noch? Klar, es gibt Hauskreise, in denen sich eine meist doch homogene Gruppe von Menschen mit Bibeltexten auseinandersetzen. Doch landeskirchlicher Mainstream ist das nicht.

Aus Lateinamerika kenne ich die ‚Lectura popular de la Biblia‘, die ‚Bibellektüre des Volkes‘, bei der meist marginalisierte und arme Menschen ihr Leben mit Bibeltexten in einen Dialog bringen. „Dabei schlagen wir das Buch des Lebens gemeinsam mit der Bibel auf.“ charakterisiert die Theologin Silvia Regina da Lima Silva den Prozess. Sie veranstaltet in ihrem Institut, dem ‚Departamanto Ecuménico de Investigaciones‘, einer ökumenisch ausgerichteten Forschungs- und Bildungsstätte in Costa Rica, jedes Jahr einen Monat, wo Menschen aus ganz Lateinamerika mit dieser befreiungstheologischer Methode und ausgehend von den je eigenen Kontexten und Wirklichkeiten, ihr Leben und das ihrer Gemeinschaften und Gruppen aufgrund biblischer Geschichten beleuchten und zu erhellen versuchen.

Wäre die Bibel nicht auch für uns Menschen im satten Norden unserer Welt eine Quelle von Befreiung;- ja die Wiederentdeckung widerständiger Texte und Geschichten geradezu essentiell für unser Kirchesein?

Im Heft 6.18. der ‚Neuen Wege – Religion. Sozialismus. Kritik.‘ mit dem programmatischen Titel „Die Bibel zurückholen -Reclaim the Bible“ begründet die am Union Theological Seminary in New York lehrende Professorin Brigitte Kahl den gesellschaftlichen Relevanzverlust der Theologie folgendermassen: „Die akademische Theologie, vor allen in Europa, hat sich in den letzten fünfzig Jahren befreiungstheologischen Neuansätzen konstant verweigert. Das hat zu ihrem gesellschaftlichen Relevanzverlust beigetragen, speziell im Blick auf die dringend notwendigen Transformationen im Zeitalter einer globalen ökonomischen und ökologischen Überlebenskrise, deren Konturen immer deutlicher zutage treten.“

Leidet die europäische Theologie an Sklerose; -an Verkalkung? Ich denke schon. Denn wo werden die Anfragen aus dem Weltsüden und -osten aufgenommen, welche die Dekolonialisierung in den Köpfen fordern und den Eurozentrismus anprangern?

Seit sich das Christentum nach der konstantinischen Wende ins Lotterbett mit der Macht gelegt hat, wurde die Botschaft des Nazareners domestiziert. Dabei bräuchten Theologie und Kirchen dringend eine Erneuerung, welche sowohl die eigenen Gesellschaften, wie die ganze Welt in den Blick nimmt. Das geht nicht, ohne dass sich diese in Frage stellen lassen müssten; ebenso, wie sie sich bereichern lassen dürften von Weisheitskulturen, welche uns wegkommen lassen von der Entfremdung zu unserer Mitwelt und ungerechten ökonomischen Strukturen,wie sie der Spätkalitalismus reproduziert.

https://www.neuewege.ch/neue-wege-62018-reclaim-bible

Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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16 Kommentare
  • Jürg Hürlimann
    Gepostet um 07:54 Uhr, 15. Oktober

    Es wäre wohl in manchen Kirchgemeinden ein Versuch wert, regelmässige Bibellektüre als Veranstaltung anzubieten. Dies ist, wo sie angeboten wird, ein inhaltlich bedeutender Teil kirchlicher Erwachsenenbildung. Ich fürchte allerdings, dass dem Angebot das gleiche Schicksal droht wie den Gottesdiensten. In diesen wird Sonntag für Sonntag, Feiertag für Feiertag ein Bibeltext gelesen und durch eine fachkundige Person, Pfarrerin oder Pfarrer, ausgelegt. Es ist zwar so, dass mit der Bibellektüre teilweise andere, zusätzliche Personen angesprochen werden als mit dem klassischen Gottesdienst, nämlich solche, welche sich mit dem Text aktiv inhaltlich auseinandersetzen und über diesen diskutieren wollen. Auch die Bibellektüre steht in Konkurrenz mit anderen Aktivitäten der Menschen und muss um ihren Platz in der übervollen Agenda bangen. Letztlich geht es darum, dass die Kirche auf allen Ebenen und in allen Bereichen aufzuzeigen vermag, dass sie und ihre Botschaft für das Leben ihrer Mitglieder noch immer relevant ist.

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    • michael vogt
      Gepostet um 21:19 Uhr, 15. Oktober

      not for members only, and for members not only its message and scripture

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    • Alpöhi
      Gepostet um 23:28 Uhr, 15. Oktober

      In mindestens einer Freikirche heisst es in den Statuten: „Jedes Mitglied hat das Recht und die Pflicht zur selbständigen Bibellese“… Das wäre auch ein Modell für die Landeskirche 🙂

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  • michael vogt
    Gepostet um 08:04 Uhr, 15. Oktober

    der tod des todes, von dem wir von unserer zeugung an und dann immer mehr und unsere bestandteile seit milliarden von jahren berührt und bestimmt werden, aus dem die ungerechtigkeit hervorgeht, und die rechtfertigung der gottlosen, aller, auch der mächtigen und reichen, der selbstgerechten und ungerechten – wie sollten sie sonst in ihrem sein und handeln gerecht werden? (1kor 15.26. und 55-57, rm 4.5)

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    • michael vogt
      Gepostet um 08:10 Uhr, 15. Oktober

      (1kor 15.26 und 55-57, rm 4.5)

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    • michael vogt
      Gepostet um 16:05 Uhr, 15. Oktober

      das „und“ vor „und die rechtfertigung“ müsste gestrichen werden, weil diese auf der verwandlung von tod in leben beruht

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      • michael vogt
        Gepostet um 16:11 Uhr, 15. Oktober

        > das „und“ vor „die rechtfertigung“

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        • Esther Gisler Fischer
          Gepostet um 18:50 Uhr, 18. Oktober

          Lieber Herr Vogt
          Ich fände es hilfreich, wenn Sie vor dem In-die-Tasten-hauen zuerst ein weni in sich gehen würden, anstatt mit x Korrigenda die Kommentare auszureizen.
          Mit Dank grüsst Sie freundlich
          Esther Giser Fischer, zugegeberrmassen ach nicht immer felerfrei unterwegs. 😉

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          • michael vogt
            Gepostet um 00:50 Uhr, 19. Oktober

            resp nach dem idth besser nachlesen (wie Sie 😉 )

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          • Esther Gisler Fischer
            Gepostet um 14:47 Uhr, 19. Oktober

            QED ;.)

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  • Alpöhi
    Gepostet um 23:41 Uhr, 15. Oktober

    Danke Frau Gisler, für einmal bin ich ganz mit Ihnen!
    Ja, unsere Theologie hat Sklerose. Das liegt u.a. daran, dass die „Erfinder der Reformation“ meinen, sie wissen kraft der Reformation, wie „richtige Kirche“ im Zeitalter der Aufklärung geht, und dieses Modell erfolgreich weltweit exportieren. Dabei passierten zwei Pannen:
    Erstens, die weite Welt wurde kolonialisiert.
    Und zweitens, es ging vergessen, dass die Geistin weht, wo sie will, und nicht unbedingt da, wo wir gerne hätten.

    Man hat es inzwischen bemerkt und Gegensteuer gegeben; Mission 21 versteht „Mission“ heute nicht mehr als Einbahnstrasse, sondern als Dialog.

    Nur: Was wir Westkirchen von den Restweltkirchen lernen können, wissen wir (so scheint mir) noch nicht so recht, trotz dem Lippenbekenntnis zum Dialog.
    Und an den „Kollateralschäden“ des Theologie-Exports (nämlich das Verpassen dessen, was die Geistin Neues tut) werden wir noch lange leiden.

    Da kann ich nur dankbar beten: Danke, Ewiger, Ich-bin-da, dass du auch bei uns bist. Trotz allem. Und trotz uns.

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  • Alpöhi
    Gepostet um 23:50 Uhr, 15. Oktober

    Was das Bibellesen angeht: Man muss es einfach „tun“! So einfach ist das. Ich selber staune immer wieder über den Reichtum und die Vielfalt an knorrigen, sperrigen Geschichten, an denen ich hängen bleibe: Warum steht das gerade so da und nicht anders? Was will mir der Text heute sagen?

    Natürlich braucht es ein wenig Anleitung beim Bibellesen. Die simple Frage „wer hat das geschrieben, an wen, und warum?“ hilft schon viel, und nimmt das Kernanliegen der historisch-kritischen Forschung auf, ohne gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Aber auch der Bibellesebund tut durchaus viel, um mit den Menschen eine verantwortete Bibellektüre im Dialog mit Ich-Bin-Da einzuüben.

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    • michael vogt
      Gepostet um 11:08 Uhr, 16. Oktober

      zu Ihrer erfahrung kein einwand. „ich bin, wer ich bin“ ist aber nicht auf ein „da“ oder auf ein „er“ festgelegt.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 16:46 Uhr, 16. Oktober

      Lieber Alpöhi: Freude herrscht! Dass Sie mir einmal so freudig zustimmen würden, hätte ich nicht gedacht. 😉

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 08:19 Uhr, 28. Oktober

    Und hier noch der Link auf ein Interview mit der erwähnten Brigitte Kahl in der Sendung ‚Perspektiven‘ auf Radu SRF: https://www.srf.ch/sendungen/perspektiven/brigitte-kahl-ruft-den-bibelnotstand-aus

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