Bald fliege ich in den Urlaub!

In zwei Wochen geht‘s los! Auf, nach Sizilien. …oder ehrlicher gesagt: Ist Abflug nach Sizilien. „Ja, aber muss das denn sein? Der Sommer ist doch sooo schön in der Schweiz!“ Jep. Es muss nicht sein. Und ja, der Sommer ist auch in der Schweiz ganz toll.

Das Private ist politisch

Was ich aber viel spannender finde, ist die Selbstverständlichkeit, in der ich und andere meiner Urlaubsreise moralisch-skrupulös gegenüberstehen. „Man darf das ja kaum sagen: Aber wir fliegen dieses Jahr auch weg. Nach Island.“ Im Bekanntenkreis bildet sich unter den CO2-Sünderinnen und Sündern eine verschmitzt-eingeschworene Gemeinschaft, die es vielleicht zuletzt unter Playboy-Lesern gegeben hatte.

Das Private ist dabei in einem bedrängenden Sinn politisch geworden: Entweder man leugnet die Klimaerwärmung und ist dumm oder man verzichtet auf Flugmeilen, isst vegan und zeugt keine Kinder. Oder – und das sind die meisten – man versteht, dass wir eine Klimaerwärmung verursachen, fürchtet die Folgen und hat ein schlechtes Gewissen. Das wäre nicht schlecht, wenn es uns helfen würde, besser zu werden. Aber letztlich verzichten wir nur sehr ungern. Und schon gar nicht, wenn die andern nicht auch verzichten. Und überhaupt: Die ganzen US-Amerikaner sind doch noch viel schlimmer…

Moralisierung schafft Klarheit

Weil „Klimapolitik“ global denken muss, diese Zusammenhänge aber sehr weitreichend und kompliziert sind und die Klimaerwärmung gleichzeitig ziemlich beunruhigend ist, flüchten wir ins Moralische: „Die CDU soll die Klimaziele erreichen. Dafür sind doch Ziele da!“ „Die in Bern sollen auf grüne Energie umstellen. Das haben sie doch versprochen!“

Die Moralisierung des Problems hilft uns, die Komplexität und Vielschichtigkeit auszublenden. Systemische Zusammenhänge werden auf handelnde Akteure reduziert. Das ist aber unterkomplex. Denn was bedeutet Co2-Reduktion für die Landwirtschaft? Oder „Erhaltung der Biodiversität“? Und was bedeuten beide für steuerrelevante internationale Unternehmen, für Arbeitsplätze und letztlich den Sozialstaat? Das sind wirklich schwierige Fragen. Da ist es viel leichter die CDU, Bern oder Nestlé wie moralische Subjekte zu behandeln und ihnen gesinnungsethisch auf die Pelle zu rücken.

Ein ernstes Problem

Für Individuen ist das leicht: Wir sparen irgendwo, bis es sich besser anfühlt und geben demütig zu, dass wir in der Frage Flugmeilen / Fleischverzehr / Mobilität etc… noch nicht ganz dort sind, wo wir hinmöchten. Das ist so ähnlich wie mit Diätplänen, Kinderzeit, Karriereplänen oder dem Vorsatz, mehr Sport zu betreiben. Fast alle wollen beim Jahresanfang schlanker, gesünder und ausgeglichener werden. Es gibt auch Menschen, die das schaffen. Aber ich würde niemals auf unsere guten Absichten setzen, wenn es darum geht, ein wirklich ernstes Problem zu bewältigen…

Grenzen der demokratischen Politik

Wenn das stimmt, dann hilft uns die Moralisierung des Problems nicht bei der Problemlösung, sondern „nur“ beim Ertragen und Aushalten der unbequemen Wahrheit, dass wir das Problem nicht lösen. Das wäre desillusionierend. Aber wenn das wahr ist, stellt die Moralisierung des Politischen keinen Fortschritt dar – egal wieviele sich durch Clicks daran beteiligen -, sondern markiert eine Grenze dessen, was politisch in demokratischen Verfahren geregelt werden kann. Was wir nicht steuern können, moralisieren wir. Dass es nicht steuerbar ist, hat nachvollziehbare Gründe: Politik hat nicht nur die Klimaerwärmung zu begrenzen, sondern auch die Volkswirtschaft, den Wirtschaftsstandort, das Wirtschaftswachstum – und damit eben diametral entgegengesetzte Interessen – zu fördern. Man muss nicht den belasteten Begriff des „Ausnahmezustands“ bemühen. Aber die Klimaerwärmung wird sich durch klassisch demokratisch organisierte Politik so wenig verhindern lassen, wie eine Malariaepidemie oder eine Flutkatastrophe.

„Es lässt sich privat nicht mehr richtig leben.“

Vielleicht brauchen wir dann eher eine technokratische Verwaltung, anstatt Parteien mit guten Vorsätzen, hehren Versprechen und apokalyptisch gestimmten Wählerinnen und Wählern. Über das, was uns allen heilig ist, stimmen wir ja auch nicht ab: Die Politik der Nationalbank, die unseren Frankenkurs sichert. Und das ist nicht undemokratisch sondern sehr klug. So gesehen kann es vielleicht ein richtige(re)s Leben im falschen geben und vielleicht wäre dies eine ehrliche Antwort auf Adornos erste Formulierung seiner berühmten Sentenz „Es lässt sich privat nicht mehr richtig leben.“

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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14 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 06:57 Uhr, 28. Juni

    gestern nachmittag wird der bisherige temperturrekord von 28 grad in meiner wohning geknackt: satte 30. davon spüre ich nicht so viel – weil mein haupt-pc, weniger warm als der ersatz, rechtzeitig repariert werden konnte. fünf stunden meditation sind geplant. vieles kommt dazwischen. die umstellung von windows 8.1 auf 10 bringt ärger, was aber auch heisst energie. badezimmer putzen. douchen. dann erledigt mich einer beim aussteigen aus seinem wagen: nicht nur ein aufleuchten von lichtern, wenn der wagen geschlossen ist, sondern zusätzlich ein elektronisches gequäke. etwas therapie mit meiner eigenen elektronik, und nun setze ich die zwei stunden bei dreissig grad am kühleren abend fort. kurz vor vier macht eine krähe eine sache. im sturzflug an meiner wohnung vorbei. fast befürchte ich, sie könnte die kurve nicht kriegen. dann die hellblau-weisse einfahrtsbeleuchtung vis à vis: die familie schläft. aber die beleuchtung, viel zu hell, geht immer wieder an. trifft sie mich ins gesicht, kann ich den schlaf nachher vergessen. heute geht es aber noch nicht darum. nach vier kommt bise auf: aha, darum heute kühler. leider hat jemand das grillfeuer nicht ganz ausgemacht, was den bisegenuss schmälert. dann ein goldschimmer: der mond. ich lehne zum fenster hinaus: da ist sie, die sichel, über den bäumen am himmel. die meditation erreicht zeitweise eine stattliche konzentration. „das ist, was ich will“, sage ich mir, „hier im quartier am rande eines weiten feldes sitzen. kein verlangen nach ferienreisen.“

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  • Hanspeter Siegfried
    Gepostet um 09:12 Uhr, 28. Juni

    Ein Feedback-Button fehlt, vielleicht auch zwei: „Ärgerlich“ und „zu wenig durchdacht“.
    Ein Beispiel: Jütte vergleicht den Vorsatz, sich weniger klimaschädigend zu verhalten, mit demjenigen, mehr Sport zu treiben oder etwas Gewicht abzunehmen. Die Gegenstände der Vorsätze sind aber sehr verschieden: Während Sporttreiben oder etwas abnehmen vielleicht meiner eigenen Gesundheit förderlich sind und mein höchst privates Wohlbefinden fördern, hat die Art, wie wir das Klima an die Wand fahren, direkte und lebensbedrohende Auswirkungen auf andere: Auf Menschen näher beim Äquator, auf spätere Generationen.
    Die „verschmitzte“ Haltung mit leicht schlechtem Gewissen kaschiert damit das wirkliche Problem: Ich verbrauche viel mehr von unseren gemeinsamen Ressourcen, als mir zusteht, ich bediene mich schamlos an dem, was anderen gehört. Aber selbst empfinde ich das so, als ginge es nur um die kleine Inkonsequenz beim Nicht-Einhalten irgendwelcher Lifestyle-Vorsätze.

    Jütte hat recht, wenn er schreibt, es sei schwierig, zu verzichten, wenn andere das nicht tun. Aber Menschen in Demokratien sind schon oft fähig gewesen, gemeinsam zu vereinbaren, dass alle verzichten sollen und dass bestraft wird, wer das nicht tut. Wäre das nicht so, hätten wir überhaupt keine Gesetze. Es ist der innerste Kern des Gesellschaftsvertrags, dass wir auf gewisse individuelle Freiheiten (z.B. die Freiheit, meinem Nachbarn alles wegzunehmen, was ich begehre, wenn ich es kann) verzichten, unter der Voraussetzung dass erstens alle diesen Verzicht leisten und dass zweitens bestraft wird, wer das nicht tut.

    So ist es durchaus möglich, in der Schweiz, in Europa, auch weltweit den Verzicht auf den Raub an den Ressourcen anderer im Rahmen dieses Gesellschaftsvertrags zu regeln. Dafür müssen wir uns aber bewusst sein, dass die Frage des CO2-Ausstosses eine hochpolitische Frage ist und eben gerade nicht eine Frage des Lifestyle wie das Joggen oder das Abnehmen. Und wir müssen wollen, dass unsere Nachkommen auch noch in zwei, drei Generationen in einer Welt leben können, in der es etwas anderes als Elend gibt.

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    • michael vogt
      Gepostet um 15:05 Uhr, 29. Juni

      danke für Ihr votum für demokratie. ich würde sagen, eine verwaltung, die etwas von der schnittstelle technik/mensch versteht, demokratisch eingesetzt. verzicht? anfang 1972 bin ich vom motorfahrrad auf das fahrrad zurükgestiegen. die fahrraderfahrungen haben mir sehr viel mehr gebracht als die motorisierten. zb eine gute kondition auch noch mit 62. die unten erwähnte raumfahrt erscheint mir als sehnsucht nach erleuchtung – eine umwerfendere erfahrung. durch raumfahrt und konsumation und schon nur wahl von x sendern geht wertvolle meditationszeit verloren. die konsequenz des drohenden weltuntergangs könnte sein, dass uns einiges aufgeht.

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    • michael vogt
      Gepostet um 15:58 Uhr, 30. Juni

      „technokratie“ ist zuerst mal missverständlich. es geht offenbar um die forderung, die heute vornehmlich jugendliche (und erich fromm schon vor jahrzehnten) stellen, dass entscheidungen von experten getroffen werden sollen. das kann zu einem autoritären technokratismus werden, soll es aber nicht. zuzustimmen ist sicher dem votum, dass nicht alles von der mehrheit beschlossen werden kann. die menschenrechte sind übergeordnet. und es stellt sich tatsächlich die frage, ob nicht auch bestimmte klimapolitische entscheidungen nicht von der mehrheit getroffen werden können. wir wissen: demokratie ist nicht einfach mehrheit, sondern auch kompetenzvermittlung. es ginge darum, die experten ausreichend in den entscheidungsprozess einzubeziehen. und wenn sie bestimmen sollen, dann demokratisch legitimiert. die im beitrag erwähnte politik der nationalbank ist meines wissens auch demokratisch kontrolliert. die frage ist, ob die kompetenzvermittlung gelingt. wenn nicht, steht tatsächlich die staatsform oder ein notstandsrecht zur diskussion. zu bedenken ist die these habermas‘, dass eine entscheidung, um vernünftig zu sein, einen konsens braucht.
      https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/juergen-habermas-wie-geht-demokratie?id=6358b82f-9d16-4b14-a90a-3546678407a6 > 53:15 – 55:44

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    • michael vogt
      Gepostet um 12:25 Uhr, 01. Juli

      das wort „technokratie“ ist in vieler hinsicht vorbelastet, zb durch den unumsichtigen willen, für alles alternativlos eine technsche lösung zu präsentieren. das griechische techne müsste in seiner bedeutung von technik bis kunst verstanden werden. vielleicht lieber ökokratie. die ökra scheint mir das zu sein, wonach zwar kein hahn kräht (der ruft nach immer mehr kücken, was wir nur bedingt befürworten können), wonach aber die krähen rufen. der coucou votiert dann gleich für eine massnahme: leere (ku). aus ihr die andere weltwahrnehmung.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Technokratie (auch zu erich fromm)

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    • michael vogt
      Gepostet um 17:12 Uhr, 01. Juli

      ökra sagt dir. . . ihre freundin tekra kann dir dazu folgenden support anbieten. . .

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  • Anonymous
    Gepostet um 12:04 Uhr, 28. Juni

    super poetisch, bruder michael. so schön, dass du mitschreibst.

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  • Andreas Losch
    Gepostet um 14:00 Uhr, 28. Juni

    Nun, das Ozonloch haben wir via Gegensteuern ja schon verkleinert. Sicher war der Preis dafür aber nicht so hoch.

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    • michael vogt
      Gepostet um 15:44 Uhr, 28. Juni

      ozonschädigende substanzen: mengenmässig viel weniger + leichter zu ersetzen – übrigens: als ich nach 5:25 stunden, zufälligerweise gerade um 05:25 uhr, in meine kochnische ging, gab auf einem ast der blauzeder vor meinem fenster eine amsel voll einen durch. nachdem ich eine mandel aus einer chräschliverpackung ausgepackt hatte, war sie nicht mehr da. aber keine sorge: 50 meter weiter setzte sie ihr unterfangen fort – „versunken und vergessen! das ist des sängers fluch!“ möchte man mit ludwig uhland sagen – als wäre nichts geschehen. völlig selstverständlich alternativ. wenn Sie das so meinen. . .

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  • Anonymous
    Gepostet um 17:00 Uhr, 28. Juni

    Bitte nicht immer den Weltuntergang profezeien. Umweltschutz ist nötig, aber warum nicht überlegen, wo man bei sich selbst etwas beitragen kann? – Warum stört sich niemand an der Weltraumfahrt? – 50 Jahre Mondlandung wird im Gegenteil noch zelebriert. Muss man unbedingt mehr als 70 Radiosender empfangen können, den man kann nur einer gleichzeitig sehen. Muss man immer das Neuste sofort wissen? – Wer die Möglichkeit und Kraft hat, einen Garten zu halten, warum diesen nicht nutzen statt nur Rasen zu säen und mähen lassen mit Roboter? – Hansruedi Hirschi, Wynigen

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 12:40 Uhr, 29. Juni

    Ach Stephan, weisst was: Ich wünsch dir einfach ganz supertolle und erholsame Ferien ?!

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  • Susanne Scherpel
    Gepostet um 14:38 Uhr, 29. Juni

    Ich denke viel darüber nach, was für Forderungen an Verwaltungen, Gremien, Politker und Staat gestellt werden. Bevor sich das Grosse in Gang setzen kann, müssen wir im Kleinen agieren….egal was der Nachbar macht. Wenn wir das Glück der anderen in unser Leben einbeziehen, dann hat auch die Jugend eine Zukunft. Der Staat wird uns keine Lösungen liefern, solange wir ihm nicht genügend Impulse geben, gewisse Massnahmen zu ergreifen. Man muss nicht auf alles verzichten, aber bewusst leben und konsumieren. Ich wünsche der Jugend eine Zukunft, denn ich durfte meinen Anteil an Lebensqualität auch erfahren. Nehmen wir die Ängste ernst!

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  • Anonymous
    Gepostet um 12:37 Uhr, 15. Juli

    „Und schon gar nicht, wenn die andern nicht auch verzichten“ – es gibt doch schon sehr viele die „verzichten“ – wobei sich die Frage stellt, ob „verzichten“ das richtige Wort. ist.
    Nicht zu Fliegen, nicht Auto-zu-fahren ist für mich ein riesiger Gewinn an Freiheit!

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