Meine Angst kriegt ihr nicht!

Nina Pauer hat in ihrem Buch „Wir haben keine Angst“ eine Typologie meiner Generation entworfen. Uns zeichnet unter anderem aus, dass wir seit Kindsalter vor drohenden Katastrophen gewarnt wurden, ohne je selbst wirklich von einer betroffen gewesen zu sein: Tschernobyl und der saure Regen, BSE Rinderwahn, Weltuntergang zum Milleniumswechsel, Klimaerwärmung, Krieg gegen den Terror, Schweinegrippe, Griechenland-Pleite, Geklonte Menschen – für mich bedeutete das: Pasteurisierte Milch, Mentos statt Gummibärchen, eine spontane Knutscherei im Angesicht der bevorstehenden Apokalypse, einen neuen Kühlschrank, Schulfrei für Anti-Kriegsdemos, Biofleisch, günstiger Wechselkurs für den Einkauf in Weil am Rhein und ein interessantes Essaythema für die Ethik-Modulprüfung im Bachelor.

Es geht mir gut – ziemlich sogar!

Nina Pauers Buch wurde 2011 veröffentlicht. Vor dem politischen Bankrott der EU, vor dem IS, bevor wir von der NSA–Komplettüberwachung wussten. Trotzdem: Für mich hat sich auch seit dem nichts verschlechtert. Ich habe inzwischen geheiratet, bin Vater zweier Kinder, wohne sehr komfortabel und habe keine Sorgen, die mein Leben unmittelbar betreffen – jedenfalls nicht wirklich ernste. Kurzum: Ich bin ein glücklicher, vielleicht reichlich naiver Postmaterialist, der sich darüber freut, von dieser modernen, liberalen Gesellschaft mit soviel Annehmlichkeiten und Chancen bedacht zu werden.

Eine fatale Sicherheit…

Vielleicht liegt es daran, dass ich die alarmistischen Schlagworte „kleiner, ärmer, älter“, welche die Zukunft der Reformierten Kirche beschreiben sollen, bis jetzt nicht wirklich ernst genommen habe. Wahrscheinlich auch daran. Andererseits begreife ich schlicht nicht, was uns die Konzentration auf diese Schlagworte bringen soll. Denn – das hat der Verfasser der Studie uns eingeimpft – stoppen lässt sich dieser Trend nicht, bestenfalls verlangsamen. Diese Schlagworte scheinen mir wie geschaffen als Mantra für solche, die sich auf den Sterbeprozess einstellen. So à la: „Die Zukunft ist zwar schlimm, aber hey, wenigstens kennen wir sie schon…“ Eine fatale Sicherheit.

Nüchtern ist das neue sexy!

Dabei bestreite ich gar nicht die Richtigkeit der Prognose. Aber ich vermisse die Relevanz für die unsere Gestaltung des Kirche-Seins. Wenn uns „kleiner, ärmer, älter“ Angst macht, wollen wir lieber „grösser, reicher und jünger“ sein? Wichtiger, materiell abgesicherter, mit blühenderer Zukunft vor uns? Nun, das ist der Kirche nirgendwo verheissen, und es ist fraglich, ob ihr ein solcher Zustand je gut bekommen ist. Wenn wir uns aber darauf fokussieren, dass wir zu arm, zu klein und zu alt sind, dann werden wir automatisch unattraktiv – entweder weil es erbärmlich wirkt, oder weil sich damit wieder Machtansprüche verbinden, die der Kirche ganz schlecht anstehen. Niemand wird dadurch attraktiv, dass er ständig seine mangelnde Attraktivität thematisiert – das weiss jeder, der in einer Beziehung lebt. Und wenn wir „kleiner, ärmer, älter“ als Bedrohung verstehen, dann wird dahinter ein Kalkül der Macht- und Selbsterhaltung sichtbar, das uns auch nicht gut steht. Schicker wäre es, darauf zu verzichten, um Relevanz und Anerkennung zu streiten. Mit den Menschen Kirche zu sein, die da sind, statt Angebote nach Milieuprofilen zu designen.

Ob saurer Regen, Milleniumswechsel oder Kirchenschrumpfung: „Allenthalben nüchtern zu bleiben“, wie der Apostel Paulus seinem Mitarbeiter Timotheus geraten haben soll, das Ungemach auf sich zu nehmen und seinen Job zu machen, wäre auch für uns ratsam – aber der hatte auch gut reden: Er musste nicht warten bis die Kirche grösser, reicher und jünger wird, sondern nur bis der Herr kommt.

 

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21 Kommentare
  • Rita Famos
    Gepostet um 07:51 Uhr, 07. Oktober

    Lieber Stefan, das find ich genau so! Die ewige Kirchenuntergangsstimmungsmacherei geht mir auf den Keks! Leben und gestalten wir fröhlich Kirche! Ohne die Augen vor der Realität zu verschliessen, aber befreit durch die Worte der Bergpredigt: Sorget Euch nicht… Bis bald!

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 07:54 Uhr, 07. Oktober

      merci, liebe rita! ich glaube ja, dass das die meisten, die kirche erleben, so empfinden… bis bald, herzlich, stephan

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  • Susanna Meyer
    Gepostet um 09:54 Uhr, 07. Oktober

    Ich schließe mich eurer fröhlichen Koalition der „nicht-um-den eigenen Nabel kreisenden“ gerne an! Ich sehe in meiner Umgebung Jugendliche, die sich „um andere“ kümmern, die Visionen haben. Lass uns den kirchlichen Raum weit spannen. Und unsere Energie und Begeisterung von der frohen Botschaft nähren lassen. Sie bahnt sich ihren Weg, wo sie will.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 10:51 Uhr, 07. Oktober

      Schön! Ich überlege gerade, wo ich deinen Post lese, ob es uns manchmal vorallem daran fehlt: Zu sehen, dass sie sich einen Weg bahnt, abseits von unseren gut geteerten Strassen…

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  • Marianne Lauener-Rolli
    Gepostet um 09:59 Uhr, 07. Oktober

    Danke für die ermutigenden Worte! Auch ich will mir durch düstere Prognosen nicht die heilige Geistkraft aus den Segeln nehmen lassen. Wie sagte schon Don Bosco: „Fröhlich sein, gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen“

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 10:53 Uhr, 07. Oktober

      Merci! Gutes Memo, vorallem dann, wenn man (also ich) für das Pfeifen mal wieder taub ist 😉

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  • Stefan Grotefeld
    Gepostet um 10:32 Uhr, 07. Oktober

    „Mit den Menschen Kirche zu sein, die da sind, statt Angebote nach Milieuprofilen zu designen“? Heisst das, das es uns egal sein sollte, wie die Leute, die wir doch wohl erreichen wollen, ticken? Wäre das nicht allzu blauäugig? Und ähnlich freundlich wie die Wiedereinführung der lateinischen Messe?

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 10:55 Uhr, 07. Oktober

      …vielleicht müssen wir halt vorallem auch anders werden, bevor wir das andere, das Milieugerechte richtig tun…?

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      • Stefan Grotefeld
        Gepostet um 11:10 Uhr, 07. Oktober

        Ich glaub ja, dass das eine nicht ohne das andere geht!

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  • Manuel Schmid
    Gepostet um 11:05 Uhr, 07. Oktober

    Hallo Stephan! Nach langer Zeit mal wieder eine Wortmeldung von mir aus Basel – zuerst: Gratuliere zum neuen Blog! Ein tolles Projekt mit erstaunlich frischen Beiträgen, zu welchen ich auch diesen Post von dir zähle.
    Lass mich aber doch an einigen Stellen kritisch nachhaken:
    Ich halte eine Kirche, die sich damit abgefunden hat, immer »kleiner, ärmer und älter« zu werden, für genauso problematisch wie eine Kirche, die sich zum Ziel setzt, immer »grösser, reicher und jünger« zu werden.
    Sich auf eine paulinische »Nüchternheit« zu berufen, hilft dabei auch nicht weiter – wenn Paulus und andere Angehörige der frühen Jesus-Bewegung sich (nüchtern?) damit begnügt hätten, »mit den Menschen Kirche zu sein, die da sind«, dann würden wir Jesus Christus heute wohl für einen Brotaufstrich halten…
    Und das ist m.E. die Perspektive, die deinen Überlegungen fehlt: Wenn wir den neutestamentlichen Ruf zur Verkündigung des Evangeliums ernst nehmen, dann geht es doch im Grund nicht um Fragen der Bedeutung und Selbsterhaltung irgendeiner Kirche, sondern darum, Menschen die Botschaft der Liebe Gottes näherzubringen.
    Eine Kirche, die sich von den gegenwärtigen Säkularisierungsprozessen bedroht fühlt und heimlich oder offen davon träumt, wieder »gross und stark« zu werden, steht sich wohl noch immer selbst am nächsten. Und wenn eine kostspielige Milieustudie das Schrumpfen der religiösen Marktanteile aufhalten und das eigene Überleben sichern soll, dann bestätigt sich dieser Eindruck nur.
    Aber das Ganze ist auch mit anderen Motiven zu haben (und ich bin gerne bereit, aktuellen Bestrebungen diese Motive zu unterstellen): Eine Milieustudie kann auch in Auftrag gegeben werden, weil eine Kirche realisiert, dass sie bisher eben nur für ein schrumpfendes Segment der Gesellschaft wirklich Kirche gestaltet hat – und damit dem Auftrag von Jesus, »zu allen Völkern« (und Milieus, Schichten, Subkulturen) zu gehen ebenso wenig gerecht wird wie ihrer Selbstbezeichnung als »Volkskirche«.
    Und sie kann die Ergebnisse einer solchen Studie zum Anlass nehmen, Menschen wahrzunehmen und auf Gruppen zuzugehen, die sie bisher vernachlässigt hat. Das wird die Kirche nicht unbedingt »grösser, reicher und jünger« machen – es könnte sie auch ärmer machen, weil sie sich Menschen annimmt, die finanziell nichts zu geben haben, oder älter, weil sie Menschen einschliesst, die am Lebensabend stehen und bisher vom Christentum gerade nicht berührt wurden, oder mittelfristig sogar kleiner, weil ihre Bemühungen nicht von allen etablierten Kirchgängern goutiert werden…
    Aber sicher ist eine solche Kirche nicht mehr nur mit denjenigen unterwegs, die ohnehin schon »da sind« – und wird m.E. gerade so zu einer von Jesus Christus gesandten Kirche…
    Liebe Grüsse – und hoffentlich begegnen wir uns mal wieder persönlich!

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    • zhrefch
      Gepostet um 12:52 Uhr, 07. Oktober

      Stephan Jüttes Antwort auf Ihren Kommentar finden Sie gleich darunter ;).

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  • Stephan Jütte
    Gepostet um 11:15 Uhr, 07. Oktober

    Lieber Manuel, ganz herzlichen Dank für deine mega interessante Antwort! Ich stimme dir sehr gerne zu, dass es nicht darum gehen kann, einfach bei sich selbst zu bleiben und das unter dem Label „wir sind Kirche mit den Menschen, die da sind“ zu verkaufen. Das wäre nur ein Schön-Reden und Festhalten an der Comfort-Zone.
    Die Opposition zwischen einer Kirche – und damit meine ich vorallem mit Christinnen und Christen – die nach Draussen gehen, sich der Welt annehmen und der Nüchternheit i.S. einer Angstfreiheit, fände ich genau so falsch.
    Ich bemerke einfach immer wieder, dass uns dieses Mantra nicht zu den Menschen treibt, sondern dass wir fast erstarren. Da hilft es mir, mich zu erinnern, dass ich keiner Studie und keinem Milieu verpflichtet, sondern zum Handeln, dort wo ich bin, befreit und beauftragt worden bin.
    Ich würde mich über ein Treffen auch sehr freuen! Ganz herzliche Grüsse aus Zürich!

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    • Manuel Schmid
      Gepostet um 22:52 Uhr, 07. Oktober

      Danke Stephan für deine schnelle Reaktion – und damit finden wir uns natürlich auch wieder: Beginnen wir mit Kirche-Sein dort, wo wir jetzt sind – ohne da stehen zu bleiben…

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 15:12 Uhr, 07. Oktober

    Super, dieser Einstieg! Bei meiner Generation kamen noch kalter Krieg, atomare Bedrohung, Rote-Armee-Fraktion, Drogen und überhaupt alles Linke und Böse hinzu 🙂 Wir müssen über eine erstaunliche Resilienz verfügen! Oder nenne ich es schlicht Gottvertrauen – und grad das muss durchaus nicht kleiner, ärmer und älter werden. – selbst wenn es die Kirche werden sollte ?.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 16:05 Uhr, 07. Oktober

      wow, schwungvoll! bei so viel gottvertrauen wird die kirche sicher nicht arm 😉

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  • Marianne Lauener-Rolli
    Gepostet um 19:59 Uhr, 07. Oktober

    Was i no ha wöue säge: Auf die Zürcher Kirche bin ich scho chly nydisch – toller Blog – interessante und anregende Posts. Aber wir Bernerinnen dürfen ja glücklicherweise auch mittun 🙂 Danke!

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    • Anonymous
      Gepostet um 20:07 Uhr, 07. Oktober

      ui, merci für die blumen nach zürich;-) blogs kennen ja zum glück keine kantonsgrenzen!

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  • Esther Gisler Fischer, la Pasionara
    Gepostet um 16:34 Uhr, 19. Oktober

    Das Evangelium, die Frohe Botschaft von Jeschua ben Mirjam, dem Wanderprediger aus Nazareth, wird durch engagierte Menschen seine Wirksamkeit weiterhin entfalten können; denn sie ist nicht nur innerhalb der institutionalisierten Kirche(n) zu finden. Das heisst für mich aber auch, dass wir Christ_innen nicht nur unsere Ich-AGs pflegen, sondern uns herausfordern lassen gerade auch durch die drängenden Probleme unserer Zeit und Abhilfe schaffen den Ungleichgewichten und Ungerechtigkeiten, welche leider prägend sind für unsere Welt. Es soll ja nicht nur uns gutgehen!

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  • Robert
    Gepostet um 08:44 Uhr, 01. Dezember

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  • Georg Vischer
    Gepostet um 17:07 Uhr, 21. Dezember

    Stephan Jüttes Gedanken sind Balsam für eine alte Pfarrerseele, die in den letzten Jahrzehnten miterlebt hat, wie die ererbten staats- und volkskirchlichen Vorstellungen und Gebäude rückgebaut werden mussten und weiter müssen. Ermutigend, dass jetzt junge, frische Kräfte an die Arbeit gehen, denen nicht Strukturerhalt am Herzen liegt, sondern die neugierig auf das zugehen, was das Evangelium mit uns Menschen heute und morgen machen wird. Weder eine „Welt“- noch eine „Staats“- noch eine „Volkskirche“ ist Trägerin der Verheissung in Matthäus 16, 18, sondern die auf das Messiasbekenntnis des Petrus gebaute Kirche „werden die Tore des Totenreichs nicht überwinden.“

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  • George
    Gepostet um 13:52 Uhr, 25. Januar

    It is also possible that Zynga’s chosen advertising network is to blame if we

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