Segensroboter in der Lutherstadt

Ich habs getan: An der Weltausstellung Reformation in Wittenberg habe ich mich von einem Roboter – pardon, einer Roboterin, denn ich wählte die weibliche Stimme – segnen lassen. BlessU-2 ist der Renner in der Lutherstadt. Das Resultat? Naja, ein bisschen peinlich, ein bisschen erniedrigend, ein bisschen schuldig: Ist das nicht Blasphemie? Ich trau mich nicht recht, bitte jemanden, mich zu begleiten, fühle mich dann aber beobachtet. Was tue ich mir da an? Ich liefere meine Intimsphäre einem Roboter aus und jemand sieht mir dabei zu!

Gleichzeitig naheliegend und abwegig. Naheliegend, denn wir steuern auf Industrie 4.0 zu und Spass muss sein in unserer Spassgesellschaft. Das hatte sich schon Jakob gesagt und seinem von der Feldarbeit erschöpften und hungrigen Zwillingsbruder Esau ein Linsengericht vorgesetzt. Jakob sprach: Zuerst schwörst du mir! Und der schwor ihm und verkaufte Jakob sein Erstgeburtsrecht. (Genesis 25, 33; Zürcher Bibel 2007) Es kam wie es kommen musste. Esau fragte seinen Vater Isaak: Hast du keinen Segen mehr für mich? (Genesis 27, 36; Zürcher Bibel 2007) «Kein Problem», hätte BlessU-2 geantwortet, «I bless you too. Ich segne jeden und jede, der oder die mir in die Glubschaugen blickt und unter meine Strahlenhände gerät.»

«Kein Problem», kennt BlessU-2 von ihrem Informatiker, der den Spruch stets auf den Lippen trägt, wenn die Probleme beginnen. So zum Beispiel: Mit welcher Legitimation segnet das Geschöpf seinen Schöpfer? Je nach natürlicher Intelligenz ihres Schöpferteams wird BlessU-2 die Antwort im Judentum finden: Zum liturgischen Gebet in der Synagoge gehören an Gott gerichtete Segenssprüche, um ihn gnädig zu stimmen, um die Beziehung Gottes zu erfahren.

Jetzt wird es abwegig. Will die Roboterin mich gnädig stimmen, eine Beziehung zu mir aufbauen? Nein, sie zitiert nur: «Gott spricht: Ich will dir den Weg zeigen, den du gehen sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten.» (Psalm 32, 8) Auf Knopfdruck öffnet sich aus ihrem Bauch eine Schublade. Sie druckt die Botschaft aus. Ein Mensch klebt sie mir auf eine Postkarte mit Bildnis der E-Segensspenderin. Ich kriege ein Armband: «Ich bin gesegnet.» Die Farbe darf ich wählen. Grün passt gerade zu meinem Outfit.

Es geht weiter auf dem Segensparcours: Eine dritte Person fotografiert mich mit meiner Kamera. Ich stelle mich an die Hauswand, wirke verloren unter den überdimensionalen Segenshänden, die ein Selfy verunmöglichen. Unter einem Sonnenschirm hat es Türklinken-Anhänger «Segen erleben» – wie «Bitte nicht stören» im Hotelzimmer. Ich darf einen Segensspruch aufschreiben, im Gegenzug einen handgeschriebenen auswählen. Viele mechanische Sprüche, auswendig gelernte Bibelzitate – hätten auch vom Roboter kommen können. Ich finde etwas, das meine menschlichen Sinne anspricht, mich aus der materiellen Verstrickung befreit, mich das Unendliche schmecken lässt: «Gott segne dich mit jedem Sonnenstrahl, jedem Regentropfen und jedem Windhauch.» Ich bin gesegnet.

 

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6 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 20:22 Uhr, 18. Juli

    numinosum tremendum? die wahrheit, auch der segen offenbart sich wann, wo und wie sie oder eben er will. mich stört, erschreckt ein bisschen das technische, elektronische. hebt mich ein bisschen ab, geht andererseits weit hinab. etwas schizoid. es fehlt ein bisschen der mittenbereich, der die vermittlung einer erfahrung ermöglicht. aber trotzdem halte ich einen solchen segen für möglich. ebenso kritische anfragen an ihn. nimmt mich wunder, wie das video sich auswirkt, wenn ich nun in die waschküche gehe, wäsche auslade, aufhänge. . .

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 07:52 Uhr, 21. Juli

    Einfach dumm-pervers…

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  • H.Findlay
    Gepostet um 09:03 Uhr, 21. Juli

    Mir ist schon viel „Verrücktes“ schlussendlich zum Segen geworden, aber wenn ich die Wahl habe, dann doch lieber eine warme Menschenhand, die den Segen weitergibt.

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    • Anita Ochsner
      Gepostet um 18:27 Uhr, 21. Juli

      Mir kommt dazu das „arabisches Sprichwort“, aus dem Buch SOPHIA, von Rafik Schami;

      „Geduld und Humor sind zwei Kamele,
      mit denen man jede Wüste überqueren kann.“

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  • Anonymous
    Gepostet um 18:04 Uhr, 21. Juli

    Ich fragte mich, ob es viele Leute gibt die sich vielleicht mit dem Computer mehr dazu „trauen“ sich Segnen zu lassen, das „einfach mal so ausprobieren“ wollen, als wenn da ein Mensch stehen würde der fragt: “ wollen Sie sich gerne segnen lassen?“ – Doch ginge auch so?
    Wie wäre es denn für diese Person, den ganzen Tag Leute zu segnen?
    Wäre eine schöne Sache, wäre das ziemlich anstrengend ?… Gäbe bestimmt interessante bereichernde Begegnungen, Gespräche.. Witze? 😉 Der eine oder andere Spruch käme bestimmt, aus „Verlegenheit“?

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