Voilà!

Voilà!

Pascal sagte: «Il y a trois elements de la religion: la raison, la tradition et la foi.» Vermutlich ist das mittlere das stärkste dieser drei Elemente. Und mit Abstand das zäheste. Weihnachten ist eine Tradition. Voilà, feiern wir Tradition. Frohes Fest!

Aber hör mal, feiern wir wirklich Tradition? Traditionen feiert man, weil sie überliefert sind, weil man es schon immer so getan hat, weil man es gemeinsam tut und dabei Gemeinschaft erfährt oder vermisst. Das ist plausibel, aber die religiöse Vernunft schüttelt den Kopf und weiss, dass diese Begründung letztlich bodenlos ist. Wenn wir an Weihnachten nur Tradition feiern würden, müsste man das Fest auf dieselbe Stufe stellen, wie einen Geburtstag oder horribile dictu eine 1. Augustfeier mit einer Rede von Bundesrat Schneider-Amann. Ob dazu Kuchen, Cervelat oder Weihnachtsgans serviert würde, wäre dann einerlei – alles nur Tradition oder Ritual oder Symbol. Die Vernunft der Religion hat Recht, wenn sie Einspruch erhebt, hat aber auch ein Herz für Gefühle und darum Verständnis für das Weihnachtschristentum. Etwas aus Gewohnheit zu tun, ist keine Sünde, solange man es nur mit der rechten Freude tut. Voilà! Letztlich feiern wir weihnächtliche Gefühle. Frohes Fest!

Aber hör mal, feiern wir unsere Gefühle? Oder feiern wir mit Gefühl? Beides ist der Fall, aber es befallen mich Zweifel, ob Pascals religiöse Vernunft sich damit zufrieden gäbe. Denn eine freischwebende Gefühligkeit, die nur durch die schwachen Seile der Gewohnheit gehalten wird, ist höchst absturzgefährdet. Es verwundert darum kaum, dass das Weihnachtschristentum Tannenbaumtraumata, Kerzenallergien und Besinnlichkeitsphobien entwickelt hat. Ich bin darum nicht schockiert, wenn einige kritische Zeitgenossen einen Weihnachtsstopp fordern. Das gehört einfach dazu. Wie die ewig wiederkehrenden Nörgeleien über Kalorienexzesse, Konsumwahn und vorweihnächtliche Hektik in unendlich langweiligen Predigten, gegen die eine Schneider-Amann-Rede wie ein Feuerwerk erscheint.

Alle Jahre wieder eine Tradition und ambivalente Gefühle.

 

„Allein, mir fehlt der Glaube!“, sprach einst Gretchen zu Faust und Pascal aus dem Herzen. Denn der Glaube, das dritte Element, kann es nicht lassen, die Frage anders zu stellen. Nicht was, sondern wen feiern wir, um zu antworten: Ihn feiern wir. Im Zentrum ist die Geburt Gottes. Ohne den Glauben haben es die anderen Elementen der Religion schwer, sich zu behaupten. Ein Gott, der geboren wird, ist per Definition kein Gott mehr. Die Vernunft streikt und die Tradition fällt aus. Ein einmaliges Ereignis zu wiederholen, ist absurd. Voilà!

 

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Rembrandt: Anbetung der Hirten 1646 (Ausschnitt)

Sieh mal! Der Glaube lenkt auf etwas hin, das sich uns entzieht, weil es einzigartig und wunderbar, noch nie dagewesen und nicht wiederholbar ist. Weit und breit keine Tradition. Nur ein Kleines. Sieh nur! Zum Kind hin gewandt werden alle Anwesenden wie angeleuchtet und alles anderen Dinge abgeblendet. Sie, die schauen, sind ausser sich vor Freude, ganz beim Kind – die Rücken zur Dunkelheit und die Gesichter dem Licht zugewandt. Weihnachten ist angeschaut werden. Anleuchtung, Verklärung und Beglänztwerdung. Siehst Du’s auf den Gesichtern der Anderen? Voilà, frohes Fest!

 

 

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4 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:28 Uhr, 24. Dezember

    Awww, welche Wohltat ist dieser Beitrag nach besagter Arena! Wenn ich das lese, freue ich mich richtig auf Weihnachten. Danke!

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    • Anita Ochsner
      Gepostet um 09:25 Uhr, 24. Dezember

      Oh ja, Danke Frau Oberholzer und Herrn Kunz. Heut Morgen ganz früh war schon Weihnachten – unsere Tochter überrascht – weil, es eben doch Weihnachten ist! :- )
      es gibt noch viel zu tun, soo schön…
      Lichtvolle Weihnachten in dieser Zeit.

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  • Werner S. Studer-Gross
    Gepostet um 09:25 Uhr, 24. Dezember

    Lieber Kollege Ralph Kunz,

    das ist wahrhaft ein guter Artikel, wenn auch nicht so gut, wie anderes herausgekommen ist. Aber ich werde heute abend Ihren Beitrag bedenken.
    Was mir gar nicht gefällt in Ihrer Schreibe ist dies: Ausgerechnet zu Weihnachten kommt wieder die leidige Geschichte von Bundesrat Schneider-Ammann. Sie ziehlen so direkt auf die Person, was zu keiner Zeit seine Richtigkeit hat. Leider ist der Herr Bundesrat gerade nicht mit dieser Gabe gesegnet wie Sie sie haben. Dazu hat er zeitweise schlechte Berater, die ihn ins Messer laufen lassen… Also Vorsicht und Nachsicht, bitte.

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  • Felix Geering
    Gepostet um 12:31 Uhr, 24. Dezember

    Schöner Text, viele gute Gedanken.
    ABER
    Feiern wir wirklich IHN? Wie war das noch? Schaun wir mal:

    „Im Advent warten wir auf das, was an Weihnacht kommt“, pedigte mal ein Pfarrer. Was kommt an Weihnacht? Beim Grossverteiler sind es die Fasnachtschüechli, und im Lego Adventskalender ist der Santa Claus im Törchen 24.

    Wikipedia sagt, Jesus sei nicht am 24. Dezember geboren worden. Man wisse nichts. Und die Mehrheit feiert das Fest der Liebe, oder das Lichterfest der Wintersonnenwende und der wieder länger werdenden Tage. Wäre es da nicht an der Zeit, die Weihnacht zu reformieren?

    Als Alternative böte sich das Erntedankfest im Herbst an. Dieses könnte zum Laubhüttenfest „gepimpt“ werden. Am Laubhüttenfest feiern die Juden, dass Gott in der Hütte bei ihnen wohnt, und dass sein Wort, die Torah, zu ihnen gekommen ist. Jesus ist das Fleisch gewordene Wort Gottes. Die Symbolik passt. Und – Überraschung: – Der Kalender passt auch. Die salomonische Priesterordnung (1.Chr.24,10) gibt einen Hinweis darauf, wann Elisabeth mit Johannes schwanger wurde. Maria besuchte sie sechs Monate später, als sie selber schwanger wurde.

    Ich gehe jetzt den Götz aufstellen und behängen (Jer.10,3+4).

    Gesegnete Weihnacht! Gott wird Mensch und kommt zu dir und mir.

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